Die lieben Verwandten, bitte Rat!

  • Ich bitte um Eure Erfahrungen!

    Ich weiß nicht recht wie ich mit der Reaktion meiner Mutter, als ich sie am Sonntag um Hilfe bat, umgehen soll.
    Bei einem Rückfall habe ich mir das Schlüsselbein gebrochen und bin nun im Krankenstand.

    Ich sah eine große Gefahr darin, jetzt im Krankenstand und alleine daheim mit meinen Schuldgefühlen und meiner depressiven Verstimmung weiter zu trinken.
    Bei meiner Mutter tauchte ich schon mal vor zwei Jahren, als es mir ganz schlecht ging, für eine Woche unter.

    Da ich "nur" alle paar Wochen bzw. Monate einen Rausch habe (Rauschtrinker), hat sie von den vielen Rückfällen keine Ahnung.
    Mein Mann ist der Einzige, der jedes einzelne Umfallen mitbekommt.

    Wenn meine Mutter und ich uns treffen, redet sie mich selten auf das Thema Alkohol an. Es ist ihr unangenehm, die sagt und schreibt aber immer wieder, dass sie IMMER für mich da ist, wenn ich Hilfe brauche.

    Das hab ich dann diesmal echt getan. Ihre Worte: "Mach das mit dir und deinem Mann aus!"
    Ich sah sofort wieder die Schuld in mir. Aber ich will meine endgültige Nüchternheit nicht auf Lügen aufbauen.
    Wenn ich gesagt hätte, dass ich mir den Bruch beim Skifahren zugezogen hätte, wäre alles okay, und dann dürfte ich kommen?

    Ich kann wirklich schwer damit umgehen...
    Aber sie will es einfach nicht wahrhaben, dass ich ein massives Problem habe- also gar nicht darüber reden.
    Gleiches Getue von ihr, wie bereits in der Kindheit: Wenn du schön brav bist, bekommst du Alles, wenn nicht, folgt Liebesentzug.
    Es gab täglich Schläge. Auch eine tolle Bestrafung für ein Kind ist, mit ihm 2 Monate nichts zu reden. Auch wenn der Geburtstag des Kindes gerade in diese Zeit fällt.
    Ich bin ausgeschweift, Entschuldigung .

    Oder beginnt nur der Anfang des Wegbrechens lieber/naher Menschen wie bei vielen Alkoholikerkarrieren?

    nixweiss0

  • Hallo xandi,

    dazu kann ich Dir ein bisl was von mir erzählen. Ich hatte eigentlich eine sehr schöne Kindheit, zumindest empfinde ich das im Nachhinein so. Meine Eltern haben sehr viel gearbeitet, ich war viel bei meinem Opa, oft auch über Nacht. Mein Vater hat sicher Alkoholmissbrauch betrieben, hat aber immer wieder die Kurve gekriegt, ist nie komplett abgestürzt. Das ist bis heute so. Mein Opa war Alkoholiker, hatte aber seine "Glanzzeiten" schon hinter sich als ich dann bei ihm war. Da trank er noch seine 4 -5 Bier pro Tag, mehr hat er nicht mehr vertragen. Er ist dann im hohen Alter von 84 Jahren gestorben als ich längst Erwachsen war. Meine Mama hatte kein Alkoholproblem, litt aber schon immer wieder unter den Trinkphasen meines Vaters. Aber sie haben sich doch immer wieder zusammen gerauft und heute genießen sie ihre Rente. Mein Vater trinkt nach wie vor, mal etwas mehr, mal weniger und ist felsenfest davon überzeugt, dass er aufgrund seines Bierkonsum nicht krank wird. Damit meint er Erkältungen, die er wirklich nie hat. Seinen Blutdruck, die Gicht, seine Fettleibigkeit und die Gelenkschmerzen unter denen er seit vielen Jahren leidet, blendet er einfach aus.

    Das nur zu meiner familiären Vorgeschichte. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich in meiner Kindheit nicht ungerecht behandelt wurde, keine Schläge, kein Liebesentzug usw. Also wirklich anders als Du das von Dir berichtest.

    Irgendwann, genauer vor ca. 2,5 Jahren, habe ich allen mir wichtigen Personen gesagt, dass ich Alkoholiker bin. Auch meinen Eltern, meinen Geschwistern. Das ganze noch kombiniert mit der Information, dass ich mich von meiner Frau (ich habe auch noch zwei Kinder) getrennt habe. Ich hatte hier also wirklich einen extremen Schnitt in meinem Leben, das bis dahin ganz "normal" und nach außen hin perfekt verlaufen war. Schule abgeschlossen, Job mit Führungsposition, keine finanzielle Sorgen, 2 wunderbare Kinder und eine Frau die gut zu mir zu passen schien. Niemand hatte geahnt, dass ich heimlicher Trinker war.

    Soweit so gut. Im Nachhinein kann ich Dir sagen, dass dieses eine Gespräch, also als ich mich als Alkoholiker geoutet habe, das EINZIGE Gespräch über meine Alkoholsucht geblieben ist, dass ich je mit meinen Eltern geführt habe.

    Wie Du vielleicht erahnst liegt das nicht an mir. Oft gab es Situationen (und die gibt es auch heute noch ab und zu) wo ich mit ihnen darüber sprechen wollte. Es wurde immer übergangen, abgelenkt, betroffen ignoriert oder teilweise sogar aggressiv reagiert. Es war seit meinem Outing nicht mehr möglich auch nur ansatzweise ein Gespräch über meine Krankheit zu führen.

    Im Gegenteil, es ist so, dass mein Vater das komplett ignoriert. Beispiel: Ab und an bin ich zum Essen eingeladen, er kocht nämlich genial. Ich muss nur aufpassen, ob er in den Soßen Alkohol verwendet oder nicht. Denn das macht er gern und es ist ihm völlig wurscht, ob ich damit ein Problem habe. Also frage ich jedes mal nach. Selbstverständlich schwärmt er mir vor, welch tollen Wein er jetzt zum Essen trinkt, wie viele Flaschen er davon neulich mit seinem Nachbarn geleert hat usw. Bei Nachfragen bezüglich des weiteren Verlaufs seines Geburtstags neulich, hat er mir breit und SEHR stolz erklärt, dass an diesem Abend noch ganze 2 Flaschen Schnaps "vernichtet" wurden und dass es ein toller Abend war.

    Ich habe mir ja vom Anfang meiner Trockenheit an Menschen gesucht, mit denen ich regelmäßig reden konnte. Also Psychologe, aber auch ein wunderbarer Freund und ein Möch, der mir sehr sehr viel geholfen (obwohl ich nicht im klassischen Sinn gläubig bin). Genau über dieses Thema (übrigens ignorieren meine Geschwister meine Krankheit ebenso) habe ich dann mit diesen Menschen gesprochen.

    Dabei ist mental etwas mit mir passiert. Aus anfänglicher Empörung, aus Nichtverständnis und teilweiser Verletztheit wurde Akzeptanz. Mittlerweile ist es für mich ok so wie es ist. Meine Eltern, meine Geschwister sind wie sie sind. Sie können nicht anders. Probleme anzusprechen oder gar auszudiskutieren war in meiner Familie nie möglich. Auch ich habe das nicht gelernt. Vielleicht ein Grund dafür, dass ich meine Probleme mit Alkohol lösen wollte. Nur weil ich mich jetzt geoutet habe und viel an mir arbeite oder gearbeitet habe bedeutet ja nicht, dass meine Eltern das auch machen. Für die geht alles so weiter wie immer. Das muss ich einfach so akzeptieren.

    Und mich abgrenzen, wenn es notwendig ist. Also z. B. wenn er mir zu betrunken ist, dann gehe ich halt einfach. Dazu muss ich ihm keinen Vortrag halten, sondern es gibt immer einen Grund warum ich jetzt gehen muss. Es ist ja sein Leben, er entscheidet was er macht. Beim nächsten Mal freue ich mich ihn wieder zu besuchen. Ich nehme es hin, so wie es ist. Klar sehe ich, dass besonders mein Vater total verbohrt ist und eigentlich dringend auch aufhören müsste zu trinken, sein Leben auf gesunde Ernährung umstellen müsste usw. Aber ich habe akzeptiert, dass ich ihm dabei nicht helfen kann. Weil er sein Leben so wie er es hat als wunderbar empfindet.

    Zitat

    Oder beginnt nur der Anfang des Wegbrechens lieber/naher Menschen wie bei vielen Alkoholikerkarrieren?

    Hätte ich nicht zu dieser Akzeptanz gefunden, wäre ich den Weg der Konfrontation gegangen, dann wäre die Beziehung zu meinen Eltern wahrscheinlich langsam wegberochen. Das war es mir nicht wert und ich habe glücklicherweise gelernt damit umzugehen ohne belastet zu sein. Es gibt aber auch andere Beispiele, wo ich Kontakte abgebrochen habe. Im Freundeskreis, wo ich keine Akzeptanz für meine Situation erlebt habe und wo ich dann als Konsequenz den Kontakt abgebrochen habe. Aber auch hier ohne dass es mich belastet.

    Ich glaube das wichtigste ist doch, dass man selbst mit seinen Entscheidungen gut leben kann. Das man auf sich achtet. Gerade in Deiner Situation wo Du noch am Anfang stehst ist das besonders wichtig.

    Ich weiß nicht ob Dir mein Geschreibsel was bringt, es ist ja nicht auf Deine Situation übertragbar. Trotzdem wollte ich Dir das einfach mal schreiben.

    Ich wünsche Dir alles Gute!

    LG
    gerchla

  • Lieber Gerchla!

    Danke für deine Gedanken!
    Es hat sicherlich viel Zeit in Anspruch genommen, aber für mich ist das Geschriebene sehr wertvoll.

    Du hast mir geholfen, dass ich meine Sichtweise verändere.
    Nun bin ich weder böse auf sie, noch empfinde ich mir
    gegenüber Wut oder Schuld.
    Es ist MEIN Problem und auch wen andere Menschen sagen, dass sie für mich da sind und mir helfen möchten, so muss
    ich es in erster Linie mit mir selber ausmachen.
    Ganz alleine bin ich ja nicht, ich habe Mann, Psychologin und auch Euch, mit denen ich über Alkohol reden kann.

    Nachdem ich deine Nachricht zirka hundertmal gelesen und wirken hab lassen, hab ich meine Mutter angerufen.
    Wir haben über belangloses Zeug geredet und gelacht.
    Unsere Beziehung ist sehr oberflächlich, aber ganz verlieren will ich sie nicht. Sie ist meine Mutter.

    Wenn der blöde Alk nicht gewesen wäre, wäre ich gar nicht in so einer grauslichen Situation!
    Ich meine damit, dass ich meine Selbstständigkeit ohne Alkohol nie verloren hätte.
    Ich hol sie mir jetzt zurück.
    Schritt für Schritt.
    Tag für Tag

    DANKE Gerchla!!

  • Hallo, Xandi!

    Auch ich möchte noch kurz meinen Senf dazu geben ;)

    Aus meiner Erfahrung ist es so, dass nicht nur Betroffene, solange sie noch nicht für den Ausstieg bereit sind, dieses Thema tunlichst vermeiden. Die Gründe hierfür liegen ja wohl auf der Hand.

    Aber genauso scheuen auch Angehörige, Freunde, Bekannte, Kollegen sehr oft dieses Thema gegenüber Jemandem, der den Ausstieg "geschafft" hat. Und hier sehe ich die Gründe in der Unsicherheit, Unwissenheit - und ein bisschen Angst.
    Schließlich will man den Anderen ja nicht "Beleidigen", zu nahe treten - aber vielleicht auch nicht selbst "enttarnt" werden.

    Überleg doch mal, wie es wäre, wenn Dir ein naher Bekannter/Verwandter sagen würde, er hätte Krebs ... Könntest Du mit ihm/ihr dann sofort und/oder "normal" darüber reden? Soviel zum Thema "Unsicherheit, Unwissenheit" ...

    Nur mal so als kleine Sicht auf die "andere Seite".

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo!

    Gestern war ich besser im Akzeptieren ;)
    Ich merke nun, dass es ein langer Prozess ist, es wirklich auch zu 100% spüren.
    Diese Akzeptanz.
    Ich probiere trotzdem danach zu handeln. Und irgendwann gehört dieses neue
    -noch sehr gesteuerte-Tun voll und ganz zu mir.

    Lieber Greenfox,
    ich war leider schon öfters in der Situation, dass sich mir sehr nahestehende Menschen
    bezüglich einer Horrordiagnose an mich gewendet haben.
    Haben den ganzen Kummer und Schmerz, die Angst bei mir abgeladen.
    Ohne mit der Wimper zu zucken bin ich zweimal in der Woche von einer Stadt zur anderen
    ( a 130km)gefahren, um bei der Chemotherapie Händchen halten zu können.

    Damals hab ich nicht gespürt, wie sehr mich das mitnahm. Ich wurde gebraucht, das war schön.

    Aber ich lerne Folgendes: Personen, die mir diese Verantwortung zugeschoben haben, bzw. von
    Vornherein ablehnten, sind nicht zu Säufern geworden.
    Meine aufopfernde Stellung, die ich auch selber wollte (ich gibs zu), in der Familie und bei Bekannten ist nicht gesundheitsfördernd!

    Deswegen fange ich langsam an, meine Mutter und Schwestern zu verstehen. Sie lieben mich, sind für mich da, wenns
    hart auf hart kommt, aber sie müssen sich auch schützen.
    Trotzdem tut es ein bissl weh...
    Daran wird gearbeitet.

    LG

  • Bei mir war es so, dass ich immer den "Mülleimer" gespielt habe: Kummer, Sorgen, Nöte wurden bei mir abgeladen und ich hab geholfen, wo ich konnte, Nur - bei wem konnte ich meinen Müll abladen, Hilfe kriegen??

    Ich hab mir dann Hilfe bei der Flasche gesucht ... :(

    Mittlerweile bin ich zwar immernoch bzw. wieder da und höre zu und helfe, kann mich aber doch besser abgrenzen und auch mal sagen: "Sorry, aber damit musst Du Dir bei jemand anderem Hilfe suchen. Ich kann Dir da nicht helfen."

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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