Kalter Entzug (21. Woche) Von Glücksgefühlen und Höllenqualen

  • Hallo zusammen,

    ich schreibe hier kurz meine Alkohol-"karriere" und schildere meine Erfahrungen über den kalten Entzug. Ich bin kein großer Schreiber, aber vielleicht findet es der Ein- oder Andere interessant.

    Ich bin Ende 20 und habe mit 16 angefangen zu trinken (immer Maximum). Und vor 20 Wochen war ich mit Ende 20 am Ende! Ich wusste schon seit ungefähr 3 Jahren, dass ich ein Alkoholproblem habe. Bei keiner Feier ging es ohne Alkohol. Nur an den wenigsten Wochenenden war ich nüchtern, selbst bei einer > 40 Stunden-Woche habe ich es geschafft, abends unter der Woche zu trinken. Bis Mitte 20 waren die Abstürze auch kein Problem. nach besonders "harten" Abenden hat man eben ein wenig länger geschlafen. Aber eben seit 3 Jahren habe ich die Kater nicht mehr so gut vertragen. Die Nachwirkungen wurden länger. Die typischen Symptome eines Alkoholikers haben dann gnadenlos zugeschlagen.

    Ich wollte schon seit Jahren mit dem Trinken aufhören. Warum es nicht geklappt hat, weiß ich nicht. Ich suche die Schuld auch nicht bei Anderen, sondern nur bei mir. Ich war selbst verantwortlich. Den Schritt aufzuhören habe ich jedoch lange geplant. Arbeit gekündigt und eine neue Wohnung in einer neuen Stadt gesucht. Mit dem Ziel eines kalten Entzugs. Finanziell war es gerade so möglich (Resturlaub + Erspartes). Doch der kalte Entzug sollte mich hart treffen.

    Die ersten Tage verliefen unspektaluär. Ich habe gelesen, bin spazieren gegangen, habe gekocht, ferngesehen und geschlafen. Nach vier Tagen verspürte ich die Lust auf ein Bier. Und ab da ging es los. Unruhe, Schwitzen, Zittern und das Schlimmste war, dass ich manchmal hyperventilierte, dachte ich drohe zu kollabieren, hatte Todesängste und Heulkrämpfe. Ein im Leben stehender, erwachsener Mensch sitzt in seiner Wohnung und fängt grundlos an zu weinen. Manche Tage, bei denen ich maximal 500m zum Supermarkt gelaufen bin, waren für mich so anstrengend wie überstandene Marathonläufe. An heißen Tagen habe ich meine Kleidung bis zu 3mal täglich durchgeschwitzt und wechseln müssen. Ich konnte anfangs keine Bewerbung schreiben, Konzentration schien unmöglich. Spazierengehen half. Langsam. Mit einem Mobiltelefon in der Tasche für Notfälle.

    Nach 8 Wochen wollte ich ins Krankenhaus, da mein Zustand sich nicht verbesserte. Getraut habe ich mich nicht, ich hätte wahscheinlich auf offener Straße umkippen müssen. Warum weiß ich wieder nicht. Die Scham, die Angst, etc.

    Nach 20 Wochen kaltem Entzug geht es mir deutlich besser. Ich habe sogar das Joggen für mich entdeckt. Ein gutes Gefühl. Ich bin aber noch längst nicht über den Berg und zu jeder Sekunde anfällig, rückfällig zu werden. Ich denke, einen Rückfall könnte ich nicht ohne ärztliche Hilfe überstehen. Ich habe zu spät aufgehört, habe zuviel Schönes in meinem Leben versäumt. Mittlerweile habe ich wieder Arbeit, bin jedoch ein ganz anderer Mensch wie früher. Sehr verschlossen und vorsichtig. Angebote zum trinken müssen von Anfang an unterbunden werden.

    Ratschläge zu machen ist immer leicht. Einen kalten Entzug rate ich keinem. Ich hätte am Besten nie damit angefangen.

    Vielen Dank fürs Lesen. Freue mich über Antworten.

  • Hallo Waterman,


    Ich bin aber noch längst nicht über den Berg und zu jeder Sekunde anfällig, rückfällig zu werden.

    die Angst vor Rückfällen ist für mich ein spannendes Thema, weil ich die Sache anders sehe und sie von Anfang an völlig anders empfand. Für mich war völlig klar, dass es einen Rückfall nicht geben wird, weil ich mich mit dem Ausstieg endgültig von dem Gedanken verabschiedet hatte, dass eine Droge in meinem Körper langfristig etwas Positives bewirken kann.

    Ich habe das bereits beim vorangegangenen Rauchstopp so erlebt, dass zwar hin und wieder der (manchmal sogar sehr vehemente) Gedanke aufkam: Jetzt mal eine rauchen. Solche Gedanken sah ich jedoch als Relikt der Sucht. Insofern hatten sie keine Chance auf Realisierung.
    Genauso war es bei mir mit der Droge Alkohol.

    Warum glaubst du, ständig rückfallgefährdet zu sein?

    V.G.
    Katro

  • Hallo Waterman,

    ein herzliches Willkommen hier im Forum. :welcome:

    Danke, dass Du Deine Geschichte erzählt hast. Wirklich gruselig, was Du durchgemacht hast. :( Oft habe ich gelesen, wie hart und gefährlich ein kalter Entzug sein kann. Von daher hast Du Glück gehabt, dass Dir nicht noch Schlimmeres passiert ist. Es war also ein sehr heikles, riskantes Unterfangen, den Entzug ganz alleine durchzuziehen. Doch jetzt hast Du das Schlimmste überstanden, zumindest was das Körperliche betrifft. Zurück bleibt wohl das Psychische. Die Angst vor einem Rückfall, das vielleicht manchmal aufkommende Craving.

    Hast Du Dir noch nie überlegt, einmal eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen? Oder ist hierfür die Scham zu groß? Manchen hilft es schon sehr, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Mir hat das sehr geholfen, denn es war mir dann nicht mehr so peinlich. Und ich wurde verstanden. Aber das Forum hier ist ja auch so eine Art Selbsthilfegruppe. Vielleicht kann Dir das ja auch ein bisschen helfen, Dich zu sortieren und Kraft und Zuversicht zu schöpfen.

    Das wünsche ich Dir.

    Liebe Grüße
    Pinguin

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Moin, moin -

    ich hoffe, Deine Aussage

    " ... ich hätte am besten nie damit angefangen ... "

    bezieht sich in erster Linie auf Deine kalten Entzug und nicht auf das Aufhören mit dem Saufen ...
    ;)

    Einen schönen Tag und

    beste Grüße
    keppler

  • Hallo Waterman :welcome:

    Ich wünsche dir für deinen Weg ganz viel Kraft, alles Gute und vor allen Dingen, dass du deine Rückfallangst los wirst. Vielleicht hilft hier wirklich eine SHG? Man muss nicht immer alles alleine machen. Es ist gut, wenn man sich austauschen kann und verstanden wird. Sicherlich findest du auch hier einen guten Austausch und es wird dich weiter bringen. Also: auf einen guten Austausch.

    LG Betty

    Auf dem Weg zu mir lerne ich mich immer besser kennen. <br />Ich habe Freundschaft mit mir geschlossen und freue mich, dass ich mir begegnet bin.<br /><br />Ich bin lieber ein Original als eine herzlose Kopie.

  • Hi, Waterman,

    auch von mir ein Herzliches Willkommen 44.

    Ich freue mich, dass Dein kalter Enzug so glimpflich abegelaufen ist - auch wenn es aus Deiner Sicht etwas anders aussehen dürfte.
    Im Übrigen kann ich mich Betty und Pinguin nur anschließen - lass Dir das mit einer SHG mal durch den Kopf gehen. https://alkoholforum.de//index.php?topic=229.0

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hi Waterman !

    M.E. ist der Verlauf über 20 Wochen doch nicht ganz gewöhnlich, der übliche stationäre Entzug (Entgiftung) dauert 7 bis 14 Tage, da liegen Deine Beschwerden doch deutlich darüber.

    Ein Besuch bei der Suchtberatung und/ oder einem Alkoholsucht- spezialisierten Psychiater ggf. auch Neurologen wäre aus meiner Sicht durchaus zu überlegen.

    Hast Du nur Alkohol ("deutsche Handelsware") konsumiert oder auch Selbstgebrannten, Alkohol unklarer Herkunft oder noch andere bzw. Ersatz- Stoffe mit Suchtpotenzial ?

    lg alkascha

  • Vielen Dank für Eure Antworten. Ich beantworte kurz die Fragen...

    Zitat


    Warum glaubst du, ständig rückfallgefährdet zu sein?


    Ich denke, dass ist eher eine Vorsichtsmaßnahme, um sich nicht vollständig in Sicherheit zu wiegen.

    Zitat


    Hast Du Dir noch nie überlegt, einmal eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen? Oder ist hierfür die Scham zu groß?


    Überlegt schon oft. Werde auch demnächst/bald den Schritt machen. Danke nochmal für den Tipp mit der SHG.

    Zitat


    " ... ich hätte am besten nie damit angefangen ... "

    bezieht sich in erster Linie auf Deine kalten Entzug und nicht auf das Aufhören mit dem Saufen ...


    Ich hätte am besten nie mit dem Trinken angefangen.

    Zitat


    M.E. ist der Verlauf über 20 Wochen doch nicht ganz gewöhnlich, der übliche stationäre Entzug (Entgiftung) dauert 7 bis 14 Tage, da liegen Deine Beschwerden doch deutlich darüber.


    Die Entzugserscheinungen haben im Grunde erst nach 7 Tagen angefangen. Mein Körper hat den Alkohol mit einer "ungeheueren Macht" verlangt. Nach 15 Wochen kalter Entzug ist es wesentlich besser gegangen... Ich werde mich demnächst auch komplett "durchchecken" lassen. Davor habe ich auch große Befürchtungen.

    Zitat


    Hast Du nur Alkohol ("deutsche Handelsware") konsumiert oder auch Selbstgebrannten, Alkohol unklarer Herkunft oder noch andere bzw. Ersatz- Stoffe mit Suchtpotenzial ?


    "Nur" Alkohol (der in Deutschland) verkauft wird. Keine anderen Drogen. Aber dafür teilweise in großen Mengen. Zu spitzenzeiten alle 2 Tage 7-8 Bier (0,5l) und eine Flasche Wodka (0,7l) + an den Wochenenden Aufenthalte in Gaststätten oder Discotheken, etc. mit nicht mehr zählbarem Konsum.

  • Hallo Waterman,

    kann es sein, dass du hier Entzugserscheinungen und Suchdruck verwechselst?


    Die Entzugserscheinungen haben im Grunde erst nach 7 Tagen angefangen. Mein Körper hat den Alkohol mit einer "ungeheueren Macht" verlangt. Nach 15 Wochen kalter Entzug ist es wesentlich besser gegangen...

    Ich fand es für mich sehr wichtig, mich wirklich über das Thema Alkohol zu informieren. Was passiert da im Körper, was sind die körperlichen und was sind die psychischen Auswirkungen und Vorgänge.

    Je besser ich es verstehe desto einfach wird es wahrscheinlich, da ich dann besser dagegen was tun kann.

    Viele Grüsse
    Zottelchen

  • Hallo,

    bin neu hier, allerdings in Wirklichkeit ein (sehr) alter Bekannter, doch dazu später..

    ich finde diese ganze Geschichte etwas merkwürdig, weswegen ich mich auch entschlossen habe, mich hier anzumelden.

    Der Entzug ist doch die Phase, wo die Droge den Körper verlässt, der daraufhin mit Entzugserscheinungen reagiert (weil die Droge mittlerweile ihre Funktion in der Biochemie hat, die nun entfällt). Wenn der Organismus frei von der Droge ist, und die vegetative Funktion wieder weitgehend normal ist (Puls, Blutdruck, Schwitzen, Schlaf), ist ganz logisch und offensichtlich der Entzug abgeschlossen bzw. gar keiner vorhanden. Von daher ist das, was Du beschreibst (Entzug erst ab Tag 4) logisch betrachtet vollkommen unmöglich, denke ich mir so. Irre ich mich da?

    Für mich klingt das ganz stark nach "in etwas hineingesteigert". Die Symptome die Du beschreibst treffen auch allesamt auf Panikattacken zu. Vermutlich hast Du in der Tat starkes psychisches Verlangen gespürt und Dir dann diese ganzen vermeintlichen Entzugserscheinungen selber "herbeigedacht"? Und bist dann in einer wochenlangen Phase mit diesen, allerdings rein psychosomatisch bedingten Symptomen gelandet. Dafür würde auch die lange Zeitdauer sprechen. In einer Angststörung drinstecken und da nur langsam wieder raus kommen.

    Alles andere erscheint mir da irgendwie nicht plausibel.

    Dennoch, Glückwunsch und weiter so mit der Trockenheit!

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