Meine Mutter ist Krank

  • Hallo,

    ich (30) brauche Hilfe, bzw. einen Rat. Meine Mutter (52) ist meines Erachtens Alkoholkrank und das schon seit vielen Jahren. Wie lange kann ich gar nicht mehr genau sagen. Ich denke aber, dass dies alles mit der Pflege von meinen Großeltern angefangen hat. Meine Großeltern haben mit im Haus gewohnt und meine Oma war seit dem ich ca. 12 Jahre war an Demenz erkrankt. Wir wohnten alle in einem Haus – meine Großeltern im EG und meine Eltern, meine Brüder und ich im 1. Stock. 2011 war die Demenz schon sehr weit fortgeschritten, dass ich damals meiner Mutter bei der Pflege geholfen habe. Wir haben sie gebadet, gewaschen, gefüttert usw. 2010 ist mein Opa an Speißenröhrenkrebs erkrankt. Meine Oma kam im August 2011 für 2 Wochen in die Kurzzeitpflege. Dies haben wir schon immer über die Jahre so gemacht, damit wir in den Urlaub fahren konnten. Leider ist meine Oma in dieser Zeit verstorben. Mein Opa ein Monat später, im September 2011. Meine Mutter trinkt teilweiße heimlich im Keller, aber auch steht ab mittags immer eine offene Bierflasche in der Küche. Ich weiß nicht wie viel sie trinkt, aber in unserem Beisein sind es sicherlich 3 – 4 Flaschen + die heimlichen im Keller. Wir – mein Vater und meine Brüder – haben meine Mutter bisher noch nie darauf angesprochen. Ich selbst trinke kaum Alkohol, Ausnahmen Geburtstag oder Silvester. Aber für mich selbst merke ich, wie sehr es mich belastet. Oft wenn wir am Abend reden, ich wohne noch immer im Elternhaus, aber in einer eigenen Wohnung, bin ich genervt von ihr bzw. ekel ich mich vor ihr wenn ich den Alkohol rieche. Dann fühl ich mich wieder noch schlechter, dass ich so darüber denke. In letzter Zeit habe ich immer mehr denk Gedanken, dass es so nicht weiter geht. Es mir selber damit nicht gut geht, es mich fertig macht diese Situation.

    Was soll ich am besten machen?
    Gruß Nadine

  • Hallo Nadine,

    erst mal herzlich Willkommen bei uns im Forum.

    Ich stelle mich mal kurz vor: Ich bin Alkoholiker, Ende 40 und trinke jetzt schon längere Zeit keinen Alkohol mehr.

    Ich will Dir einfach mal meine Gedanken zu Deinen Zeilen da lassen:

    Erst mal finde ich es ganz prima, dass Du Dir in dieser Situation Hilfe suchst. Du bist jetzt hier bei uns im Forum gelandet, vielleicht denkst Du auch noch mal darüber nach ob Du nicht anderweitig noch ein wenig Hilfe bekommen kannst. Es gibt z. B. auch Selbsthilfegruppen für Angehörige. Ob es da was ein Deiner Nähe gibt weiß ich natürlich nicht, wenn Du jedoch eine etwas größere Stadt in Deinem Umfeld haben solltest ist das auf jeden Fall sehr wahrscheinlich.

    Was ich auch sehr gut finde ist, dass Du offenbar auch genau erkannt hast, dass Deine Mutter krank ist. Nämlich Alkoholkrank, wie Du ja selbst schreibst. In wieweit sie jetzt tatsäschlich krank ist, also bereits süchtig oder ob sie sich vielleicht noch in einem Stadium des Missbrauchs befindet, kann ich nicht beurteilen. Da Du aber ja von vielen Jahren sprichst, wo dieses Problem auftritt, ist die Wahrscheinlichkeit einer Sucht natürlich stark gegeben.

    Du hast eine gute Einschätzung der Lage wenn Du schreibst, dass Du nicht weißt wieviel sie trinkt. Denn, es ist sicherlich so wie Du denkst, die 3 - 4 Bier die Du /Ihr sichtbar mitgekommt sind sicherlich nicht alles. Es ist gut möglich, dass diese sogar nur die Spitze des Eisbergs sind. Ich nehme da mal Bezug auf mich selbst. Ich trank größtenteils heimlich. Wenn man mich mal mit einem Bier gesehen hat, dann meist zu entsprechenden Gelegenheiten, also z. B. eine Familienfeier, mal im Urlaub, Silvester ö.ä. Dann aber auch nur mit ein oder maximal zwei Bieren oder mal ein Glas Wein.

    Defakto brauchte ich aber in meiner Glanzzeit mindestens 8 Bier, lieber jedoch 10 oder 12 oder noch mehr. Pro Tag. Und genau diese trank ich auch, aber natürlich heimlich. Deine Mutter geht in den Keller. In den bin ich auch gegangen. Da das auf Dauer aber sehr auffällig geworden wäre, hatte ich noch ganz viele andere Verstecke. Im Garten, im Auto, im nahegelegenen Wald usw. Und natürlich habe ich auch jede Gelegenheit genutzt wenn ich außer Haus war. Kein Einkauf bei dem ich auf dem Hin- und Rückweg nicht 3 oder 4 Bier getrunken hätte. Keine Heimfahrt aus der Arbeit, wo ich nicht mindestens 2 Bier im Zug auf die Schnelle getrunken hätte. Was ich Dir sagen will: mach Dir keine Gedanken über die Trinkmengen, sie sind letztlich nicht das Allentscheidende. Entscheidend ist, dass Deine Mutter wahrscheinlich alkoholabhängig ist, ganz egal auf welchem Niveau sie aktuell trinkt.

    Eine Erklärung, wie sie in diese Abhängigkeit gerutscht sein könnte, hast Du ja auch schon parat. Aber dieses Wissen, diese "Erklärung" hilft Dir als betroffenes Kind nicht weiter. Denn, und das sage ich jetzt als Alkoholiker, das alles was Deine Mutter da mitgemacht hat ist kein Freibrief um sich in eine Alkoholsucht zu stürzen. Aber, das will ich auch sagen, es ist eine Erklärung wie es dazu kommen konnte. Überforderung, psychische Belastung, Dauerstress und da kann man dann schon mal auf die Idee kommen sich mit Alkohol zu entspannen. Denn unsere Gesellschaft funktioniert ja genau so. Und die Werbung zeigt uns ja auch, wofür wir den Alkohol so wunderbar verwenden können. Und leider ist es ja auch so, dass der Alkohol temporär gut helfen kann. Aber halt nur temporär, denn Probleme lassen sich nicht wegtrinken, sie bleiben einfach da und warten darauf gelöst zu werden.

    Was kannst Du jetzt machen?

    Erst mal will ich Dir sagen, dass Du einen alkoholkranken Menschen nicht einfach trocken legen kannst. Deine Mutter wird ihre Sucht nur bezwingen können, wenn sie das selbst möchte. Wenn sie lieber trinken möchte, dann musst Du das leider akzeptieren. Denn es steht ja jedem frei sein Leben so zu gestalten wie er möchte. Und Alkohol ist nun mal auch eine ganz legale Droge. D. h. aber nicht, dass Du das Spiel mitspielen musst. Denn auch Du hast das Recht Dein Leben so zu leben wie Du es möchtest. D. h. Du könntest Dich jederzeit abgrenzen, distanzieren und z. B. wo anders hin ziehen, den Kontakt abbrechen usw. ABER, das sind natürlich ganz große Entscheidungen und für mich dann auch die letzten Konsequenzen, die man treffen kann.

    In Deinem Fall ist mir erst mal eines aufgefallen: Du schreibst, dass sie noch niemand angesprochen hat. Das wäre ja nun schon mal der erste wichtige Schritt aus meiner Sicht. Ich finde es auch nur fair, wenn man den Alkoholkranken mit seiner Sucht konfrontiert, damit er/sie mal Stellung dazu beziehen kann. Von dieser Reakion hängt dann nämlich meiner Meinung nach das weitere Vorgehen entscheidend ab. Ich mach mal ein Beispiel:

    Deine Mutter wird konfrontiert. Sie reagiert erschüttert, gibt zu, dass sie sich selbst auch schon starke Gedanken darüber gemacht hat und signalisiert, dass sie so nicht mehr weiter machen will und sich Hilfe holt = schon mal eine nicht ganz schlechte Ausgangslage um eventuell aus der Sucht heraus zu kommen.

    Beispiel 2:
    Deine Mutter wird konfrontiert und rastet aus. Sie beschimpft Euch, erklärt Euch zu Idioten, teilt Euch mit, dass sie ja nur wegen Euch säuft und das sie jederzeit aufhören könnte, wenn sie das wollte aber sie will nicht, weil sie ja gar kein Problem hat = eine richtig schlechte Ausgangslage um aus der Sucht heraus zu kommen.

    Ich hoffe Du verstehst was ich damit sagen will. Um die Sucht zu überwinden braucht es den Willen des Süchtigen. Ist der nicht da, dann ist es nahzu aussichtslos. Und wenn dem so ist, dann kannst Du als Angehörige nur noch auf Dich schauen. Dann musst Du das Spiel entweder mitspielen oder aber Dich lösen und Dein eigenes Leben in die Hand nehmen. Mit allen Konsequenzen. Bei Mutter-Kind konstellationen ist das besonders schwierig. Vielleicht ist ja noch jemand hier im Forum, der genau das auch erlebt hat und schreibt Dir dazu. Jedenfalls fände ich es wichtig, Deiner Mutter erst mal klar zu machen, wie Du / Ihr die Lage beurteilt und sie mal zu fragen, was sie dazu zu sagen hat. So eine Konfrontation kann ja auch was bei ihr bewirken, muss aber natürlich nicht.

    Eine Frage hätte ich noch: Was ist denn mit Deinem Vater und Deinen Brüdern? Wie stehen die denn dazu? Wäre es nicht auch ein wenig die Aufgabe Deines Vaters ein Gespräch mit Deiner Mutter zu suchen? Er hat das noch nicht getan, wenn ich Dich richtig interpretiere. Es wäre sicher auch nicht verkehrt, wenn Du mal ein Gespräch mit Deinem Vater und Deinen Brüdern führen würdest. Damit Du weißt, wie sie die ganze Situation einschätzen. Vielleicht weißt Du das ja schon, ich würde mich freuen, wenn Du dann darüber ein wenig berichten könntest (nur wenn Du magst), dann können wir Deine Situation noch ein wenig besser einschätzen.

    Also, leider kann ich Dir jetzt keine Formel an die Hand geben, was in Deinem Fall zu tun ist. Es ist, wie immer bei dieser Krankheit, ziemlich schwierig und individuell. Und einen Königsweg der immer funktioniert gibt es auch nicht. Weder für Alkoholiker um aus der Sucht heraus zu kommen als auch für Angehörige um mit der Sucht anderer umgehen zu können.

    Ich denke darüber reden, Anregungen von allen Seiten einholen und schauen, was für Dich passt könnte Dich auf jeden Fall ein Stück weiter bringen.

    Auf jeden Fall wünsche ich Dir einen guten Austausch hier im Forum. Und ganz viel Kraft für Deinen weiteren Weg.

    LG
    gerchla

  • Hallo Nadine,

    ich war selbst viele Jahrzehnte mit der Sucht meiner Mutter konfrontiert.

    Aus verschiedenen Gründen habe ich für mich selbst eine Therapie gemacht,
    um dann völlig überrascht zu begreifen, wie sehr meine eigenen Probleme
    mit dieser NICHT besprochenen Sucht in meinem Elternhaus zu tun hatten.

    Es gibt dazu das Stichwort "Erwachsene Kinder aus suchtkranker Familie".
    https://nacoa.de/infos-f%c3%bcr…s-suchtfamilien

    Mich hat es sehr entlastet, mich in den Erfahrungsberichten anderer
    Betroffener wieder zu finden. Ich fühlte mich nicht mehr so gespalten zwischen
    meinem ehrlichen Widerwillen (Ekel wegen des Alkoholgeruchs) gegen die
    Sucht, und der Liebe für meine Mutter in ihrem Wesen.

    Trotzdem habe ich einige Jahre (!) Anlauf gebraucht, mich selbst von falscher
    Verpflichtung zu ihrem "Schutz" (vor Beschämung) frei zu machen und sie klar
    auf ihr Problem anzusprechen.

    Aus meiner Sicht 'schonte' ich sie und ihr Selbstbild, indem ich ihr nicht 'vorwarf',
    dass sie trinkt. Das Glas Wein auf der Küchenarbeitsplatte war für mich als Kind
    schon normal. Und ich kannte keinen anderen Ablauf am Wochenende. Meine
    Mutter kochte aufwendige Gerichte, meine Eltern schätzten gute Weinsorten, es
    lief immer völlig harmonisch ab. Nachmittags schlief meine Mutter einige Stunden,
    auch das kannte ich von ihr nicht anders.

    Mich dann vor diese Frau hinzustellen und es heraus zu bringen, das "böse Wort"
    Alkohol-Sucht. - Undenkbar. Irgendwann habe ich es dann mit einem Brief geschafft.
    Ich lebte da schon länger in einer anderen Stadt.

    Was Dir Gerchla aus der Sicht eines genesenden Alkoholikers schreibt, trifft zu!


    Ich finde es auch nur fair, wenn man den Alkoholkranken mit seiner Sucht konfrontiert, ...

    Erst heute begreife ich, dass das nichts mit Beschämung (durch mich) zu tun hat.
    Viele Süchtige wagen nur lauwarm, sich einzugestehen, dass sie "es" nicht mehr im
    Griff haben. Eine Konfrontation könnte da ihre Wahrnehmung stärken und ihnen helfen,
    sich und ihr Problem ernst genug zu nehmen, um sich Hilfe zum Suchtausstieg zu holen.

    Mir war nie bewusst, dass das "drüber weg sehen", ausweichen, sich arrangieren, nur
    um es NICHT aussprechen zu müssen (dem Süchtigen nicht das Gesicht nehmen zu
    müssen), tatsächlich auch den Selbstbetrug und damit die Schädigung der eigenen
    körperlichen und geistigen Gesundheit unnötig verlängert.

    Deshalb würde ich Dir auch raten, Deiner Mutter mitzuteilen, wie Du selbst sie erlebst,
    wenn sie ihr Bier trinkt oder danach. Welche Gefühle Du in diesem Miteinander dann
    hast. Dass Du Dich schwertust, ihr dann näher zu sein (Geruch) oder selbst von Dir
    zu sprechen. - Was immer Deiner Wahrnehmung und Deiner Wahrheit entspricht ... :)

    Meine Mutter hat sich nicht über meinen Hinweis freuen können und mich sehr sach-
    lich darauf aufmerksam gemacht, dass sie auch keinen Bedarf an Informationen zur
    Genesung habe. - Das half mir damals, dann wirklich innerlich Abstand zu nehmen.

    Soviel erstmal zu Deiner Gegenwart. Der erste Schritt ist Ansprechen allemal!
    UND Dich mit Deiner eigenen Seite im Suchtgeschehen (als Kind) auseinander setzen.
    Obwohl meine Mutter mich liebt, HABE ich sehr eigenartige Strategien "gelernt", mich,
    meine Gefühle und Bedürfnisse einer Situation oder Person zuliebe abzuschwächen.

    Achte darauf, dass Du Deine eigene Ehrlichkeit nicht dem scheinbaren "Schonen"
    Deiner Mutter unterordnest. Für sie ist Unehrlichkeit keine Schonung, sondern mehr
    psychischer und körperlicher Schaden. Das co-abhängige System Familie aber trägt
    unausgesprochen der Gedanke, man dürfe nicht an der Sucht rühren. - Für alle fatal.

    Also, ran an die Ehrlichkeit, ... und das mit aller Muße, die Du dafür brauchst.
    Auch die eigenen Ängste um den Kontakt, ob/wie er dann noch fortbesteht, reisen ja mit.
    Deshalb würde ich mir genügend Zeit lassen, bis ich selbst stark genug bin, notfalls
    meinerseits alles zu tun, um selbst nicht Schaden am gemeinsamen Leugnen zu nehmen.

    Viel Mut und Rückendeckung (durch Gruppen für Angehörige) wünsche ich Dir!
    Es ist ein Akt der Liebe, dem Süchtigen die Wahrheit über seine Situation zugänglich
    zu machen, damit er wählen kann, ob er sich selbst (und möglicherweise die Familie)
    weiter schädigen will.

    Liebe Grüße
    Wolfsfrau

  • Hallo Gerchla, hallo Wolfsfrau,

    vielen Dank für eure Zeilen. Die haben mich gerade tatsächlich zum Weinen gebracht

    Vor so Selbsthilfegruppen habe ich ehrlich gesagt Angst. Wird es sicherlich etwas in München (nächst größere Stadt) geben.

    Genau Gerchla. Bisher haben wir meine Mutter darauf nicht angesprochen. Meine Eltern sind super Eltern, sie machen und würden auch alles für uns machen. Meine Geschwister, ich und sogar unsere Freunde kommen super mit den beiden klar. Aber Probleme ansprechen? Das gibt es bei uns nicht und wurde auch noch nie gemacht. Nur nicht die „heile Welt“ kaputt machen. Daher haben weder mein Vater, noch meine Brüder bisher über das Thema gesprochen.

    Mich hat die Zeit mit der Pflege von meiner Oma auch sehr belastet. Es ist nicht schön, einen Menschen so abbauen zu sehen, der früher für dich nach der Schule gekocht hat, mit dir Hausaufgaben gemacht hat usw. Ich habe soweit ich mich zurück erinnern kann, schon immer Gewichtsprobleme. Diese habe ich vor 3 Jahren mal relativ gut in den Griff bekommen. Davon bin ich im Moment aber wieder weit entfernt. Meine Jugend bis jetzt besteht fast nur aus zunehmen und abnehmen an Gewicht. Es heißt zwar immer, die Schönheit kommt von innen, aber letztens musste ich wieder feststellen, es wird sich viel auf das Gewicht bezogen.

    Wolfsfrau: Dein zweiter Absatz spiegelt mich glaube ich wieder. Ich merke im Moment, dass ich nicht zufrieden hab, dass irgendwas nicht stimmt. Und ich denke es hat was mit der nicht besprochenen Sucht zu tun. Oder mit mir selbst, ich weiß es nicht. Ich wohne ja noch im Elternhaus, aber direkt ansprechen? Das trau ich mich nicht.

    Vielen Dank euch zwei.
    Gruß Nadine

  • Guten Morgen Nadine,

    ich möchte noch ein paar Anmerkungen zu Deiner Situation machen.

    Zitat

    Aber Probleme ansprechen? Das gibt es bei uns nicht und wurde auch noch nie gemacht. Nur nicht die „heile Welt“ kaputt machen.


    Das kenne ich sehr gut. Aus meiner eigenen Kindheit und Jugend. Mein Vater hat sein Leben lang kritisch getrunken. Er war und ist immernoch einer von denen, die (solange ich denken kann) Alkoholmissbrauch betreiben, jedoch nie komplett in die Sucht abgerutscht sind. D. h. es gab Zeiten, da war es wirklich schlimm und er kam täglich mehr oder weniger betrunken nach Hause und dann wieder Zeiten, wo er zwar auch trank, jedoch wesentlich weniger und, ich sage jetzt mal, sehr verträglich war.

    Auch konnte er immer verzichten, wenn er das musste. Also z. B. weil er noch Auto fahren musste oder so. Aber, es gab eben Zeiten, wo sein Konsum durchaus ein Problem war für uns in der Familie. Und, genau wie Du es von Dir beschreibst, es wurde NIE thematisiert, nie angesprochen. Auch andere, "ganz normale " Probleme wurden nicht thematisiert. Unsere Familie hat immer alles irgendwie im Griff gehabt, vermeintlich. Ich erinnere mich daran, dass mein Opa (sein Vater) mal zu mir sagte: Sag doch deinen Vater mal er soll nicht soviel trinken! Da war ich Jugendlicher. Sein eigener Vater hatte nicht den Mum es ihm zu sagen....

    Tatsächlich habe ich dann bei der Aufarbeitung meiner eigenen Sucht dieses Verdrängen von Problemen als einen Grund für mein eigenes Abrutschen gesehen. D. h. ich habe es nicht gelernt mit Problemen umzugehen, sie anzusprechen, sie zu lösen. Denn es gab ja keine und wenn dann wurden sie ignoriert. Und um mir Ruhe und Entspannung zu verschaffen trank ich dann halt. Und tatsächlich dachte ich oft, wenn ich meinen Pegel hatte, alles wird gut werden. Bis zum nächsten Morgen. Und so kam es dann eben zu diesem Kreislauf. Das ist jetzt sehr vereinfacht und natürlich war das bei mir bei weitem nicht der einzige Grund, weshalb ich in die Sucht gerutscht bin. Das ganze ist viel komplizierter. Aber dieses Probleme ignorieren war schon ein wichtiger Punkt.

    Ich würde Dir empfehlen, Dich wirklich erst mal ganz offen mit Deinem Vater und Deinen Geschwistern auszutauschen. Redet doch Ihr erst mal untereinander miteinander! Schau mal was da dann passiert, wie sie damit umgehen. Ihr habt ein gutes Verhältnis, wenn ich das richtig interpretiere. Da kann man doch mal offen miteinander sprechen. Vielleicht musst da nicht so einsam und allein an die Sache ran gehen. Vielleicht könnt Ihr auch gemeinsam etwas erreichen.

    Was eine reale SHG betrifft: München, na das ist doch wunderbar! Eine große Stadt, ein gutes Angebot. Lass Deine Ängste sausen, Du bist jetzt hier doch auch in einer SHG. Dort sitzt Du dann zwar den Menschen real gegeüber, aber das sind doch alles Menschen, die Dein Schicksal teilen. Und genau darum kann dieser Austausch für Dich so wertvoll sein. Und, wenn Du Dich wirklich nicht wohl fühlst, dann zwingt Dich doch niemand da wieder hin zu gehen. Ich glaube halt, dass Du wirklich jede Hilfe brauchen kannst. Deine Mutter ist süchtig, Du bist das Kind einer Alkoholikerin, sowas ist ja keine Lapalie. Das ist doch etwas, was extrem belastet, wo man lernen muss, wie man damit umgehen kann um keine dauerhafte Belastung für das eigene Leben zu haben.

    LG
    gerchla

  • Hallo Nadine,

    Danke für Dein Vertrauen! Ich glaube, dass ich sehr gut kenne, was Du von Dir schreibst.

    Wolfsfrau: Dein zweiter Absatz spiegelt mich glaube ich wieder. Ich merke im Moment, dass
    ich nicht zufrieden hab, dass irgendwas nicht stimmt. Und ich denke es hat was mit der nicht
    besprochenen Sucht zu tun. Oder mit mir selbst, ich weiß es nicht. Ich wohne ja noch im
    Elternhaus, aber direkt ansprechen? Das trau ich mich nicht.


    Auch meine Eltern waren/sind sehr gewissenhaft, leistungsbereit und zuverlässig.
    Man muss über Sucht erst sehr viel lernen - und erklärt bekommen! deshalb SHG -
    um zu begreifen, wie das alles genau mit Deinem/meinem Problem als Kind aus
    solchem Haushalt zusammenhängt.

    Niemand ist da "gemein" oder "versagt". Das macht es ja so schwer, der eigenen
    Wahrnehmung und dem Unbehagen zu vertrauen. Ich fühlte mich lange wie eine
    Verräterin, "es" überhaupt über die Grenzen des Hauses hinaus irgendwo, NUR
    FÜR MICH UND MEINE ERLEICHTERUNG jemandem zu erzählen.

    Warum? Weil ein Gebot aus einer sucht-belasteten Familie heißt: Du sollst nicht
    merken oder offen über Gefühle sprechen. Eltern haben das oft selbst nicht gelernt.
    Verrückt genug, dass Sucht vielfach genau deshalb überhaupt entsteht. Weil es nie
    einen offenen Umgang mit Gefühlen gegeben hat. Trost und Beruhigung bei Stress,
    Angst oder Überforderung muss also anders erreicht werden. Drogen, Alkohol und
    Essen sind da - seelisch betrachtet - gar nicht so weit auseinander.

    Dein Thema mit dem Gewicht hatte ich so genau auch! - Schon seit ich kleines Kind
    war. Essen als Versuch, sich stabiler zu fühlen, Trost oder Beruhigung für bedrohliche
    Gefühle (wie Wut, Unzufriedenheit, zu kurz kommen) zu schaffen, war und ist da bei
    mir ein Thema. In gewisser Weise ein verdrehter Versuch, für mich selbst da zu sein.

    Selbst-Fürsorge ist eine Tugend, die ich erst ganz langsam kennen lernen musste.
    Dazu gehört unbedingt, Vertrauen in die eigenen Gefühle zu lernen. Wir haben keinen
    besseren Kompass, um zu begreifen, wo wir gut aufgehoben sind und wo etwas fehlt.

    Dieses Fehlende ist schwer auszudrücken, eben weil wir nicht wissen, was es ist.
    Nicht drüber sprechen = Leugnen (das macht auch andere eigene Gefühle stumpf)
    Sich nicht in Ordnung fühlen = Druck, Scham, Überforderung, Verwirrung, Ängste, ...

    Wo ich das gerade so alles aufzähle, wird mir selbst nochmal deutlich:
    Meine Schwere und Verwirrung, bis zur Verzweiflung damals, die war meine Antwort auf
    den Druck "sprich (bitte) nicht darüber". Über das was Du siehst, fühlst, möchtest.

    Was ich sah: Eine traurige Mutter, einen betretenen Vater, ... vor beiden ein Glas Wein.
    Was ich fühlte: Angst, Ohnmacht, Wut (dass niemand mich anhören wollte oder ansah)
    Was ich wollte: Ansprache! Jemanden, der mir meine Gefühle erklären könnte

    - zum letzten Punkt: Das fand ich in der SHG, und auf sehr anteilnehmende, liebevolle
    Weise. Allein, indem ich Geschichten anderer erwachsener Kinder anhörte, oder auch von
    Partnern süchtiger Personen. Das hat mir so sehr geholfen, nicht mehr MICH falsch zu
    fühlen. (Nur weil ich mein inneres Chaos, den Druck, nicht allein auflösen konnte. Das
    war mit den fehlenden Mitteln ja gar nicht möglich, damals!)

    "Ängste sausen lassen" ist ein hervorragendes Stichwort dazu! :)
    (Das gerchla eben schrieb.)

    Ich schreibe das einfach so nieder, damit Du nehmen kannst davon, was Dir weiter hilft.
    Den Rest lass einfach liegen. - Mach Dir nicht unnötig Druck, davon hast Du genug. :blumen2:

    Liebe Grüße
    Wolfsfrau

  • Vor so Selbsthilfegruppen habe ich ehrlich gesagt Angst.

    Wovor? Das da Leute sind, die doch tatsächlich die gleichen Probleme haben/hatten? Und vielleicht auch noch Tipps und Ratschläge geben können, weil sie eben diese Probleme selbst schon gemeistert haben/meistern mussten?

    Davor braucht man keine Angst zu haben. Man sollte nur Angst davor haben, Probleme nicht meistern zu können, weil man Hilfe nicht angenommen hat - denn dann kommen oft Menschen zu schaden (man selbst und/oder andere).

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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