Meine Mutter trinkt und lügt

  • Hallo Leute,

    ich habe ein großes Problem mit meiner Mama. Ich bin mittlerweile fast 30 und der Alkohol hat eigentlich schon mein ganzes Leben eine große Rolle gespielt. Dadurch ist leider sehr viel kaputt gegangen, innerhalb der Familie und auch in mir drin.

    Es fällt mir gerade wirklich schwer darüber zu reden, da ich das sonst immer mit mir selbst ausmache, aber ich werde es jetzt trotzdem hier versuchen und hoffe, dass ihr mir helfen könnt.

    Meine Mutter trinkt nicht jeden Tag. Sie ist eher sowas wie ein „Stresstrinker“.
    Sie lügt dann wie gedruckt, wahrscheinlich um Konflikten aus dem Weg zu gehen, aber leider vertrau ich ihr dadurch nicht mehr.
    Damals wurde sie immer sehr aggressiv, wenn sie getrunken hat. Wenn sie nüchtern ist, ist sie das komplette Gegenteil. Sie hatte keine leichte Kindheit und auch so kein leichtes Leben (was ich jetzt nicht weiter erläutern möchte). Ich schiebs immer darauf und auf ihre Depressionen, habe dann Mitleid und versuche ihr immer wieder zu verzeihen. Langsam kann ichs aber nicht mehr.

    Jedenfalls gings damals oft ziemlich heftig zur Sache bei uns. Manchmal war sie dann auch einfach verschwunden, mindestens über Nacht, manchmal auch ganze Tage, ohne das wir wussten, wo sie steckt.
    Jedes Mal gabs Zuhause den größten Stress. Meistens zwischen ihr und meinem Vater, aber mein Bruder und ich sind auch nicht verschont geblieben. Genauso wie unsere Oma.
    Oma war für meinen Bruder und mich immer so ein Ort der Zuflucht, mit der wir immer reden konnten, aber leider ist sie seit knapp 5 jahren tot und seitdem hab ich mit niemandem mehr drüber reden können, außer ab und an mit meinem Bruder. Mein Bruder ist jünger als ich und ihn trifft die ganze Sache noch viel härter als mich. Wir hatten immer ein gutes Geschwisterverhältnis, aber mittlerweile kapselt er sich vollkommen von uns ab.

    Er wohnt in einer anderen Stadt, im Gegensatz zu mir, wo meine Eltern fast meine Nachbarn sind. Mittlerweile hat er sich selbst in Therapie begeben, weil er in seinem jungen Alter unter Depressionen leidet und ich denke der ausschlaggebendste Punkt dafür, ist halt das mit unserer Mutter. Wir mussten uns halt wirklich teilweise sehr schlimme Dinge mit anschauen, von Messerangriffen in der Küche auf unseren Vater, bis hin zu Beleidigung uns gegenüber und teilweise auch körperliche Angriffe auf uns. Möchte ich ebenfalls nicht genauer erläutern, das würde wohl den Rahmen sprengen. Jedes Mal wenn wieder irgendwas war, tat jeder am folgetag so, als wäre nie was gewesen. Tja und so hat sich wohl alles angestaut.

    Damals bin ich dann selbst immer sehr aggressiv geworden in solchen Momenten, habe zurückbeleidigt oder sie automatisch schlecht behandelt, sobald ich gemerkt hab „ihre Stimme klingt wieder anders“. Ich hab deswegen tatsächlich ein schlechtes Gewissen und mache es heute nicht mehr, weil ich weiß das sie krank ist. Sie weiß es selbst auch. Mittlerweile ist sie in der Lage dazu, zu sagen, dass sie ein Problem hat und sogar das sie es ändern will, aber letzendlich tut sie’s immer wieder. Heutzutage ist sie nicht mehr so aggressiv, wenn sie trinkt, zumindest meistens nicht. Wir haben ihr ebenfalls ans Herz gelegt eine Therapie zu machen, was sie allerdings nicht will, weil sie denkt, dass sie das alleine hinkriegt und sie mit keinem Fremden darüber reden will.

    Ich hab mittlerweile gemerkt, dass es nicht in meiner Hand liegt ihr zu helfen, sondern in ihrer eigenen. Ich kann mir nur selbst helfen, weil ich darunter wirklich leide. Mein Vater trinkt auch, was es gür sie wahrscheinlich nicht gerade leichter macht, die Finger endgültig davon zu lassen. Sie klingt jedesmal aufs neue super motiviert, wenn sie sagt, dass sie versucht Wege zu finden, ihre Hände davon zu lassen, aber am Ende klappts dann sowieso wieder nicht.

    Ich weiß langsam nicht mehr, wie ich mit meinem eigenen Gefühlserleben umgehen soll. Ich weiß ich lieb meine Mutter, trotz allem, aber in mir machen sich mittlerweile auch ganz furchtbare Gefühle breit, die ich nicht abschalten kann. Gefühle wie richtig tiefe Wut, wenn ich an sie denke, unabhängig davon ob sie getrunken hat oder nicht. Mein Bild von ihr hat sich mittlerweile zu einem richtig schlechten Bild entwickelt. In meinen Augen ist sie schwach, verlogen, heuchlerisch, egoistisch und einiges mehr. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich nicht so denken sollte, weil sie krank ist, aber das passiert ganz automatisch. Zusätzlich haben sich bei mit Probleme entwickelt Gefühle zu zeigen, oder über Dinge zu reden mit ihr. Ich fühl mich absolut kalt und unterkühlt, wenn sie mir von irgendwelchen Alltagsproblemen erzählt zb am Telefon. Ich kann mir dieses „Gejammer“ einfach nicht lange geben, selbst wenn’s nur Kleinigkeiten sind, so hart es klingt. Als sie das letzte Mal trank, schrieb ich ihr eine Nachricht, dass ich von ihr und meinem Vater erstmal nichts mehr hören will, bis sie das endlich in den Griff bekommen haben, um mich selbst zu schützen, aber jedesmal schaff ichs nicht standhaft zu bleiben und denke mir „Wenn ihr jetzt was passiert und das unsere letzte Unterhaltung war, werd ich’s wahrscheinlich immer bereuen.“

    Ich weiß nicht was ich machen soll, um mich selbst zu schützen. Mir gehts oft schlecht deswegen. Was soll ich nur machen? Ich will auch diese ganzen negativen Empfindungen nicht empfinden. Ich bin echt ratlos.

  • Hallo Benutzername 44,
    zunächst erstmal herzlich Willkommen in dieser Online-Selbsthilfegruppe. :welcome:

    Kurz zu mir: Ich bin Ende 40, Erwachsene Tochter eines Alkoholikers (EKA), bin als Erwachsene selbst alkoholabhängig geworden und seit bald 1 1/2 Jahren trocken.


    Ich weiß nicht was ich machen soll, um mich selbst zu schützen. Mir gehts oft schlecht deswegen. Was soll ich nur machen? Ich will auch diese ganzen negativen Empfindungen nicht empfinden. Ich bin echt ratlos.

    Diese unterschiedlichen Gefühle, die du schilderst, sind auch mir wohl vertraut. Ebenso der Wunsch bzw. das Bedürfnis, sich schützen zu wollen, wie auch das schlechte Gewissen.

    Zunächst einmal möchte ich dir sagen, dass an dir gar nichts verkehrt ist, auch wenn ein Teil von dir das vielleicht glauben mag. Diese negativen Empfindungen sind völlig in Ordnung und haben durchaus ihre Berechtigung, denn deine Mutter verhält sich nicht, wie man das von einem mündigen Erwachsenen, der eigentlich für sein eigenes Leben verantwortlich ist, erwarten sollte. Und sie ist dir in deiner Kindheit und Jugend nicht unbedingt immer die Mutter gewesen, die du und dein Bruder gebraucht hättet.
    Ein Teil von dir ist sich dessen bewusst, dass da etwas nicht richtig ist, und hat sich früher dagegen gewehrt und wehrt sich auch noch heute.

    Im Prinzip ist dir - so vermute ich aufgrund deiner Schilderung - das passiert, was vielen EKAs widerfahren ist. Es hat eine Art von Rollenumkehr stattgefunden, deine Mutter war nicht diejenige, die die Verantwortung übernommen hat, sondern du, das Kind, hast die Verantwortung übernommen. Aus deinen Zeilen lese ich heraus, dass du dir immer wieder von dir abverlangst, liebevolles Verständnis für deine Mutter zu haben. Im Prinzip das, was eine gute Mutter ihrem Kind entgegenbringt.

    Gewiss ist deine Mutter krank, aber das entschuldigt eigentlich nicht, dass sie nicht selbst die Verantwortung für sich und für ihr Leben übernimmt. Du hast ganz richtig erkannt, dass du ihr das nicht abnehmen kannst.
    Von daher darfst du durchaus wütend auf sie sein. Deine Mutter ist diejenige, die etwas ändern könnte, aber bislang ist sie ihrer Verantwortung für sich selbst offenbar nicht nachgekommen. Dass sie‘s nicht getan hat, liegt NICHT in deiner Verantwortung. Es ist IHR Leben und IHRE Verantwortung und jedes Mal, wenn sie zum Alkohol greift, trifft sie letztlich eine Entscheidung.
    Ich schreibe dir das deshalb, weil wir Kinder aus alkoholkranker Familie uns sehr häufig schon von klein an in eine Verantwortung hinein entwickeln, die eigentlich nicht unsere ist und die uns völlig überfordert.
    Da findet eine Prägung statt, die uns auch als Erwachsenen häufig das Leben schwer macht.
    Auch wenn deine Mutter es nicht leicht in ihrem Leben hatte, so liegt es dennoch in IHRER Verantwortung jetzt als Erwachsene für sich zu sorgen.


    In meinen Augen ist sie schwach, verlogen, heuchlerisch, egoistisch und einiges mehr.


    Da ist ein Teil von dir, der richtig, richtig wütend auf deine Mutter ist. Und warum solltest du das denn nicht denken dürfen? Du hast sie doch beim Lügen erwischt, oder? Und handelt sie letztlich nicht egoistisch, wenn sie wieder Alkohol trinkt?
    Gewiss hat es seine Gründe, warum sie in die Abhängigkeit hineingerutscht ist, und das ist eben die andere Seite, die du zum Teil auch kennst und weshalb ein anderer Teil von dir (tiefes) Mitgefühl für sie hat, aber - ich wiederhole mich - einem Teil von dir ist ziemlich bewusst, dass das nicht DEIN Problem ist.


    Du fragst dich, was du tun kannst, um dich zu schützen. Das Wichtigste überhaupt ist, dass du dich um DICH und DEINE EIGENEN Bedürfnisse kümmerst. Wenn du nicht mit deiner Mutter reden möchtest, musst du das nicht. Kümmere dich eher um das, was DIR gut tun könnte. Dazu gehört meines Erachtens auch, dass du dir selbst deine negativen Empfindungen zugestehst und ihnen den Raum lässt, der ihnen zusteht. Im Grunde sind diese Empfindungen nämlich eigentlich gar nichts Schlechtes, sondern dienen eigentlich nur DEINEM Schutz.


    Du darfst deine Mutter lieben und zugleich richtig wütend auf sie sein. Nur sie selbst kann etwas gegen IHRE Krankheit tun. Wenn sie das nicht tut, ist das IHRE Entscheidung, so traurig das auch ist. Zwingen kannst du sie dazu nicht. Mancher Alkoholiker schafft es heraus, wenn er seinen persönlichen Tiefpunkt erreicht hat, mancher schafft es leider nicht.

    Es ist immer schlimm, das mitanzusehen, aber das einzige, was man als Angehöriger dann tun kann, ist für sich selbst zu sorgen.

    Ich hoffe, das hilft dir etwas weiter. Wenn du weitere Fragen hast, nur heraus damit.


    Viele Grüße
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

    Einmal editiert, zuletzt von AmSee13 (22. April 2022 um 09:11)

  • Hallo
    Benutzername 44
    Ich bin zwar von der Seite derabhängigen,aber bei dir sieht es so aus,das du Co-Abhängig bist,und gewaltigen Redebedarf hast.
    Hast du schon einmal darüber nachgedacht zu einer Suchtberatung zu gehen?
    Diese ist nicht nur für Betroffene,sondern auch für Angehörige da.
    LG
    Daun

    Der Weg ist das Ziel<br />Konfuzius (551–479 v. Chr.

  • Hallo Benutzername 44,
    ich möchte noch etwas ergänzen bzgl. Verantwortlichkeit.

    Deine Mutter darf ihren Weg gehen, ebenso wie du deinen Weg gehen darfst.

    Für jemanden, der nicht an dieser Krankheit erkrankt ist, ist sehr schwer bis unmöglich, nachzuvollziehen, warum der oder die Erkrankte diesen Weg geht und nicht einfach mit dem Trinken aufhört, obwohl es doch eigentlich vernünftig wäre. Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen: Von Innen sieht das Ganze immer anders aus.
    Das gilt übrigens auch für Depressionen, mit denen ich leider auch selbst vertraut bin.


    Wir haben ihr ebenfalls ans Herz gelegt eine Therapie zu machen, was sie allerdings nicht will, weil sie denkt, dass sie das alleine hinkriegt und sie mit keinem Fremden darüber reden will.

    Wenn sie das nicht will, dann ist das IHRE Entscheidung, die du, so schwer es dir auch fällt, akzeptieren musst. Das bedeutet nicht, dass du’s gutheißen musst, du darfst durchaus deine Zweifel daran haben, aber sie ist erwachsen und mündig, und es ist IHR Leben und IHRE Entscheidung.

    Umgekehrt darfst du dir aber für DICH überlegen, was DIR SELBST angesichts ihrer Entscheidung gut tun würde. Wenn du dir ihr „Gejammer“ nicht geben magst, dann musst du das auch nicht, denn es liegt ja an ihr, etwas in ihrem Leben zu ändern.

    Übrigens bezüglich „Mitleid“: Ich habe für mich gelernt, zwischen „Mitleid“ und „Mitgefühl“ zu unterscheiden. Mitleid zu haben bedeutet, wie der Begriff schon sagt, mit zu leiden. Im Unterschied dazu bedeutet Mitgefühl zu haben, dass man zwar emphatisch weiß, was der andere fühlt, aber selbst ganz bei sich ist und eben gerade nicht mit-leidet. Das kann zum Beispiel auch bedeuten, dass es dir gut gehen darf, obwohl’s dem anderen, deiner Mutter zum Beispiel, gerade schlecht geht.



    Jedes Mal wenn wieder irgendwas war, tat jeder am folgetag so, als wäre nie was gewesen. Tja und so hat sich wohl alles angestaut.

    Dahinter steckt sehr häufig das Bedürfnis, dass doch bitte wieder alles gut sein möge. Ich nenne es „Harmoniebedürfnis“. Häufig war da ja etwas, das zur Eskalation geführt hat, und man möchte nicht, dass es wieder dazu kommt.
    In meiner Familie war das übrigens nicht anders.
    Solche Dinge anzusprechen und aufzuarbeiten kostet Kraft und mitunter auch Mut, aber nicht selten steckt auch ziemlich viel dahinter, was angesprochen, geklärt und ernsthaft verändert werden müsste.
    Dass so wahrscheinlich keine Aufarbeitung und somit Veränderung stattfindet und im Gegenteil Verletzungen und Wunden bleiben, die nicht wirklich heilen können, bemerkt man eigentlich erst, wenn sich die Möglichkeit ergibt, von außen aus einer gewissen Distanz darauf zu schauen.


    Sie klingt jedesmal aufs neue super motiviert, wenn sie sagt, dass sie versucht Wege zu finden, ihre Hände davon zu lassen, aber am Ende klappts dann sowieso wieder nicht.

    Das ist eine Enttäuschung, die ich mit meinem Vater (und auch mit meiner Mutter, die später an Depressionen erkrankt ist) immer wieder erlebt habe und ich weiß nur zu gut, wie mürbe das macht.
    Wenn du es schaffst, dich endlich auf dich und deine Bedürfnisse zu konzentrieren, wirst du nicht oder zumindest weniger davon abhängig sein, was sie macht.

    Du fühlst Wut, weil sie nicht den Weg geht, den DU für sie für richtig hältst. Versuche dir aber mal bewusst zu machen, dass sie erwachsen ist und ihre eigenen Entscheidungen trifft. Vielleicht schafft sie’s tatsächlich irgendwann, die Möglichkeit dazu besteht ja grundsätzlich. Vielleicht schafft sie‘s auch nicht, aber das ist dann IHRE Entscheidung und IHR Weg.


    Als sie das letzte Mal trank, schrieb ich ihr eine Nachricht, dass ich von ihr und meinem Vater erstmal nichts mehr hören will, bis sie das endlich in den Griff bekommen haben, um mich selbst zu schützen, aber jedesmal schaff ichs nicht standhaft zu bleiben und denke mir „Wenn ihr jetzt was passiert und das unsere letzte Unterhaltung war, werd ich’s wahrscheinlich immer bereuen.“

    Dass du diese Gedanken hast, dürfte damit zu tun haben, dass du dich irgendwie für sie verantwortlich fühlst. Häufig stecken dahinter auch sogenannte Glaubenssätze, die du um Laufe deines Lebens erworben und verinnerlicht hast. Vielleicht kannst du diesen Glaubenssatz sogar jemandem zuordnen, den du kennst?

    Versuche dir klarzumachen, dass du nicht für deine Mutter verantwortlich bist!

    Der einzige Mensch, für den du wirklich verantwortlich bist - es sei denn, du hast Kinder - , bist du selbst. Und allein damit hast du eigentlich schon genug zu tun.

    Liebe Grüße
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo liebe Benutzername 44,

    ich habe eben Deinen Bericht gelesen und erkenne so einiges aus meiner Geschichte
    wieder, vor allem das Ringen um Rettung für meine damals noch trinkende Mutter.

    Mit viel Begleitung in Selbsthilfegruppen und einer tief gehenden Therapie konnte ich
    immer mehr Abstand vom Retten-Wollen gewinnen. Stattdessen bekamen meine eigenen
    echten Gefühle und zu kurz gekommenen Bedürfnisse immer mehr Raum. Das ging nur
    sehr langsam, da es zu schmerzhaft gewesen wäre, diese innere Verlassenheit als Kind
    gleich in vollem Umfang nach-zu-erleben.

    Heute weiß ich, dass das Retten-wollen ein Ringen um meine Sicherheit und Geborgenheit
    war. Der kindliche Irrglaube dahinter war: Wenn ich das schaffe, dass meine Mutter stark
    und stabil (also gesund und seelisch völlig ausgeglichen) ist, dann ist sie für mich da. So
    wie ein Kind das eben existenziell braucht. Ebenso wie das Spiegeln seiner Gefühle durch
    eine zugewandte Mutter oder andere nahe Bezugsperson.

    Als ich von Deiner zunehmenden Wut und der Ratlosigkeit darüber las, fiel mir direkt dieses
    Stück eigener Geschichte auf dem Weg meiner Heilungsarbeit wieder ein. Ich übe noch immer,
    mehr in meinem eigenen Körper und meinen Gefühlen zu bleiben, während ich z.B. meine
    Mutter betrachte. (Sie trinkt nicht mehr, kann mit emotionaler Offenheit aber immer noch
    schwer umgehen. Das löst wieder die uralte innere Verlassenheit in mir aus, dass sie für
    dieses Bedürfnis nach innerer Nähe einfach nicht gemacht ist.)

    Schnell verliere ich das Gespür für meinen Schmerz oder meine Ratlosigkeit und "sehe" das
    stattdessen in ihrem Gesicht, als ihr Gefühl. - Klassische Unterstellung, Interpretation oder
    Projektion. Statt meinen Schmerz spüren zu müssen, "verstehe" ich die Gefühle anderer.

    Ebenfalls mit der Bei-Note, selbst keine Wut auf diese anderen haben zu wollen/sollen.
    Warum nicht? Weil ich damit die (leider nötige) Abgrenzung vollziehen würde, mit der dann
    auch für mich nur übrig bleibt: Sie macht ihr Ding. Ich bleibe allein. Jeder (erstmal) nur für
    sich. Das wäre eine Neu-Auflage der inneren Verlassenheit, und der totale Bankrott allen
    bisherigen Versuchen gegenüber, etwas Besseres für meine Mutter "erreichen" zu wollen.
    Das kann ich niemals schaffen. Es ist zu groß für mich als Mensch, und besonders, so lange
    ich selbst unversorgt bleibe, aus Resignation, Leere und zunehmender Wut heraus irgend
    was hinkriegen, bewahren, verbessern ... möchte. Da läuft auf Dauer der eigene Tank leer.
    Und dann wird aus dem Gefühl des schon immer spürbaren Verlusts oft folgerichtig Wut.

    Bei mir war es die Wut über meine eigene Ohnmacht, an der Krankheit "Sucht" irgendwas
    verändern zu können. Auch meinen eigenen mitgebrachten Schwierigkeiten gegenüber.
    Meine Wut hat mir gezeigt: Jetzt brauche wirklich ich etwas, und zwar schnell. Ich halte es
    keinen Moment länger aus, weiter und weiter zu "geben", zu kämpfen, zurück zu stecken.
    So bewusst konnte ich das nicht begreifen, nur die totale innere Erschöpfung und Gefühl-
    losigkeit war fühlbar. Tatsächlich war ich ausgebrannt und von meinen eigenen Sinnen
    völlig abgetrennt.

    Irgendwo las ich mal, dass Co-Abhängige (Kämpfer um süchtige nahe Menschen und ihre
    Heilung) oft sehr viel schneller nieder gehen als der Süchtige selbst, dem sie ihre eigene
    Lebenskraft im verzweifelten Kampf um seine Wiederherstellung - als Elternteil - schenken.

    Ich wünsche Dir die Unterstützung (Suchtberatung oder Mitbetroffene in Gruppen), den
    Mut und immer mehr auch die innere Erlaubnis, zu aller erst jetzt an den Erhalt Deiner
    eigenen Lebenskraft zu denken. - Von da aus lässt sich irgendwann anders "geben", mit
    weniger Abhängigkeit vom Ergebnis, als es jetzt, im ausgehungerten Zustand möglich ist.

    Hoffentlich bin ich Dir mit meinen Worten nicht zu nah getreten, ich schreibe das wie
    schon gesagt ebenfalls als Tochter einer (damals) trinkenden Mutter und musste viel, viel
    Selbstannahme nachlernen, um zu verstehen, was mich gefangen hielt in der Rolle, sie
    unbedingt retten zu müssen. (Das greift noch heute, wenn auch in anderen Punkten.)

    So lange wie das Erlernen der falschen Rolle (Eltern beeltern) gedauert hat, darf jetzt das
    Umlernen dauern, sich selbst gut zu behandeln. Und die Rettung von außen immer ein
    Stück mehr loszulassen. Durch zunehmende Selbstliebe wächst sie von innen her nach.
    Das ist die gute Nachricht. :)

    Alles Gute für Deinen Weg und die nächsten Schritte, egal wie klein sie Dir erscheinen,
    das wünsche ich Dir (und Deinem Bruder).

    Viele Grüße
    Wolfsfrau

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