Ich habe hier mal meine Gedanken zu diesem Thema aufgeschrieben und bin gespannt, was Ihr dazu sagt. Ich mache nun schon seit einiger Zeit regelmäßige Krankenhausvorstellungen für "meinen" Verein und da werden einem ja von den Patienten der Entgiftungsstation oftmals viele Frage zu diesem Thema gestellt...
Selbsthilfegruppe – wozu brauche ich die eigentlich? (Ungeordnete Gedanken eines trockenen Trinkers)
Vorweg: Ich bin Alkoholiker und habe nur Erfahrungen mit dem Suchtstoff Alkohol. Daher beziehe ich mich hier auch nur darauf. Gespräche in einer psycho-therapeutischen Klinik mit anderen Menschen/Süchtigen (Medikamentenabhängige, Arbeitssüchtige [Workoholics] mit „Burn out“, Spielsüchtige etc.) haben mir aber gezeigt, dass die Ursachen meinen sehr ähnlich waren: Keine Ahnung, wie man mit (wachsenden) Problemen/Stress umgehen soll – also sucht man Erleichterung in/mit einem bestimmten Medium. Oder anders herum: man „belohnt“ sich für die erfolgreiche Bewältigung dieser Probleme. Und irgendwann schleicht sich dann der Kontrollverlust ein …
Bei (fast) jeder Krankenhausvorstellung taucht die Frage auf, die sich wohl die meisten von uns zu Beginn ihrer Trockenzeit gestellt haben:
„Was bringt mir eine Selbsthilfegruppe?“
Ich denke mal, das Wichtigste ist doch, erst einmal für sich selbst zu klären: "Will ich überhaupt von meinem Suchtstoff wegkommen?" Und wenn die Antwort „JA“ lautet, sollte ich jede Hilfe annehmen, die ich kriegen kann! Irgendwo habe ich mal gelesen:
„Sich von der Sucht lösen kann nur der Süchtige alleine –doch alleine schafft er es nicht!“
(oder so ähnlich). Für mich habe ich erkannt, dass das sehr wahre Worte sind!!
Ich habe festgestellt, dass es schon sehr „beruhigend“ ist, dass ich mit meinen Problemen, trocken zu werden bzw. zu bleiben, nicht alleine bin. In der Gruppe wissen die Menschen, von welchen Problemen ich rede. Denn über viele Sachen kann ich nicht mit anderen Leuten, die kein Suchtproblem haben, reden. Auch nicht mit meiner Frau oder meinen Verwandten. Denn die wissen und verstehen nicht, was ich meine, wenn ich z.Bsp. von „innerlicher Unruhe“, „Händeflattern“, „Trockenkotzen“ oder „Saufdruck“ rede. „Trink weniger! Hör doch einfach auf, zu trinken!“ Wenn das so einfach wäre – dann gäbe es keine Alkoholiker!
Nicht nur ich hatte mit meiner Scham zu kämpfen, mal wieder versagt zu haben, meinen Vorsatz, heute nicht zu trinken, doch wieder gebrochen zu haben. Wenn ich den Menschen zuhöre, die von ihrer „nassen“ Zeit, von ihrem Verhalten, ihren Verhaltensmustern damals berichten, dann habe ich sehr oft das Gefühl, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Ja, so habe ich mich auch verhalten – den Alk an allen möglichen und unmöglichen Stellen versteckt, um „Reserven“ zu schaffen; andere belogen, dass sich die Balken bogen („Ich? Ich habe doch nichts getrunken!“); heimlich getrunken, damit es meine Umwelt nicht merkt (dachte ich zumindest); eine regelrechte Logistik aufgebaut, um mir meinen Stoff zu besorgen – aber auch, um die leeren Falschen zu entsorgen; und, und, und …
Und vor allem habe ich mich immer wieder selbst betrogen, indem ich mir einredete, dass ja keiner mitkriegt, dass ich „ein bisschen zu viel“ trinke – und vor Allem, dass ich ja kein Alkoholiker bin. Schließlich sind Alki’s ja die Leute, die völlig verdreckt und verwahrlost vor den Supermärkten, auf den Parkbänken oder unter den Brücken rumlungern und sich den billigen Fusel in den Kopf schütten. Im Nachhinein habe ich dann gesehen, dass meine Umwelt sehr viel mehr von meiner Sucht bzw. meinem Trinkverhalten mitbekommen hat, als ich dachte/mir eingeredet habe/mir lieb war. Schließlich ist ja der Begriff „Alkoholiker“ in unserer Gesellschaft sehr negativ belegt. Also habe ich den Gedanken, einer zu sein, weit – sehr weit – von mir wegschoben (obwohl er im „Hinterstübchen“ schon ab und an mal aufblitzte).
In den Selbsthilfegruppen trifft man Menschen, die dieselben bzw. sehr ähnliche Probleme haben/hatten.
Jeder Einzelne hat zwar seinen eigenen Weg hinter sich – aber wir treffen uns ja, damit andere von unseren Erfahrungen profitieren können. Wenn in den Gruppen bestimmte „Regeln“ für die Zeit der Trockenlegung/ Trockenheit erzählt werden, so sollte man vorher wissen, dass diese kein MUSS, keine Dogmen sind, keine Allgemeingültigkeit haben. ABER: sie resultieren aus den Erfahrungen von Vielen, denen sie geholfen haben. Jeder, der in der Gruppe von seinen Problemen erzählt und von seiner Art, damit umzugehen, zeigt individuelle Möglichkeiten auf. Und wenn ich mir das anhöre, kann ich mich entscheiden, welche Möglichkeit für mich die Richtige wäre. Auch, wenn mich ein bestimmtes Problem an dem Tag, an dem es zur Sprache kommt, vielleicht nicht unbedingt tangiert – sollte ich mal die eine entsprechende Situation kommen, habe ich aber schon einmal davon gehört und ich kann mich daran erinnern, wie andere Menschen damit umgegangen sind.
Die Hilfe der Selbsthilfegruppen besteht also meines Erachtens hauptsächlich darin, dass man sich – wie in einem Selbstbedienungsladen – der gesammelten Erfahrungen Anderer bedienen kann (sie aus der Gruppe „mitnehmen“), um seine eigenen Probleme zu bewältigen – ohne Alkohol. Aber auch in der aktiven Hilfe bei akuten Problemen.
Eines erscheint mir aber noch sehr wichtig: In der Gruppe werden nicht nur Probleme besprochen – ein anderes wichtiges Thema sind natürlich auch die Erfolge, die erreicht wurden!
Auf einer Internet-Seite (http://www.a-connect.de/shg.php) habe ich etwas – wie ich finde – sehr Treffendes gefunden:
„Eine Selbsthilfegruppe ist mehr, als nur ein wöchentliches Treffen. Die Ziele sind:
• aus der Verzweiflung herauszufinden und neuen Mut zu fassen
• der Wunsch, sich selber in der Begegnung mit anderen Menschen kennenzulernen
• Informationen zu bekommen
• Unterstützung und Verständnis bei Menschen zu finden, die eine ähnliche Lebenssituation aus eigener Erfahrung her kennen
• einen neuen Kreis von gleichgesinnten Freunden zu finden
• gemeinsame Aktivitäten zu planen und durchzuführen“
Aber warum soll ich nun regelmäßig eine Selbsthilfegruppe besuchen? Was bringt mir das?
Nun, aus meiner eigenen Erfahrung heraus (und den Gesprächen mit vielen Menschen, sowohl in der Gruppe als auch bei Vorstellungen im Krankenhaus) weiß ich, dass der regelmäßige Gruppenbesuch mir hilft, „am Thema“ zu bleiben, mir in regelmäßigen Abständen meine „Problem“ bewusst zu machen, nicht leichtsinnig zu werden.
Bereits vor meiner jetzigen Trockenzeit hatte ich eine Selbsthilfegruppe besucht. Aber als ich diese aus organisatorischen Gründen nicht mehr besuchen konnte, habe ich mir auch keine neue Gruppe gesucht – schließlich war ich ja der „Größte“, immerhin schon ein Jahr „trocken“ und ab jetzt schaffe ich es auch alleine! Pustekuchen! Nach ungefähr einem halben Jahr hing ich wieder an der Flasche. Und bis zum (hoffentlich) letzten Absprung hat es ganz schön lange gedauert und mich und meine Familie unheimlich viel Kraft gekostet.
Und genau DAS (die Gruppenbesuche werden aus den unterschiedlichsten Gründen eingestellt – und dann dauert es meist nicht mehr lange bis zum Rückfall) höre ich bei Gesprächen sehr oft.
Dann habe ich mir wieder eine Gruppe gesucht und auch gefunden, in der ich mich wohl fühle. Zumindest in der ersten Zeit war es hauptsächlich das schöne Gefühl sagen zu können: „Diese Woche habe ich nicht getrunken!“ Später, mit der Zeit, hat sich dann allmählich der Gruppenbesuch zu einem „Bedürfnis“ entwickelt, habe ich mich gefreut, die Leute wiederzusehen und mit ihnen zu reden. Okay – wir reden in der Gruppe nicht nur über Themen, die offensichtlich mit Alkohol zu tun haben. Aber auch Probleme auf Arbeit oder in der Familie können dazu führen, dass „die Flasche näher rückt“. Also muss man auch darüber reden, wie mit solchen Problemen umgegangen werden kann.
Auch wenn „Neue“ in die Gruppe kommen und von ihrer Geschichte erzählen oder ihre Fragen stellen, u.a. zu möglichen weiteren Hilfen (Langzeittherapie ja/nein, wenn ja: Wo? Welche? Was passiert da überhaupt?) – alles das hält die Erinnerungen an das eigene Erleben wach und hilft, stets wachsam und nicht leichtsinnig zu sein.
Aber auch denjenigen, die in die Gruppe kommen und eigentlich noch nicht so recht wissen, wo sie stehen, ob sie nur ein Problem im Umgang mit Alkohol haben oder vielleicht doch abhängig/Alkoholiker sind, kann die Gruppe bei der „Findung helfen. Auch ich konnte/wollte früher nicht wahrhaben, dass ich Alkoholiker bin. Bis ich es, nach etlichen langen Gesprächen in der Gruppe und den Gruppenfreunden doch einsehen/mir selbst eingestehen musste. Das tat weh – aber heute bin ich froh darüber. Denn nur so konnte ich etwas dagegen unternehmen. Schließlich haben wir mit unserer „Krankheit“ – im Gegensatz zu vielen anderen Krankheiten – Glück: Wir können unsere Krankheit zwar nicht selbst heilen, aber sie selbst stoppen!
Die Frage, ob man nun Alkoholiker ist, kann einem übrigens niemand aus der Gruppe beantworten – dass muss man schon selbst „herausfinden“. Und dafür braucht man lediglich (wie leicht das klingt) Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.
Selbsthilfegruppen sind kein Allheilmittel
Sie schützen nicht vor einem Rückfall! Denn sonst gäbe es ja keine Rückfälle mehr. Aber sie erleichtern den Kampf gegen die Sucht ungemein und helfen, einen Rückfall zu vermeiden. Sollte es doch einmal zu einem solchen Rückfall kommen –auch das geschieht leider hin und wieder -, kann man mit ihrer Hilfe wieder aufstehen und wieder weiter etwas gegen seine Sucht tun. Nichts tun hilft nicht!
Es muss aber die „richtige“ Gruppe sein!
Grundvoraussetzung ist jedoch, dass man sich nicht irgendeine, sondern eine „passende“ Gruppe sucht, in der man sich wohl fühlt, wo auch „die Chemie“ stimmt. Es gibt so viele unterschiedliche Formen von Selbsthilfegruppen: Monolog, Dialog, (von Therapeuten) angeleitete Gruppen, reine Betroffenengruppen … etwas Passendes sollte zu finden sein.
Ich persönlich habe nach meiner letzten Entgiftung und dem Entschluss, nun endlich „Nägel mit Köpfen“ zu machen, 14 Tage lang jeden Tag eine andere Gruppe besucht und mich umgeschaut. Und dann habe ich mich entschieden. Für diese Entscheidung war es mir jedoch vollkommen unwichtig, wie sich der Verein nennt oder ob und welcher Konfession er angehört oder, oder, oder … Wichtig und entscheidend war lediglich, dass ich mich wohl und verstanden und gut aufgenommen/aufgehoben fühlte!
Diese Entscheidung habe ich bis heute nicht bereut. Und mittlerweile habe ich das Gefühl, wenn ich mal einen Gruppentermin - aus welchen Gründen auch immer – versäume, dass mir etwas fehlt.
So soll es sein – und noch lange bleiben.