Sucht-/Saufdruck - wie erlebt man ihn

  • Hatten letztens in meiner Selbsthilfegruppe mal wieder das Thema Saufdruck beim Wickel und was das eigentlich ist.
    Zu Beginn meiner Abstinenz habe ich immer wieder mal davon gehört und gedacht, das wäre dieses etwas wehmütige Gefühl, wenn man z.Bsp. bei schönem Wetter an einem Biergarten vorbeikommt und dann so bei sich denkt: "Ja, das wäre schön - jetzt gemütlich hier sitzen und ein Bier trinken und das Wetter geniessen." Und dann habe ich mir gesagt: "Nee, das (Bier) brauche ich nicht." und gut war's.
    Habe dann auch mal in meiner Gruppe angesprochen - da war ich so ungefähr 1 Jahr trocken -, dass es ich die Leichtigkeit meiner bisherigen Abstinenz etwas beängstigend finde. Warum ist es mir früher so schwer gefallen (eigentlich unmöglich war), trocken zu bleiben? Und jetzt - keine Probleme?!?

    Und dann kam für mich der "dicke Hund": Ich war ca. 1,5 Jahre trocken, ein schöner Tag, kein Stress, kein Ärger, alles chic und schön. Ich war mit meiner Familie bei einem Kindergeburtstag im A10-Center (für die, die es nicht kennen: ein großes Einkaufszentrum) und stand gerade draussen, um eine zu rauchen. Und plötzlich - aus heiterem Himmel - kriege ich das große Zittern und habe ein unbändiges Verlangen, mir die Hucke vollzusaufen :o Ich BRAUCHE! JETZT! was zu saufen!! SOFORT!! Ich bin schon fast losgelaufen ... zum Glück kam irgendwo aus den unendlichen Tiefen des Unterbewusstseins noch die Stimme meines Schutzengels und fragte "Eh Alter! Was machst Du denn jetzt für ein Scheiss? Willst Du Dir wirklich alles kaputtmachen, was Du Dir bis jetzt wieder mühsam aufgebaut hast??" Aber dieses Scheiß-Gefühl blieb. Trotzdem wollte ich doch eigentlich nicht trinken - und andererseits doch. Also habe ich mit dem letzten Funken Verstand meinen Zettel mit den Telefonnummern von meinen Gruppenfreunden und mein Handy rausgeholt, um jemanden anzurufen. Ich habe zwar heute keine Ahnung, ob es funktioniert hätte, ob mir der Angerufene hätte helfen können - jedenfalls ist dieser "Anfall" so schnell wie er gekommen ist auch wieder weggewesen ::) Puuh Ich jedenfalls wieder rein zu meiner Familie und erstmal einen halben Liter Wasser auf ex! Meine Frau hat zwar gesehen, dass irgend etwas passiert war, ich konnte ihr aber nicht wirklich begreiflich machen, was/wie es war - sie ist eben keine Betroffene.

    Und zu meiner Erleichterung war dies der erste und LETZTE Vorfall dieser Art gewesen. Noch mal brauche ich das nicht. Jedenfalls weiss ich jetzt, was für MICH Saufdruck ist.

    Wie ist das - kenn Ihr sowas auch? Wie war das bei Euch? Wie seit Ihr damit umgegangen?

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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    können wir nur selber tun!

  • Hallo zusammen,

    ich hatte vom Alkohol irgendwann so die Schnauze voll, dass ich dann keinen Saufdruck hatte, als ich aufgehört habe. Das war dann 13 Monate so. Dann hab ich aus Leichtsinn oder auch nicht genug Verständnis über die Sucht, wieder Wein getrunken.

    Meine Gedanken waren da, was soll schon passieren, wenn ich hin und wieder was trinke. Ich hab jetzt 13 Monate nichts getrunken ohne Suchtdruck zu haben. Abhängig bin ich doch gar nicht. :o

    Mein Plan war: "Wenn ich zu besonderen Anlässen was trinke, ist es okay. Wenn es nicht so zwanglos geht und ich öfter trinken will, hör ich sofort wieder komplett auf." Toller Plan. Nicht nachmachen! Funktioniert nicht.

    Nach diesem ersten mal kreisten auf einmal meine Gedanken nur darum, wann darf ich wieder was trinken. Es war zwar nur zum Wochenende so, aber auch das war zu viel. Ich will doch meine Wochenenden genießen und nicht versaufen.

    Somit weiss ich auch nun, wie sich Suchtdruck anfühlt und dass ich völlig machtlos in solchen Momenten sein kann.

    Bei mir kam er völlig aus dem nichts am Freitag Abend. Die Arbeitswoche war geschafft, das Wochenende kann beginnen.
    Ich war zufrieden und glücklich und auf dem Weg nach Hause, nachdem ich noch was mit Freunden unternommen hatte. Von jetzt auf gleich kam der Gedanke, jetzt noch eine Flasche Wein kaufen und dann den Abend gemütlich ausklingen lassen.

    In dem Moment hatten mein Verstand und mein Willen wohl Sendepause. nixweiss0 Mein Suchtgedächtnis hatte alle Kontrolle übernommen. Kurze zeit später stand dann der wein im Einkaufswagen ....

    Deshalb finde ich es jetzt um so wichtiger sich ständig mit dem Thema zu beschäftigen.

    Viele Grüsse
    Zottelchen

  • Suchtdruck kenne ich in Bezug auf den Alkohol nur aus den ersten Wochen, nachdem ich mit der Sauferei aufhörte. Passieren konnte das immer und überall. Ich erlebte diesen Saufdruck allerdings nur als kurzen, mal mehr, mal weniger intensiven Impuls. Wenn ich den spürte, fing ich regelmäßig an zu lachen oder zumindest zu schmunzeln und nahm damit meinem inneren Alkoholteufel die Butter vom Brot: Netter Versuch! Aber für die Sauferei musst du dir jetzt einen anderen Doofen suchen. Ich mache da nicht mehr mit. Habe ich dir aber auch schon mehrmals gesagt, oder?

    Spaß mag er nicht, der Alkoholteufel. Und so gab er eigentlich immer ziemlich schnell Ruhe.

    In Bezug auf das Nikotin meldete sich der Suchtdruck zwar über einen weitaus längeren Zeitraum immer mal wieder. Aber auch hier flaute der Druck ziemlich schnell ab, nachdem ich vom Lamentieren auf das Auslachen des Rauchteufels übergegangen war.

    Spaß -oder das nicht Ernstnehmen seiner Anliegen- mag auch der Rauchteufel nicht.
    Da sind sich die beiden Suchtlappen ziemlich gleich.

    Katro

  • Ach, wäre das schön gewesen, dieses schit Gefühl einfach weglachen zu können :-\ Aber ich habe einfach nur Panik geschoben ... es hätte fast die Überhand gewonnen. Zu meinem Glück hat sich aber wohl mein Unterbewusstsein (oder was auch immer) dagegen entschieden, wieder zu saufen. Wohl auch, weil ich mich ständig mit dem Thema beschäftige und mich erinnere, wie sch...lecht es mir mit dem Zeug erging - das ist jedenfalls meine Erklärung dafür ...

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  • Dieses Gefühl der Panik hatte ich eine Zeit lang bei meinem Ausstieg aus der Nikotinsucht. Da empfand ich tatsächlich nach dem Abflauen der Anfangseuphorie Angst, dass mein Empfinden von Schmacht/Verlust niemals vorbei gehen würde. Es war jedoch weg, nachdem ich zum ersten Mal die Erfahrung machte, dass ich mehrere Stunden lang nicht mehr ans Rauchen denken musste.
    Ab diesem Zeitpunkt half die Strategie des Nichternstnehmens und des Auslachens. Denn was soll ich an einer Droge ernst nehmen, schätzen oder sogar fürchten, wenn ich die Erfahrung gemacht habe, dass es mir ohne sie real besser geht und dass alles, was ich ihr an Positivem zuschrieb, allein in meiner durch den Drogenkonsum verdrehten Fantasie existierte?

    Ich bin davon überzeugt, dass mir diese Erkenntnis bei meinem späteren Ausstieg aus der Alkoholsucht zu gute kam und größeren Suchtdruck verhinderte. Und ich bin darüber hinaus davon überzeugt, dass eine solche Erkenntnis bei jedem Ex-Süchtigen einen mindestens genauso starken Schutz wie das durch SHG-Besuche angestrebte ständige Beschäftigen mit der Sucht bewirken kann. Man vergisst den Augenblick dieser Erkenntnis und das Gefühl der danach augenblicklich einsetzenden Erleichterung nämlich nie.
    Ist zumindest bei mir so. Ich kann dieses Glücksgefühl jederzeit abrufen. Und manchmal überfällt es mich sogar regelrecht (in positiver Hinsicht).

    Letztendlich sehe ich Suchtdruck so: Solange in meinem Kopf noch ein Rest der Vorstellung vorhanden ist, dass mir eine Droge etwas Positives geben kann, kann ich stärkeren Druck empfinden. Ansonsten lösen bestimmte Situationen schlicht und einfach Erinnerungen aus, die ich zur Kenntnis nehmen und dann erleichtert beiseite schieben kann. Erleichtert deshalb, weil ich nicht mehr so handeln muss, wie ich als Süchtiger handelte.

    Katro

  • Ich mach aber mal einen grooooooßen Unterschied zwischen meiner Nikotin- und meiner Alkoholsucht. Rauchen tue ich zwar immer noch ??? - trotzdem: Sollte ich es mir abgewöhnen und dann rückfällig werden - es würde nicht mein Leben zerstören, höchstens mein Ego ankratzen. Sollte ich aber alkoholmäßig rückfällig werden, könnte es ganz schnell passieren (wenn ich nicht super schnell die Notbremse finde), dass mein Leben futsch ist. Und darüber bin ich mir voll im Klaren! Was meinst Du, warum ich so darauf achte?! Ich habe am eigenen Leibe erfahren, wie schnell das geht und wie sehr der Verstand abschaltet - obwohl ich schon eine Langzeittherapie hatte etc.
    Und um ehrlich zu sein: Ich habe eine scheissende Angst davor, rückfällig zu werden!

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  • Ich mache überhaupt keinen Unterschied zwischen diesen Süchten, muss allerdings gestehen, dass ich mir nicht in erster Linie darüber Gedanken oder Sorgen mache, dass diese Süchte tödlich enden können. Was in meinen Augen weitaus schwerer wiegt, ist der Verlust an Lebensqualität, den die Abhängigkeit mit sich bringt. Und da steht die eine Sucht der anderen in nichts nach.

    Auf der anderen Seite steht der Gewinn an Lebensqualität. Und der vervielfacht sich, wenn man nicht nur mit einer Sucht aufräumt.
    Ich denke, dass eine gewisse Portion Angst vor Leichtsinn schützen kann. Andererseits habe ich noch nie gehört, dass Angst Berge zu versetzen mag. Das schreibt man anderen Gefühlen zu.

    Katro

  • Katro, ich finde, bei jedem ist die Motivation bzw. die VISION für den Suchtausstieg anders. Und das ist gut so. Bei dem einen steht vielleicht FREIHEIT auf dem Schild. Der andere hebt GESUNDHEIT hoch. Der dritte vielleicht WÜRDE...

    Angst versetzt zwar keine Berge, aber Angst ist ein guter Schutz. Angst verhindert, dass wir uns in Gefahr begeben. Aber das hast Du ja eigentlich gemeint, oder? Dass eine kleine Portion Angst vor Leichtsinn schützt.

    Diese "Angst" hat mich jedenfalls schon vor manchem Rückfall bewahrt. Denn ich wurde mir der Konsequenzen gewahr - welche ich nicht tragen wollte.

    LG
    Pinguin

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Rauchen tue ich zwar immer noch ???

    Auch diese Sucht habe ich mittlerweile seit 6 Jahren (meine Güte, wie die Zeit vergeht) überwunden, worüber ich mich natürlich SEHR freue :clap:

    Zitat

    Sollte ich es mir abgewöhnen und dann rückfällig werden - es würde nicht mein Leben zerstören, höchstens mein Ego ankratzen. Sollte ich aber alkoholmäßig rückfällig werden, könnte es ganz schnell passieren (wenn ich nicht super schnell die Notbremse finde), dass mein Leben futsch ist. Und darüber bin ich mir voll im Klaren! Was meinst Du, warum ich so darauf achte?! Ich habe am eigenen Leibe erfahren, wie schnell das geht und wie sehr der Verstand abschaltet - obwohl ich schon eine Langzeittherapie hatte etc.
    Und um ehrlich zu sein: Ich habe eine scheissende Angst davor, rückfällig zu werden!

    Auch nach inzwischen fast 15 Jahren (zufriedener!) Trockenheit sehe ich das, was ich vor 8 Jahren geschrieben habe, noch genauso.

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