auch morgen

  • Brainstorming:

    Es geht wohl bei dem "Schönen" nicht um eine Ablenkung der Gedanken an Alkohol, sondern um die Erkenntnis des eigenen Potenzials, das man früher stets im Wein- oder Bierglas versenkt hatte. Genau so beim Rauchen: Energie verraucht. Gefühle werden gedämpft. Konsumierende Süchtige haben eine enorme Energie und einen mächtigen Willen. Sie setzen stets alle Hebel in Bewegung, um an ihren Stoff zu kommen, ES zu verbergen, ES zu konsumieren. Betrachtet man das mal, dieses - sagen wir mal - "negative Engagement", wird uns bewusst, wie "stark" der Suchtkranke eigentlich ist. Wir sehen eine Chance. Er hat irrsinnigerweise einen sehr starken Willen. Nun kann ich als Suchtkranker (muss ich aber nicht! ;-)) diese Kraft in Bahnen lenken, die mir nützen anstatt zu schaden. Dazu bedarf es einer Liebe zu sich selbst und der Erkenntnis, dass ich es wert bin zu gesunden und vor allem frei zu sein... Das sogenannte Schöne muss nicht automatisch genauso schön oder schöner sein als der Rausch. Es ist einfach anders schön. Etwas anderes. Etwas vollkommen Neues. Aber es hat etwas damit zu tun, dass es mit MIR zu tun hat. Denn Alkohol oder jegliche andere Droge hat ja nichts mit mir zu tun. Es ist nicht mein natürlicher Weg. Als Kind habe ich gefeiert, gelacht, getanzt und gedichtet ohne Rauschzustände. Die Gedanken an Alkohol verschwinden irgendwann - denn was ist Sucht anderes als eine ins Krankhaft manifestierte und potenzierte Gewohnheit? Auf dem Weg der Abstinenz gewöhnen wir uns an das klare, an das ursprüngliche Leben und nehmen es mit all seinen feinen Nuancen, Farben und Melodien wahr. Sicherlich kann niemand DEN Weg aus der Sucht lehren. Erkenntnisse wachsen von alleine, aus einem selbst heraus. Niemand kann dem Alkoholiker helfen, nur er sich selbst. Alles andere ist Hilfe zur Selbsthilfe.

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

    Einmal editiert, zuletzt von Pinguin (13. November 2013 um 20:55)

  • Man weiß noch nicht, warum Menschen abhängig werden.
    Ebenso weiß man noch nicht, warum Menschen rückfällig werden.
    Diese Worte einer forschenden Laborärztin vernahm ich vor kurzer Zeit in einer Reportage über Sucht.
    Da wird noch eine Menge in Erfahrung zu bringen sein.

    In diesem Bericht wurde auch wieder über das Suchtgedächtnis schwadroniert. Und es wurden auch entsprechende Untersuchungen vorgestellt.
    So hat man über den Lidschlagreflex untersucht, wie Raucher und Nichtraucher auf bestimmte Bilder reagieren. Raucher empfinden Bilder über das Rauchen als angenehm, Nichtraucher tun das nicht.
    Ein solches Ergebnis dürfte niemanden überraschen.
    Es wurde dann auch darüber berichtet, dass bestimmte Dinge, z.B. der Anblick eines Rauchers, beim Ex-Raucher Verlangen auslösen -Craving heißt das wissenschaftlich- und ein solches Fachwort darf natürlich in einem solchem Bericht nicht fehlen.
    Da hat sich durch den Suchtmittelmissbrauch etwas im Gehirn der Süchtigen verändert. So die Erkenntnis.

    Craving?
    Na und? Ist da meine Gegenfrage.
    Die stellte ich mir auch bei meinen Ausstiegen aus Nikotin- und Alkoholsucht.
    Craving ist eine normale Reaktion von Körper und Psyche, wenn man über Jahre hinweg ein entsprechend positives Bild der Droge aufgebaut hat. Anfangs hat dieses Bild sogar gestimmt. Danach hat man es sich vorgelogen.
    Doch jetzt kann man die Lüge immer wieder aufs Neue aufdecken, wenn man sich nicht fernhält, sondern die Raucher und Säufer aufsucht.
    Bei den Rauchern ist es besonders leicht, das eigene Craving in Mitleid für die noch immer rauchenden Mitmenschen umschwenken zu lassen. Denn man sieht die Sucht quasi aus deren Augen springen: Entzugssyndrom. Dann die Lösung im hektischen Ziehen an der Zigarette. Wieder und wieder. Schließlich eine kurze Zeit der Ruhe, weil sich der Nikotinspiegel endlich erneut auf Normallevel befindet. Und dann geht es von vorne los...
    Wie ein Hamster im Rad.
    Gut, dass ich das nicht mehr tun muss. Sagte ich mir in solchen Augenblicken stets aufs Neue. Und freute mich.
    Folge: Craving weg.
    Beim Saufen ist das mit dem Aufdecken der Lüge nicht so leicht möglich wie beim Rauchen, weil die meisten Mitmenschen nicht so viel trinken, dass man die negative Seite sieht. Und die richtigen Säufer verkriechen sich. Aber das wissen wir ja. Weil wir das auch gemacht haben. Und jetzt reicht es -zumindest mir- wenn ich einen Menschen sehe, der sich darum bemühen muss, artikuliert zu reden, damit bei mir die Freude aufkommt, dass ich in solche Situationen nicht mehr kommen werde.

    Vielleicht mache ich mir die Sache zu einfach.
    Vielleicht machen sich andere die Sache zu schwer, indem sie nicht nur einfach mit dem Saufen aufhören, sondern die komplette Umgestaltung der eigenen Persönlichkeit versuchen. Oder indem sie erwarten, dass sie nun in ein Leben starten, das ein Highlight nach dem anderen aufbietet.
    Ich sehe das so: Wenn ich als Säufer ein Arsch war, dann ist es sicherlich eine tolle Sache, wenn ich nicht nur nicht mehr saufe, sondern mich auch darum bemühe, kein Arsch mehr zu sein.
    Aber wenn ich mich zu einem nicht mehr saufenden Arsch entwickele, bin ich zwar nach wie vor ein Arsch, habe aber wenigstens ein Problem weniger.

    Ich kann mich auch später noch darum kümmern, dass ich kein Arsch mehr bin.
    Aber erst einmal tue ich etwas für mich. Und zwar etwas Gutes. Und das tue ich nur für mich.
    Ich saufe nicht mehr.

    Katro

  • Aber Katro, Du rauchst zwar nicht mehr....
    Doch Du trinkst manchmal Alkohol?
    Wieviel eigentlich? Das würde mich mal brennend interessieren.
    Warum rauchst Du rigoros nicht mehr und ab und zu mal ein Glas trinken, das ist nicht-süchtig?
    Tut mir leid, ich bin noch immer der Meinung, dass Du Alkoholmissbrauch betrieben hast, aber niemals wirklich alkoholsüchtig warst. Irgendwie liest sich das alles von Dir so einfach. Mit der richtigen Einstellung scheint wohl alles zu funktionieren. Aber Deine Worte klingen so, als wenn ein Fachmann Dr. Soundso etwas vom Stapel lässt ohne dass er selbst wirklich weiß, was in einem Abhängigen vorgeht, wenn er Suchtdruck hat...

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“


  • Tut mir leid, ich bin noch immer der Meinung, dass Du Alkoholmissbrauch betrieben hast, aber niemals wirklich alkoholsüchtig warst.

    Mhm. Wo ist die Grenze? Mir fiel der "Ausstieg" ja auch sehr leicht und mein Körper zeigte im Grunde keine Symptome *). Und gestern habe ich - wie ihr wisst - etwas getrunken als Selbsttest und kein weiteres Verlangen gespürt. Habe ich nun auch "nur" Alkoholmissbrauch betrieben? Und wenn dem so ist, bin ich (und vielleicht auch katro) dann hier fehl am Platz, weil Meinungen, Taten etc. ggf. in eine Richtung geschoben werden, von wegen "der/die war ja gar nicht richtig süchtig, von daher muss man das auch nicht ganz so ernst nehmen was er/sie so von sich gibt?"

    Gedanken am Morgen :)

    *) EDIT: Ich rede hier von Entzugserscheinungen, unterm Alkohol litt mein Körper schon. Dieser kleine aber feine Unterschied kam in oben Geschriebenem nicht eindeutig rüber.

    Einmal editiert, zuletzt von Hupskatze (23. November 2013 um 11:21)

  • Moin
    Also ich weiß auch nicht inwiefern ich alkoholsüchtig war. Hatte ja auch keine Entzugserscheinungen usw, aber Missbrauch war das ganz sicher, obwohl ich nie besoffen war. Regelmäßig trinken fand ich schon komisch und nee heute nicht, aber doch..
    Ich denke, hier ist jeder gut aufgehoben, der sich Gedanken über seinen Konsum macht, oder eben Angst vor sich selber hat wegen Alkohol. Zum Glück müssen einem als Eintrittskarte ins Forum nicht morgens schon die Hände flattern. Umso besser, wenn sich körperliche Abhängigkeit bei manchem noch verhindern lässt. Denn meiner Meinung nach ist die psychische Abhängigkeit eben ein Zeichen, dass man auf dem Weg ist. Und dann wird es eben Zeit, das Ziel zu verändern.

  • Aber hallo!... Da möchte ich mich mal ennasu ganz dolle anschließen... Jeder ist hier willkommen, der sich über seinen Konsum Gedanken macht... "nur" Alkoholmissbrauch, das klingt abwertend obwohl es ein ganz großes Ding ist und der Anfang jeder Sucht. Also ich habe das nicht abwertend gemeint.... schwierig zu erklären, jetzt.... grübel...

    Meine vielleicht arrogant klingende Bemerkung in katro's Richtung ist anders gemeint. Er hat natürlich durchaus das Recht hier ganz offen seine Meinung zu schreiben. Ob jetzt jemand nicht trinkt, viel trinkt oder kontrolliert trinkt, das ist doch alles in Ordnung hier im Forum...... Jedenfalls sehe ich das so... Aber ich stoße und reibe mich sehr oft an katro... Da habe ich halt das Gefühl, dass er über etwas schreibt, was er noch nie empfunden hat. Denn ich glaube, er hat kein Verständnis für Suchtdruck bzw. für Rückfallgedanken.... Katro, diese Worte sind natürlich auch an Dich gerichtet. Du weißt, dass ich Dir tiefen Respekt zolle, weil ich weiß, dass Dein Antrieb Hilfe zur Selbsthilfe ist!

    Kurz und knapp: ich glaube, Hilfe kann man am besten geben, wenn man Empathie mitbringt. Diese ist ein wenig leichter aufzubringen, wenn man selbst schon in bestimmten Situationen war... Katro, Du bist mir oft einfach zu kopf-lastig. Alles logisch, was Du schreibst und wie als wenn man ein Suchtproblem mit Logik lösen könnte. Wie oft werden die Gefühle ignoriert... Ich habe einmal ein Nichtraucher-Seminar besucht. Erfolgsquote liegt da bei über 90%. Ich habe den Ausstieg dennoch nicht geschafft, weil dieser Seminarleiter NUR an den Verstand und an die Vernunft appeliert hat. Gefühle spielten da keine Rolle. Aber Emotionen darf man nicht abschalten. Sie lassen sich nicht austricksen. Da sollte man hin sehen (ist meine Meinung, will niemandem etwas aufdrängen...)... Gefühle spielen bei Drogenmissbrauch oder -abhängigkeit die entscheidende Rolle.

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Ich sehe das so: Als ich „drin“ steckte, egal ob dieses Drinstecken Rauchen oder Saufen hieß, gab es am Ende nur noch ein GEFÜHL, nämlich dass ich meine Sucht und mich als Süchtiger nicht mehr lange ertragen kann, dass ich als Mensch kaputt gehe und mich anderen Menschen gegenüber schwach und minderwertig fühle, wenn es mir nicht gelingt, aus der Sucht auszusteigen.

    An dieser Stelle kommt der Kopf ins Spiel: Es gibt nur einen Weg, der aus dieser Qual herausführt. Schluss mit der Sucht!

    Und nach einer solchen Entscheidung ist es völlig egal, ob ich mich ohne mein Suchtmittel schlecht fühle, ob ich die Wände hochgehen könnte und mir dabei ausmale, wie entlastend es sein könnte, wenn ich jetzt nur ein einziges Mal rauche oder saufe.

    Ich habe diesem Rückfallgedanken einmal nachgegeben. Das war bei meinem ersten Rauchstoppversuch. Und ich habe es zutiefst bereut.
    Dieser Rückfall hat mir drei Jahre weiteres Leid beschert. Ich habe schon einmal beschrieben, wie ich mir jeden Abend vornahm, am nächsten Morgen nicht wieder zum Zigarettenautomaten zu laufen. Und wie ich es dann trotzdem tat. Und wie elend ich mich deshalb FÜHLTE.
    Für mich war klar. Wenn ich mich besser fühlen wollte, würde ich den Absprung schaffen müssen. Und wenn ich mich dauerhaft besser fühlen wollte, würde ich den Suchtdruck nach dem Ausstieg einfach immer wieder aufs Neue aushalten müssen, bis er schließlich weniger werden und irgendwann aufhören würde.

    Zumindest beim Rauchstopp hatte ich über weite Strecken ziemlich starken Suchtdruck. Und ich fühlte mich ausgesprochen schlecht. Gleichzeitig fühlte ich mich richtig gut, weil ich immer wieder Phasen hatte, in denen ich FÜHLEN durfte, wie das Leben ohne Suchtdruck ist.
    Ich hatte sogar Phasen, in denen ich mächtig Angst VERSPÜRTE, dass ich zu jenen „armen suchtgeplagten Menschen“ gehören könnte, von denen ich gelesen hatte, dass ihnen ein Ausstieg aus der Sucht unmöglich war.
    Aber das würde ich nur herausfinden können, wenn ich mir die Chance zum erfolgreichen Ausstieg gab.

    Da kommt wieder der Kopf ins Spiel.

    Ich glaube nicht, dass Gefühle Rückfälle begünstigen.
    Was Rückfälle begünstigt, ist das Vergessen oder Ausblenden der negativen Gefühle aus der Zeit vor dem Ausstieg.


  • Ich glaube nicht, dass Gefühle Rückfälle begünstigen.
    Was Rückfälle begünstigt, ist das Vergessen oder Ausblenden der negativen Gefühle aus der Zeit vor dem Ausstieg.

    Und was den Rückfall in alte Verhaltensweisen erschwert, ist, wenn wir uns immer wieder bewusst machen, was wir durch den Suchtausstieg gewonnen haben.
    Das wirklich Größte ist sicherlich die wiedererlangte Freiheit, aber da sind noch viele andere Dinge, die den Suchtausstieg belohnen.
    Mir fiel das insbesondere nach dem Rauchstopp auf:
    Dass man besser bei Puste ist, das erwartet man schlichtweg. Aber dass man fast überhaupt nicht mehr erkältet oder anderweitig unpässlich ist, damit rechnet man nicht. Und ich denke und vermeine das auch zu spüren, dass man durch das Weglassen des Zellgifts Alkohol seine Widerstandkräfte noch weiter steigert.
    Ich hatte jetzt seit fast sieben Jahren so gut wie keine Infekte mehr.
    Das steigert die Lebensqualität enorm.

    Katro

  • Ja, Katro.... Das muss ich mir auch immer wieder bewusst machen... Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass ich mich seit ich nicht mehr trinke, körperlich so gut fühle wie seit bestimmt 20 Jahren nicht mehr! Es ist ein sagenhaftes Gefühl.... Eine sehr, sehr lange Liste an angeblich psychosomatischen Beschwerden kann ich aufführen... Die Ärzte standen vor einem Rätsel. Sie wussten aber auch nicht, dass ich Alkoholikerin bin! Mein Rücken, meine Muskeln, meine Knochen, meine Nerven, meine Sehnen, das alles war am Ende. Ich war körperlich am Ende. Dazu Fahrigkeit, Anspannung, Vergesslichkeit, Panikattacken.... Das will ich nie wieder haben.

    Viele Grüße
    Pinguin

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Ja, kein Wunder. Alkohol und Zigaretten ruinieren das Immunsystem. Wusste ich immer, aber.....musst erst am eigenen Körper direkte Folgen spüren und quasi über den Jordan gucken um das mal für mich zu kapieren. Jetzt bin ich fit und steck mich nicht mehr überall an, wo es mal hustet oder schnieft. Frag mich manchmal wie blöd ich eigentlich gewesen bin.

  • Als ich mich heute aufgrund einer Forumsäußerung mit Entscheidungen auseinandersetzte, fiel mir dieser Thread wieder ein.
    Ich glaube, dass ich allmählich kapiere, warum die AA u.a., die sich nicht wie ich als Ex-Säufer, sondern als trockene Alkoholiker bezeichnen, dieses „nur heute“ so hoch halten und warum ich eher das „auch morgen“ im Kopf habe.

    Nur heute trinke ich keinen Alkohol. Das ist zwar eine Entscheidung, aber keine endgültige.
    Warum will ich denn nur für heute eine Entscheidung treffen?
    Macht mir der Gedanke Angst, nie wieder in meinem Leben Alkohol trinken zu dürfen. Stelle ich mir die Frage, ob ich das wirklich jeden Tag aushalten kann? Denn in einem Jahr sind das 365 Tage, die ich damit fertig werden muss, dass ich keinen Alkohol mehr trinken darf….äh will. In zehn Jahren sind das 3650 Tage. Unvorstellbar!

    Ich sehe meinen Ausstieg aus der Alkoholabhängigkeit positiv. Ich genieße eine ungeheure Freiheit und eine ganze Reihe weiterer Vorteile. Und das nur deshalb, weil ich die Entscheidung getroffen habe, endlich wieder ein Leben zu führen, in dem ich nicht der Sklave, sondern der freie Mann bin.
    Das will ich auch morgen sein.
    Denn das Leben als freier Mann ist klasse.
    Und dieses Leben soll ich mir nur für heute vornehmen?

    Nee!

    Katro

  • Das ging mir auch schon oft durch den Kopf, dieses "nur heute"-Denken der AA. Stelle mir das furchtbar anstrengend und zeitfüllend vor, so dass kaum Zeit bleibt, positiv in die Zukunft zu sehen.

    Mir drängt sich hier auch der Gedanke auf, dass diejenigen, die mit dieser Form versuchen aufzuhören, gar nicht so wirklich aufhören wollen. Vielleicht müssen sie einfach, schlichtweg aus gesundheitlichen oder anderen schwerwiegenden Gründen ..

    Wenn man gar nicht so richtig vom Alk weg will, aber muss, funktioniert vielleicht nur diese Form .. dieses sich immer wieder sagen .. nur heute, komm .. das schaffst du.

    Dass es am nächsten Tag von vorne losgeht, sollte einem da doch aber eigentlich klar sein .. ???

  • Irgendwie ärgere ich mich gerade ein bisschen....

    Denn dieses "Nur heute" hat mir am Anfang wirklich sehr geholfen. Inzwischen habe ich recht große Abneigungen gegen die Struktur der AA. Aber dieses anfangs krampfhaft anmutende "Nur heute" hilft, in der Gegenwart zu leben und sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen.

    Schritt für Schritt. Tag für Tag...

    Ohne dieses "nur heute" hätte ich nicht gewagt, auszusteigen. Denn die Vorstellung, für immer nie mehr einen Tropfen zu trinken, war so schrecklich für mich, dass ich es nicht gewagt hätte. Die Freiheit und das Glück darüber stellt sich doch erst im Verlauf der Abstinenz ein. Das kann man doch am Anfang noch gar nicht ermessen oder sich überhaupt vorstellen.

    Am Anfang war es ein Erfolg, einmal vier Tage nicht zu trinken. Da half mir dieses "nur heute" ganz gewaltig. Irgendwann war ich stolz, wenn ich es zwei Wochen aushielt. Dann habe ich es mal fünf Wochen ausgehalten. Und jetzt zähle ich nicht mehr.

    Momentan bin ich in einer Phase, wo ich mir dieses "nur heute" wieder vergegenwärtigen muss. Warum soll ich jetzt angeblich nicht aus der Sucht aussteigen wollen? Ja, ich fühle mich schon angesprochen, doch ich weigere mich, mir diesen Schuh anzuziehen.

    Die meisten Rauchaussteiger hangeln sich doch auch erst einmal von Tag zu Tag. So ziemlich jeder Süchtige, ob das jetzt ein Spieler ist oder ein Junkie.... Zumindest gerade am Anfang. Ist das schlimm? Irgendwann vergisst man das Rauchen, vergisst man das Tage-Zählen. Ist das beim Alkohol nicht auch so? Bei mir war das schon so.

    Und jetzt - in dieser stündlich immer schlimmeren, extrem labilen Phase, in der ich mich gerade befinde - ist es mir wichtig, HEUTE nichts zu trinken. Denn was ich HEUTE tue, hat Auswirkungen auf meine Zukunft, auf das MORGEN. Also ist es gar nicht so dumm, was die AA mir da verkauft hat. Es kann dramatisch ausgedrückt für viele Alkoholiker eine lebensrettende Maßnahme sein. Die Gegenwart ist das einzige, das wir sicher besitzen.

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

    Einmal editiert, zuletzt von Pinguin (22. März 2014 um 16:48)


  • Mir drängt sich hier auch der Gedanke auf, dass diejenigen, die mit dieser Form versuchen aufzuhören, gar nicht so wirklich aufhören wollen.

    Das war ein Gedanke, welcher sich mir aufdrängte Pingu. Das war keine allgemeingültige Aussage. Wohl etwas ungeschickt ausgedrückt, das mit dem "wollen", klar, dass man sich da auf den Schlips getreten fühlt, wenn man selbst doch ganz anders empfindet, nämlich natürlich immer aufhören wollte .. für die Formulierung, entsprungen aus meinen verqueren Gedanken, also sorry.

    Was das mit dem "nur heute" anbelangt .. darüber werde ich mich aber weiterhin wundern.


  • Denn die Vorstellung, für immer nie mehr einen Tropfen zu trinken, war so schrecklich für mich, dass ich es nicht gewagt hätte.

    Diese Angst ist auch mir nicht unbekannt.

    Dennoch… Irgendwann fasst jeder, der mit seiner Sucht nicht mehr leben will oder kann, den Entschluss zum Ausstieg. Und in diesem Augenblick muss es irgendeine positive Vorstellung von der Zukunft ohne Droge geben. Sonst würde man den Sprung in das neue Leben gar nicht erst wagen, sondern im altbekannten verharren.
    Dieses Positive gilt es festzuhalten und sich immer wieder zu vergegenwärtigen.
    Wenn das Positive dann -wie bei mir- von der Wirklichkeit nicht nur bestätigt, sondern übertroffen wird, beflügelt das. Aber letztendlich sollte auch bereits das ursprünglich als positiv Gesehene ausreichen, sich Tag für Tag erneut zu motivieren.

    Das Ziel ist klar und erstrebenswert, der Weg dahin jedoch beschwerlich, am Anfang fast ausschließlich, später immer mal wieder. Da hilft es durchaus, in Etappen zu denken. Anfangs in Tagen, also in sehr kurzen Etappen, später in längeren Zeitabschnitten. Anders als beim „nur heute“ habe ich jedoch nicht am Anfang eines Tages in Etappen gedacht, sondern am Ende. Und dann mit der Siegerfaust: Ja! Dem Ziel wieder ein Stück näher gekommen.
    Und wenn man dann irgendwann fühlt, was es bedeutet, nicht mehr ständig an das Saufen denken zu müssen und einen Zipfel der Freiheit anfassen kann, dann will man das plötzlich „auch morgen“ wieder erleben und tun.

    Ich glaube an die Macht des positiven Denkens. Deshalb ist mir dieses „nur heute“ fremd, weil in meinen Augen negativ behaftet, da ich mich damit motiviere, etwas zu erleiden. Sicherlich ist auch hier das Ziel irgendwo präsent. Denn wozu sollte man sonst leiden?
    Mir persönlich schmeckt es aber einfach besser, wenn ich das Ziel in den Vordergrund rücke. Das fördert m.E. mehr das „ich will“ statt des „ich muss“.

    Aber wie der Kölner schon sagt: Jeder Jeck ist anders.

    Katro

  • Seltsamerweise fällt mir dazu gerade der "Zauberspruch für das Nichtrauchen" von Dr. Stefan Frädrich ein:

    Es geht um die Umwandlung vom:

    "Ich darf rauchen.
    Ich muss nicht aufhören."

    zum

    "Ich muss nicht rauchen.
    Ich darf aufhören."

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Moin, moin -
    von einer längeren Auslandsmontage zurückgekehrt, möchte ich mich `mal wieder in die aktuellen Diskussionen einklinken ...
    Vorab sei angemerkt, dass ich einerseits allergrößte Schwierigkeiten mit den Suchtverständnissen von AAlern, Guttemplern, Kreuzbündlern etc. habe. Ich sehe MICH in der Verantwortung für mein weiteres Leben und kann / will die alles erklärende und lenkende "Höhere Macht" nun `mal nicht akzeptieren. Andererseits habe ich allergrößten Respekt vor der Arbeit dieser Institutionen in den vergangenen Jahrzehnten - ihren positiven Beitrag zu gesamtgesellschaftlichen Diskussion rund um das Thema Sucht und Suchtakzeptanz möchte ich gar nicht schmälern auch ebenso nicht deren Verdienste um die konkrete und sofortige Hilfe für akut Betroffene ...
    Zum eigentlichen Thema
    Ich denke, die Aussagen zum "heute nicht trinken" muß man im wesentlichen in dem Kontext sehen, dass viele Langzeit - Abhängige immer und immer wieder an dem "ab morgen trinke ich nie wieder ... !" gescheitert sind. Sie haben sich, Familienangehörige, Partnerinnen, Freunde, Bekannte immer und immer wieder enttäuscht / getäuscht, sind an diesem ""nie wieder ..." gescheitert, fühlten sich als Versager, Gescheiterte ...
    Dieses permanente Versagensgefühl umzudrehen, dem unrealistisch erscheinenden Fernziel kleine, machbare Erfolgserlebnisse entgegenzusetzten, steckt meiner Meinung nach hinter dieser Phrase.
    Als kurzfristiges Therapiehilfsmittel halte ich diesen Ansatz auch grundsätzlich für legitim.

    Leider habe ich bei Gesprächen insbesondere mit AAlern feststellen müssen, dass sich diese Haltung
    in ihrer ganzen Persönlichkeit mehr und mehr festsetzt. Dieses "nur im heute leben" hat nicht nur Auswirkungen auf deren Haltung zu ihrer Selbstverantwortung gegenüber ihrer Sucht, sondern formt auch eine grundlegende gesellschaftliche Haltung aus. "Ich lebe im hier und heute - was geht mich die Zukunft an - an bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen kann ich eh nichts ändern - also halte ich mich besser aus allem heraus - im Zweifel wird es die höhere Macht schon richten ..." - so eine Einstellung geht mir gewaltig gegen den Strich!

    Ich persönlich antworte übrigens auf die Frage von Aussenstehenden, ob ich denn nie wieder Alkohol trinken werde, stets mit dem Satz: "Ich habe es nicht vor ...". Für mich ist das die konkreteste Aussage zu meiner heutigen, morgigen und in die Zukunft gerichteten Entscheidung, die ich treffen kann. Damit kann ich sehr gut leben!

    Beste Grüße
    keppler

  • Ich habe diesen Thread wieder ausgegraben, weil mir die Sache mit dem „nur heute“ bzw. „auch morgen“ in letzten Zeit wieder öfter durch den Kopf gegangen ist.
    Ich denke schon, dass dieses „nur heute“ aus den Gründen, die Keppler nannte, kurzfristig sinnvoll sein kann.
    Ob es der beste Weg ist, mag dahingestellt bleiben.

    Letztendlich wird jeder Aussteiger m.E. früher oder später an den Punkt kommen, wo sich die Frage stellt, ob es der Mühe wert ist, jeden Tag aufs Neue das erste Glas stehen zu lassen. Ein uneingeschränktes „Ja“ wird ihm nur dann möglich sein, wenn er zu diesem Zeitpunkt davon überzeugt ist -und auch spürt- dass nur ein Leben ohne Drogen ein lebenswertes Leben ist.
    Dann wird er auch morgen nicht trinken, rauchen usw. wollen. Und zwar unabhängig davon, ob er bestimmte Defizite oder Erlebnisse, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinreichen, bearbeitet hat oder nicht. Er wird es deswegen nicht wollen, weil er das Leben ohne Drogen erstrebenswert empfindet.

    Allein das Wegfallen des Zwangs, ein bestimmtes Suchtmittel zu konsumieren, ist m.E. eine enorme Steigerung der Lebensqualität. Das muss beim Aussteiger ankommen, damit Erinnerungen an alte positive Trinkerlebnisse nicht in Suchtdruck münden bzw. damit er dem Suchtdruck standhalten kann, weil er ihn als Relikt einer Sucht begreift, die letztendlich ein Teil seiner Vergangenheit ist und nur dort hingehört. Die Zukunft gehört dem suchtmittelfreien Leben.

    Katro

  • Bin heute beim Rumstöbern auf diesen Thread gestoßen und finde es immer wieder bemerkenswert, wie sich die Gemüter über bestimmte Hilfsmittel/Krücken erhitzen können.

    Genau wie Pingu - und auch andere hier - habe ich mit den AA, aber auch den Blaukreutzlern, Guttemplern u.a. nicht allzuviel am Hut. Aber es ist doch wie hier im Forum oder in (m)einer realen SHG: Es kommen viele Hinweise/Ratschläge/Erfahrungen auf den Tisch - und davon nehme ich mir, was zu mir passt/passen könnte, was mir helfen könnte (ob es hilft, wird sich dann zeigen).
    So hat mir auch zu Anfang dieses "nur heute" sehr geholfen!

    Wie schrieb Pingu:


    Schritt für Schritt. Tag für Tag...

    Ohne dieses "nur heute" hätte ich nicht gewagt, auszusteigen. Denn die Vorstellung, für immer nie mehr einen Tropfen zu trinken, war so schrecklich für mich, dass ich es nicht gewagt hätte. Die Freiheit und das Glück darüber stellt sich doch erst im Verlauf der Abstinenz ein. Das kann man doch am Anfang noch gar nicht ermessen oder sich überhaupt vorstellen.

    Und - ich schrieb es ja schon mehrfach - mit dem "nur heute" ist es doch nicht so, dass man es immer wie ein Mantra vor sich hin murmelt. Es ist zwar da - aber nicht immer und ständig offensichtlich präsent.
    Am Besten hat mir der Satz von keppler gefallen:


    Ich persönlich antworte übrigens auf die Frage von Aussenstehenden, ob ich denn nie wieder Alkohol trinken werde, stets mit dem Satz: "Ich habe es nicht vor ...". Für mich ist das die konkreteste Aussage zu meiner heutigen, morgigen und in die Zukunft gerichteten Entscheidung, die ich treffen kann. Damit kann ich sehr gut leben!

    Ich weiss nicht, was die Zukunft bringt - aber ich weiss, das ich nicht wieder in die Sucht zurückfallen will - und demzufolge nicht vorhabe, wieder anzufangen! Aber die Entscheidung, ob ich es tue oder nicht, liegt allein bei mir - jederzeit auf's Neue. Denn nichts und niemand kann mir verbieten, wieder etwas zu trinken und dann (unweigerlich) wieder zu saufen.

    Wem es hilft, sich zu sagen, "heute trinke ich nicht" - der sage es sich. Wem es besser gefällt und hilft, zu sagen "nie wieder" - auch okay. Und wer am Besten damit klarkommt und es ihm hilft, wenn er sagt "Ich steige einfach aus der Sucht aus" - super.

    Dem Einen fällt es mehr oder minder leicht, der Andere hat zu kämpfen - aber das Ziel ist doch wohl bei uns allen gleich: wieder ein selbstbestimmtes Leben führen! Oder?

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!