Hallo Ihr Lieben,
mein Name ist Nicole u. ich bin 41 Jahre alt. Aufgewachsen bin ich bei meiner Mutter. Sie trinkt seit meiner Kindheit. Ich glaube, alles hat mit der Trennung von meinem Vater angefangen.
Sie trank mal mehr mal weniger, hatte wechselnde Partnerschaften die teilweise von Gewalt gegenüber ihr geprägt waren. Sie schleppte mich in Kneipen und die Männer kamen nachts. Ich hatte also schon sehr früh Angst um Mama und mein Leben. Irgendwann lernte sie dann jemanden kennen, mit dem sie wieder eine feste Partnerschaft einging. Das war aber nicht besser. Denn dann suchte sie sich einen Job in einer Gaststätte. Gearbeitet hat sie nämlich immer.
Es nahm eben seinen Lauf, nächtliche Streitereien, Alkohol, Trennung, Totalausfälle meiner Mutter, neuer Mann und das Rad drehte sich wieder von vorn. Ich musste mich um alles alleine kümmern. Meine Schule, meine Ausbildung. Ich hatte keinerlei Unterstützung.
Trotz allem wollte ich nie weg von meiner Mutter. Mein Verhältnis zum Vater war sehr kühl. Ich hatte Essen und Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Und manchmal hatte ich auch die Mutter, die mir zugehört hat. Ich hatte ein fast freundschaftliches Verhältnis zu ihr. Irgendwann habe ich es mehr ausgehalten. Als sich die erste Gelegenheit ergab, das war kurz vor meinem 18 Geburtstag, zog ich aus.
Das Verhältnis war danach immer noch sehr schwierig. Wenn es Ärger mit ihren Typen gab, ruf sie mich an oder ihre Typen rufen mich an und hackten auf ihr rum. Ich hatte nie Ruhe. Aber auf einmal konnte ich nachts durchschlafen. Es gab keinen Streit mehr. Die Sorge um sie blieb aber. Bis heute.
Als ich dann etwa 30 Jahre alt war, bekam ich Ängste. Das steigerte sich über die Jahre. Bis sie vor ca. 2 Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatten. Ich konnte nicht mal mehr einkaufen gehen. Vor lauter Existenzängsten schaffte ich es aber immer zur Arbeit. Ich begann sehr früh eine Therapie und die Ängste waren dann auch mal kurz weg. Aber das Verhältnis zu meiner Mutter verschlechterte sich zunehmend. Denn jetzt wurde mir langsam klar, wo das her kam. Ich hatte aber immer den Wunsch - und habe ihn bis heute, dass Mama aufhört und wir wieder ein gutes Verhältnis haben können oder, dass ich zumindest so weit von ihr abgrenzen kann, dass ich das gute Verhältnis wieder haben kann.
Jahrelang bin ich das Thema mit meiner Mutter nicht angegangen. Seit es mir vor zwei Jahren so schlecht ging, habe ich mich wieder ein wenig darauf eingelassen und gehe jetzt auch zur Angehörigenberatung der Diakonie. Aber irgendwie finde ich keinen guten Weg für mich.
Der Kontakt zu meiner Mutter ist sehr selten und wenn dann nur telefonisch. Erstens ist der körperliche Verfall kaum zu ertragen und zweitens komme ich mit ihrem aktuellen Partner (ebenfalls schwerer Alkoholiker) nicht klar. Für Weihnachten und Geburtstage lasse ich mir immer irgendwelche Ausreden einfallen und wenn ich sie mal wieder betrunken am Telefon habe, mache ich ihr ungewollte Vorwürfe...ich weiß ja, dass es nichts bringt...aber es kommt eben so aus mir raus.
Nun zur aktuellen Situation. Meine Mutter ist heute 67 Jahre. Raucht sehr viel und trinkt. Vor einigen Wochen hat sie ihre beiden Hunde verloren. Das war sehr schlimm für sie. Außerdem hat sie ihren Nebenjob verloren. Auch das ist für sie kaum zu ertragen, da sie nicht weiß, was sie mit sich anfangen kann. Der Supergau eben. Zusätzlich kam dazu, dass sie mir davon berichtete, dass sie ein komisches Kribbeln in den Beinen hätte. Ich schickte sie zum Arzt...wo sie vermutlich nie war. Ich gehe mal davon aus, dass ist was an den Nerven oder hat mit der Durchblutung zu tun.
Ende letzte Woche bekam ich dann einen Anruf von meiner Tante. Meine Mutter sei gestürzt und hätte sich etwas gebrochen. Sie sei im Krankenhaus gewesen und würde sich jetzt weigern zum Arzt zu gehen (meine Tante wohnt nicht in der Nähe). Ich solle sie doch mal anrufen. Das tat ich dann. Ich hatte eine total betrunkene und depressive Mutter am Telefon. Auch das zweite und dritte Telefonat waren nicht besser. Sie kann wohl nicht aufstehen...anscheinend kommt es vom Rücken (glaube ich nicht) und ich denke, es kam eben mal wieder alles zusammen und sie ist jetzt total überfordert und ertränkt wieder alles. Ich habe vor jedem Anruf starke Angst. Am Wochenende habe ich all meine Kraft zusammen genommen, und nicht angerufen. Sie ist ja nicht alleine, hab ich mir dann eingeredet. Für mich ist diese Situation kaum auszuhalten. Ich habe 24 Stunden Gefühlschaos. Ich denke: "Sie säuft jetzt so viel, dass sie stirbt." oder "Wenn sie sich nicht bewegt, wird sie zum Pflegefall.", "Wohin dann mit so einer Mutter?" usw. Außerdem plagt mich ein schlechtes Gewissen. Ich müsste ihr doch jetzt helfen. Kann es aber nicht, weil ich sie so nicht ertragen kann. Tausend Gedanken. Dann überlege ich mir wieder, ob jetzt vielleicht der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ihr die Pistole auf die Brust zu setzen. Also entweder Alkohol oder ich muss den Kontakt abbrechen. Ich habe Angst, dass sie jetzt total abstürzt und weiß keinen Rat, was ich dann mit ihr machen soll.
Kennt ihr das und wie würdet ihr damit umgehen?
Erstmal vielen Dank für Eure Geduld beim lesen...aber manchmal hilft es ja auch, sich die Dinge von der Seele zu schreiben und dann schon mal ganz lieben Dank für Eure Antworten.
LG
Nicole