Vollkommen naiv.. ?!

  • Hallo zusammen !
    Ach herje, wo fange ich an ? Vielleicht damit, dass ich 28 Jahre jung bin, studiere, mit beiden Beinen fest im Leben stehe, zudem Single.
    Nun habe ich vor 3 Wochen einen Mann kennen gelernt, 33, ist Headhunter in einer Bankfiliale und hat mir mit seiner charmanten, aufgeweckt frechen und liebevollen Art ein wenig den Kopf verdreht muss ich gestehen.
    Vor einigen Tagen hat er angedeutet, dass er mit mir über etwas sprechen muss und mir gestern gestanden, dass er Alkoholiker war und seit 4 Monaten trocken ist.
    Das musste ich erstmal sacken lassen, auch wenn ich Ehrlichkeit definitiv immer und ausnahmslos vorziehe.
    Ich behaupte nun, Naivität gehört absolut nicht zu meinen Charakterzügen, und doch habe ich gerade das Gefühl, dass ich es an Naivität nicht übertreffen könnte, wenn ich mich blind und voller Freude auf eine Beziehung mit ihm einlasse...?
    Ich habe selbst keine direkte Erfahrung mit Alkhololikern. Aber 2 meiner Onkels sind stark abhängig. Zu beiden besteht kein Kontakt. Aber meine Cousine, die ihren Papa nur betrunken kannte ( mittlerweile verheiratet und selbst Familie) hat mir gegenüber immer erwähnt, sie hätte niemals mit einem (trockenen) Alkoholiker zusammen sein können und welche schlimmen Erinnerungen sie an ihre Kindheit hat (....)

    Zurück zum gestrigen Gespräch... Nachdem ich etwas sprachlos war, entgegnete er mir ob ich mich an den netten Mann erinnere, den ich gerade dabei bin kennen zu lernen.. Dass er dieser nette Mann im nüchternen Zustand ist und dieser nüchternen Mann bleiben möchte.

    Was bedeutet es, 4 Monate trocken zu sein? Ich selbst habe lediglich Erfahrung mit der Nikotin-Sucht, konnte vor 4 Jahren plötzlich "problemlos" aufhören (im Nachhinein denke ich es war einfach der starke Wille) und habe in der ersten Zeit gesagt, NIE WIEDER ! Wie konnte ich mir das nur so lange antun. Ich habe mich wundervoll und wohl gefühlt und war der Überzeugung, nie wieder zur Zigarette zu greifen. 4 Jahre lang war das auch genau so ( mit 2 oder 3 Ausnahmen, die für mich absolut nicht ins Gewicht fallen) Und dann, als ich einen sehr harten privaten Rückschlag erlitten habe, habe ich plötzlich wieder zur Zigarette gegriffen und war binnen 3 Tagen wieder vollkommen normal und mir darüber bewusst , "unter die Raucher" gegangen. Nach 3 Wochen hatte ich mich zwar wieder gefangen und habe es einfach wieder sein lassen, aber ich merke, dass ich nach wie vor wieder öfter mal eine rauche ( auf Feiern, oder wenn ich mal im Pub sitze..)

    Bin ich naiv, wenn ich weiterhin den Kontakt halte und geradezu in eine Beziehung steuer?
    Abgesehen davon, dass ich mir wahrscheinlich über ein mögliches Ausmaß überhaupt nicht im Klaren bin, bin ich jemand, der denkt, man kann doch jemanden nicht danach verurteilen kann, der im Leben mal falsch abgebogen ist...?!

    Ich würde mich über Antworten freuen.. Denkanstöße... Erfahrungen...

    Liebe Grüße

  • Hallo, Äffchen, und Herzlich Willkommen!

    Warum solltest Du naiv sein, weil Du weiter Kontakt mit ihm hast und haben willst?
    Ich finde es gut und stark von ihm, dass er Dir reines Wasser ;) eingeschenkt hat. Und dass er "nur" (??) 4 Monate trocken ist, ist in meinen Augen schon eine Leistung. Ich bin heute etwas über 7 Jahre trocken - war also auch mal nur 4 Monate weg von dem Zeug.
    Und wenn man dann jemanden hat, der Einem zur Seite steht und die Schmetterlinge fliegen - ich denke, dass kann ungeheure Kraft geben!
    Andererseits finde ich es gut, dass Du Dich nicht blind in die Beziehung stürzen willst.
    Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit: kannst ihm ja z.Bsp. sagen "Fängst Du wieder an, bin ich weg!" Wobei man das auch nicht so allgemein sagen kann. Bei mir auf Arbeit gibt es die sogenannte "Einzelfallentscheidung" ... hoffe, Du verstehst, was ich meine.

    Sprich mit ihm - über Deine Ängste und Sorgen. Aber auch über seine Probleme (in Bezug auf Alkohol bzw. die Trockenheit). Und informiere Dich natürlich hier und anderswo (z.Bsp. hier).

    Das hilft Euch beiden. Und warum soll nix aus Eurer Beziehung werden?

    Ich wünsch Dir/Euch jedenfalls alles Gute!!

    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Äffchen

    Also ich finde das toll, dass er das offen gesagt hat, und der Rest wird sich zeigen.
    Ich würde das nicht mit dem eigenen Suchtverhalten vergleichen, ich glaube, dazu hat jeder zu sehr seine eigene "Suchtstruktur"
    Es gibt außerdem sowieso nie eine Garantie, weder mit "so einem" noch sonstwie.
    Und eine Beziehung lässt sich auch wieder beenden, falls...

  • Dankeschön erstmal, für eure Antworten !

    Warum gerade so viele Fragen in mir aufkommen - ich denke,ich weiß nicht recht damit umzugehen.
    Stimmt, es gibt keine Garantie, ich habe genug Männer kennen gelernt, die mich unglücklich gemacht haben haha und die hatten kein Alkoholproblem.

    Ich dachte nur, vielleicht ist man nach 4 Monaten noch sowas wie in einer "Ausnüchterungsphase".Himmel, das hört sich bekloppt an, aber ich finde gerade kein geeignetes Wort. Naja und vielleicht eher eine tickende Zeitbombe. Auch das hört sich recht komisch an. Aber sowas schießt einem durch den Kopf, wenn man plötzlich mit einem Thema konfrontiert wird, was man noch nie in Erwägung gezogen hat, bzw drüber nachgedacht hat.
    Ich weiß nicht, was für ein langer Weg raus aus der Sucht schon hin ihm liegt. Ok, Ennasu, du sagst, Suchtstrukturen lassen sich nicht vergleichen. Ich sehe es halt nur an der Rauchsucht. Wie oft ich im Bekanntenkreis bereits jemanden hatte, der stolz verkündet hat, er hat jetzt aufgehört zu rauchen und nach einem halben Jahr doch wieder raucht..
    Deswegen meine Sorge und evtl Ängste

  • Mal ne Frage: Geht Dein Freund/Bekannter in eine Selbsthilfegruppe? Vielleicht gehst Du mal mit? Nur zuhören.

    In meiner Gruppe ist auch gerade eine junge Frau, deren Freund kommt auch desöfteren mit. Und er sagt, dass es ihm völlig neue Sichtweisen gezeigt hat. Aber auch uns gibt es etwas, wenn er aus seiner Sicht als Angehöriger erzählt (seit er gemerkt hat, dass wir uns nicht zu saufen treffen, ist er aufgetaut ;) ;D ).

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  • Hmm, ich weiß nicht, ob es bei denen möglich ist, als Angehöriger mitzukommen ...
    Ist schon Jahre her, dass ich mal bei den AA war ...

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  • Ich sehe es halt nur an der Rauchsucht. Wie oft ich im Bekanntenkreis bereits jemanden hatte, der stolz verkündet hat, er hat jetzt aufgehört zu rauchen und nach einem halben Jahr doch wieder raucht..


    Ich denke, dass die Rückfälle i.d.R. damit zu begründen sind, dass man letztendlich noch in seiner Sucht gefangen ist. D.h., es bleibt zumindest ein Rest der Einstellung vorhanden, dass der Konsum des Suchtmittels neben allem Negativen auch etwas Gutes bewirkt. Raucher begründen Rückfälle oft damit, dass sie hohem Stress ausgesetzt waren. Sie suggerieren damit, dass ihnen Nikotin bei der Bewältigung der ‚Stresssituation hilft. (Dabei kann Nikotin keinen Stress abbauen, sondern nur die Entzugssymptome beseitigen, die es selbst verursacht hat.).

    Bei Trinkern sind auch oftmals Stresssituationen Auslöser für einen Rückfall. (Der Alkohol kann hier zwar irgendwie helfen, da er betäubt; langfristig landet aber auch der Trinker, sobald er körperlich abhängig ist, da wo der Raucher meist schon sehr viel früher gelandet ist. Nämlich bei der Linderung von Entzugssymptomen, die er ohne den Konsum des Suchtmittels niemals hätte.)

    Ich bin davon überzeugt, weil ich das bei mir so erfahre, dass ein Rückfall ausgeschlossen ist, wenn der Ausstieg aus der Sucht wirklich komplett erfolgt ist, d.h., wenn der Ex-Süchtige mit Kopf und Herz spürt, dass Suchtmittel -zumindest langfristig- nur zu einem in der Lage sind, nämlich Entzugssymptome zu lindern, die sie selbst verursacht haben.
    Diese Einstellung zum Suchtmittel kann sich sehr schnell entwickeln (oder auch nie).

    Bassmann

    Einmal editiert, zuletzt von Bassmann (11. August 2015 um 17:26)

  • So wie er darüber spricht, macht es den Eindruck, dass er sich darüber im Klaren ist, was der Alkohol mit ihm gemacht hat, und dass er ohne ihn im Leben besser dran ist.

    Eine andere Frage, die mir noch nicht ganz klar ist... Wie verläuft es denn mit dem "trocken werden " ? Kann ich mir das als Kalten Entzug vorstellen? Und ab wann kann man dann sagen, ich bin drüber "hinweg"? Ich weiß, solche Dinge muss ich ihn wohl auch fragen, und das habe ich auch vor.
    Aber was mich auch beschäftigt... Wenn ich an das Wort "Alkoholiker" denke, stelle ich mir jemanden vor, der auf der Couch liegt und betrunken ist, arbeitsunfähig und keine soziale Kontakte hat. bitte versteht mich bloß nicht falsch ! Ich habe meine eigene Familie im Hinterkopf, bei denen ich es leider genau so gesehen habe.
    Beide haben nie gearbeitet und werden das in ihrem Leben auch nicht mehr tun.

    Diese Vorstellung, die ich da aber in meinem Kopf hat, passt nicht mit dem Mann zusammen, den ich gerade kennen lerne. Denn in meinen Augen steht er mit beiden Beinen im Leben.
    Irgendwie passt da nicht das Wort "Alkoholiker" rein. Versteht ihr, wie ich das meine?

  • Wenn ich an das Wort "Alkoholiker" denke, stelle ich mir jemanden vor, der auf der Couch liegt und betrunken ist, arbeitsunfähig und keine soziale Kontakte hat.

    Oh nein, dass ist nur ein Erscheinungsbild. Es gibt sehr viele, die ständig "unter Strom" stehen (müssen) und/um richtig arbeiten zu können.

    Ich kenne jemanden, der war Kraftfahrer :o und brauchte seinen "Spiegel" von ca. 1,8 o/oo. Wenn er den hatte, ist er absolut nicht aufgefallen - gelaufen, gefahren, gesprochen wie "ein junger Gott". Aber wehe, er hatte weniger (!) ...
    Aufgefallen ist es nur, weil er bei einer der vielen Polizeikontrollen an einen trockenen Alkoholiker "geraten" ist (irgendwie ist bei uns Trockenen die Nase in dieser Beziehung empfindlicher nixweiss0 ).


    Diese Vorstellung, die ich da aber in meinem Kopf hat, passt nicht mit dem Mann zusammen, den ich gerade kennen lerne. Denn in meinen Augen steht er mit beiden Beinen im Leben.
    Irgendwie passt da nicht das Wort "Alkoholiker" rein. Versteht ihr, wie ich das meine?

    Dieses Kopfkino, diese "Vorverurteilung" hat er (niemand) verdient. Ist aber irgendwie verständlich ... Gib ihm eine Chance!
    Denn: Du kannst Dir nicht vorstellen, wie schwer es ist/sein kann, zunächst einmal zu erkennen/erkennen zu müssen, dass man abhängig zu sein. Dann die nächste Stufe: den Absprung zu wagen und in Angriff zu nehmen. Und - er ist immerhin schon 4 Monate+ trocken!

    Sorry - ich kenne ihn nicht und kann auch Deine Sorgen verstehen. Aber ich kann Dich nur bitten, A) mit ihm zu sprechen und B) ihm eine Chance zu geben.
    Aus Deiner Sicht ist er erst 4 Monate trocken - aus seiner Sicht sind es schon 4 Monate!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen,

    zu viel Alkohol heißt nicht gleichlautend unter der Brücke schlafen. Ich war trotz zu viel Alkohol immer frisch gewaschen, gut gepflegt, bin immer zur Arbeit gegangen. Habe ja am Tage nicht getrunken. Also wie schon erwähnt. Es ist nur ein Erscheinungsbild. Und es kann halt jeden treffen. Aber dieser junge Mann hat etwas an seiner Situation geändert und er ist immer noch dabei. Und er ist ehrlich dir gegenüber. Und er scheint dir zu vertrauen. Und du findest ihn sympathisch. Und... und... und...

    Und  eine Garantie für die Zukunft gibt es nie. Egal wofür. Denn wir alle wissen nicht, was uns morgen erwartet.

    Hör auf dein Herz und deinen Bauch. (Verstand nicht ganz ausschalten. Wobei das ist bei verliebt recht schwer. ???)

    LG Grüße :sun: von Betty

    Auf dem Weg zu mir lerne ich mich immer besser kennen. <br />Ich habe Freundschaft mit mir geschlossen und freue mich, dass ich mir begegnet bin.<br /><br />Ich bin lieber ein Original als eine herzlose Kopie.

  • Hör auf dein Herz und deinen Bauch. (Verstand nicht ganz ausschalten. Wobei das ist bei verliebt recht schwer.

    Wie sagte meine Omma immer: "Liebe macht blind. Taub war man schon vorher - und stumm wird man erst hinterher."

    Wohl wahr ;(
    Aber auch DAS kann jeden treffen, unabhängig davon ob er gesund oder krank, süchtig oder nicht ist.

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  • Ihr Lieben, vielen Dank für eure tollen und wirklich hilfreichen Beiträge !!! Ihr habt mir eine ganz neue Sichtweise gegeben und ich denke auch ein wenig Angst vor der "unbekannten Situation" genommen !
    Wenn man sich mit einem so schwierigen und heiklen Thema noch nie wirklich beschäftigt hat, ist es doch sehr schwer, ein klares Bild zu bekommen, und seine Gedanken zu sortieren.

    Betty, du hast definitiv Recht, eine Garantie gibt es für gar nichts. Und ich bin auch ein großer Verfechter meines "Bauchgefühles" und dem "Nein" bzw. "Ja-Gefühl" :)

    Greenfox, mit ihm sprechen hatte auch auf jeden Fall vor, und überzeugt bin ich nun, ihm eine Chance zu geben ( Das wollte mein Bauchgefühl ja die ganze zeit schon ;) ) ...

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