Hallo, ich bin neu hier

  • Hallo, ich bin Liv und neu in diesem Forum.
    Habe schon etwas rumgelesen und wollte mich nun vorstellen. :)

    Ich bin 33 und Tochter von zwei alkoholkranken Eltern. Beide trinken schon seit ich denken kann.
    Mittlerweile bin ich an einem Scheidepunkt angelangt, was den Kontakt mit meinen Eltern angeht. Ich kann nicht mehr. Ich brauche Kraft für mich, die ich kaum finde. Ich würde mich gern besser abgrenzen, doch es ist verdammt hart, und ich habe die typischen Schuldgefühle, die damit einhergehen. Noch dazu ist vor einigen Wochen meine Schwester verstorben (sie hatte eine andere Suchtproblematik), seitdem stehe ich unter der Dauerbelastung, meinen Eltern helfen zu wollen/müssen (bei der Wohnungsauflösung etc.) und die Trinkerei zuhause nicht zu verkraften und ständig am Limit zu sein. Ich hab mittlerweile permanent Angst, dass ihnen etwas passiert - wenn ich dort bin, komme ich gar nicht mehr zur Ruhe. All das sind Warnsignale, das weiß ich.

    Bevor das alles passiert ist, hatte ich gerade mit Hilfe meiner Therapeutin etwas Abstand von meinen Eltern geplant. Wenn die Haushaltsauflösung abgeschlossen ist, möchte ich mich wieder mehr zurückziehen, doch ich habe jetzt schon ein schlechtes Gewissen, dass ich meine Eltern im Stich lasse, dass sie ja selbst nicht mit ihrem Leben klarkommen und mich brauchen. Ich bin ja die einzige Quelle der Vernunft für sie - ein typisches Alkoholikerkind, dass überall Verantwortung übernimmt - auch wenn es gar nichts bringt.

    Meine Eltern haben schon körperliche Verfallserscheinungen, sind beide über 70 - ich habe einfach sehr große Angst, dass sie bald durch den Alkohol sterben werden. Ich habe nach über 30 Jahren immer noch eine Hassliebe zu ihnen, fühle mich verstrickt und verwirrt, kann mich nicht trennen und würde es doch am liebsten. Ich mag sie als Menschen, aber ich halte ihre Sucht nicht mehr aus, und es macht mich einfach fertig, dass sie sich so zerstören.

    Naja, meine Geschichte ist noch länger, doch ich wollte mich erstmal kurz vorstellen.

    Liv

  • Hallo Liv, :)

    'Willkommen im Club' 8), ist mir als erstes beim Lesen entfahren.

    Das klingt flapsig, aber tatsächlich ähnelt sich unsere Geschichte,
    als wären wir thematisch "Zwillinge". Sogar das Alter meiner Eltern stimmt.
    (Nur bekamen sie mich 15 Jahre früher. ;) )

    Gleiche Akteure, gleiches Bühnenspiel, gleiche Verstrickung, ... gleiche Lage.

    Auch meine werden gebrechlich, ihr Leugnen ist unumstößlich, meine Gefühle
    ebenfalls Hass darauf und eine Art von Liebe, die Abstandnehmen schwer macht.

    Ich kann Deine Eltern-Geschichte, vermute ich, zu 100% nachfühlen.

    Ich hatte nur nie eine Schwester. Es tut mir leid, dass Du sie verloren hast.
    Ich hoffe, Du hast Menschen, mit denen Du darüber geschützt sprechen kannst.

    Schön dass Du dabei bist!

    Liebe Grüße,
    Wolfsfrau

  • Hallo Wolfsfrau,

    lieben Dank für die Begrüßung.

    Meine Schwester war die Ältere von uns...wohl ungefähr in deinem Alter dann. Ja, ich habe ein paar Menschen zum Reden, glücklicherweise. Wir haben auch viel in der Familie darüber gesprochen (bei einem solchen Ereignis fällt das Schweigegebot, was sonst für Gefühle und Negatives herrscht).
    Die Parallelen zu sich sehen meine Eltern kaum. Dass sie mit ihrer eigenen Sucht genau in so einem Dilemma stecken, wie das Kind, was sie jetzt nicht mehr haben. Ich denke, es ist ihnen wohl bewusst, aber es ist leichter, es mit dem Alkohol auszublenden. Mein Vater ist vor allem ein großer "Vergesser" - ganz wortwörtlich inzwischen, auch Alltägliches. Ich nehme an, wenn die eigenen Eltern älter werden, ist das nie so leicht, doch mit diesem zusätzlichen Trinken, kriegt das Ganze eine sehr bedrohliche Komponente.

    Ich bin immer im Zwiespalt, wie ich mit meinen widersprüchlichen Gefühlen umgehen soll. Grenze ich mich ab, flüstert mir eine Stimme ein: "Aber sie mögen dich doch, wollen doch nur dein Bestes, können eben nicht anders, sind doch eigentlich gute Menschen, haben es nie anders gelernt", und gehe ich auf sie zu und lasse mich auf sie ein (was ich ganz unbelehrbar immer wieder mache), ziehe ich mir die gleichen seelischen Verletzungen zu, wie schon in den letzten 20 und mehr Jahren.

    Hm. Wie machst du das so? Wie schaffst du die nötige Distanz von deinen Eltern? (falls du sie schaffst)

    Liebe Grüße,
    Liv

  • Hallo, Liv, und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Schön, dass Du hergefunden hast.
    Ich habe für mich selbst gemerkt, dass mir der Austausch - sowohl in einer SHG als auch hier - guttut.

    Daher wünsche ich Dir und uns einen guten Austausch (der ja schon begonnen hat ;) )!

    Habe leider keine Zeit und muss zur Arbeit ...

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Greenfox,

    vielen Dank für die Begrüßung! :) Ist ja gar nicht so häufig, dass der Admin selbst mitschreibt.
    Ja, Austausch ist gut und oftmals sehr hilfreich, allerdings wühlt er auch immer wieder etwas auf. Das finde ich manchmal schwierig und so muss ich mir die Zeit in Foren sehr gut einteilen.

    Mit SHGs habe ich in der Vergangenheit gemischte Erfahrungen gemacht, doch derzeit bin ich nicht mal in der Nähe einer solchen, insofern bin ich umso dankbarer das Forum hier entdeckt zu haben.

    Liebe Grüße
    Liv

  • Hallo Liv,

    ich habe jetzt erst die innere Ruhe, Dir zu Deiner Frage noch schreiben zu können. :)

    Ich bin immer im Zwiespalt, wie ich mit meinen widersprüchlichen Gefühlen umgehen soll. Grenze ich mich ab, flüstert mir eine Stimme ein: "Aber sie mögen dich doch, wollen doch nur dein Bestes, können eben nicht anders, sind doch eigentlich gute Menschen, haben es nie anders gelernt", und gehe ich auf sie zu und lasse mich auf sie ein (was ich ganz unbelehrbar immer wieder mache), ziehe ich mir die gleichen seelischen Verletzungen zu, wie schon in den letzten 20 und mehr Jahren.

    Hm. Wie machst du das so? Wie schaffst du die nötige Distanz von deinen Eltern? (falls du sie schaffst)

    Für mich gibt es da kein durchgehendes "Rezept", wie ich vorgehen kann.

    Aber ich habe festgestellt, je besser ich selbst innerlich versorgt bin (indem ich Dinge für mich mache, meinen Wünschen, Gefühlen und Zielen folge), umso weniger Raum nimmt das Denken an meine Eltern ein. - In solchen Phasen halte ich automatisch mehr Abstand, ich möchte dann in meinem Leben 'bleiben'.

    Manchmal passierte es mir, dass ich "zu früh" wieder hingefahren bin und mir prompt den vertrauten Rückfall in Taubheit bis zur Freudlosigkeit eingefangen habe. Einfach, weil es auch mir schwer fällt, meine mühsam aufgebaute Lebensfreude "gegen" sie zu "behaupten".

    Es hängt einfach von meinem eigenen Prozess ab, und wo ich da selbst gerade bin, ob oder nicht ... ich hinfahre.

    Wenn ich z.B. lese, dass du "eigentlich" gerade auf Abstand aus warst, weil das für Dich dran ist, würde ich das genau so kommunizieren. Meine Mutter weiß zwar, dass ich unterschiedlich "gut zu Fuß" bin (innerlich), und wenn ich gerade nicht so gut aufgestellt bin, sage ich das einfach und schlage einen anderen Zeitpunkt vor oder sage "ich melde mich wieder, ok?".

    Das klappt ganz gut.

    Die echte Ansage - von meiner Seite aus - dass es IHR Kram ist, und der zwischen meinen Eltern (das nicht-reden, nicht-fühlen) - der mich runterzieht, habe ich bislang nicht gemacht. Dann wäre vermutlich alles völlig verkrampft. Also mehr, als ohnehin schon.

    Im Kopf kann ich uns inzwischen ganz gut als "unterschiedlich" sehen, so dass ich allzu viel Verständnis für meinen Weg gar nicht mehr erwarte. Aber im Herzen ist es jedesmal wieder ein Stich, wenn ich alles dort "sehe" (die innere Verarmung) und genau weiß, ICH kann daran nichts verändern. Ich kann mich nur bemühen, ihre Sucht als Krankheit zu sehen, keine 'normalen' Erwartungen an Kontakt mit ihnen zu haben. Und: Rechzeitig merken, wenn die Luft für mich dünn wird.

    Ich löse das für mich momentan mit recht kurzen Besuchen für einen halben Tag. Zum Kaffee, oder auch mal zum Mittag.

    Es ist etwas seltsam, in aller Verzerrung dort doch für diese Weile auch Vertrautheit zu spüren. Und dann, wenn ich draußen bin, doch ganz schnell in meine eigene Welt und Energie zurück finden zu wollen. Dann freue ich mich auf den Zug und darauf, dass ich nach dem Aussteigen wieder Herrin über meinen Weg (Freude, Schritte tun, bzw. Gefühle zulassen, wenn mal alles zu stehen scheint).

    ... so gehe ich damit um. Und ich weiß ebenso, dass es sich trotzdem immer unterschiedlich gut in mir anfühlt, ob ich mich stark genug für einen Besuch fühle oder nicht.

    Mir hilft sehr, den Wunsch nach Kontakt auch meiner Mutter selbst in ihre Eigenverantwortung zurück zu geben. So komme ich ganz gut aus dem Kümmern raus, und sie fühlt sich nicht wie eine zu be-kümmernde Person. Mir war lange nicht klar, dass ich damit bei ihr keine Kraft anspreche, sondern immer nur den Teil, mit dem sie selbst vermutlich auch sehr unglücklicht ist (körperliche Schwäche, Baustellen infolge einer anderen Erkrankung).

    Wenn ich also etwas inneren Abstand halten kann und mich innerlich mehr in meinem Leben aufhalte, rufe ich auch aus meiner eigenen Gelassenheit dort an. Dann läuft ein Gespräch spannungsfreier, als wenn ich besorgt und zugleich sauer darüber bin, eben weil ich eigentlich selbst etwas brauche. (Mir das aber nicht gestatte und also schwach/angespannt dort antrete.) Eine Hilfe bin ich wirklich nur, wenn es mir selbst so gut geht, dass ich auch fühle: Ihr und ich, wir leben unterschiedlich und ich bin völlig frei, das zu tun. Es darf mir gut gehen, ohne dass ich Euch etwas "wegnehme".

    Das soll es erstmal gewesen sein ... - ich hoffe, Du kannst da etwas hilfreiches für Dich raus picken. :)

    Liebe Grüße,
    Wolfsfrau

  • Ist ja gar nicht so häufig, dass der Admin selbst mitschreibt.

    Bin auch nur ein Säufer, der das Glück gehabt hat, trocken und dadurch glücklich geworden zu sein und dem SHG's und der Austausch hier hilft, trocken zu bleiben ;)

    Zu Deutsch: hier gibt es keine "Teppich-Etage" ;D

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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    können wir nur selber tun!

  • Hallo Wolfsfrau,

    ich habe auch erst jetzt wieder hierher gefunden, ich brauche manchmal Abstand nicht nur von meinen Eltern, sondern von diesem ganzen Thema, damit mein Leben etwas ausgeglichener verläuft.

    Aber ich habe festgestellt, je besser ich selbst innerlich versorgt bin (indem ich Dinge für mich mache, meinen Wünschen, Gefühlen und Zielen folge), umso weniger Raum nimmt das Denken an meine Eltern ein. - In solchen Phasen halte ich automatisch mehr Abstand, ich möchte dann in meinem Leben 'bleiben'.
    Manchmal passierte es mir, dass ich "zu früh" wieder hingefahren bin und mir prompt den vertrauten Rückfall in Taubheit bis zur Freudlosigkeit eingefangen habe. Einfach, weil es auch mir schwer fällt, meine mühsam aufgebaute Lebensfreude "gegen" sie zu "behaupten".

    Genau das erlebe ich auch. Momentan muss ich sehr viel "umschalten", da ich häufig hinfahre, und es nimmt viel Energie weg.
    Bei mir verschwinden Lebensfreude und Zuversicht innerhalb weniger Stunden, sobald ich mein Elternhaus betrete.

    Nun hatte ich ja in den vergangenen zwei Monaten nicht viel Auswahl, weil ich ihnen einfach helfen musste. Möchte aber, sobald das geht, wieder mehr Abstand. Ich merke, dass meine Eltern beide an dem Kontakt ziehen und zerren, dass sie mich gern mehr vereinnahmen würden. Kurioserweise fühle ich mich da gleichzeitig auch von anderen Menschen unter Druck gesetzt, die was von meiner Zeit haben wollen, eigentlich würde ich am liebsten allein sein.

    Wenn ich meinen Eltern sage, dass ich mich wieder melde....dann melde ich mich meist gar nicht. Wohl weil ich mich davor schützen möchte, da gleich wieder voll drin zu hängen. Ich kriege das mit dem emotionalen Abstand nicht gut hin. Wenn ich kurze Besuche ankündige, werde ich von allen Seiten bedrängt, unbedingt länger zu bleiben und warum ich das nicht tue und dass ich mich eh schon so selten melde. Da muss ich mich ganz schön abgrenzen, um kein schlechtes Gewissen zu bekommen. Eigentlich würde ich am liebsten mal sagen können: ja, ich melde mich selten, weil ich euer Gesaufe nicht aushalte.


    Zitat


    Im Kopf kann ich uns inzwischen ganz gut als "unterschiedlich" sehen, so dass ich allzu viel Verständnis für meinen Weg gar nicht mehr erwarte. Aber im Herzen ist es jedesmal wieder ein Stich, wenn ich alles dort "sehe" (die innere Verarmung) und genau weiß, ICH kann daran nichts verändern. Ich kann mich nur bemühen, ihre Sucht als Krankheit zu sehen, keine 'normalen' Erwartungen an Kontakt mit ihnen zu haben. Und: Rechzeitig merken, wenn die Luft für mich dünn wird.


    Oh, wie hast du das bewerkstelligt? Ich nehme an das hat lange gebraucht. Ich fühle mich noch völlig mit meinen Eltern verstrickt und verbunden, empfinde ihre Krankheit als Familienmakel, den ich ausbaden muss, quasi als Schicksal, dem ich ausgesetzt bin. Ich müsste mal in mir nachforschen, woher diese Überzeugung kommt und warum sie so stark in mir ist, denn eigentlich ist das ja Quatsch.

    Zitat


    Es ist etwas seltsam, in aller Verzerrung dort doch für diese Weile auch Vertrautheit zu spüren. Und dann, wenn ich draußen bin, doch ganz schnell in meine eigene Welt und Energie zurück finden zu wollen. Dann freue ich mich auf den Zug und darauf, dass ich nach dem Aussteigen wieder Herrin über meinen Weg (Freude, Schritte tun, bzw. Gefühle zulassen, wenn mal alles zu stehen scheint).


    Lebst du weiter weg von ihnen?

    Zitat


    Wenn ich also etwas inneren Abstand halten kann und mich innerlich mehr in meinem Leben aufhalte, rufe ich auch aus meiner eigenen Gelassenheit dort an. Dann läuft ein Gespräch spannungsfreier, als wenn ich besorgt und zugleich sauer darüber bin, eben weil ich eigentlich selbst etwas brauche. (Mir das aber nicht gestatte und also schwach/angespannt dort antrete.) Eine Hilfe bin ich wirklich nur, wenn es mir selbst so gut geht, dass ich auch fühle: Ihr und ich, wir leben unterschiedlich und ich bin völlig frei, das zu tun. Es darf mir gut gehen, ohne dass ich Euch etwas "wegnehme".


    Das möchte ich für mich grad mal festhalten, finde ich einen schönen Leitfaden. Bei mir funken allzuoft extreme Gefühle mit in die Kommunikation.


    Liebe Grüße,
    Liv

  • Hallo Liv, :)

    Mir geht es da wie Dir: Manchmal muss ganz viel raus ... - dann sacken lassen - oder ich lese mich 'randvoll' ... wieder sacken lassen ... jeder von uns hat sein eigenes inneres Tempo, sich ans Geschehen heran zu tasten.

    Ich bin jetzt nicht so drahtig, per Zitierfunktion zu antworten.

    Aber vielleicht ist das gut, um den Zusammenhang Deiner Gedanken zu behalten. Ich antworte einfach mal punktweise:


    - Es klingt wirklich belastend, wenn Du schreibst, es ginge für Deine Eltern "nur so" (mit DEINER Hilfe) im Moment.

    Das Thema habe ich im Kopf (Zukunftsblick) schon laufen und ich weiß nur: Ohne Unterstützung bricht mir das mein frisch gewonnenes Rückgrat. Ich habe schon soviel innere Freiheit und eigene Lebensfreude erreicht, ich WILL das nicht noch einmal verlieren. Ein Neustart kostet mich - ungelogen - Monate bis hin zu einem Jahr. Mich dieses Erleben (Rückfall) ohne Platz für einen einzigen Zweifel motiviert, mir innerlich (für mein AbgrenzungsBEDÜRFNIS), aber auch praktisch (Infos über externe Versorgungswege) "Beistand" zu suchen. Hauptsache, es lastet NICHT auf meinen Schultern. (Und ich bin Einzelkind.) Die gute Nachricht: Tut es nicht! Meine Eltern haben ihre eigenen Gründe, alles GENAU SO ZU BELASSEN, wie es ist. Ich bin im übrigen schon so oft gegen Mauern gerannt, mit tollen Ideen. Und in der Hoffnung, auf diese Weise Raum für mich zu schaufeln. Letztlich ist mir die Puste ausgegangen, irgendwann kam die Kraftlosigkeit, und dann erst Wut ... wo ich bleibe?

    Die Suchtberatung unterstützt und berät auch Angehörige. (Telefonisch selbst getestet und für gut befunden! :) )


    - ein anderer Schuh sind die VERMEINTLICH 'berechtigten' Erwartungen der Restfamilie an DICH.

    Hier fällt mir nur ein: Alkoholismus (als Verhalten und Leugnen) wirkt sich auf alle Familienmitglieder aus. Ich habe tatsächlich sehr lange gebraucht, zu "erfahren" (anderswo natürlich), dass dem ("wir müssen zusammenhalten!") NICHT so ist. Bullsh*t. Das ist, was alle in feiner Scham gelernt haben. Immer noch geht es um die Erscheinung. (Glaub' mir, es weiß sowieso längst jeder.) Wie lange habe ich mich im Konflikt aufgehalten, mit MIR sei (ebenfalls) etwas falsch, in so einer - erstarrten - Kleinfamilie zu leben. Auch ehe ich erfahren durfte (Meetings, Klinik, Therapie), dass das allesamt Spiegelungen des Leugnens meiner Eltern und ihres Suchtverhaltens sind (man spricht nicht, fühlt nicht, ... du kennst das sicher selbst auch, oder?).

    Ich habe UNWAHRHEITEN gelernt! Weil mir als Kind und Jugendliche die Korrektur mithilfe anderer Menschen von außen fehlte.

    Das Familiensystem um den "Alkoholismus" hat Beulen und Verzerrungen, die man - solange man selbst innerlich mit Ausbügeln voll belegt ist - nicht sehen KANN! Bei mir brauchte es eigene Depression und Verzweiflung, um FÜR MICH etwas zu wollen. Der emotionale Tiefpunkt ließ nicht lange auf sich warten. Kliniksbesuch (gewählt!) und dort die Erfahrung, wie das ist, MIT meinen Gefühlen (incl. Ängsten und Scham) sichtbar und 'doch' zugehörig zu sein. Rund um die Uhr. Ganz neu für mich. Ich "hätte Familie nie gehabt", war ein Nebensatz der Therapeutin, als sie mir eine Übungsaufgabe vorschlug. Der Satz hat gesessen. Und mir erklärt, warum bei mir soviele Löcher sind, wo andere völlig zweifels-frei sprechen, handeln, fordern.

    Erstmals begann ich, MIT MIR ZU FÜHLEN und mir Abstand von meinen Eltern zu wünschen. Es kam das hervor, was Du jetzt auch spürst: Die Not, evtl. doch zu "müssen"? (Ihnen helfen). Dafür hat mir dann eine SHG (Al-Anon) geholfen. Und der Einstieg in die Denkweise der zwölf Schritte. Das Wort "Selbstfürsorge" kannte ich vor Melody Beattie (Buchautorin) gar nicht. Soviel dazu. Ich teile hier meins ... Einfach um Deine Frage zu beantworten: Ja, es hat sehr lange gebraucht, mich auf den Weg zu machen, und ich bin noch immer keine andere. Mein Familienerbe bleibt. Aber ich stehe auf meiner Seite, und das verwandelt vieles! - Das meinte ich mit: Besser unterscheiden können, was das meiner ELTERN ist, und wo mein Raum beginnt.

    Ein gutes Stichwort für Dich könnte auch "toxische Scham" sein. (z.B. John Bradshaw)
    (Das ist der Dunstkreis vererbter Tabus: Nicht fühlen, sich nicht im eigenen Sinn äußern, nichts brauchen, ... )

    Oder das, was in der Lesemappe von EKS (Erwachsene Kinder aus suchtkranker Familie) enthalten ist.
    Erkennungsmerkmale, "unsere" familiäre Laufbahn. Dann noch lauter Berechtigungen, die für mich völlig neu waren.

    ...


    - Für Deine akute Situation (dort organisatorisch "gebraucht" zu werden) ist der Einstieg ins eigene Brauchen vielleicht gerade zu konfliktbeladen.

    Mein erster Ansatzpunkt wäre da, äußeren Abstand herzustellen. Nötigenfalls mit einem Kliniksbesuch oder einem für Dich greifbaren Zeitpunkt, wann Du "da raus bist" und erstmal nicht mehr zu kriegen (räumlich und/oder seelisch). Falls Du anders kein inneres Refugium findest und bei Dir bleiben 'darfst'. Das wäre dann nebenbei auch äußerlich "offiziell" genug als Grund, nicht verfügbar zu sein. Es ist NICHT edel, zu helfen, wenn es das eigene Leid mit überdeckt. (Es bestärkt nur die Fehlhaltung der anderen, "die packt das schon!" und hält die für uns mehr als kraft-absaugende innere Rollen-Umkehr (Stichwort "Parentifizierung") aufrecht.

    Eine Erfahrung aus anderen Zusammenhängen (Umzüge o.a.), die mich regelmäßig wütend gemacht hat: Stehe ICH (unter heftigsten Gewissensbissen) entgegen der Planung dann doch nicht zur Verfügung, ... "finden sich" Lösungen !!! - auch das hat mich, übertragen auf meine Denkhaltung, stärker als meine 'armen Eltern' zu sein (und deshalb unentbehrlich für sie), zumindest wacher gemacht. Ich "weiß" inzwischen, dass vieles, was ich innerlich aus meinen Händen gebe ("sorry, ich pack's schlicht nicht mehr" - Tiefpunkt), auf ganz eigene - oft gar nicht vorher denkbare - Weise gelöst wird. (Fügungen, Infos die jemand bekommt, Worte die man selbst aufschnappt, einfach Unvorhergesehenes.)

    Diese Erfahrung im Kleinen hat mich immer mutiger gemacht, zu vertrauen: Es geht sehr gut ohne mich.

    Die "Lücke" durchs nicht-verfügbar-sein setzt sich unterschwellig auch als Lücke in der bis dahin selbstverständlichen Versorgtheit des/der anderen fort ... und bringt dort oder im Umfeld (Deine anderen Verwandten) eigene Energie in Bewegung ... ob bewusst oder nicht ... das System verändert sich NUR DADURCH, DASS ein Teilchen die Position verändert. Das braucht Mut, Zuspruch, Bestätigung dass die eigenen Gefühle (vor allem Wut, Scham, Ärger, Hiflosigkeit) berechtigt sind ... und den holen wir uns ja beide schon! 44.

    Ich weiß jetzt, dass ICH das einzige Sprachrohr in meinem eigenen Leben bin. Das kann niemand besser als ich!

    Der erhoffte "Tausch" von "ok, ich helfe euch" zu "dann werde ich mich frei FÜR MEINS fühlen", ... ging all die Jahre für mich nie auf. Das war meine Karotte. Und ich der Esel vom Dienst. Diese Erkenntnis half mir, wütend zu werden. Und genau da ging's und geht es dann auch lang. Was will ich? (Fragt das sonst irgend jemand? Also in meiner Familie nicht.)

    Weil sie selbst kein Interesse daran (oder einfach nicht den inneren Zugang dahin) hatten, frei zu werden. Oder sich mit ihrem echten, abgetrennten Gefühl auseinander zu setzen. (Leugnen als Betriebsmodus ist nicht von außen zu knacken. Außer man sagt: Sorry, für mich stimmt hier etwas nicht. Und deshalb nehme ich Abstand.) Ein Freigeben auf Augenhöhe ginge überhaupt nur, wenn sie FÜR SICH Freiheit wollten und mich dann in "Einsicht" meiner Nöte gehen lassen könnten/würden. (Zur Einsicht fehlt aber ein Bindeglied, das nicht aus unserer Hand zu liefern ist.)

    Wenn ihnen spürbar etwas fehlen würde, für das sie Wagnisse der Veränderung eingehen. Und wenn sie in dem Zuge selbst ... (bin wieder bei ihnen.) - Fakt ist: Sie kennen mich und mein LEBENSGEFÜHL nicht gut genug, um zu wissen, was ICH brauche. Und das hat nichts mit Wertung zu tun. Was weiß ich denn über IHRE eigenen Gründe (Geschichte und Unabänderlichkeiten darin), so zu leben, wie sie es tun? - Auch das: Nicht durch mich aufzulösen. (Danke an eine ehrliche Mitschreiberin für diesen direkten Anstoß, mal darüber nachzudenken.)

    Ach so, und dazu fällt mir gerade noch eine hilfreiche Unterscheidung ein, die ich kürzlich erfuhr:
    "SELBST die Heilung sein wollen" für jemand anderen = unsere Sucht. ("Ich weiß, was du brauchst. Ich liefere die nötigen Bedingungen, ... etc.")
    "Heilend für seinen Weg sein k-ö-n-n-e-n" (mit freiem Ausgang) = Aussprechen: Hier kann ich nicht wie gewohnt weiter machen. Nur so verändert sich die Struktur.

    Du siehst, ich arbeite selbst noch auf allen Kanälen daran, BEI MIR zu bleiben. Die Einsamkeit ohne mich selbst war zu lähmend. Und sie zahlt sich gar nicht aus. Es ist, wie ein Zahnrad (eigene Kraft) zur Verfügung stellen, aber das Getriebe bringt einfach nicht voran, die Mechanik greift ins Leere.

    Ich weiß heute, dass das Leugnen meiner Eltern in mir selbst Platz genommen hat, weit ehe ich eine eigene Wahl (Kenntnis und Entwicklung meiner ureigensten Gefühle) hatte. Und in diese Abgetrenntheit von mir selbst und dem, was mich bewegt, berührt, begeistern kann, abstößt, ... die ganze Palette ... dahin werde ich nicht und kann ich nicht mehr sehenden Auges zurück. Das würde dann ich mir antun.

    Diese Entschlossenheit, dass ich es wirklich Wert bin, als eigene Person ein eigenes Glück zu leben, festigt sich bei mir genau DURCHS entsprechende Handeln. Alles an Hilfen nehmen, das ich kriegen kann, um mich überhaupt "frei" fühlen zu dürfen. Für mich ist das die SHG (mehr noch genesenden Alkoholikern zuzuhören), meine Therapie und das Schreiben.

    Mit jeder Entscheidung zum eigenen Wohl bin ich zugleich umsorgte Empfängerin dieses Einstehens. Und so sammeln sich Wärmepunkte auf der Empfängerseite, die mir wiederum Kraft geben, erneut für mich einzustehen. Gute Erfahrungen stärken mich da!

    Es lohnt sich! Das möchte ich mir und Dir gerade mal sagen.

    Diesen Wust zu schreiben, war auch eine Erinnerung an meinen eigenen Weg und alles, was ich dafür schon gegeben habe.

    Lieben Gruß und pick' Dir einfach raus, was für Dich passt. :)
    Wolfsfrau

  • Wollte nur mal kurz meinen Senf dazu geben: "gesunder Egoismus" (auf SICH SELBST achten) und Nein-sagen-lernen hat nichts, absolut nichts damit zu tun, zu Allem und Jedem NEIN zu sagen!

    Sondern einfach nur damit, seine eigenen Wünsche und Grenzen zunächst zu erfahren und zu respektieren - selbst zu respektieren. Und dann, diese Wünsche und Grenzen nach außen kundzutun/zu setzen.

    Gruß
    Greenfox

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    können wir nur selber tun!

  • Hallo Greenfox,

    steh grad auf dem Schlauch, worauf ist das bezogen, was du geschrieben hast?
    Das stimmt natürlich mit dem "gesunden Egoismus". Denke bloß, für Manche ist die Grenze zwischen (ges.) Egoismus, Grenzen wahren, zu weit abgrenzen und eigene Wünsche nicht sehen, Zurückstecken, Selbstaufgabe sehr schwer zu finden, da sie (im schlimmsten Fall) noch nie so richtig spürbar war. Für mich kann ich das jedenfalls so, und mir fällt es schwer zu unterscheiden, was ich jeweils darf oder nicht darf, was gesund ist und was ich sogar sollte.


    Hallo Wolfsfrau,

    du hast viel geschrieben, mir fällt es momentan etwas schwer, darauf einzugehen in einer strukturierten Art. Da sind wirklich sehr viele Themen drin enthalten, die ich auch wichtig finde. Ich will mal sehen, wie ich darauf antworte. :)


    Lieben Gruß
    Liv

  • Hallo Liv, wikende091

    ich möchte sagen, dass ich nicht selbst in der Erwartung schreibe, beantwortet zu werden.

    Mein ganzer Text kam wie von selbst in Gang, als ich begann, mich in Reaktion auf Deine Infos
    zu erinnern, wie "das" bei mir war. - Es hat sich verselbständigt. (Unschwer zu sehen, räusper.)

    Jetzt ist es eher so, dass ich merke: Du hattest mir konkrete Fragen gestelllt.
    Die einfach nur abgegrenzt zu beantworten, das war mir gar nicht mehr möglich. Geht aber!
    Ich hole das nach.

    Mein letzter Satz ("pick Dir nur heraus, was für Dich passt") meint: einfach nehmen, reicht völlig.
    Und bloß nicht in der Haltung, das wäre jetzt "der Weg", ... und dahin zu finden, das Einzig Wahre.
    Ich lege es nur offen, um zu zeigen: Es geht! Irgendwo anfangen, beim kleinsten Ding, das geht!
    Es ist immer möglich, dass Dir ein ganz anderes Ereignis Ideen oder Wege eröffnet. :)

    Ich erwarte hier nichts "zurück". (Und bei dem Umfang meiner 'Erzählung' schonmal gar nicht. ;) )
    Das Schreiben selbst beschenkt mich. Es macht auch mir noch einmal klar, was alles schon ging!

    Einfach liebe Grüße, und mit "Egoismus" hat auch mein Erleben und diese Erfahrung nichts zu tun.

    Wolfsfrau

  • Hallo Wolfsfrau,

    oh, ich hab das nur so gemeint, dass ich deine vielen Gedanken dazu sehr hilfreich und interessant fand. :) Picke mir beim Antworten dann schon das für mich Passende aus (ist doch eigentlich immer so). Das mache ich später. Nur nehmen und nichts im Dialog zurückgeben mag ich auch nicht.

    Ja, der Weg ist für jeden anders, es ist für mich aber auch immer hilfreich sein zu sehen, wie Andere ihren Weg gehen. Das finde ich schön an so einem Ort wie diesem Forum. Mir hilft es immer sehr zu lesen, dass Mut und Zuversicht auch wiederkommen können, wenn man sich aus seiner Ausgangslage befreit, und dann neue Möglichkeiten entstehen, auch wenn ich mir das manchmal nur schwer vorstellen kann.

    Lieben Gruß
    Liv

  • Hallo Liv,

    das freut mich! Wenn Du für Dich Hilfreiches und Mut machendes aus meinen Erfahrungen nehmen kannst.

    Für jetzt gehe ich erstmal wieder "off", bin privat noch etwas durch den Wolf und muss auch sacken lassen.

    Alles Liebe erstmal,
    Wolfsfrau

  • mir fällt es schwer zu unterscheiden, was ich jeweils darf oder nicht darf, was gesund ist und was ich sogar sollte.

    Eigentlich 8) sollte man nur in sich reinhorchen und sich selbst fragen "Tut mir das jetzt gut? Will ich das? Kann ich das überhaupt?" Und wenn die Antwort lautet "Nein!" dann heisst das Nein.
    Nur wenn objektiv die Hütte brennt, dann kann man gegen dieses Nein verstoßen.

    Natürlich ist es nicht leicht, dieses "Nein sagen" (wieder) zu erlernen - kenne ich von mir. Man war ja schließlich immer da und hat alles gemacht - egal, ob man konnte/wollte ...
    Ich habe inzwischen gelernt, nicht sofort zu springen, nur weil jemand (und wenn es meine Eltern sind) mit den Fingern schnippt.
    Auf die Art gibt man der durch immer wiederkehrende Verletzungen dünngewordenen Haut (ist symbolisch gemeint) Gelegenheit, zu heilen und wieder etwas dicker zu werden ...

    Ich wollte eigentlich nur diese Gedanken ausdrücken - auf keinen Fall den mahnenden Zeigefinger o.ä. auspacken ...

    Gruß
    Greenfox

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  • Wolfsfrau, das ist doch komplett ok. :) Wie gesagt, ich kann mich auch nicht immer mit innerseelischen Vorgängen auseinandersetzen. Um so mehr, wenn im Leben grad viel belastendes ist. Wünsche dir gute Erholung!

    Greenfox, ja, eben das ist es ja leider: *eigentlich*. Ich hab das in mich reinhorchen in den letzten Jahren erst mühsam lernen müssen, vorher bestand mein Leben (und jetzt zT immer noch) daraus, die Antennen immer auf die Anderen ausgerichtet zu halten. Anders war es schlicht nicht möglich emotional zu überleben als Kind in einer von Alkohol geprägten Familienumgebung.
    Das geht heute noch so weit, dass ich in Konflikten und brenzligen Situationen erstmal nix sagen kann oder nur jaja ok, und mir überhaupt erst hinterher meine Gefühle und mein Standpunkt so richtig klar werden und dann teils als extreme Gefühlsausbrüche raus wollen, wenn sie nämlich von jaja ok weit abweichen. ;)

    Dass ich Nein sagen darf, gefahrlos ne andere Meinung haben kann, und mich abgrenzen darf...das ist mir erst mit jahrelanger Überzeugungsarbeit durch Andere überhaupt zu nem schlüssigen Konzept geworden. Insofern sicher gut, wenn ich das immer wieder aufgezeigt bekomme. Ich übe noch. :) Hab inzwischen aber auch gelernt, im Zweifelsfall sagen zu dürfen: "du, ich hab nochmal nachgedacht, und xyz ist für mich doch nicht in Ordnung." So als eine Art verzögertes Nein sagen.


  • Ich übe noch. :) Hab inzwischen aber auch gelernt, im Zweifelsfall sagen zu dürfen: "du, ich hab nochmal nachgedacht, und xyz ist für mich doch nicht in Ordnung." So als eine Art verzögertes Nein sagen.

    Übung macht den Meister ;D

    Und dieses "verzögerte" Nein finde ich super 44. Auch dazu gehört sehr, sehr viel Mut und Selbstcourage - sich selbst einzugestehen, dass die ursprüngliche Entscheidung doch nicht die richtige war ... und das dann auch noch nach aussen transportieren und sagen 44. 44.

    Also: weiter üben! :)

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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    können wir nur selber tun!

  • Hallo Liv,

    so, jetzt habe ich etwas Muße, hier nochmal anzuknüpfen. :)

    Die einzige offene "Frage" war noch die nach der räumlichen Entfernung zu meinen Eltern:
    Also, ich wohne zwei Zug-Stunden entfernt. Die Dauer der Besuche habe ich nach und nach "ausgeschlichen".

    Ich kann mich aber auch an Phasen erinnern, wo ich meiner Mutter auf dem Bahnsteig beim Fahren sagte:
    "Versteh' mich nicht falsch. Es kann einfach nicht länger bei euch sein, solange mein Verhältnis zu (Vater) ist, wie es ist."

    Heute sehe ich, dass ich schon immer zwei "Fronten" hatte: Ihn (und seine Abwertungen) und sie (mit ihrer emotionalen Abwesenheit). Vermisst habe ich sie. Weil ich - wenn sie unbelastet war - mit ihr Nähe und echten Kontakt haben konnte. Auch heute habe ich es noch nicht geschafft, ihr zu sagen, dass es ihre Abwesenheit (wenn sie trinkt) ist, die mir einen Stich versetzt. Sie trinkt auch kaum noch, seit ihrer anderen Erkrankung, so ist das Thema wieder etwas von der Bildfläche.

    ... aber verstrickt und innerlich immer wieder auch mit verhedderten Gefühlen, das bin ich auch. Egal wie klar der Kopf versteht.

    Mich haben diese Sätze von Dir sehr berührt:

    Zitat

    Ich fühle mich noch völlig mit meinen Eltern verstrickt und verbunden, empfinde ihre Krankheit als Familienmakel, den ich ausbaden muss, quasi als Schicksal, dem ich ausgesetzt bin. Ich müsste mal in mir nachforschen, woher diese Überzeugung kommt und warum sie so stark in mir ist, denn eigentlich ist das ja Quatsch.


    "Familienmakel" - das fühle ich so zwar nicht mehr, nach außen hin. Im Gegenteil, mir wäre es sehr lieb, sie würden auffliegen. Damit die Wahrheit endlich wahr sein kann und Änderung überhaupt erst möglich wird. Aber nach innen gibt es so ein Gefühl. Dass ich "so eine" bin. Heute weiß ich aber dass "so eine" nicht den Außenblick anderer meint, sondern das Dauertief und die ständige Verdunkelung der Lebensfreude zwischen uns dreien, in unserem Haus. Das ist oft auch mein "Normalzustand" im Fühlen (gewesen). Der liegt in mir bereit wie die Standard-Version, eine Art vertrauter Raum. (Das geerbte Wohnzimmer?)

    Wir dürfen den verlassen, oder die Fenster darin aufreißen. Räumlich durchs Wegbleiben, oder innerlich, indem wir ihnen ihre Eigenverantwortung zurück geben. Verwirrend ist für mich dabei manchmal, dass ich immer denke: Ja, aber die Krankheit (das Leugnen um die Sucht) lässt sie doch gar nichts merken. Dann müsste doch 'ich' irgendwie da durch kommen, damit ... (sie merken können, etc.) ...

    Von diesem Irrglauben konnte ich mit einem kürzlich gewonnenen Einblick in meine echte Verantwortung etwas abrücken. Es ging um eine Unterscheidung in "süchtige" und "genesende" Haltung zum Thema "Helfen", die mir jemand deutlich gemacht hat:


    Was uns in die Mühle (Helfer-Spirale) treibt:
    Wenn ich mir die Aufgabe auferlege, den anderen innerlich irgendwo hin zu "bringen", dann mache ich mich für ein Ergebnis SEINES inneren Prozesses verantwortlich. Viel zu schwer auf den eigenen Schultern. Und man tritt immer und immer wieder an, oder versinkt in Schuldgefühl, die eigenen Entdeckungen nicht anbringen zu können. Ich kann nicht die Heilung sein.


    Was das Geschehen an den anderen zurück gibt:
    Es kann für den anderen aber heilend sein, zu spüren, wie es ohne meine Dauer-Aufmerksamkeit auf seinem Wohl, seinem Verhalten (für oder gegen sich), seinen Signalen ist. Zum Beispiel genau durch eine abgrenzende Ansage in zwei Teilen:

    (1) Mir liegt an Dir und es tut mir weh, zu wissen, ...
    (2) dass Dein Trinkverhalten süchtig ist und Dich umbringen wird.


    Da kann dann erst ein Vakuum entstehen, das Raum für das Spüren der eigenen Leere und echten Gefahr (Tod) öffnet. (Ich habe so eine Art Schock in einem anderen Thema - geschützt - erlebt und nach Hadern, Trotzen und Rückzug als eigenes Überleben, Leben-Wollen begriffen.) Der einzige Weg, selbst etwas für sich und sein Leben zu wollen, ist dieser leere Raum in allen Schmerzen, und die Frage, ob man den weiter aushalten will/kann. Oder ob man von da aus anfängt, wirklich Hilfe haben zu wollen. ("Ich fühle mich so miserabel", das wäre ja ein völlig ausreichender erster Satz, egal an welcher Anlaufstelle.)

    Der Trick für uns ist nur, auch mit dem "heilenden" Vorgehen keinen Anspruch ans Gelingen zu verbinden. Nicht an sich selbst (habe ich es doll genug versucht? <- süchtig) und auch nicht an den anderen (aber er/sie müsste doch! <- süchtig). - Es ist ein Angebot, das einsickern kann. Wir können aber nicht zugleich der Boden sein, in den es sickert.

    Für mich hat das meinen oft gefühlten Lösungs-Druck rein bildlich und räumlich ziemlich gut aufklären können. (Am Ansage-Satz arbeite ich noch.)

    Liebe Grüße in Deinen Tag,
    Wolfsfrau

  • Hallo Wolfsfrau,

    ich versuche einfach mal auf deine beiden Beiträge einzugehen.

    Ich habe mit mir selbst ausgemacht, dass ich meinen Eltern vorerst nur bis zum Ende der Wohnungsauflösung für direkte Hilfe zur Verfügung stehe. Das ist absehbar, und obwohl es tatsächlich sehr belastend ist, wird es hoffentlich Ende des Monats vorbei sein und ich kann dann wieder verstärkt auch mich schauen. Solche Pläne sind natürlich wirkungsvoller, wenn man sie auch noch jemand anderem mitteilt und nicht nur sich selbst „leere Versprechungen“ macht, nun hier ist das vielleicht der erste Schritt.
    Das mit dem Ausschleichen der Besuchslänge finde ich auch eine ganz gute Lösung, für mich wäre ein erstes Ziel, dort nicht mehr zu übernachten, weil mich das immer sehr belastet.
    Alles, was später kommen könnte (externe Versorgungswege wie du das nennst), nun darüber muss ich mich informieren. Im Endeffekt hat bisher das Emotionale („ich kann meine Eltern doch nicht hängen lassen“ bzw. das Nebulöse „es wird alles schrecklich enden, egal was ich versuche") erstmal Überhand genommen.

    Ja, sie haben ihre Gründe, es so zu belassen. Ich kann es ihnen nicht abnehmen (faktisch angekommen, emotional noch immer nicht). Die Gefühle von Kraftlosigkeit, Wut, Verzweiflung kenne ich sehr gut. Die immer wiederkehrenden Wünsche, dass es doch alles gut sein könnte.
    Schlimm für mich empfinde ich, dass ich eine intakte Familie haben möchte, dass ich mich danach sehne, und deshalb dieses Spiel mitspiele, in dem mir suggeriert wird, alles ist ok, wenn ich nur die Klappe halte und auf meinen Gefühlen rumtrampele. So habe ich das Leugnen auch verinnerlicht und bezahle ständig damit, dass es mir dann nicht gutgeht.
    Das immer wieder auszusprechen und nicht mehr zu leugnen (die abgrenzende Aussage), das ist auch für mich eine Herausforderung und mir oftmals noch nicht möglich. Aber ich übe ebenfalls. Es ist so schwer, bei sich zu bleiben, wenn solche heftigen emotionalen Bedürfnisse von ihnen kommen (wir können nicht ohne dich), oder auch einfach nur eine freundliche Einladung zum Besuch.
    Dann zu sagen, mir liegt an euch und ich kann es nicht aushalten, wie ihr euch zu Tode trinkt, und deshalb nehme ich mehr Abstand ein, das kann ich manchmal schlicht und ergreifend nicht, mir fehlt dann der Mut dazu. Dabei wäre es wichtig, ihnen das transparent zu machen.

    Dass zu der Abgrenzung auch gehört, die Kontrolle über den Ausgang des eigenen Angebots zu machen, ja das leuchtet mir ein. Macht auch dieses Gefühl des Familienschicksals etwas schwächer. Für mich war das ein ganz vorherrschendes Gefühl, nachdem jetzt meine Schwester gestorben war. Ich dachte: Das war erst der Anfang, und die anderen werden folgen, auf die gleiche Art, und am Ende stehe ich allein da und schließe das letzte Kapitel dieser Familie ab. Wie so ein innerer Mythos, den ich mir da gestrickt habe.
    Das was du als Gefühl der Dauerverdunkelung und fehlender Lebensfreude beschreibst, kommt mir sehr bekannt vor. Und es ist sehr wichtig sich klar zu machen, dass man da eigenverantwortlich draus aussteigen darf, wenn man das nicht weiter in seinem Leben haben möchte. Genauso wichtig find ich es, sich zuzugestehen, dass das sehr viel Arbeit ist, die viel Zeit braucht. Und dass wir nicht so hart mit uns sein dürfen, wenn wir wieder in diesem geerbten Wohnzimmer Platz nehmen und es eine Zeitlang düster aussieht.

    Ich finds positiv, dass du für dich die Klinikzeit und die Zeit danach nutzen konntest, um zu erfahren, wie das ist, dich nicht ausgegrenzt durch deine Emotionen zu fühlen und mehr in dich reinzuspüren, zu merken, dass du den Abstand willst und brauchst.
    Und schön zu lesen, dass du so positive und kraftvolle Worte für deinen Weg findest. :)

    Lieben Gruß
    Liv

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