Hallo Matthias,
das klingt nicht so schön, was Du da schreibst. Es liest sich für mich so, als ob Deine Frau nicht so viel Verständnis für Deine Situation hätte.
Aus der Sicht Deiner Frau, die wahrscheinlich wie bei uns Alkoholikern so üblich, einiges mit Dir mitgemacht hat, kann man das vielleicht ein wenig nachvollziehen. Als Du aktiv getrunken hast war sie sozusagen alleine und hatte für alles die Verantwortung und jetzt, wo Du nicht mehr trinkst, läuft es immernoch nicht so, wie es aus ihrer Sicht eigentlich sein sollte. Jetzt braucht der Herr plötzlich Zeit für sich, ist überfordert, will langsamer machen anstatt ranzuklotzen und sich um die Familie / Verpflichtungen / etc. zu kümmern. Verstehst Du was ich sagen will, einfach mal der Blick von der anderen Seite.
ABER, ich schreib Dir da jetzt ganz ehrlich meine Meinung, ich finde das ist eine ganz gefährliche Situation in der Du da gerade steckst. In der Ihr da gerade steckt. Warum? Du stehst enorm unter Druck, Du weißt eigentlich ganz genau, was Dir gut tun würde und wie Du ohne Alkohol Dein Leben gestalten müsstest damit es auf Dauer gelingen kann. Deine Frau dagegen hält genau das für ziemlich egoistisch und erklärt Dir, dass es hier ja nicht nur um Dich geht, sondern Du ja schließlich eine Verantwortung hast. Das es möglicherweise ja auch diese Verantwortung (oder wahrscheinlich eher Dein Umgang mit dieser) war die mit dazu beigetragen hat, dass Du da so tief hinein gerutscht bist und dann auch immer wieder ausgerutscht bist, dass hat sie nicht auf dem Schirm. Und vielleicht ist bei ihr auch einfach das Fass voll und sie will endlich, dass es funktioniert, dass sie quasi ein ganz normales Leben führen kann, welches ihr ja alkoholbedingt jahrelang genommen wurde. Und jetzt dreht sich aus ihrer Sicht trotzdem wieder nur alles um Dich, wie eben auch schon zu Deinen Alkoholzeiten.
Ich bitte Dich meine Zeilen hier nicht als Angriff o. Ä. zu verstehen. Ich versuche nur meine Gedanken niederzuschreiben. Auch aus meinen eigenen Erfahrungen heraus. Und werte nichts und will keinesfalls weder Dir noch Deiner Frau irgendwelche Vorwürfe machen.
Die Frage ist natürlich, was Du tun könntest, um diese Situation zu meistern. Wenn Du Deine Frau liebst und Deine Frau Dich liebt, dann kann der einzige Weg nur der Weg des miteinanders sein. Dann ist reden, reden, reden und GEMEINSAM nach Lösungen suchen der beste und wahrscheinlich einzig sinnvolle Weg. Möglicherweise braucht ihr hierfür Hilfe von außen. Jemanden, wo ihr beide Eure Sicht der Dinge darlegen könnt, der dann vermittelt oder auch übersetzt. Vielleicht solltet ihr versuchen zusammen aktiv so einen Schritt zu gehen und Euch helfen zu lassen.
Die große Gefahr die ich sehe ist, dass Du (das erinnert mich an mich selbst) unter dieser Last zerbrichst. Was dann einem Aufgeben gleich kommt und Du deshalb wieder auf Dein altes, gewohntes Hilfsmittel, den Alkohol zurück greifen könntest. Du schreibst ja dieses hier:
ZitatAber ich kann auch nicht alles für die Familie machen...ja ich bin Vater und Ehemann...aber bin ich denn nicht auch einfach ICH...ICH, der an sich selbst denken darf?
Und natürlich hast Du m. E. damit auch völlig Recht. Es ist sogar elementar wichtig, dass Du auch an DICH denkst. Es ist von zentraler Bedeutung (gerade eben in Hinblick auf die Sucht), dass Du zur Ruhe kommst, dass Du einigermaßen in Balance bist. Nur wenn Du selbst mit Dir im Reinen bist, wenn Du klar bist, wenn Du gefestigt im Alltag stehst wirst Du das leisten können, was Deine Familie von Dir erwartet und was sie sicher auch verdient hat. Problem: Deine Frau sieht das etwas anders bzw. ist dieser Thematik vielleicht nicht bewusst oder hat einfach keinen Bock mehr, dass ich immer nur alles um Dich dreht. Selbst jetzt, wo Du nicht mehr trinkst.
Und genau das ist das Problem und genau das halte ich für sehr gefärhlich. Deshalb solltest Du das unbedingt thematisieren und ggf. Hilfe dazu holen. Siehe meine Zeilen oben.
Dazu noch aus meiner Geschichte:
Als ich damals trocken wurde und begann über mich, meine Sucht und auch meine Zukunft nachzudenken, wurde mir sehr schnell klar, dass ich mich von meiner Frau trennen muss. Das hat jetzt nichts mit Deiner Geschicht zu tun, meine Frau wollte an unserer Beziehung festhalten und mich aktiv in die Trockenheit begleiten. Für mich war aber von Anfang an klar, dass mir meine Trockenheit das wichtigste ist und dass ich diesem Ziel, also nie mehr wieder einen Tropfen Alkohol trinken zu wollen, alles unterordnen werde. Das war wie ein Schwur für mich. Und ich merkte, mir wurde bewusst, dass ich dieses Ziel an der Seite meiner Frau nicht erreichen werden. Dass es viele Gründe gab, weshalb ich bei einer Fortführung dieser Beziehung scheitern werde.
Diese Gründe waren u. a. meine Schuldgefühle ihr gegenüber, die mich quasi erdrückten und die mir durch ihre Anwesenheit, durch ihre Worte, ihre Taten usw. immer wieder vor Augen geführt wurden. Und glaube mir, sie hat mich keinesfalls aktiv mit Vorwürfen überzogen, nein. Aber klar, wenn jemand so extrem verletzt wurde wie meine Frau durch mich, dann kann man nicht einfach zur Tagesordnung über gehen nur weil der Herr jetzt aufgehört hat mit dem Trinken. Dafür hatte und habe ich nach wie vor größtest Verständnis.
Dann waren da natürlch auch noch meine Gefühle ihr gegenüber. Wir hatten uns über die Jahre auseinander gelebt. Ich konnte keine Liebe mehr fühlen. Eine starke Liebe zu meinen Kindern, aber zu ihr..... Und noch einiges mehr an wichtigen Gründen. Du darfst mir glauben, dass diese Trennung für mich die härteste Entscheidung meines Lebens war. Und dass ich durch die Hölle ging. Einmal weil ich damit meine Kinder "verlor" die bei der Mama blieben und andererseits aber auch, weil ich meiner Frau (die ich zwar nicht mehr liebte aber deswegen keinesfalls verachtete o. ä.) nochmal fürchterliches Leid angetan habe, antun musste. Und damit natürlich auch meinen Kindern, die ja nichts anderes wollten als ihre heile Welt mit Mama und Papa zu erhalten.
Entscheidend war für mich aber die tiefe Erkenntnis, dass ich wieder trinken würde, wenn ich diesen Schritt nicht mache. Davon bin ich übrigens auch heute noch, und mittlerweile sind viele Jahre vergangen, überzeugt. Die Alternative wäre also gewesen, dass ich wohl wieder angefangen hätte mit dem Trinken, früher oder später. Und das, darüber war ich mir absolut im Klaren, wäre sowohl für mich selbst aber auch für alle anderen, also meine Frau und meine Kinder, das mit Abstand schlimmste gewesen was passieren hätte können. Schlimmer als diese Trennung war. Ich bin mir relativ sicher, dass ich da dann nicht mehr heraus gekommen wäre und alle mit in den Abgrund gerissen hätte.
Ich wollte Dir das einfach mal schreiben. Nur so zum Nachdenken und zur Selbstreflexion. Damit will ich keinesfalls andeuten, dass Du Dich trennen solltest. Denn Deine Situation ist sicher eine ganz andere als es die Meinige war. Was Du aber aus meiner Sicht unbedingt lösen musst, ist der Druck unter dem Du stehst. Denn permanter Druck braucht ein Ventil, und bei uns Alkoholikern ist die Gefahr das wir auf unser bewährtes Ventil, dem Alkohol, zurück greifen leider hoch. Am besten ist es, den Druck (die Gründe) heraus zu nehmen und erst gar nicht entstehen zu lassen.
Meine Gedanken, die ich Dir schreiben wollte.
Alles Gute.
LG
gerchla