Abstand nehmen

  • Hallo ihr lieben Alle,

    ist ein Abstand nehmen gleich ein im Stich lassen des Betroffenen?

    Angehörigen von Süchtigen wird ja meist als einer der ersten Ratschläge nahegelegt sich zunächst um sich zu kümmern und Abstand von dem Süchtigen zu nehmen.

    Oft wird dies allerdings damit verwechselt den Süchtigen komplett im Stich zu lassen, was natürlich auch nicht der richtige Weg sein kann und es ist verständlich dass Angehörige disen Weg dann nicht gehen wollen bzw. können. Nach meinem Empfinden geht es aber weniger darum den Betroffenen im Stich zu lassen, sonder vielmehr darum in erster Linie für sich selbst eine sachliche und gesunde Position zur Situation zu bewahren. Absoluten Abstand sollte man zu der Sucht und zu dem süchtigen Verhalten des geliebten Menschen nehmen. Man sollte vermeiden die Sucht zu unterstützen, den Menschen ansich, vielleicht sogar den Hilfesuchenden sollte man aber natürlich auf seinem Weg aus der Sucht heraus unterstützen...

    Dies mal so angeschnitten meine Meinung zu diesem Punkt.
    Ein Austausch und wie Ihr darüber denkt würde mich sehr interessieren.

    Viele gute Grüße,
    Land-in-Sicht

  • Ja, das finde ich ein sehr wichtiges Thema, dass einen auch als selbst Betroffenen ziemlich schnell betreffen kann.
    In meiner Gruppe gibt es eine Frau, deren beide Söhne ebenfalls betroffen sind. Alle drei haben Langzeittherapien hinter sich und alle drei wohnen räumlich eng beieinander (haben alle eigene Wohnungen im selben Haus).
    Allerdings ist einer der Söhne ziemlich schnell wieder rückfällig geworden - und das nicht nur kurzzeitig.
    Und in dieser Situation war sie natürlich nicht nur äußerst stark gefordert, sondern auch irgendwann überfordert :-[

    Es sagt sich so leicht: Sag ihr/ihm, dass Du Hilfe gibst, wenn sie gewünscht/gewollt ist, aber ansonsten zieh Dich von dem-/derjenigen zurück, lass ihn/sie machen. Es mag noch so richtig und wichtig sein (ich persönlich stimme mit diesem Rat völlig überein!): Wenn es sich "nur" um Freunde oder Bekannte handelt, dann mag das ja auch ok und relativ leicht machbar sein. Aber wenn es sich um enge Familienangehörige handelt ... Nicht umsonst nennt man das Ganze ja Co-Abhängigkeit.

    Ich bin ganz froh darüber, dass ich mich selbst nicht in einer solchen Situation befinde.
    Meine Frau will übrigens selbst heute noch nicht über dieses Thema reden - weder mit mir noch mit sonst jemandem. Und ich bin nun schon seit ein paar Jahren trocken. Ich habe ihr schon zu Beginn meiner Trockenheit geraten, doch auch selbst einmal eine SHG für Angehörige zu besuchen. Denn wenn ich daran denke, was ich in meiner nassen Zeit so angestellt habe ;( Bin zwar NIE gewalttätig gewesen/geworden - aber trotzdem ...

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Ja das mit dem Abstand nehmen ist eine schwierige Gratwanderung. Abstrakt ist es völlig richtig. Aber was heißt das in der konkreten Situation? Wenn ich einen heimlichen Trinker habe - schaue ich nach Flaschenverstecken und gucke heimlich nach in seinem Rucksack, wie viel Leergut er zurück bringt oder tu ich das nicht? Ich habe es einmal getan und dann beschlossen, es zu lassen. Es ist für mich auch eine Frage des Respekts vor dem anderen, nicht in seinen Sachen zu kramen. Aber ich habe auch Angst, nicht mitzukommen, wenn die Situation sich zuspitzt.

  • Das Problem beginnt schon mit der Bezeichnung:
    Co-Abhängigkeit rückt ein völlig normales mitmenschliches Verhalten einem nahestehenden Menschen gegenüber in den Bereich des Krankhaften nach dem Motto: Der Abhängige ist die Droge des Co-Abhängigen.
    Der Haken dabei: Bemühungen, für den Betroffenen zu seinem Wohl zu entscheiden, ihn irgendwie zur Einsicht zu zwingen, ihn vor sich selbst zu schützen, bewirken oft das Gegenteil von dem, was man beabsichtigt - die Schweizer benützen dafür den Begriff "Co-Verhalten".
    Die Regeln zur Veränderung von Co-Verhalten sind recht einfach und erfordern keineswegs, des Kranken fallen zu lassen...

    Nur der/die Betroffene kann entscheiden, ob, wann und wieviel er/sie trinkt, ich habe keinen Einfluss daruf. Veränderungen des Trinkverhaltens sind weder mein Erfolg noch mein Versagen

    Ich kontrolliere nicht - Kontrolle entfacht einen Wettbewerb, ob sie zu umgehen ist, und übernimmt Verantwortung, wenn sie versagt

    Ich kritisiere nicht - Kritik ist destruktiv, demotivierend, kränkend, Kritik rechtfertigt den Konsum: Es nörgeln eh alle an mir rum, ob ich konsumiere uder nicht - da trinke ich lieber, dann macht es mir nichts aus

    Ich treffe nur Vereinbarungen, die ich und der/die Betroffene auch tatsächlich einhalten können und wollen

    Ich lüge nicht für den anderen, ich entschuldige ihn nicht, ich gehe ehrlich mit mir, mit ihm und seiner Erkrankung um

    LG

    Praxx

  • Ja, auch ich befinde mich in einer schwierigen Situation. Mein Sohn hat eine Langzeittherapie hinter sich und ist seit dem 1.10.14 wieder zu Hause. Er lebt allein...er hat die Therapie sehr gut gemeistert, war immer gut drauf und hat alles mitgemacht. Hoch motiviert ist er nach Hause gekommen und hat auch seine ersten Termine mit Erfolg gemeistert: Jobcenter mit Vermittlungsangebot, Hausarzt, Einzelgespräch mit seiner Therapeutin, die die Nachsorge begleitet, Termin bei der beruflichen Reha...

    Das erste Wochenende wollte er auf seinen eigenen Wunsch mit mir verbringen, er lud mich einen Abend zu sich ein, einen Abend war er bei mir, an einem Tag haben wir eine Radtour gemacht.

    Nun kam das zweite Wochenende, er wollte es lockerer angehen, wir waren nur für den Sonntagabend zum Essen bei mir verabredet...das war schon früher immer ein Ritual...er sagte 1 Stunde vorher ab, wäre müde vom Radfahren, möchte lieber zu Hause bleiben, ich solle aber keine Vorurteile haben...weil es in seiner akuten Zeit auch oft so war, dass er kurzfristig abgesagt hat.

    Ich rief ihn an, teilte ihm meine Sorgen mit, was bestimmt ein Fehler war, denn er meinte, dass ihn das Gespräch irgendwie belaste, er würde ein schlechtes Gewissen bekommen, habe schon wieder feuchte Hände und überlegt, wen er anrufen kann, dem er sagen könne, wie es ihm gerade geht. Das hat er dann auch getan, hat es mir geschrieben, dass es ihm nun wieder besser geht.
    Er leidet bestimmt auch darunter, dass sich keiner seiner Freunde und Freundinnen verbindlich bei ihm meldet, weil ich annehme, sie wissen nicht so recht, wie sie mit ihm umgehen sollen.

    Natürlich will er auch nicht ständig bei seiner Mutter "rumhängen", ich will es ja auch nicht, er ist 43.
    Aber die Ängste sind da, dass alles wieder kommt und es ging ihm vor der Therapie ganz schlecht.

    Heute Mittag hat er einen Vorstellungstermin für eine mögliche Beschäftigung. Ich kann nur hoffen, dass alles gut geht...mir geht es im Moment nicht gut, was ich ihm aber nicht mitteile.


  • Der Haken dabei: Bemühungen, für den Betroffenen zu seinem Wohl zu entscheiden, ihn irgendwie zur Einsicht zu zwingen, ihn vor sich selbst zu schützen, bewirken oft das Gegenteil von dem, was man beabsichtigt - die Schweizer benützen dafür den Begriff "Co-Verhalten".

    Alles klar, soweit die Theorie... nur, ich beispielsweise hab's bis jetzt noch nie über's Herz gebracht, meine Frau einfach mal machen und tun zu lassen. Würde ihr im alkoholisierten Zustand etwas passieren und ich hätte dies unter Umständen durch mein Eingreifen verhindern können, dann würde ich mir das selber niemals verzeihen können. Und somit beißt sich der Hund wieder in den eigenen Schwanz und die tägliche Angst vor dem erneuten Rückfall bleibt...

    Lieber nüchtern und lustig, als besoffen und dooooof...

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