Ich lerne es nicht...

  • Hallo Matthias,

    das klingt nicht so schön, was Du da schreibst. Es liest sich für mich so, als ob Deine Frau nicht so viel Verständnis für Deine Situation hätte.

    Aus der Sicht Deiner Frau, die wahrscheinlich wie bei uns Alkoholikern so üblich, einiges mit Dir mitgemacht hat, kann man das vielleicht ein wenig nachvollziehen. Als Du aktiv getrunken hast war sie sozusagen alleine und hatte für alles die Verantwortung und jetzt, wo Du nicht mehr trinkst, läuft es immernoch nicht so, wie es aus ihrer Sicht eigentlich sein sollte. Jetzt braucht der Herr plötzlich Zeit für sich, ist überfordert, will langsamer machen anstatt ranzuklotzen und sich um die Familie / Verpflichtungen / etc. zu kümmern. Verstehst Du was ich sagen will, einfach mal der Blick von der anderen Seite.

    ABER, ich schreib Dir da jetzt ganz ehrlich meine Meinung, ich finde das ist eine ganz gefährliche Situation in der Du da gerade steckst. In der Ihr da gerade steckt. Warum? Du stehst enorm unter Druck, Du weißt eigentlich ganz genau, was Dir gut tun würde und wie Du ohne Alkohol Dein Leben gestalten müsstest damit es auf Dauer gelingen kann. Deine Frau dagegen hält genau das für ziemlich egoistisch und erklärt Dir, dass es hier ja nicht nur um Dich geht, sondern Du ja schließlich eine Verantwortung hast. Das es möglicherweise ja auch diese Verantwortung (oder wahrscheinlich eher Dein Umgang mit dieser) war die mit dazu beigetragen hat, dass Du da so tief hinein gerutscht bist und dann auch immer wieder ausgerutscht bist, dass hat sie nicht auf dem Schirm. Und vielleicht ist bei ihr auch einfach das Fass voll und sie will endlich, dass es funktioniert, dass sie quasi ein ganz normales Leben führen kann, welches ihr ja alkoholbedingt jahrelang genommen wurde. Und jetzt dreht sich aus ihrer Sicht trotzdem wieder nur alles um Dich, wie eben auch schon zu Deinen Alkoholzeiten.

    Ich bitte Dich meine Zeilen hier nicht als Angriff o. Ä. zu verstehen. Ich versuche nur meine Gedanken niederzuschreiben. Auch aus meinen eigenen Erfahrungen heraus. Und werte nichts und will keinesfalls weder Dir noch Deiner Frau irgendwelche Vorwürfe machen.

    Die Frage ist natürlich, was Du tun könntest, um diese Situation zu meistern. Wenn Du Deine Frau liebst und Deine Frau Dich liebt, dann kann der einzige Weg nur der Weg des miteinanders sein. Dann ist reden, reden, reden und GEMEINSAM nach Lösungen suchen der beste und wahrscheinlich einzig sinnvolle Weg. Möglicherweise braucht ihr hierfür Hilfe von außen. Jemanden, wo ihr beide Eure Sicht der Dinge darlegen könnt, der dann vermittelt oder auch übersetzt. Vielleicht solltet ihr versuchen zusammen aktiv so einen Schritt zu gehen und Euch helfen zu lassen.

    Die große Gefahr die ich sehe ist, dass Du (das erinnert mich an mich selbst) unter dieser Last zerbrichst. Was dann einem Aufgeben gleich kommt und Du deshalb wieder auf Dein altes, gewohntes Hilfsmittel, den Alkohol zurück greifen könntest. Du schreibst ja dieses hier:

    Zitat

    Aber ich kann auch nicht alles für die Familie machen...ja ich bin Vater und Ehemann...aber bin ich denn nicht auch einfach ICH...ICH, der an sich selbst denken darf?

    Und natürlich hast Du m. E. damit auch völlig Recht. Es ist sogar elementar wichtig, dass Du auch an DICH denkst. Es ist von zentraler Bedeutung (gerade eben in Hinblick auf die Sucht), dass Du zur Ruhe kommst, dass Du einigermaßen in Balance bist. Nur wenn Du selbst mit Dir im Reinen bist, wenn Du klar bist, wenn Du gefestigt im Alltag stehst wirst Du das leisten können, was Deine Familie von Dir erwartet und was sie sicher auch verdient hat. Problem: Deine Frau sieht das etwas anders bzw. ist dieser Thematik vielleicht nicht bewusst oder hat einfach keinen Bock mehr, dass ich immer nur alles um Dich dreht. Selbst jetzt, wo Du nicht mehr trinkst.

    Und genau das ist das Problem und genau das halte ich für sehr gefärhlich. Deshalb solltest Du das unbedingt thematisieren und ggf. Hilfe dazu holen. Siehe meine Zeilen oben.

    Dazu noch aus meiner Geschichte:

    Als ich damals trocken wurde und begann über mich, meine Sucht und auch meine Zukunft nachzudenken, wurde mir sehr schnell klar, dass ich mich von meiner Frau trennen muss. Das hat jetzt nichts mit Deiner Geschicht zu tun, meine Frau wollte an unserer Beziehung festhalten und mich aktiv in die Trockenheit begleiten. Für mich war aber von Anfang an klar, dass mir meine Trockenheit das wichtigste ist und dass ich diesem Ziel, also nie mehr wieder einen Tropfen Alkohol trinken zu wollen, alles unterordnen werde. Das war wie ein Schwur für mich. Und ich merkte, mir wurde bewusst, dass ich dieses Ziel an der Seite meiner Frau nicht erreichen werden. Dass es viele Gründe gab, weshalb ich bei einer Fortführung dieser Beziehung scheitern werde.

    Diese Gründe waren u. a. meine Schuldgefühle ihr gegenüber, die mich quasi erdrückten und die mir durch ihre Anwesenheit, durch ihre Worte, ihre Taten usw. immer wieder vor Augen geführt wurden. Und glaube mir, sie hat mich keinesfalls aktiv mit Vorwürfen überzogen, nein. Aber klar, wenn jemand so extrem verletzt wurde wie meine Frau durch mich, dann kann man nicht einfach zur Tagesordnung über gehen nur weil der Herr jetzt aufgehört hat mit dem Trinken. Dafür hatte und habe ich nach wie vor größtest Verständnis.

    Dann waren da natürlch auch noch meine Gefühle ihr gegenüber. Wir hatten uns über die Jahre auseinander gelebt. Ich konnte keine Liebe mehr fühlen. Eine starke Liebe zu meinen Kindern, aber zu ihr..... Und noch einiges mehr an wichtigen Gründen. Du darfst mir glauben, dass diese Trennung für mich die härteste Entscheidung meines Lebens war. Und dass ich durch die Hölle ging. Einmal weil ich damit meine Kinder "verlor" die bei der Mama blieben und andererseits aber auch, weil ich meiner Frau (die ich zwar nicht mehr liebte aber deswegen keinesfalls verachtete o. ä.) nochmal fürchterliches Leid angetan habe, antun musste. Und damit natürlich auch meinen Kindern, die ja nichts anderes wollten als ihre heile Welt mit Mama und Papa zu erhalten.

    Entscheidend war für mich aber die tiefe Erkenntnis, dass ich wieder trinken würde, wenn ich diesen Schritt nicht mache. Davon bin ich übrigens auch heute noch, und mittlerweile sind viele Jahre vergangen, überzeugt. Die Alternative wäre also gewesen, dass ich wohl wieder angefangen hätte mit dem Trinken, früher oder später. Und das, darüber war ich mir absolut im Klaren, wäre sowohl für mich selbst aber auch für alle anderen, also meine Frau und meine Kinder, das mit Abstand schlimmste gewesen was passieren hätte können. Schlimmer als diese Trennung war. Ich bin mir relativ sicher, dass ich da dann nicht mehr heraus gekommen wäre und alle mit in den Abgrund gerissen hätte.

    Ich wollte Dir das einfach mal schreiben. Nur so zum Nachdenken und zur Selbstreflexion. Damit will ich keinesfalls andeuten, dass Du Dich trennen solltest. Denn Deine Situation ist sicher eine ganz andere als es die Meinige war. Was Du aber aus meiner Sicht unbedingt lösen musst, ist der Druck unter dem Du stehst. Denn permanter Druck braucht ein Ventil, und bei uns Alkoholikern ist die Gefahr das wir auf unser bewährtes Ventil, dem Alkohol, zurück greifen leider hoch. Am besten ist es, den Druck (die Gründe) heraus zu nehmen und erst gar nicht entstehen zu lassen.

    Meine Gedanken, die ich Dir schreiben wollte.

    Alles Gute.

    LG
    gerchla

  • Ja, bis Du das Vertrauen nach Deinen Rückfallgeschichten wieder aufgebaut hast, das kann sich ziehen. Irgendwo musst Du Deine Frau da wohl auch ein Stück weit verstehen. Was Dir selbst natürlich nur teilweise hilft, aber vielleicht ein Ansporn ist.

    Mir fällt da gerade noch das mit den Krediten und den Verbindlichkeiten auf. Das ist ja eine Belastung, und so wie Du schreibst, könnte es ja auch sein, das Du Dich in Deiner bisherigen Art und Weise damit überschätzt und übernommen hast, weil Du so nur mit Alkohol funktioniert hast. Oder kriegst Du das noch irgendwie hin?

    Ich hab keine genaue Vorstellung, um welche Dimensionen das geht, Verbraucherkredite, Autokauf, Hauskauf, Aktienkauf, da gibts ja einige Möglichkeiten - die mich alle gar nichts angehen - und um ganz unterschiedliche Zeiträume und Raten, in denen man das abbezahlen muss.

    Jedenfalls deutet ja das darauf hin, das Du nicht nur mit Deiner Frau klarkommen musst. Was hast Du an dieser Ecke für realistische Möglichkeiten, die Belastung zu verringern, wenn Du nun feststellst, dass Du nicht mehr so kannst wie früher (das kommt natürlich drauf an um was es geht), ich meine, einfach nicht zahlen ist ja keine Lösung, sondern schafft nur weitere Probleme. Solltest Du Dich da vielleicht auch extern beraten lassen?


  • Die Antwort am Wochenende war, dass ich nicht allein für mich entscheiden kann, was ich will. Es gilt Kredite zu bezahlen, Verbindlichkeiten zu bedienen, .... es geht um die Familie...

    Und ja, genau darum geht es auch in meinen Augen...nämlich darum, dass ich so wie bisher nicht mehr weiter machen kann, weil ich sonst irgendwann ins Grass beisse...

    Oh man, wie gut ich dieses Dilemma kenne, diesen Scheiß-Druck, alles schaffen und unter einen Hut bringen zu müssen - und von meiner damaligen Frau kam nicht der Hauch einer Unterstützung …

    Ich kann Gerchla nur zustimmen: Du musst mit ihr reden. Und wenn sie meint, dass es "nicht nur um Dich geht, sondern auch um die Kredite etc", dann stell ihr doch einfach die knallharte Frage: "Soll ich also Deiner Meinung nach wieder anfangen zu saufen, um dem Druck (kurzfristig) standhalten zu können? Oder es - MIT Deiner Unterstützung - ruhiger, aber Schritt für Schritt in Angriff nehmen?"

    PS: Es hat natürlich nie jemand zu mir gesagt, dass ich weiter trinken soll. Das alles sind die gefühlten Anforderungen bzw. Aussagen in meine Richtungen. Ich mache dann immer das daraus, was ich hören will...

    Auch wenn SIE es nicht laut ausgesprochen hat - dann tu DU es, denn es ist eine Riesen-Belastung für Dich und kann durchaus dazu führen, dass der Druck irgendwann zu groß wird und Du doch wieder zugreifst …
    Und es gilt, diesen Druck, dieses Risiko so gering wie möglich zu halten …

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Vielleicht kommen die ganzen Probeme auch nur, weil Du in der Probezeit krank geworden bist? Ich kenne das, bei mir war es auch so, hatte dann auch einen neuen Job und wurde nach 6 Wochen krank. Blödes Gefühl, erst recht wenn man dann auch noch den Anspruch an sich selbst hat, es dann erst recht zu schaffen (weil man ja nicht mehr säuft, sollte man doch eigentlich fitter sein als vorher, denkt man sich ja so).

    Schulden (ich hatte auch welche, sogar ziemlich) haben die unangenehme Eigenschaft, dass da meistens Verträge dran hängen, die eingehalten werden müssen und man damit verpflchtet ist. Kürzer treten ist da gar nicht so einfach bzw. gehört in die Rubrik "Wunschkonzert", bis das irgendwie geregelt ist. Klar, wenn dann der Job wegen der Krankheit in der Probezeit auf der Kippe steht bzw. man zumindest die Angst hat, und auch die Angst, dass man die Schulden/Kredite dann nicht mehr bedienen könnte, ist das natürlich nicht so toll. Ich hatte das dann irgendwann bezahlt, blieb mir nichts Anderes übrig. Ansonsten lebe ich heute nicht über meine Verhältnisse.

    Tja, und der Partner, der eh schon lange gegen die Sauferei war (bei mir jedenfalls), ist verständlicherweise wenig begeistert, wenn er da schon wieder mit drin hängt, vor allem weil er ja schon wieder nichts dran ändern kann. Und womöglich ist dieser Partner von den Schulden ja auch betroffen und hängt mit drin, auf die eine oder andere Weise. Dem kann ich ja nun schlecht die Verantwortung zuweisen, wenn ich das irgendwie verbocke.

    Einer der Gründe, warum die Trockenheit meine persönliche Angelegenheit war und sein musste, denn mein Partner konnte nichts dafür, dass ich mich da rein geritten hatte. Und ich persönlich finde nicht, dass mein Partner irgendwas tun müsste, damit ich trocken bleibe. Trocken bleiben würde ich auch wollen, wenn die Beziehung völlig scheitert, und zwar wegen mir selbst. Klar ist es nett, wenn man dann zusammenhält, aber wenn das nicht der Fall ist, muss es auch ohne gehen. Ich muss mit mir selbst auskommen, auch wenn der Partner irgendwann weg sein sollte.

    So sehe ich das jedenfalls...

  • Ich muss mit mir selbst auskommen, auch wenn der Partner irgendwann weg sein sollte.

    Darum sollte man ja den Weg in die Trockenheit/Abstinenz ja auch für sich selbst und nicht für den/die Partner/in, den Arbeitgeber, für irgendjemand anderen gehen:

    Liebe kann vergehen und Firmen können auch ohne unser Zutun z.Bsp. Pleite gehen.

    Und nur mal ein Gedanke so nebenbei: Auch finanzielle Verpflichtungen sind nicht immer ein Grund, sich völlig aufzureiben …
    Ich habe mich zwar auch zuerst etwas schwer getan und ärgere mich auch heute noch manchmal über meine Ex - aber seit ich die Privatinsolvenz angemeldet habe, lebe und schlafe ich bedeutend ruhiger. Jetzt habe ich es bald geschafft und alles wieder auf der Reihe. Natürlich war die Insolvenz meine letzte Option - aber es IST eine Option.

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    können wir nur selber tun!

  • Klar ist das eine Option, wenn es anders nicht geht. Aber das musst Du auch richtig regeln, wenn Du verheiratet bist, sonst merkt die Familie das auch.
    Entweder Du bist Doppelverdiener mit zwei Konten, so dass nur von einem das Geld eingezogen wird (geht wohl eh nur, wenn die Schulden nur auf einen laufen und der die Privatinsolvenz anmeldet, sonst haften ja beide, wir hatten hier ja bei den Angehörigen auch schon die Geschichten mit den Häusern, wo dann beide bei den Schulden haften), oder es leben alle unter dem gleichen Freibetrag, wenn ich mich nicht irre. Und das Gesamteinkommen der Familie ist natürlich immer geringer, wenn einer der Verdiener auf den Freibetrag reduziert íst, als wenn er über sein Einkommen frei verfügen kann. Wenn das Ganze dann wegen der Sauferei sowieso schon auf der Kippe steht, hast Du Dein Blatt womöglich überreizt. Da musst Du dann schon selbst Überzeugungsarbeit leisten und das nicht erst dann, wenn Du Dich per Rückfall gerade mal wieder selbst in die Ecke manövriert hast.

    Ich habe das jedenfalls vermieden und lieber so verhandelt, dass ich da noch mitreden konnte, wie viel mir blieb. Dazu musste ich dann aber auch liefern. Das gehört aber wiederum auch zu den Bereichen, wo ich mir die Freiräume schaffe, in denen ich überhaupt an mich denken kann.

    Von daher ist es schon ganz OK, wenn Du an Dich denkst und wegen Dir trocken bist, aber wenn Du nur denkst erst komm ich und nach mir die Sintflut, legt Dir halt irgendwer die Daumenschrauben an. Und ob das der Trockenheit förderlich ist, wage ich zu bezweifeln.

    Gruß Susanne

  • Hallo Ihr Lieben,

    ich bin (wieder) völlig überwältigt von Euren Antworten. Ich schaffe es jetzt nicht, auf alles einzugehen, werde aber vieles noch einmal aufgreifen.

    Ich habe die letzten Tage viel darüber nachgedacht, wie ich mit meinem "Psychoprogramm" weitermache, was derzeit noch aus Nachsorgegruppe, Einzelgesprächen in der Suchtberatung und Terminen bei meiner Psychologin besteht. Aus diesen Terminen nehme ich immer einige Themen mit, über die ich dann weiter nachdenke, ausprobiere oder mit meiner Frau oder Freunden spreche oder hier noch einmal aufgreife.

    Ich habe die letzten 1,5 Jahre vieles unternommen, um mein Leben wieder in die Spur zu bekommen. Dabei habe ich viel Positives erlebt, aber halt auch meine Rückschläge gehabt. Damit bin ich sicherlich kein Einzelfall. ;) Unterm Strich bin ich noch nicht dort, wo ich sein möchte...neben einer stabilen Abstinenz ein glückliches Leben zu führen, ohne die Zwänge der Ver- und Entsorgungslogistik mit Alkohol, den Ängsten, irgendwann mal im Alltag "aufzufallen", den Job zu verlieren wegen dem Konsum, und und und.

    Ich habe gelernt, mir über manche Dinge in meinen Leben mehr oder andere Gedanken zu machen und Dinge anders zu sehen als früher. Oder sie überhaupt zu sehen, Dinge um mich herum, in der Natur usw.. Das ich über manches heute anders denke und meine Meinung habe, kann und muss nicht jedem gefallen. Und tut es ja auch nicht und das ist auch grundsätzlich in Ordnung so.

    Mancher von Euch scheint mein Dilemma zu verstehen. Ich wollte mein Leben verändern und stelle nun fest, dass das nun auch wieder manchem nicht passt oder den gleichen Menschen, denen meine Sucht vorher zu viel geworden war. Aber ja, ein funktionierender Alkoholiker oder Abhängiger ist für sein Umfeld anscheinend manchmal gar nicht so schlecht. Vieles funktioniert, wird nicht hinterfragt, es wird einfach mal gemacht, anstatt zu viele Fragen nach dem Sinn zu stellen.

    Und da bin ich an dem Punkt, wo ich mich frage, ob das Hinterfragen, das kritische Beäugen und die andauernde therapeutische Auseinandersetzung mit mir selbst bzw. meiner Person wirklich der beste Weg für mich ist. Ich habe teilweise drei Therapietermine in einer Woche und die beschäftigen mich auch noch in der Zeit davor und danach. Mich kostet das Kraft und Zeit, die ich mit anderen Dingen füllen könnte. Versteht mich jetzt bitte nicht falsch, ich meine mit anderen Dingen nicht, dass ich in der Zeit stattdessen in der Kneipe sitze. Ich meine damit mehr Zeit / Momente, von denen ich weiß, dass sie mir gut tun.

    Z.B. Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, im Garten herumwerkeln, Sport zu machen, zu Kochen, Musik zu machen, zu Lesen...Ich habe momentan das Gefühl, dass das auf Dauer besser für mich wäre und mehr Positives in mein Leben bringen könnte, mich zufriedener machen könnte und auch von den ganzen Rückfällen wegbringen könnte. Ganz vom Thema Sucht und der Auseinandersetzung damit werde ich mich nicht trennen, denn ich denke, das Thema sollte schon noch in meinem Kopf präsent sein. Aber vielleicht würde ich dann doch mal die Suchtfibel lesen, die seit einem halben Jahr auf meinem Nachttisch liegt, anstatt immer zu anderen Büchern zu greifen, weil ich das Thema Auseinandersetzung mit der Sucht nicht die ganze Woche mit mir herumschleppen möchte.

    Ich weiß, dass mir niemand einen Rat geben kann, was der richtige Weg für mich ist. Das muss ich schon allein erkunden. Aber vielleicht erkennt jemand einen entscheidenden Fehler in meinen Gedanken, der mich eher wieder voll aufs Glatteis führen wird als an einen schönen Strand.

    LG
    Matthias

  • Hallo Matthias,

    ich weiß nicht ob Dir irgendjemand auf Deine Fragen die richtige Antwort geben kann. Ich weiß auch nicht, ob es darauf überhaupt eine grundsätzlich richtige Antwort gibt. Ich glaube eher nicht, weil ich der Meinung bin, dass die Sucht trotz aller offensichtlichen Gemeinsamkeiten die alle Betroffenen haben, eine höchst individuelle Angelegenheit ist. Besonders was den "Feinschliff" betrifft. Damit meine ich das psychische dauerhafte Überwinden dieser Sucht. Also genau das, worauf es dann ja letztlich eigentlich ankommt. Das dauerhafte stabile überwinden dieser Sucht.

    Ich denke mir, bei allen Therapien, bei aller psychologischer Arbeit die man macht, und die aus meiner Sicht für die meisten sicher auch sinnvoll und notwendig sind, muss man am Ende doch seinen eigenen Weg finden. Ich empfinde diese Therapien, die psychologische Arbeit also als eine Art "Grundausbildung" um überhaupt in die Lage versetzt zu werden, diesen Weg erfolgreich gehen zu können. Aber auch hier gibt es ja große Unterschiede. Für die meisten macht das ganz sicher großen Sinn, einige jedoch schaffen es auch ohne oder mit anderen Mitteln, viele, sehr viele schaffen es trotz psychologischer Betreuung nicht dauerhaft.

    Meine Meinung ist, dass es darum geht ein zufriedenes Leben ohne Alkohol zu erreichen. Im Grunde um nichts anderes. Es darf gerne auch ein glückliches Leben sein, wobei Glück auch eine sehr individuelle Sache ist und für jeden etwas anderes bedeutet. Also lassen wir es bei Zufriedenheit. Das allein muss das Ziel sein. Denn wenn Du mit Dir und Deinem Leben zufrieden bist, fällt der Grund zum Trinken weg. Denn egal aus welchen Gründen Du getrunken hast, es hatte doch immer etwas damit zu tun, dass Du durch das Trinken etwas verändern wolltest. Egal in welcher Weise oder Richtung. Du warst mit Deinem IST-Zustand nicht zufrieden, der Alkohol versprach Dir eine eine Verbesserung. Sicher hast Du irgendwann dann mal getrunken weil Du halt süchtig warst. Aber ursprünglich sicher aus solchen Gründen, auch wenn Dir diese vielleicht gar nicht bewusst waren. Ich glaube den meisten ist es nicht bewusst und sie sage auch hinterher: ich bin da halt irgendwie rein gerutscht.

    Was will ich damit sagen? Wenn Dich Deine Therapie jetzt also belasten, wenn sie bei Dir eher zu einer Unzufriedenheit führen, Du Dich gedrängt, gedrückt und gezwungen fühlst, dann halte ich das nicht für zielführend. Dann solltest Du aus meiner Sicht darüber nachdenken, welche Therapieformen Dir wirklich etwas geben und welche das Gegenteil erreichen. Therapien aus Angst zu machen halte ich für den falschen Weg. Ich möchte betonen, dass das meine ganz persönliche Meinung ist, ohne irgendeinen medizinisch-psychologischen Hintergrund und natürlich ohne Anspruch auf Richtigkeit.

    Bei mir war es damals so, dass ich genau so ein Empfinden gegenüber meiner SHG entwickelt hatte. Diese Gruppe war in meiner Anfangszeit mein wichtigster Anker, sie war Gold wert für mich. Umso länger ich trocken war und je länger ich dann auch andere Hilfsmöglichkeiten nutzte, desto mehr bemerkte ich, dass mich die Gruppenbesuche mehr belasten als sie mir geben. Nun hatte ich aber die Aussage eines AA-Freundes im Kopf, der mir prophezeihte: "Erst verlässt du die Gruppe, dann wirst Du rückfällig". Aber, ich ließ mich nicht beirren. Ich wollte nichts tun,was meine Zufriedenheit negativ beeinflusste. Also verließ ich die Gruppe, ohne Groll, ohne negative Gedanken.

    Es war eine gute Entscheidung für mich. Und das ist jetzt viele Jahre her. Ich beschäftige mich heute jeden Tag mit Dingen, die mir gut tun, die dazu führen, dass ich mich gut und zufrieden fühle. Auch in Zeiten, die mal schwieriger sind. Denn diese machen wir trockenen Alkoholiker ja genauso durch wie jeder andere Mensch auch. Hier gehts im die Langzeitperspektive, hier geht es um die Grundzufriedenheit mit dem eigenen sein, dem eigenen Leben. Rücke das in Deinen Fokus und triff Deine Entscheidungen genau danach. Vielleicht ist das ein Weg für Dich. Für mich war es genau der richtige.

    LG
    gerchla

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