Ich fühle mich seit 30 Jahren schuldig

  • Hallo ihr lieben Menschen,

    vor über 30 Jahren (ich war damals 20) war ich in einer Therapie wegen Orientierungs- und Familienproblemen. Da war eine ca. zehn Jahre ältere Frau wegen Alkoholproblemen dabei.

    Ihr Mann hat getrunken, hat sie geschlagen und sie wie Dreck behandelt. Wir haben uns ab und an bei ihr getroffen und geredet.
    Sie hat mir auch die Narbe an ihrer Seite gezeigt. Ihr Exmann hat ihr das mit einem Messer angetan. Irgendwann sagte sie: ich muss jetzt ein Bier haben. Ich habe sie vom Bier weggezogen und sie einfach festgehalten. Ich halte dich fest bitte trinke nicht. Lass uns das Bier wegschütten. Wir machen das zusammen. Ich halte dich fest und nehme deine Hand und zusammen haben wir das Bier in den Abfluss geschüttet.

    Seitdem war sie trocken. Kein Alkoholgeruch mehr kein Bier im Kühlschrank. Sie hat sich schick gemacht, ist zum Friseur gegangen und an einem Abend hat sie sich so erotisch angezogen; da war mir klar sie will viel mehr als eine Umarmung. Diese Erotik hat mir Angst gemacht und ich hatte keine sexuellen Erfahrungen. Ich wollte ganz offen zu ihr sein und habe ihr von meiner Misshandlung als Kind erzählt. Ich wollte das sie meine Zurückhaltung versteht und haben Sie zweimal darum gebeten es nicht weiter zu sagen. Sie hat es mir versprochen und hat mir ihr Ehrenwort gegeben.

    Am nächsten Tag in der Therapie fing sie direkt an das zu erzählen. Du hast mir doch dein Ehrenwort und dein Versprechen gegeben das nicht zu erzählen habe ich zu ihr gesagt. Ich hab mich so verletzt gefühlt sie hat mir doch ihr Ehrenwort gegeben. Ich hatte eine Träne im Auge die Frau neben mir wollte mich nur berühren. Ich bin fast panisch zurückgewichen und fing an zu zittern. Der Therapeut fragte: was ist für Sie ein Ehrenwort welches sie nicht halten und sie sagte Dreck. Er hat sie aus der Therapie genommen und meinte: mit einem Ehrenwort was sie nicht halten dürfen Sie hier keine Menschen mehr verletzen. Ich habe sie nie wieder gesehen.

    Ich habe sie respektiert und geachtet das war alles weg. Ich fühlte mich so verletzt auch weil sie die erste Frau war der ich mich anvertraut habe. Sie hat mir ihr Ehrenwort gegeben sie hat es versprochen und es nicht gehalten. Der Therapeut hat dann später erzählt: Sie hat wieder angefangen zu trinken und den Selbstmordversuch hat sie nur überlebt weil Ihrer Katze Lärm gemacht hat.

    Das war keine Alkoholikerin. Das war ein feiner Mensch, eine sinnige, schöne, zärtliche Frau, die nur jemand gesucht hat der sie festhält und die an den Falschen geraten ist. Mit mir wäre sie weiter trocken geblieben. Ich fühle mich so schuldig an den Selbstmordversuch und an ihrem weiteren Schicksal alleine zu Hause zu sitzen und niemanden zu haben.

    Ich bin ein sehr hilfsbereiter Mensch und ich habe mich trotzdem nicht weiter um sie gekümmert. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen und mache mir immer wieder diese Vorwürfe das ich überreagiert habe.

    Sagt mir bitte eure Meinung - danke.

  • was in der Therapiegruppe oder auch Selbsthilfegruppe besprochen wird, hat dort zu bleiben und DARF nicht nach aussen getragen werden.

    Das gilt für dich genauso!

    Für einen Therapeuten gelten noch mehr Regeln. Er darf nicht mal Dinge die ihm persönlich anvertraut wurden, in die Gruppe einbringen. Also weder, dass ein anderer wieder trinkt, oder Selbstmordversuche unternommen hat.

    Punkt.

  • Zottelchen, bei allem Respekt: ist dirk jetzt damit geholfen, dass er "abgemahnt" wird? :(


    dirk:
    Ich kann das verstehen, dass Dich diese Sache noch immer belastet. Aber sie hat den Selbstmordversuch überlebt. Sie lebt noch. Du bist nicht für sie verantwortlich und warst es auch nicht. Falls Du damit ins Reine kommen möchtest und die Schuldgefühle Dich erdrücken, dann ist es ratsam, eine Psychotherapie zu beginnen. Ich selbst schleppte 15 Jahre lang Schuldgefühle wegen eines vollendeten Suizids herum. Erst in der Therapie konnte ich mich davon befreien. Lass Dich nicht von den langen Wartezeiten abschrecken. Du schleppst dieses Paket nun schon seit 30 Jahre herum, da sind ein paar Monate wenig dagegen.

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Hallo Dirk
    du bist nicht verantwortlich für die Trinkerei dieser Frau.
    Es bleibt keiner trocken wegen eines anderen Menschen - da muss schon der eigene Wille vorhanden sein, das für sich selbst zu tun.
    Ansonsten schließe ich mich Pinguins Ratschlag an.

  • Hallo, Dirk!

    Bei der Schilderung Deiner Schuldgefühle viel mir sofort ein, dass sich viele Frauen "schuldig", "verantwortlich" fühlen, wenn sie vergewaltigt wurden. Warum eigentlich?? Sie/Du wurden verletzt - nicht: haben verletzt ...

    Ich kann Dir nur, genau wie Pingu und ennasu, raten, Dir psychologische Hilfe zu suchen!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Das war mein erster Gedanke. Hier braucht jemand Hilfe durch einen guten Psychologen.
    30 Jahre schleppst du dich mit solchen Schuldgefühlen herum. Mach dich schnell auf den Weg zu einem dir vertrauten Arzt, der dir weiter hilft. Ich wünsch dir ganz viel Erfolg dabei.

    LG von Betty

    Auf dem Weg zu mir lerne ich mich immer besser kennen. <br />Ich habe Freundschaft mit mir geschlossen und freue mich, dass ich mir begegnet bin.<br /><br />Ich bin lieber ein Original als eine herzlose Kopie.


  • Mit mir wäre sie weiter trocken geblieben.

    Diese Aussage ist entweder vermessen oder entspringt einer unrealistischen Sicht der Einflussmöglichkeiten von Dritten auf die Alkoholabhängigkeit anderer Menschen.

    Rede dir keine Schuld ein, Dirk.

    Katro

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