Guten Morgen Susanne und Rekonvaleszent,
"Wie viel gibt man in einem Forum von sich preis und wen interessiert das?" Mit dem Interesse meinte ich wohl zweideutig: Wer hat Interesse daran, wie viel ich preisgebe, also wer hätte Interesse an diesen Informationen, außer selbst Betroffene, die es gerade deshalb interessiert, weil sie betroffen sind und nicht, weil sie schaden wollen. Deshalb habe ich auch beschlossen offen zu sein.
Und ja Susanne, die Wahrscheinlichkeit aus München zu stammen und in Berlin jemanden zu treffen ist gering, aber nicht unmöglich. Die Wahrscheinlichkeit in Berlin zu wohnen und jemanden in Berlin zu treffen ist auch irgendwie gering, wenn man nun nicht gegenüber wohnt. Aber die Wahrscheinlichkeit in einem kleineren Ort zu wohnen und dort jemanden zu treffen, den man kennt ist schon höher
Aber wie gesagt, im Endeffekt ist es ok für mich. Ich bin sowieso für mehr Offenheit, ob sexueller Missbrauch, Massentierhaltung, Depression, Krebs, kulturell bedingte Verstümmlung, Sucht, usw. ganz egal - mit mehr Offenheit gäbe es weniger Scham und damit mehr Toleranz, bzw. Gegenwehr.
Du schreibst, dass du vordergründlich erst einmal aufgehört hast zu trinken, weil der körperliche Aspekt und der Mensch, der du im Suff warst, zu viel war und dir nicht guttat. Was sicherlich noch schwer untertrieben formuliert ist.
Ich habe weder meine Arbeit, meinen Führerschein, meinen Partner oder Freunde durch den Suff verloren. Aber auf jeden Fall meine Selbstachtung, meinen Selbstwert und Selbstbestimmung. Ich war auch oft ein furchtbarer betrunkener Mensch. Immer wieder habe ich Probleme hervorgekramt und sie herausgeschrien, darauf herum geweint und mich selbst bemitleidet. Oder ich habe verletzende und enttäuschende Dinge gemacht. Manche waren ganz unterste Schublade. Ich habe betrogen und gelogen und am Ende bin ich in meiner Scham depressiv geworden.
Ich habe dann aber Unterstützung bekommen - von fiesen Magenbeschwerden, resultierend aus zu viel saurem Wein. Es ging dann oft gar nix mehr. Mir war übel neben den Schmerzen, so richtig, über Tage und das immer wieder. Das hilft mir jetzt ungemein. Sobald ich einen Ansatz von Verlangen wahrnehme spiele ich sofort diesen Trumpf.
Aber trotz oder weil eben soviel negatives im Suff passiert ist, ich immer wieder mal ein paar klare Momente hatte, konnte ich schon während meiner Trinkzeit viel von mir lernen. Wer ich sein will und was keinen Bestand haben soll (habe hier schon angefangen Freunde und Umfeld zu filtern). Und da war einfach das Resultat, dass ich nicht mehr trinken will, dass es für mich keinen Sinn macht, dass ich mich betrunken einfach nicht leiden kann. Aber so einfach war und ist das eben nicht, weil Sucht zum einen ganz speziell individuell ist und zum anderen gerade Alkohol einen nicht zu unterschätzenden soziokulturellen Wert besitzt, den man vor lauter Bäumen im Wald erstmal nicht erkennt. Mein Vorteil in diesem Falle ist, dass ich zu einem großen Teil auf unsere Gesellschaft scheiße - im Herzen ein Punk. Soll heißen: Es ist mir sehr egal, wenn andere trinken und mich belächeln, wenn ich es nicht tue - ich habe für mich beschlossen, dass Alkohol eine große Verarschung ist. Es gilt jetzt halt das aufrecht zu erhalten, die Suchtgedanken zu erkennen und manche davon genauer zu analysieren, bevor sie zu viel Raum einnehmen.
"Und das lag daran, dass ich abends nicht runtergekommen bin" Vor diesem Punkt habe ich ordentlich Respekt. Daran bin ich bei meinem ersten ernsthaften Versuch aufzuhören gescheitert. Das war nach 3 Monaten im letzten Dezember. Ich war irgendwie im Dauerstresszustand und gereizt. Ich dachte, dass das nie aufhört. Dann kam eben an einem Tag noch ein Problem hinzu und ich habe aufgegeben, bzw. nachgegeben. Druck. Ganz wichtiger Punkt. Aber nichtsdestotrotz habe ich daraus gelernt und setze das wohl gerade um, denn ich habe diesmal eine ganz andere Einstellung, viel gefestigter, geduldiger und tiefer.
Was hast du gegen diesen Stresspunkt unternommen?
Und ich gebe dir auf jeden Fall Recht, dass die Motivation zum Aufhören eine übergeordnete und dauerhafte Rolle spielen muss, um die Abstinenz genießen zu können. Aber die Gründe für die Sucht herauszufinden ist für mich unumgänglich. Sie sind das Verlangen, der Druck und meine Reaktionen auf bestimmte Auslöser. Ich habe einfach keinen Bock damit mein ganzes Leben zu leben, deshalb werde ich dem nachgehen und mal gucken, was da so ist.
Von Rekonvaleszent
"Wichtig ist m.E. die eigene Abstinenz und somit die eigene Gesundheit rückhaltlos an erste Stelle zu setzen"
Manchmal ist es schwierig diesen gesunden Egoismus konsequent zu praktizieren. Das sagst du ja auch. Ich habe für mich gemerkt: Wenn ich nicht trinke, bin ich ganz gut selbstsicher. Das wirkt sich auf meinen Umgang mit Kind und Partner aus und umgekehrt. Es wandelt sich von lächerlich wankelmütig bis widersprüchlich hinzu stabil und damit vollwertig. Aber noch ist es nur ein Anfang für mich, ein Gefühl dafür wie es sein kann, sein wird.
"Und Königsweg und Standardprozedere..."
Manche schwören und predigen auf diese Wege des Standardprogramms. Und ich finde, dass es schon ein gewisses Suchtverständnis benötigt, um mit sich selbst in der Sucht umgehen zu können. Aber am Ende finde ich gut, dass es eben noch andere Sichtweisen gibt, die einem nicht von Vornerein den Mut nehmen sich der Sucht zu stellen, wenn man eben ein anderer Typ Mensch ist, bei dem es Klick gemacht hat.
Grüße
Zelda
(PS schreibe auf Word - deshalb die Zitierweise)