Heute ist mein 5. Tag ohne Alkohol... (Selbstentzug)

  • Hallo und schönen Abend Zusammen!
    Bevor ich mich kurz vorstellen und meine aktuelle Situation näher beschreiben werde, möchte ich mich vorab erstmal dafür bedanken, dass es überhaupt so ein Forum mit so tollen Mitgliedern gibt, die anderen zusprechen und helfen. Respekt an allen aktiven Mitgliedern und Autoren! 44.

    So, nun zu mir: Ich bin 47, arbeite als Führungskraft im Vertrieb und bin allgemein sehr sportlich und achte auch auf eine weitgehend gesunde Ernährung sowie auf ein attraktives Äusseres.
    Trotzdem habe ich offenbar ein grosses Problem mit Alkohol. Diese Erkenntnis traf mich vor 5 Tagen wie ein Blitzschlag und ich habe quasi im Schockzustand beschlossen, sofort erstmal für unbestimmte Zeit abstinent zu bleiben. Heute ist der 5. Tag an dem ich keinen Alkohol getrunken habe!

    Zum besseren Verständnis muss ich Euch meine Vergangenheit schildern:
    Ich war noch nie ein Kind von Traurigkeit und war als Teenager und junger Mann viel auf Partys und in Clubs unterwegs. Dort wurde immer viel getrunken und so kam es, dass meine Freunde und ich oft jedes Wochenende "blau" waren. Dies zog sich viele Jahre hin, bis ich meine erste feste Lebenspartnerin kennenlernte und dann etwas ruhiger wurde. Trotzdem habe ich während dieser Partnerschaft fast täglich Bier getrunken... das Pensum lag zwischen 1-3 halbe Bier täglich. Ich hielt dieses Trinkniveau über viele Jahre hinweg konstant.
    Am Wochenende sind wir oft mit Freunden ausgegangen, wo es dann regelmässig auch immer zu verstärktem Alkoholkonsum und Rauschzuständen kam.

    Tagsüber habe ich so gut wie nie Alkohol getrunken. Harte Sachen waren bei mir immer tabu. Ich "liebte" mein Bier und dachte mir nichts dabei. Während dieser ganzen Zeit betrieb ich immer regelmässig Sport (Fitnessstudio, Laufen, Snowboarden etc.) und war körperlich meistens in einer sehr guten Verfassung. Auch meine Leberwerte, die ich zweimal jährlich im Zuge eines Gesundheitscheck prüfen lies, waren immer im normalen Bereich.

    Inzwischen sind über zwanzig Jahre vergangen, an denen ich täglich "mein Bier" getrunken habe. Vor einigen Jahren bin ich von 0.5 auf 0.33 Flaschen umgestiegen und habe fast täglich ein Sixpack geleert, immer abends nach Feierabend oder nach dem Sport.
    Meine (verschiedenen) Partnerinnen haben aufgrund unterschiedlicher Arbeitszeiten davon nur wenig bemerkt.

    Ich glaube, ich habe mich schon vor langer Zeit zum Pegeltrinker entwickelt, was mir aber überhaupt nicht bewusst war! Ich fühlte mich meistens psychisch und physisch sehr gut und hatte keinerlei gesundheitlichen Probleme. Ausserdem kannte ich immer meine Grenzen und habe nie "nachgeladen", dh. ich war tatsächlich in der Lage kontrolliert zu trinken.

    Soweit so gut! Leider hat sich vor wenigen Monaten alles plötzlich verändert, es kommt mir jetzt so vor, als wäre ich von einem Tag zum anderen Tag schwerer Alkoholiker geworden!

    Ich glaube es fing an, als ich mit dem Rauchen aufgehört habe.
    (Früher war ich schonmal Raucher, hab dann viele Jahre aufgehört und aus einer Dummheit heraus vor drei Jahren wieder damit angefangen und wieder sehr viel geraucht.) Jedenfalls habe ich vor etwas mehr als zwei Monaten mit dem Rauchen vollständig und sofort aufgehört. Die erste Woche war hart, danach war es easygoing und ich kann mir heute Zigaretten überhaupt nicht mehr in meinem Leben vorstellen. Leider habe ich unbemerkt zeitgleich angefangen, mehr Alkohol zu trinken. Statt einem Sixpack waren es plötzlich manchmal 8 kleine Bierflaschen abends nach Feierabend. Dennoch habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, weil ich eben gefühlsmäßig alles im Griff hatte und ausserdem sportlich Bestleistungen erreichte (Muskelaufbau, sehr athletische Figur mit 47).

    Doch jetzt der Hammer! In den letzten zwei Monaten hatte ich dreimal total die Kontrolle verloren und mich exzessiv (alleine) betrunken.
    Bei den ersten zwei Abstürzen habe ich sogar mit harten Sachen (hab mir mehrere O-saft/Vodka und beim zweiten Absturz mehrere Mojitos gemixt) nachgeladen. Am Dienstag hatte ich meinen letzten Absturz und habe eben total schockiert davon, beschlossen bis auf weiteres abstinent zu bleiben.

    Ich weiss nicht, ob es wichtig ist. Ich möchte es dennoch erzählen. Letzten Sonntag habe ich fürchterlich Zahnschmerzen bekommen und Schmerzmittel genommen. Am Dienstag war ich dann beim Zahnarzt, de mir erstmal Antibiotikum verschrieben hatte, da im betreffenden Zahnbereich Eiter sich gebildet hat. Habe dann wie verschrieben, tagsüber Antibiotikum genommen und abends eine kleine Kiste (10x 0.33l. Pils) und ein Weizen getrunken. Ich konnte es nicht mehr kontrollieren, so als wäre ich gar nicht anwesend.
    Das Antibiotikum nehme ich noch bis Dienstag. Am Freitag, also vorgestern, wurde mir dann unter örtlicher Betäubung der Zahn gezogen.

    So, ich hoffe Ihr könnt mir noch folgen und seit noch nicht eingeschlafen! ;)
    Nun das Problem: Seit Mittwoch bin ich im Selbstentzug. Ich lebe alleine und habe mir zur Sicherheit zwei Weizen kaltgestellt, im Falle dass ich plötzlich extreme Entzugsprobleme bekomme. Ich hatte viel darüber gelesen, welche Gefahren so ein Selbstentzug mit sich bringen kann und hatte auch etwas Angst davor. Nun gut, heute ist der 5. Tag ohne Alkohol und es geht mir bis auf einigen Angstattacken, leichte innere Unruhe ganz gut. Meine Gedanken kreisen allerdings ab abends immer nur um Alkohol.
    Zudem fühle ich mich sehr schlapp und schaffe es nicht zum Sport. Dies kann aber auch an der Zahn OP und dem Antibiotikum liegen.
    Was meint Ihr?

    Können nach dem 5. Tag Entzug noch irgendwelche schweren Entzugssymptome auftreten?
    Wie soll es nun weitergehen? Selbsthilfegruppe? Nochmal Gesundheitscheck beim Arzt?

    Das wichtigste für mich ist, dass ich mein sportliches Ziel und meine Gesundheit nicht aus den Augen verliere. Leider fühle ich mich seit meiner Selbsterkenntnis so erschlagen, dass ich irgendwie kaum zu was fähig bin. Dies kann aber, wie vorher beschrieben, an den Zahnschmerzen, Zahn-OP und dem Antibiotikum oder eben sogar an dem Entzug liegen.

    Vielleicht war ja jemand schon in ähnlicher Lage? Äusserlich alles tiptop (Job, Umfeld, Gesundheit et.) und trotzdem langsam und unbemerkt und dann plötzlich schnell in die Alkoholfalle geraten...

    Ich kann das alles irgendwie noch nicht so richtig fassen und bin immer noch über mich selbst schockiert... besonders übe meine drei Trinkabstürze, die ich so noch nie hatte! nixweiss0

  • Hallo, blueday, und ersteinmal HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: Ich bin Ü50, Berliner, Alkoholiker und seit mehreren Jahren trocken.

    Es ist schonmal gut, dass Du Dir nicht nur Gedanken gemacht, sondern auch die Initiative ergriffen hast.
    Okay, ein kalter Entzug ist definitiv das Letzte was ich raten würde, ist aber nunmehr auch egal.


    Können nach dem 5. Tag Entzug noch irgendwelche schweren Entzugssymptome auftreten?
    Wie soll es nun weitergehen? Selbsthilfegruppe? Nochmal Gesundheitscheck beim Arzt?
    ...
    Vielleicht war ja jemand schon in ähnlicher Lage? Äusserlich alles tiptop (Job, Umfeld, Gesundheit et.) und trotzdem langsam und unbemerkt und dann plötzlich schnell in die Alkoholfalle geraten...

    Mein Rat wäre genau das: zum Arzt und diesem auch genau so von Deiner Alkoholproblematik erzählen. Denn dann kann er genauere Leber- u.a. Werte checken und Dir vielleicht auch schon Tipps geben.
    Und eine SHG zu besuchen kann auch nicht schaden (ich persönlich bin großer Befürworter von SHG).

    Und was Du als "... äußerlich tiptop ..." bezeichnest: In der heutigen Gesellschaft ist nunmal das Klischee verhaftet, dass Alkoholiker diese dreckigen, unangenehmen Typen sind, die schon morgens vor den Geschäften und auf Parkbänken sitzen und saufen.
    Dem isst aber nicht so. Na klar sind auch das Alkoholiker. Aber die Mehrzahl entspricht dem eben nicht: Viele gehen noch arbeiten, haben gute Jobs und haben (zumindest nach außen hin) ein intaktes Umfeld. Und es zieht sich durch ALLE "Schichten". Ich habe alle möglichen Menschen kennengelernt: Lehrer, Polizisten, Hausfrauen, Unternehmer, Politiker, Diplomaten, Elektriker, Ärzte, Therapeuten etc. ... es kann jeden (be)treffen.

    Auf jeden Fall wünsche ich Dir viel Erfolg und Kraft auf dem weiteren Weg und uns allen einen guten Austausch!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen Blueday,

    wenn du schreibst, dass du zunächst mit dem Rauchen aufgehört und anschließend festgestellt hast, dass du im Anschluss daran mehr Alkohol konsumiertest, dann ist das etwas, das auch bei mir so ablief. (So etwas nennt man gemeinhin Suchtverlagerung.)

    Bei mir war der Ausstieg zwar nicht „easy going“, aber absolut nachhaltig.
    Ich erfuhr und erfahre seit Abschluss der „heißen Phase“ eine so enorme Freiheit und Steigerung der Lebensqualität, dass ich Abhängigkeiten nur noch negativ betrachten kann.

    Diese Veränderung im Denken und Empfinden motivierte mich, einige Zeit nach dem Rauchstopp nun ebenfalls den Ausstieg aus der Alkoholabhängigkeit zu versuchen, und er erleichterte Ihn m.E. auch.
    Anders als viele ehemalige Trinker berichten, verändert sich mein Blick auf die Vergangenheit überhaupt nicht. Ich habe viel zu viele Jahre versucht, irgendwie aus meinen Abhängigkeiten herauszukommen, als dass sich da noch irgendetwas verklären könnte. Auf der anderen Seite spüre ich den enormen Gewinn, den der Ausstieg aus den Abhängigkeiten ermöglichte, täglich.

    Sollte deine Erfahrung aus dem Rauchstopp ähnlich sein, dann nutze sie für dein jetziges Vorhaben.
    Bei mir hat das hervorragend geklappt.

    Alles Gute und
    Willkommen im Forum!

    Bassmann

  • Guten Morgen Blueday,

    erst mal herzlich Willkommen im Forum.

    Ich bin ähnlich alt wie Du und mittlerweile schon einige Jahre trocken. Ich kann außer dem Alter kann ich noch einige Parallelen zu Deiner Geschichte feststellen. Ich will mal versuchen darauf einzugehen:

    Zitat

    So, nun zu mir: Ich bin 47, arbeite als Führungskraft im Vertrieb und bin allgemein sehr sportlich und achte auch auf eine weitgehend gesunde Ernährung sowie auf ein attraktives Äusseres.

    Neben dem Alter bin ich auch Führungskraft (aber nicht im Vertrieb), was ich auch zu meiner Trinkerzeit schon war. Ich war auch lange Zeit schlank und anfangs auch sehr sportlich. Entsprechend habe ich mich auch ernährt, nur ein attraktives Äusseres war mir jetzt ehrlich gesagt nicht so wichtig. Das heißt nicht, dass ich herumgelaufen bin wie der letzte Mensch, ich habe dem Äußeren bei mir allerdings nie eine so große Bedeutung gegeben. Ich will damit sagen, dass ich meinen Sport gemacht habe, weil er mir Spaß gemacht hat, nicht weil ich gut aussehen wollte.

    Das ging viele Jahre so, viele Jahre in denen ich bereits süchtig getrunken hatte (was ich aber erst im Nachhin verstanden habe). Mein Trinkniveau war damals mit Deinem sehr zu vergleichen. Vielleicht leicht niedriger. Ich trank jahrelang 1 - 2 Bier und diese fast täglich. Meine Feierabendbierchen. Konnten auch mal 3 werden, konnte auch mal ein Tag ohne dabei sein. Was Du von Deinen Wochenenden berichtest gab es bei mir auch. Allerdings wohl seltener. Ich war sicher nicht jedes Wochenende blau. Es waren eher die besonderen Anlässe, Einladungen bei Freunden ect. wo ich dann mal richtig betrunken war.

    Und so ging das viele Jahre lang. Ich merkte körperlich überhaupt nichts, ich war immer sehr schlank und ich konnte meinen Sport gut machen (Läufer). Psychisch veränderte ich mich bereits, wobei sich das noch in Grenzen hielt. Zumindest war es so, dass mir längere Trinkpausen damals noch gut gelangen, ich aber schon damals immer an Alkohol gedacht habe.

    Im Grunde hätte alles so bleiben können. Ein Trinkniveau, dass nur leicht über dem offiziell als unbedenklich geltenden Niveau lag und ansonsten eigentlich keinerlei Probleme. Wie Du Dir denken kannst, blieb es aber nicht dabei....

    Irgendwann sprach mich meine Frau mal darauf an, ob ich nicht auch der Meinung wäre, dass ich etwas zu viel trinke. Sie meinte eher, ob ich nicht zu regelmäßig trinke, denn ich trank ja quasi jeden Abend meine Bierchen. Ich stimmte ihr zu und versprach einfach nichts mehr zu trinken. Ist ja kein Problem. Nun, es gelang einige Zeit, dann "schlichen" sich die Bierchen wieder in mein Leben. Wieder sprach sie mich an. Wieder versprach ich das regelmäßige Trinken sein zu lassen. Wieder gelang mir eine längere Pause. Doch dann überkam es mich wieder und ich hielt mich für ganz schlau!

    Ich begann heimlich zu trinken. Das war toll! Denn ich trank nun offiziell überhaupt nichts mehr - und wurde dafür gelobt. Heimlich konnte ich mir mein Bier aber trotzdem gönnen. Super Trick!

    Nun, da mich ja keiner mehr beim Trinken beobachtete, konnte ich ja auch mal etwas mehr trinken. So steigerte sich die Menge langsam. Immer wieder mal überkam mich mein schlechtes Gewissen und ich legte eine Pause ein. Aber da war ich schon längst in den Fängen der Sucht. Denn natürlich schaffte ich es nicht, heimlich aufzuhören. Und am Ende jeder Trinkpause erhöhte ich i. R. mein vorheriges Niveau. Immer war da der Gedanke: Na siehst Du, jetzt hast Du wochenlang nichts getrunken, da kannst Du gar kein Problem haben. Und ich holte nach, was ich verpasst hatte.

    Zum Ende hin war ich bei 10 - 12 Bier (0,5 l) und gerne auch mal noch ne' Flasche Wein dazu. Härtere Sachen habe ich nie gemocht, allerdings ging es irgendwann auch hier dann langsam schon los. Nämlich immer dann, wenn mir die Vorräte zur Neige gingen und ich nicht mit einer Ausrede noch schnell zur Tanke fahren konnte. Du kannst Dir vielleicht vorstellen, wie hoch der logistische Aufwand ist, wenn man so eine hohe Trinkmenge heimlich konsumieren will. Besorgen des Stoffs, verstecken, trinken und vor allem auch heimlich das Leergut entsorgen. Das war Stress pur. Ich bin also davon überzeugt, dass ich sicher bald auf harten Stoff umgestieben wäre, alleine deshalb, weil ich dann leichter heimlich solche Mengen hätte trinken können.

    Da war es dann übrigens auch längst vorbei mit Sport, schlanker Figur und gesunder Ernährung. Ich nahm zu wie blöd, meine Haut wurde fahl und war aufgeschwemmt. Wenn ich heute eine Foto von damals sehe, bin ich immer total erschüttert. Für mein Umfeld war das normal, denn diese Veränderung fand ja langsam statt. Körperliche Symptome stellten sich ein, Schmerzen im Bauchraum, Probleme mit dem Darm usw. Das ging auch über Jahre so und hat nicht verhindert, dass ich weiter und in zunehmenden Maße getunken hätte.

    Am schlimmste jedoch war meine psychische Veränderung. Ich war ein psychisches Wrack! Wurde zum Lügner und Betrüger, nur um trinken zu können.

    Ach, nach außen hin war ich ein sehr erfolgreicher und guter Familienvater. Niemand hätte vermutet, das ich ein Alki kurz vorm Endstadium bin. Job lief gut, ich stieg weiter auf und war hoch angesehen. Und eigentlich war ein todunglücklicher Mensch...

    Jetzt vielleicht das Interessanteste für Dich, mein Ausstieg:

    Irgendwann brach mein Kartenhaus zusammen. Ich wollte und konnte nicht mehr. Also beschloss ich endgültig die Reißleine zu ziehen und aufzuhören. Ich wusste, dass es wahrscheinlich meine letzte Chance ist irgendwie wieder auf die Beine zu kommen. Und ich wusste auch, dass ich es ganz anders machen muss als bei den vielen Trinkpausen vorher.

    Also habe ich meiner Frau gegeüber geoutet. Details will ich jetzt mal stecken lassen, es war die Hölle. Dann habe ich mich bei meinem engen Umfeld goutet. Familie und Freunde. Ebenfalls sehr hart. Dieses Outing war aus meiner heutigen Sicht erst mal ein erster und enorm wichtiger Schritt. So, dann bin ich sofort, also bereits am ersten Abend ohne Bier, in eine SHG gegangen. Das war ebenfalls für mich ein komplett richtiger Schritt. Von den Erfahrungen dort profitierte ich enorm, hatte ich doch zu diesem Zeitpunkt selbst noch gar keine eigenen. Ich hatte eigentlich null Schimmer....

    Dann zum Arzt und einen Termin beim Psychologen gemacht. Irgendwie war mir klar, dass ich diesen Ausstieg aus der Sucht nicht mit mir alleine ausmachen kann. Irgendwo habe ich gespürt, dass ich es nicht schaffen werde, wenn ich nur einfach nichts mehr trinke. Denn das wäre ja das Gleiche gewesen wie die vielen Male vorher. Ok, ich hatte mich vorher nicht geoutet aber trotzdem. Ich dachte immer, dass es reicht nichts mehr zu trinken und dass das durch Willenstärke auch möglich sein muss. Pustekuchen....

    Ich merkte also, dass ich unbedingt aufarbeiten musste. Ich musste verstehen, warum ich getrunken habe. Nur dann erschien es mir möglich, länger abstinent bleiben zu können. Ich hatte aber gar keine Ahnung warum ich da so hinein gerutsch bin. Ich meine: schöne Kindheit, tolle Jugend, Schule wunderbar, Familie mit wunderbaren Kindern, keine finanziellen Probleme, keine Schicksalschläge, der Held im Job und einen guten engen Freundeskreis. Ach und "natürlich" keine Krankheiten, immer sehr gesund gewesen. Also wenn jemand KEINEN Grund zum Trinken gehabt hat, dann ich...

    Trotzdem wurde ich zum Säufer. Da musste ich erst mal dahinter steigen. Also folgten viele Gespräche. Mit besagtem Psychologen z. B. aber auch mit meinem besten Freund. Mit einem Mönch, der mir sehr half (ist eine andere Geschichte, es ging dabei aber nicht um Glauben). Und über die Monate, über viele Monate veränderte sich mein Denken langsam wieder. Es switchte von "nass" auf "trocken" - das erreicht man nicht durch nichts mehr trinken. Dazu muss man wirklich an sich arbeiten.

    Deshalb kann ich Dir aus meiner Sicht nur raten, alles an Hilfe anzunehmen was Du bekommen kannst. Das bedeutet nicht, dass Du alle Angebote auf Dauer nutzen musst. Man muss herausfinden, was für einen das Richtige ist. Mein Besuch bei der SHG z. B. , war in den ersten Monaten genau das Richtige für mich. Irgendwann merkte ich aber, dass es mich nicht mehr weiter bringt, dass ich etwas anderes brauche. Jetzt mache ich ganz andere Dinge.

    Noch eins zum Sport, der Dir ja sehr wichtig zu sein scheint. Ich habe bereits einige Monate nachdem ich trocken war daran gedacht, meinen Sport wieder zu beginnen. Zumal ich innerhalb weniger Wochen nur durch die Abstinenz ewig viele Kilo verloren hatte. Da lag es mir nahe, wieder mit dem Laufen anzufangen.

    Ich habe mich dann ganz bewusst dagegen entschieden. Ich wollte ERST meine Sucht aufarbeiten und dann wieder mit dem Sport beginnen. Ich hatte Angst, dass ich mit dem Sport von meiner Sucht ablenke. Denn ich wusste, dass ich dort recht schnell Erfolge haben würde. Das kannte ich aus der Vergangenheit. Ich sah für mich die Gefahr, dass mir diese Erfolge dann so wichtig werden würden, dass die anderen wichtigen Dinge an Bedeutung verlieren. Und ich mein "Glücklichsein" über den Sport definiere. Das wäre fatal für mich gewesen, hätte ich mich doch enorm davon abgelenkt meine Sucht aufzuarbeiten.

    Mittlerweile habe ich meine Sport wieder. Ich laufe regelmäßig, in der Woche zwischen 50 und 60 km und das morgens vor der Arbeit. Jetzt hilft mir mein Sport, meine Gedanken zu sortieren und Anspannung und Stress erst gar nicht entstehen zu lassen. Das ist der Grund warum ich Laufe. Einmal im Jahr laufe ich mit Freunden einen Marathon und meist auch einen Halbmarathon. Das sind die einzigen "Wettkämpfe" die ich bestreite und das auch nur, weil wir sehr viel Spaß dabei haben. Dass ich dadurch keinerlei Gewichtsproblme habe, essen kann soviel ich will und einen durchtrainierten Körper habe ist schön, aber absolute Nebensache. Ich bin einfach nur dankbar, dass ich nach so langer Sauferei überhaupt noch in der Lage bin diesen Sport zu machen. Oft laufe ich lächelnd über die Felder und durch den Wald und denke mir einfach nur: Was bist Du für ein glücklicher Mensch, dass Du das hier so machen kannst..... Und alles nur, weil ich nicht mehr trinke.

    Zitat

    Das wichtigste für mich ist, dass ich mein sportliches Ziel und meine Gesundheit nicht aus den Augen verliere.


    Ich denke, es ist nicht richtig, dass als wichtigstes Ziel zu defnieren, zumindst nicht die sportlichen Ziele. Ich denke Du solltest erst mal Dein Leben wieder in den Griff bekommen. Im Moment scheint ja der Alkohol Dein Leben zu dominieren. Wenn er das weiter tut, wirst Du Dich wahrscheinlich sowohl von Deiner Gesundheit als auch von Deinen sportlichen Zielen verabschieden können.

    Vielleicht war die ein oder andere Anregung für Dich dabei.

    Alles Gute und eine guten Austausch wünsche ich Dir.

    LG
    gerchla

  • Greenfox
    Bassmann
    @gerchia

    Herzlichen Dank für Eure informativen und interessanten Antworten und Tipps! 44.

    Nun gut, ich muss wohl akzeptieren, wie meine Situation jetzt nunmal ist und werde im nächsten Schritt Kontakt zu einer
    SHG aufnehmen. Zeitgleich will ich noch diese Woche einen Check bei meinem Hausarzt durchführen lassen.

    Meinen kalten Selbstentzug werde ich ohne konkretes Ziel erstmal weiter durchziehen. Offensichtlich scheine ich noch nicht besonders körperlich abhängig zu sein, da die typischen Entzugssymptome wie Schwitzen, Zittern, Kopfschmerzen oder Erbrechen bei mir in keinster Weise auftreten. Morgens fühle ich mich sogar recht frisch und gut und hab meistens gute Laune. Erst zum Abend hin merke ich so eine leichte, aber unangenehme Unruhe in mir und spüre schon das Bedürfnis deutlich, ein Bier oder ein Wein trinken zu wollen. Dieses Gefühl ist aber nicht sehr stark, so dass ich dem zumindest bis jetzt relativ leicht widerstehen kann.

    Das Gefühl in mir ist dabei so ähnlich, wie damals, als ich mit dem Rauchen aufgehört habe. Eigentlich war sogar das anschliessende "innere Betteln" nach einer Zigarette schlimmer als jetzt das "innere Betteln" nach einem Bier! Der Unterschied für mein Empfinden ist, dass das Bedürfnis nach einer Zigarette in den ersten Tagen rund um die Uhr permanent zu spüren war. Das Verlangen nach Alkohol verspüre ich hingegen jetzt nur abends. Allerdings muss ich auch feststellen, dass das Verlangen nach Tabak bei mir schon nach 3-4 Tagen fast nicht mehr spürbar war. Beim Alkohol scheint dies dafür leider länger zu dauern. :(

    Heute ist mein 6. Tag ohne einen Tropfen Alkohol! :)
    Irgendwie bin ich sogar etwas stolz darauf, weil es schon lange her ist, dass ich fast eine Woche ganz auf Bier oder Wein verzichtet habe.

    Hm, nach 6 Tagen ohne Alkohol im kalten Selbstentzug dürfte doch eigentlich jetzt nichts mehr passieren (Krämpfe, lebensgefährliche Symptome etc.), was meint Ihr??? Ich hatte in den ersten Tagen so leichte Angstattacken, die wahrscheinlich auch wegen den befürchteten Entzugssymptomen aufgetreten sind. Jetzt bin ich aber deutlich ruhiger und habe weniger Angst.

    Was mich auch noch etwas beunruhigt, ist meine Müdigkeit. Irgendwie fühle ich mich etwas schlapp, wie erkältet oder mit leichter Grippe.
    Nun weiss ich immer noch nicht, ob dies an dem Antibiotikum liegt, dass ich bis heute eine Woche eingenommen hatte oder ob tatsächlich eine Erkältung o.ä. in mir schlummert oder ob es schlicht und einfach am Entzug liegt. Wie erging es Euch nach der ersten Woche?
    Fühltet Ihr Euch eher wieder fit oder eher müde? Der müde Zustand fällt mir an mir besonders auf, da ich eher ein sehr aktiver Mensch bin. Gerade auch als ich Alkohol getrunken hatte, war ich eher wach, aktiv und kreativ, selbst wenn ich wenig geschlafen hatte.

    Auf Sport muss ich wohl allein schon wegen dem eingenommenen Antibiotikum für die nächsten Tage erstmal verzichten.
    Schade, weil dies mich auch auf positive Weise ablenken und vielleicht mich in meiner Motivation, nichts mehr zu trinken, bestärken würde.

    So, das waren jetzt einfach mal ein paar Gedanken und Fragen, die mir so durch den Kopf gingen.
    Ich wünsche allen einen schönen Abend und eine gute Nacht!
    44.

  • Guten Morgen blueday,

    Zitat


    Nun gut, ich muss wohl akzeptieren, wie meine Situation jetzt nunmal ist und werde im nächsten Schritt Kontakt zu einer
    SHG aufnehmen. Zeitgleich will ich noch diese Woche einen Check bei meinem Hausarzt durchführen lassen.

    Gute Entscheidung, die Du da getroffen hast. Sollte Dein Check bei Arzt Dir bescheinigen, dass Du beste Werte hast, dann wird Dir die Sucht wahrscheinlich sagen: Siehst Du, alles bestens, alles halb so wild.
    Lass Dich davon nicht täuschen. Es gibt schwere Alkoholiker die immernoch "gute" Werte haben. Andere haben schon bei relativ geringem Konsum Katastrophenwerte.

    Damit möchte ich auch gleich dazu überleiten:

    Zitat

    Offensichtlich scheine ich noch nicht besonders körperlich abhängig zu sein, da die typischen Entzugssymptome wie Schwitzen, Zittern, Kopfschmerzen oder Erbrechen bei mir in keinster Weise auftreten.


    Ich sage jetzt mal etwas provokant: Die körperliche Abhängigkeit ist das geringere Problem! Ok, wenn jemand bereits schwer körperlich abhängig ist, dann kann der Entzug lebengefährlich werden - ich möchte das nicht verharmlosen. Aber wenn der körperliche Entzug dann mal geschafft ist, dann war's das auch erst mal.

    Bleibt die psychische Abhängigkeit, die eigentliche Sucht, die i.d.R. lange vor der körperlichen besteht. Sie ist es, die die Süchtigen rückfällig werden lässt. Wenn jemand die körperliche Abhängigkeit überwunden hat, gäbe es ja eigentlich keinen Grund mehr zu trinken. Zittern, Angst, Schweißausbrüche und was alles sonst noch für Symptome vorhanden sind wurden überwunden. Alles bestens, körperlich gesehen. Und trotzdem werden nicht wenige rückfällig. Das liegt dann an der psychischen Abhängigkeit. Um die geht es eigentlich -sie ist auch Mittelpunkt bei Therapien.

    Also, nicht körperlich abhängig zu sein ist zwar etwas angenehmer, weil man dann diese ganzen Symptome nicht hat, ist aber kein Zeichen dafür, dass man "weniger süchtig" wäre oder dass es einfacher wird abstinent zu bleiben.

    Du kannst diese Themen ja mal mit Deinem Arzt und auch in der SHG besprechen. Da wirst Du sicher auch Interessantes erfahren.

    LG
    gerchla

  • Hallo Zusammen,

    Zitat von "blueday"

    Offensichtlich scheine ich noch nicht besonders körperlich abhängig zu sein, da die typischen Entzugssymptome wie Schwitzen, Zittern, Kopfschmerzen oder Erbrechen bei mir in keinster Weise auftreten.

    Vielleicht hilft da die Alkoholikertypologie von Jellinek weiter:

    2.1 Alpha-Trinker
    Alphatrinker (Problemtrinker) trinken, um seelische Belastung leichter zu ertragen. Es besteht keine körperliche Sucht, jedoch eine seelische Abhängigkeit. Das Trinkverhalten ist undiszipliniert. Es kommt jedoch nicht zu einem Kontrollverlust. Gesundheitsschäden und soziale Auffälligkeiten sind nicht selten. Übergang in die Alkoholabhängigkeit vom Gamma-Typ (s. u.) ist häufig.

    2.2 Beta-Trinker
    Beta-Trinker (Gelegenheitstrinker) trinken unter der Übernahme gesellschaftlicher Konsummuster (z.B. auf Feiern jeglicher Art). Obwohl Beta-Trinker weder psychisch noch physisch süchtig sind, sind sie leicht zum Konsum zu verleiten und schädigen durch unverantwortliches Handeln ihre Gesundheit. Beta-Trinker sind suchtgefährdet (nicht selten Übergang in einen Delta-Alkoholismus).

    2.3 Gamma-Trinker
    Gamma-Trinker (Suchttrinker) sind psychisch stärker süchtig als physisch. Beim Trinken kommt es zum Kontrollverlust. Trinkexzesse und unauffällige Phasen wechseln sich ab. Durch den ersten Schluck Alkohol wird immer häufiger ein scheinbar unstillbares Verlangen nach immer mehr Alkohol ausgelöst.

    2.5 Epsilon-Trinker
    Epsilon-Trinker (Quartalssäufer) sind psychisch abhängig. Sie können über Monate abstinent sein, gefolgt von Episoden exzessiven Alkoholkonsums. In diesen Phasen ist ein Kontrollverlust vorhanden. Trinkexzesse können tagelang fortgeführt werden und zu vorübergehendem Gedächtnisschwund (Filmriss) und illusionärer Verkennung führen. Nach einer solchen Phase folgt in der Regel wieder eine Phase der Abstinenz.

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