Wird man zwangsläufig Co-abhängig?

  • Liebe Forumsteilnehmer,

    eine Frage beschäftigt mich als Ex-Angehörige noch immer:
    Ist die Co-Abhängigkeit eine logische Folge, wenn man mit Alkoholismus in der Partnerschaft oder Familie zu tun hat?
    Man wird duldsam, übersieht die eigenen Bedürfnisse, setzt keine Grenzen, ist "lieb", vermeidet Streit, kompensiert, schluckt Ärger herunter, überwindet Ekel, übernimmt Verantwortung.
    Wird man dorthin "erzogen" oder wenigstens beeinflusst
    weil
    - man eine halbwegs heile Welt erhalten will
    - um Stimmungsschwankungen und Launen auszugleichen
    - um Reizbarkeit möglichst zu vermeiden
    - für die eigene Illusion, dass doch eigentlich alles "ganz nett" ist
    - um nicht schuld zu sein, dass die Stimmung kippt
    - zur Kompensation der Anspannung
    - um wenigstens ab und zu ein paar Krümel positive Aufmerksamkeit zu bekommen

    Coabhängigkeit also als Überkompensation des schwierigen Miteinanders?

    Oder gibt es auch Partner, die nicht coabhängig sind und diesem Mechanismus widerstehen?

    Habt Ihr da Erfahrungen?

    Viele Grüße
    Biene

  • Coabhängigkeit hat mehrere Seiten.

    Ursprünglich bezeichnet man mit Coabhängkeit ein Verhalten, das den Abhängigen darin unterstützt, weiter zu trinken, und damit seine Sucht eher verlängert als abkürzt.

    Dazu gehört nicht nur eine große Hilfs- und Aufopferungsbereitschaft, die es dem Anhängigen ermöglicht, weiterzutrinken, da coabhängiges Verhalten die unangenehmen Folgen des Trinkens abmildert (Co lässt den Alkoholiker nicht in seiner eigenen Scheixxe gar werden, sondern versucht, ihm seine Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Damit merkt er aber gar nicht mehr, wie sehr er sich selbst damit schadet.).

    Es gehört auch das harte und erbitterte Ringen mit dem Abhängigen um den Substanzkonsum dazu, da es den Abhängigen dazu verleitet, den Blick nicht auf sich selbst gerichtet zu halten, sondern den Coabhängigen für sein Trinkverhalten verantwortlich zu machen (Du bist schuld, das ich trinke, Dir kann ichs eh nie recht machen, Du hasst mich etc. ) und da hat es mit Duldsamkeit und Nettigkeit zum Teil gar nichts mehr zu tun, aber durchaus auch mit mangelnder Konsequenz.

    Was Coabhängigkeit zum Teil genau so auszeichnet wie Abhängigkeit sind unter anderem so Faktoren, dass man mit dem Kopf nicht bei seinen tieferen Bedürfnissen ist, selbstzerstörerisch handelt und das man nicht macht, was man will, sondern sich von seinen Gefühlsimpulsen überwältigen lässt. Und diese Gefühle sind bei diesem Ringen um die Sucht natürlich auch manipulierbar, man sagt zwar immer Alkoholikern nach, sie seien so manipulativ, Cos können das aber genau so.

    Als eigenständiges Krankheitbild ist es zumindest sehr umstritten. Bei diesem CRAFT-Konzept habe ich mehrmals gelesen, dass man davon weg will, weil es dafür verschiedene gute Gründe gibt. Und wie Leute da reinkommen, dafür gibt es sicherlich auch sehr unterschiedliche Gründe, einerseits die Hilfsbereitschaft und die scheinbare Hilflosigkeit des Trinkers, gewisse Wertvorstellungen, gelernt am Beispiel in der Familie etc.

    Ich muss gerade mal weg. Schreibt sicher noch jemand was dazu.

  • Konfliktvermeidungsstrategien zeichnen im übrigen auch viele Alkoholiker aus. Alles was unter heimlich trinken, Scham, Selbstlügen, Beschwichtigungen, falsche Versprechungen, auch Manipulationen läuft, fällt in diese Kategorie und dient dazu, offene Konflikte zu vermeiden und die heile Welt, in dem Fall des Alkoholikers, zu bewahren.
    Sind mit Sicherheit viele familäre Kommunikationsmuster drunter, die Suchtfamilien besonders auszeichen und es begünstigen, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit, als Abkömmling einer solchen Famile selbst abhängig zu werden, als auch die, sich entsprechende Partner zu suchen, steigt. Aber wie immer sind es halt nur Wahrscheinlichkeiten, erwischt einen nicht zwangsläufig. Es gehört immer auch eigenes Verhalten dazu, auch bei einer Disposition muss man ja z.B zusätzlich trinken, damit das ausbricht, wenn Du verstehst, was ich meine.

  • Danke, Susanne, für Deine Ausführungen.

    Ich meinte, ob man im engen Kontakt mit dem Alkoholiker (wenn man sich denn nicht distanziert/trennt) mehr oder weniger automatisch diese Strategien anwendet, so als logische Folge.

    Aus der kopfgesteuerten Distanz ist das natürlich anders, da würde man Grenzen setzen.
    Doch im System, wenn man emotional involviert ist, dann RE-agiert man doch oft mit vermeidenden Schutzstrategien. Die entwickeln sich doch peu-á-peu im Laufe der Zeit.
    Darauf zielte meine Frage.

    Rein "vernünftig" stiege man doch aus Selbstschutz früh aus, weil die eigenen Grenzen zu oft überschritten werden.

  • Komplexes Thema. Das berührt ja auch die Frage, inwieweit Verhalten überhaupt frei oder determiniert ist, die Frage wie frei der Wille überhaupt ist, auf welchen Hirnstukturen und bewussten und unbewussten Faktoren das Verhalten beruht und wie weit man das überhaupt ändern kann und noch so ein paar Punkte. Mir fallen zum Beispiel auf Anhieb schon eine ganze Reihe möglicher Motive für dieses Vermeidungsverhalten ein. Und es gehören ja grundsätzlich mindestens zwei Seiten zu einer Interaktion und die andere Seite, die Alkoholiker, sind auch nicht alle gleich, da gibts erhebliche Unterschiede. Und ich denke, je nach dem, hat man nicht nur dieses eine Verhalten als Option, sondern hat auch andere Verhaltensweisen für genau die selbe Situation gelernt auf die man alternativ zugreifen kann, bzw. kann man lernen, nur ist es mühsam sich im entscheidenden Moment darauf zu besinnen, das wird aber durch Anwendung und Übung besser, meistens jedenfalls.

    Keine Ahnung, da Coabhängigkeit ja so ein unklares und nicht monitortes Konzept ist, gibt es ja auch keine sicheren Zahlen wo man empirisch sagen könnte, es erwischt soundsoviel Prozent wie beim Alkohol ja auch (und was je nach Betrachtungsweise ja auch noch unterschiedlich ist), auch wenn wir vielleicht gar nicht so genau wissen, warum das so ist. Und zwangsläufig würde ja irgendwie heissen, es erwischt bei bestimmten Voraussetzungen alle..

    Ich glaube, das führt mir jetzt zu weit, bis ich da alles aufgeschrieben hätte, was mir dazu einfällt.

  • Hallo Biene67,

    wenn ich Deine Post so lese habe ich das Gefühl Du verstehst den Begriff nicht oder siehst ihn wie eine Krankheit. Co-abhängikeit hat keine "Regeln" die definieren wie Du Dich zu verhalten hast. Es gibt Muster in all den verschiedenen Geschichten aber trotzdem ist das für jeden Co-Abhängigen ein einzigartiges Erlebnis und kann völlig unterschiedlich ablaufen abhängig von den betroffenen Personen, der Schwere der Abhängigkeit und tausender anderer Faktoren.

    Ich erachte mich selbst als co-abhängig. Das bedeutet auch das ich darüber nachgedacht habe, was das bedeutet um die Frage beantworten zu können. Und ich habe jetzt einen ganz speziellen "Weg" vor Augen....meinen Weg aber ich bin mir auch bewußt das das Resultat (Alkoholsüchtige Frau) der Fall wäre wenn ich alles ganz anders gemacht hätte. Ich glaube nicht das es bei der Frage einen festgelegten Ablauf gibt oder das das immer so abläuft

    Im Grunde zeichnet sich bei Deiner post die Frage ab "ab wann hat das Ganze keinen Sinn mehr" und die sachliche Antwort wäre wohl "beim ersten Anzeichen". Also ganz im Sinne des Selbstschutz sobald sich eine Abhängigkeit abzeichnet loslassen, sich distanzieren, umdrehen und rennen. So wie wir das bei Feuer machen würden oder einem wilden Tier. Aber es gibt Dinge bei denen Du das nicht tun kannst. Oder es nicht tun willst solange auch nur der letzte Funken Hoffnung besteht.

    Wir werfen die Flinte nicht ins Korn und geben auf sobald etwas unangenehm wird. Oder zumindest tun wir das nicht bei "wichtigen" Dingen. Das Hauptproblem ist für viele Angehörige das sie die Zeichen zuerst nicht sehen oder die Zeichen sehen, sie aber nicht richtig interpretieren. Es kann Jahre dauern bis aus einem "Ärgernis" die Erkenntnis wird "es gibt ein Problem" und noch länger bis sich daraus dann der Gedanke "jetzt hab ich genug, ich bin weg" formt. Die Zeitspanne zwischen Deinem aufhorchen und der Endkonsequenz ist die Zeit Deiner "Co-Abhängigkeit". Du hättest in dem Moment gehen können als Du das Problem zuerst bemerkt hast aber da konntest Du noch nicht. Gründe dafür sind so vielschichtig und wichtig/unwichtig wie die Gründe eines Alkoholabhängigen. Kinder, jahrelange Beziehung, Liebe etc

    Und wie genau diese Zeit aussieht hat kein bestimmtes Muster das bei jedem co-abhängigen greift aber es gibt natürlich Ähnlichkeiten.

    Dazu gehören mitunter die Manipulationsversuche oder der Dominanzkampf untereinander. Deine Auflistung hört sich an als ob Dein Partner dominant wäre und damit meine ich nicht schreien oder schlagen. Die Punkte die Du auflistest sind mir durchaus vertraut aber ich sehe sie eher als "fallout" also konsquenz einer co-abhängigkeit, sie sind nicht die Definition. Die ruhige Maus spielen, keinen Ärger provozieren, um Aufmerksamkeit heischen...das sind alles ernste Dinge aber sie sind keine co-abhängigkeit.

    In co-abhängigkeit ist die Problematik ein Drittfaktor der von außen wirkt. Wenn Dein Mann ein Schläger ist und Du das hinnimmst bist Du nicht co-abhängig, das könnte auch einfach nur seine "Art" sein. Aber Wenn Deinem Mann, normalerweise eine liebe Seele, im betrunkenen Zustand öfter mal die Hand ausrutscht und Du das hinnimmst immer wieder verzeihst und bei ihm bleibst, dann BIST Du co-abhängig. Und wenn er immer wieder sagt (wenn der Rausch vorbei ist) das es ihm leid tut und er es bereut ändert das ja nichts daran das es wieder passiert sobald er zur Flasche greift. Und wenn er es nicht lassen kann zu trinken....wird sich auch nichts ändern. Solche Menschen "wollen" nicht geschlagen werden aber sie sehen es als unabwendbar an.....und wenn der verantwortlicher Faktor eine Abhängigkeit ist, dann bist Du co-abhängig.

    Kannst Du ihn nicht verlassen wegen der Kinder? Oder weil Du finanziell abhängig bist? Verbietet Dir Deine Religion oder die Familie eine Trennung?

    Dein Partner hat den "Impuls" zu trinken. Das mag für ihn selbst völlig unverständlich sein. Er kann es nicht begründen oder will es vielleicht selbst nicht. Aber er tut es trotzdem. Er ist abhängig.
    Du siehst diesen Zusammenhang und verstehst die Auswirkung auf Dich selbst. Möchtest das zwar ändern aber erkennst das Du machtlos bist. Trotzdem bleibst Du bei ihm (oder ihr). Du bist co-abhängig.

    Wie sich das ganze zeigt, ob Du das Thema totschweigst oder bewußt wegschaust wenn er zur Flasche greift, räumliche Distanz suchst oder mehr Nähe suchst ist von Mensch zu Mensch und Beziehung zu Beziehung verschieden.

    Ich selbst habe immer das Gespräch gesucht, schon bevor ich ein Problem gesehen habe. Einfach reden und mit meiner Frau zusammen sein. Meine Eltern hatten eine "altmodische" Beziehung. Der Mann hatte das Sagen und Probleme wurden entweder totgeschwiegen oder hinter verschlossenen Türen "geregelt". Obwohl so altmodisch ist das wahrscheinlich gar nicht...Ich suche auf alle Fälle das Gespräch und wenn sich der Zustand nicht ändert werde ich auch gerne mal "pushy" soll heißen ich lass nicht locker und fang immer wieder davon an. Aber es gibt auch Themen bei denen "der ganze Stress" das nicht wert ist richtig? Farbe der Vorhänge etwa. Oder auch was für ein Auto wir uns kaufen. Oh Du findest ich trinke zuviel? Na das ist dann wohl DEIN Problem denn ICH finde ich habe alles im Griff und Du hast keine Ahnung aber zum Glück bin ich ich und Du Du und Du hast mir nichts zu sagen.

    Was ist hier die richtige Verhaltensweise? Konfrontieren oder ignorieren?

    Vollkommen egal. Du bist in beiden Fällen co-abhängig wenn Du bleibst.

    Die Frage ist immer wieviel Wert Du der Sache beisteuerst und wieviel Toleranz Du aufbringen kannst. Wir reden hier von Beziehungen also so ziemlich eines der wertvollsten Dinge die man haben kann, wenn Liebe mit im Spiel ist. Eine Konstante im Fall co-abhängigkeit ist wohl Adaption. Und damit meine ich das Du versuchst mit einem Zustand zu leben mit dem Du unglücklich bist. Rationalisierung oder selbst-täuschung das sind alles Versuche etwas "kleinzureden" oder unter den Teppich zu kehren.

    Problematisch weil das für viele Dinge gilt und wir meist nur im Rückblick erkennen ob das damals wirklich ein Problem war oder nicht.

    Dein Satz

    Zitat

    Oder gibt es auch Partner, die nicht coabhängig sind und diesem Mechanismus widerstehen?

    macht also nicht wirklich Sinn weil Du entweder bist oder nicht bist. Du kannst nicht "wiederstehen". Du kannst den Zustand nur beenden indem Du gehst aber dann bist Du auch kein Partner mehr. Solange Du bleibst BIST Du co-abhängig. WIE genau Du die Zeit verbringst in der Du darauf wartest das Dein Partner zur Besinnung kommt, das sind die Dinge die Du auflistest. Wichtig ist zu realisieren das es ein Problem gibt. Und wie Du dann vorgehst ist Deine eigene Geschichte. Wie lange kannst Du warten? Wieviel ist für Dich noch "akzeptabel"?


    Vor meiner eigenen Co-abhängigkeit habe ich von der Thematik gewusst, dachte auch das ich verstehe worum es geht aber wie brutal das wirklich ist.....das weiß ich erst seit ich drin bin. Das es zwei Leben zerstört. Das es etwas ist, dem Du Dich einfach nicht entziehen kannst. Ich verstehe die Motivation meiner Frau zu trinken nicht aber die Auswirkung auf mich, das verstehe ich und ich kann nur hilflos dastehen und versuchen das irgendwie zu handhaben...zumindest eine Weile denn wie gesagt....wir laufen nicht gleich weg sobald mal etwas "schwierig" wird.

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