Ihr Lieben,
ich bin glaube ich keine Alkoholikerin, missbrauche aber Alkohol. Ich trinke, um zu entspannen, um Stress zu vergessen. Und wegen Suchttdruck an Tagen ohne besondere Vorkommnisse (Stress steigert aber den Suchtdruck). Nicht täglich, aber zwei bis dreimal pro Woche und bei akuten Krisen auch öfter. Zu absoluten stressfreien Zeiten trinke ich dagegen auch mal nichts (Urlaub).
Meine zwei größten Probleme dabei: Kontrollverlust und Suchtdruck.
Ich kann den Konsum nicht kontrollieren. Ich trinke Wein und sobald ich einen Schluck intus habe, trinke ich weiter, bis die Flasche leer ist (vorsichtshalber habe ich nie mehr als eine Flasche vorrätig). Auch kenne ich Suchtdruck - der lässt sich zwar aussitzen, aber immer bringe ich die Disziplin nicht auf (dieser Suchtdruck befällt mich zwei bis dreimal pro Woche abends - ansonsten denke ich nicht an Alkohol). Kater habe ich manchmal, manchmal vertrage ich die Flasche Wein leider. Wenn die Flasche dann leer ist, möchte ich am liebsten weitertrinken, aber da bremse ich mich ja selber aus (nichts da). Was bewirkt, dass ich den Rauschzustand verachte und den gleichen Suchtdruck aushalten muss wie vor der Flasche... total dämlich, das hätte ich ja auch ohne zu Trinken durchmachen können.
Ich werde nicht aggressiv, funktioniere und ich kann auch nicht sagen, dass Alkohol mein Leben dominiert, ich Hobbies vernachlässige o.ä. Ich mache auch viel Sport (hier merke ich übrigens, wenn ich am Vortag getrunken habe). Trotzdem sind zwei bis drei Flaschen Wein pro Woche ja gesundheitsgefährdent und die zwei bis drei vernebelten Abende irgendwie versaut sowie die darauffolgenden Tage (manchmal) mit Kopfschmerzen erschwert. Und ich fühle mich schlecht deswegen.
Und noch was ganz Beklopptes: Meistens gibt mir das erste Glas ein kurzes Hochgefühl. Das kommt aber von Zeit zu Zeit auch ganz ohne Alk... und es lässt sich durch das zweite Glas nicht aufrechterhalten. Wie gesagt: ich genieße den vernebelten Zustand ja gar nicht, sondern ärgere mich schon da, dass ich nicht standhaft war. Plus den Suchtdruck, der dann auftritt.
Ich hab schon ein paar Versuche gemacht, abstinent zu leben, aber nach zwei Wochen wieder angefangen. Jetzt habe ich mir das Allen Carr-Buch durchgelesen und finde es recht einleuchtend. Auch ist mir aufgefallen, dass supertolle Erlebnisse, von denen man noch den Enkeln erzählt, überhaupt nicht mit Alkohol zusammenhängen - klar gab es lustige Partys und tiefsinnige Gespräche (gefühlt... ;))mit Alkohol, genauso aber auch ohne. (Und gerade Partys und Alkohol - klar enthemmt das, aber vom stundenlangen Tanzen wird man doch eh wieder nüchtern.) Kurz: In meinem Leben gibt es gute und schlechte Erlebnisse mit und ohne Alkohol. Es hat gar nichts miteinander zu tun. Nur akuten Stress reguliere ich mit Alkohol. Alle anderen Lebensbereiche sind unabhängig von seiner Wirkung.
Allen Carr vergleicht Trinken in seinem Buch häufiger mal mit Heroin. Der Abhängige giert nach seinem Stoff und für mich als Nicht-Abhängige ist klar, dass er nicht nach dem Stoff giert (weil der ihm ein Hochgefühl verleiht), sondern nach der Suchtbefriedigung, die ja erst durch den Stoff ausgelöst wurde. Hört sich total simpel an, aber: das war für mich ein KLick-Moment, weil ich glaube, das ist es mit dem ALkohol auch: Ich habe Spaß ohne. In Krisensituationen lassen sich zwar Schmerzspitzen damit wegdrücken, die Krise löse ich aber anders, ohne Alkohol. Und: manchmal möchte ich auch unbedingt Alkohol trinken, wenn es mir sehr gut geht. Es ist halt ein hochgradig abhängig machendes Zellgift, das mich manchmal im Griff hat. Angelockt wurde ich durch die entspannende Wirkung zu stressigen Zeiten. Jetzt sitze ich in der Falle und habe an manchen Abenden Suchtdruck. Und da habe ich einfach keinen Bock mehr drauf.
Bin mir noch unsicher, ob ich tatsächlich abstinent leben will/muss oder ob (nach abstinenter Zeit) für mich ein normaler Umgang mit Alk möglich ist (also das Glas Sekt zu Silvester, das Glas Wein im Restaurant usw.). Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich da eher Angst vor gesellschaftlicher Ächtung als vorm Nie-mehr-Trinken-dürfen.
Für Silvester gönne ich mir eine Ausnahme, ich glaube, damit setze ich mich zu sehr unter Druck, mir das zu verbieten. Was meint ihr - ist das möglich?
So, ich schicke das jetzt einfach mal so ab. Mal gespannt, was ihr so schreibt. Mir ist jedenfalls beim Schreiben klar geworden, dass ich Alkohol phasenweise als Medizin missbrauche und wohl tatsächlich einige Symptome der Sucht (Saufdruck und Kontrollverlust) entwickelt habe, die aber nicht täglich auftreten. Zu Stresszeiten trinke ich vermehrt und dann sind auch die Symptome stärker - sowie die Verträglichkeit (zwei Tage ohne Wein und eine ganze Flasche bewirkt wieder einen Kater).
Puh, erfordert jetzt echt Mut, das Abschicken, aber ist ja anonym hier.
LG Ilona