Wann ist der Tiefpunkt erreicht? Wann macht der Entzug Sinn?

  • Hallo zusammen, ich bin ganz frisch angemeldet und suche nach Erfahrungen.
    Mein Vater hat über die letzten Jahre ein Alkoholproblem entwickelt. Nach einem Schicksalsschlag bekam er vor 6 oder 7 Jahren zuerst Depressionen, dann Burnout, es folgten mehrere Psychiatrieaufenthalte, Rehas, Gesprächstherapie, Medikamente etc. Schleichend nebenbei entwickelte sich seine Alkoholsucht. Es gab früher in meinem Elternhaus nie Alkohol, meine Mutter hat eine starke Ablehnung dagegen, nachdem sie viele Jahre bevor sie meinen Vater kennenlernte sehr schlimme Erfahrungen mit einem Alkoholiker gemacht hatte.
    Kurz zur Konstellation: Ich bin erwachsen und wohne mit meinem Mann eine Viertelstunde von meinem Eltern entfernt, mein Bruder ist ebenfalls erwachsen und wohnt bei meinen Eltern nebenan. Mein Vater ist an sich einfach ein lustiger, geselliger Mensch, der überall gut ankommt und gemocht wird. Meine Mutter ist eher rational und etwas ernster und ruhiger, und hat sich immer ihre emotionale und finanzielle Unabhängigkeit bewahrt. Ich habe ihre Beziehung noch nie verstanden, sie sind absolut verschieden und machen eher jeder ihr eigenes Ding, aber das hat immer gut funktioniert.

    Mein Vater hat auswärts immer mal was getrunken, aber seit ein paar Jahren kam er immer öfter betrunken nach Hause, bunkerte irgendwann selbst Alkohol in seiner Garage, trinkt inzwischen den ganzen Tag zwischendurch was. Er wird zwar nie gewalttätig oder aggressiv, aber sehr leichtsinnig, wurde inzwischen schon oft genug betrunken beim Fahren erwischt und hat auch keinen Führerschein mehr. Zum anderen verliert er sich dann in wütenden, jammernden, und sehr lauten Selbstgesprächen. Das läuft jetzt seit etwa zwei Jahren und wird immer häufiger und heftiger.
    Mein Bruder und meine Mutter waren eine Weile denke ich Co-abhängig, fuhren ihm hinterher, passten auf dass er nichts trinkt oder zumindest nicht unter Alkoholeinfluss fährt etc. Weil meine Mutter aber bezüglich Alkoholismus recht erfahren und aufgeklärt ist, hat sie sich emotional nicht hineinziehen lassen und ihm inzwischen die ganz klare Ansage gemacht, wenn er nicht trocken wird, lässt sie sich scheiden. Dass sie es ernst meint hat er spätestens verstanden, nachdem sie ihn für einige Tage verlassen hat und inzwischen nur wieder Zuhause wohnt, weil er zuerst bei einem Freund im "Urlaub" war und nun bei meinem Bruder untergekommen ist. Es gab diese Woche eine Aussprache zwischen uns als Familie. Bisher wurde ich zwar immer über alles informiert, habe das alles aber nicht so hautnah mitbekommen, vorallem auch weil ich schwanger bin und meine Mutter und mein Bruder mich vor dem emotionalen Stress schützen wollen.

    Jedenfalls wird mein Vater morgen seinen Entzug antreten, also erst Entgiftung und anschließend stationäre Therapie. Ich fürchte aber, dass er diesen Schritt nur uns zu liebe macht und nicht aus Überzeugung.
    Er will zwar von der Sucht wegkommen, aber nicht wirklich vom Alkohol. Er denkt immernoch er könnte zurück zu einem "normalen" Trinkverhalten, also ab und zu mal am Wochenende was.

    Um es mal zusammenzufassen: Er hat seinen Führerschein verloren, er ist in seinem Hauptberuf nicht mehr arbeitsfähig und bereits seit ca zwei Jahren krankgeschrieben (was jedoch nicht direkt am Alkohol liegt), er kann sein Nebengewerbe nicht mehr ausführen, da er keinen Führerschein mehr hat, er kann nicht mehr in seinem Haus wohnen, er wird in drei Monaten Opa und will dass dann alles wieder normal ist.
    An manchen Tagen weint er bitterlich und sagt, er will wegkommen von dem Alkohol und dass dieser ihm die Sinne vernebelt und ihn verändert, dann denke ich: jetzt hat er es verstanden! Aber an anderen Tagen lügt er uns an, nutzt uns aus um an Alkohol zu kommen, sagt großkotzig er ist erwachsen und kann machen was er will. Und dass er keine Hilfe brauche und das alleine auf die Reihe bekommt.

    Ich glaube einfach nicht, dass er seinen Tiefpunkt schon erreicht hat. Ich habe aber Angst davor, dass wir ihn alle fallen lassen und er komplett verwahrlost. Ich weiß, dass er sich nur selbst helfen kann und ich wenig tun kann. Ich habe ihm meine Gefühle und Ansichten geschildert und ich habe dabei viel geweint. Seitdem sagt er immer "ich mach den Entzug, ich hab's dir versprochen", aber er hat jedem von uns auch schon zig mal versprochen nichts mehr zu trinken und es innerhalb von Stunden oder Tagen wieder gebrochen.
    Ich will also nicht wissen, was ich noch tun kann, sondern ich will die Situation besser verstehen und gerne Erfahrungen über eure persönlichen Tiefpunkte hören - oder wie ihr als Angehörige damit umgeht, wenn der Tiefpunkt den Süchtigen nicht zu stören scheint und er immernoch keinen Leidensdruck empfindet. Außerdem würde ich gerne mehr darüber erfahren, wie so ein Entzug abläuft.

    Danke fürs Lesen

  • Hallo Summerchild,

    herzlich Willkommen bei uns im Forum. Schön das Du zu uns gefunden hast. Auch wenn der Anlass naturgemäß alles andere als schön ist.

    Ich stelle mich erst mal kurz vor, damit Du ein grobes Bild hast wer Dir da schreibt:

    Ich bin 50 Jahre alt, Alkoholiker und trinke jetzt schon lange keinen Alkohol mehr. Davor trank ich weit über 10 Jahre abhängig. Obwohl ich Familie hatte (Frau und zwei Kinder) trank ich die allermeiste Zeit davon komplett heimlich. Ich schaffte es also, meine Sucht trotz zum Ende hin wirklich ganz erheblicher Mengen von Alkohol, bis zum Schluss geheim zu halten. Wie das ging verstehe ich manchmal selbst nicht, denn wenn man jeden Tag mind. 10 Bier intus hat (und da ging teilweise noch viel mehr), dann muss man ja stinken wie ein Büffel. Aber eines darf ich Dir hier auch gleich sagen, weil Du das in Deinem Beitrag bezüglich Deines Vaters auch geschrieben hast: Lügen, lügen, lügen und in meinem Fall auch betrügen, betrügen, betrügen sind das Handwerkszeug eines Alkoholikers. Ich habe in dieser Zeit täglich gelogen, ich weiß nicht mehr wieviel ich gelogen habe aber ich erinnere mich noch gut, dass ich in den letzten Jahren oft selbst nicht mehr in der Lage war Lüge von Wahrheit zu unterscheiden. Denn irgendwann bauten Lügen auf älteren Lügen auf. Ich glaubte meine Lügen nicht selten selbst was mich zu einem noch überzeugenderen Lügner machte. Und so rutschte ich dann sozusagen in ein richtiges Doppelleben hinein. Es würde den Rahmen sprengen das hier alles genauer auszuführen. Will damit nur sagen: Das was Du da bei Deinem Papa erlebst gehört zum Krankheitsbild dazu, leider.

    Ich hatte im Laufe meiner Alkoholikerjahre mehrere Versuche um vom dem Zeug weg zu kommen. Es wurden immer nur Trinkpausen daraus, manche davon sogar richtig lange. Meine Längste dauerte fast ein Jahr, andere dann ein paar Wochen. Je länger ich süchtig war, desto kürzer wurden diese Pausen und zum Ende hin konnte und wollte ich dann vor allem auch gar nicht mehr pausieren. Ich sah darin keinen Sinn mehr weil ich dachte, es wäre eh schon alles egal.

    Ok, jetzt bin ich von meiner Vorstellung schon gleich in das übergegangen was mich an Gedanken zu Deinen Zeilen umtreibt, was ich Dir schreiben wollte. Du hast ja geschrieben, dass Du die Situation besser verstehen möchtest. Darum schreibe ich Dir jetzt erst mal noch ein wenig von meiner damaligen Situation, meinen Gefühlen, etc. Erst mal denke ich, dass ein Mensch (so wie Du), der keinen Bezug zur Sucht oder in diesem Fall zur Alkoholsucht hat, weil er selbst normal trinkt, große Schwierigkeiten haben wird das zu "verstehen". Selbst ich, der ich Alkoholiker bin und jetzt aber schon viele Jahre ohne Alkohol lebe, denke mir manchmal: War das wirklich ich? Kann das wirklich alles so gewesen sein?

    Natürlich weiß ich, dass das alles real war und ich werde das mein Leben lang nicht vergessen. Was ist da also passiert? Ich rutschte da ganz langsam hinein. Im Gegensatz zu Deinem Vater gab es bei mir "keinen Grund" (es gibt übrigens NIE einen Grund zum Trinken), also keinen Schicksalsschlag o. ä. - Nein, bei mir lief alles bestens. Gute Kindheit, gute Jugend, Schule alles gut, super Job, schneller Aufstieg und große Anerkennung im Beruf, tolle Frau, Kinder, Eigentum, Geld, Gesundheit.... Tja, trotzdem....

    Damit Du verstehst, wie verdammt mächtig diese Sucht ist, möchte ich Dir Folgendes sagen: Ich liebte (und liebe :) ) meine Kinder über alles. Sie waren immer mein Ein und Alles, auch als ich jeden Abend sternhagelvoll war. Ich konnte natürlich nicht mehr der Papa sein den sie verdient hätten, jedoch liebte ich sie einfach wie verrückt. Und natürlich wusste ich irgendwann ganz genau, dass da bei mir gerade etwas gewaltig schief läuft. Und ich hatte so oft die Gedanken, dass ich das meinen Kindern nicht antun kann. Nicht zuletzt auch deswegen meine Versuche mit dem Trinken aufzuhören (siehe meine Trinkpausen). Aber nicht einmal die Liebe zu meinen Kindern, ich wusste ja das es in einer Katastrophe enden würde, konnte mich von dem Zeug weg bringen. Und dann kam es natürlich zu besagter Katastophe. Nämlich an dem Tag, an dem ich meinen letzten Schluck Alkohol getrunken habe. Das war der Tag, an dem ich spontan und völlig ungeplant meiner Frau erklärte, dass ich Alkoholiker bin. Was sie mir nicht glaubte. Erst als ich ihr dann meine Vorräte zeigte, als ich ihr zeigte, dass in unserem Auto schon lange kein Reserverad mehr war sondern die Kuhle die dafür vorgesehen ist, vollgefüllt war mit Plastikbierflaschen.

    Als ich ihr zeigte, dass unser Feuerholz am Gartenschuppen durchlöchert war und in diesen "Kammern" Bier und Weinflaschen gebunkert waren. Als ich ihr zeigte, dass ich ganze Bierkästen als Notreserve im nahe gelegenen Wald, gut getarnt, gebunkert hatte, da hat sie verstanden. Und damit war alles vorbei, was ich bisher durch meine Lügereien aufrecht erhalten hatte. Was dann folgte war die Hölle. Erst mal natürlich für meine Frau und meine Kinder, denn ohne ihr Zutun zerbrach ihre heile Welt. Alles woran sie geglaubt haben, alles was sie an Zukunftsplänen hatten wurde von mir innerhalb kürzester Zeit pulverisiert. Am Ende trennte ich mich dann auch von meiner Frau und fing komplett neu an. Hier hatte ich dann meine private Hölle, welche ich aber ja selbst zu verantworten hatte. Denn diese Trennung fiel mir wegen meiner Kinder mehr als schwer und meine Frau wäre den Weg auch gerne weiter mit mir gegangen. Nur ich konnte nicht mehr mit ihr gehen, denn ich wusste, ich würde wieder zu trinken beginnen, wenn ich jetzt nicht komplett neu starte.

    Was sich jetzt so sachlich herunter geschrieben anhört waren Wochen und Monate des Leids. Großes Leid, vor allem bei meiner Frau und meinen Kindern (meine kleine war damals so um die 9 Jahre alt und wir hatten ein sehr innige Beziehung). Aber auch bei mir, denn je länger ich trocken war, desto gewaltiger erdrückten mich meine Schuldgefühle. Ich drohte an meinen Schuldgefühlen zu scheitern. Du musst wissen, dass ich ja nicht "nur" getrunken habe. Ich hatte ein Doppelleben. Und was ich da getrieben habe..... Das lass ich jetzt mal lieber stecken. Natürlich habe ich das dann alles erzählt, es kam alles auf den Tisch, denn anders hätte ich diese Sucht niemals überwinden können. Jedes noch so kleine Hintertürchen musste ich schließen. Was auch bedeutete, dass ich z. B. meinen Eltern, meinen Geschwistern und meinen (noch verbliebenen) engeren Freunden "reinen Wein" einschenkte. Den Menschen zu sagen, dass man sein Leben und seine Familie an die Wand gefahren hat, dafür komplett selbst verantwortlich ist, das ist etwas, das ich niemals mehr vergessen werde.

    So, das einfach mal nur, damit Du ein bisschen ein Gefühl dafür bekommst, was (zumindest bei mir) diese Sucht so "drauf" hat.

    Du schreibst ja "Wann ist der Tiefpunkt erreicht?".

    Dazu möchte ich Dir sagen, dass er bei den meisten Alkoholikern nie erreicht ist. Leider muss ich das so schreiben und ich will das auch nicht beschönigen. Es ist so, dass nur etwa rund 10 % der Alkoholiker überhaupt ernsthaft etwas gegen ihre Sucht unternehmen. Ich habe es extra eben nochmal nachgelesen. Vielleicht gibt es noch andere Statistiken wo der Wert etwas höher ist aber es ist einfach Fakt, dass der allergrößte Teil der Alkoholiker nichts gegen die Sucht unternimmt/unternehmen kann. Dein Papa gehört ja jetzt dann zu den 10 % was ich schon mal als positiv sehen würde. D. h. also, dass der überwiegende Anteil der Alkoholiker solange trinkt und funktioniert, solange das halt eben geht. Und es geht bei vielen ein Leben lang. Was das dann für ein Leben ist, vor allem auch für die Anghörigen, das steht auf einem anderen Blatt.

    Leider ist es aber nun auch so, dass von den 10 % die den Absprung suchen es wiederum nur ein geringer Teil dauerhaft schafft. Mit dauerhaft meine ich, dass diese dann auch nach 2 Jahren noch ohne Alkohol leben. Leider bezeichnet man die Alkoholsucht auch als Rückfallkrankheit und manche behaupten sogar, dass Rückfälle dazu gehören, sozusagen normal sind. Ich sehe das etwas anders aber das ist eine andere Diskussion.

    Ich möchte Dich hier aber nicht nur deprimieren. Ich möchte Dir auch Mut machen. Ich habe in den letzten Jahren, wo ich hier aber auch anderweitig zum Thema Alkoholsucht unterwegs bin, mit vielen trockenen Alkoholikern Kontakt gehabt. Manchmal tiefer, manchmal auch nur oberflächlich. Und ich habe einige gesprochen oder auch gelesen, die nicht freiwillig in die Therapie gegangen sind! Ich kenne auch Geschichten von Alkoholikern, die noch nach einigen Wochen in der Therapie gedacht haben: "da haben alle ein Problem nur ich selbst nicht". - Und die dann aber durch die Therapie und durch gute und "passende" Therapeuten quasi plötzlich merkten: Verdammt, ICH bin hier genau richtig. Und die seither und auch seit vielen Jahren alkoholfrei leben.

    Man sagt ja immer, der Alkohohliker muss es selbst wollen sonst wird das nichts. Das stimmt grundsätzlich komplett. Aber, diese Erkenntnis muss er nicht unbedingt bei Antritt seiner Therapie haben, es "reicht" wenn er sie im Laufe der Therapie bekommt. Natürlich sind nur die allerwenigsten bereits überhaupt eine Therapie anzutreten wenn diese Erkenntnis nicht schon vorher da ist. Aber, wie im Falle Deines Papas, kann da ein gewisser Druck von Außen durchaus hilfreich sein. Meist nutzt der zwar gar nix, aber trotzdem klappt es doch ab und an mal.

    Vielleicht merkst Du an meinen Zeilen schon, dass diese Krankheit zwar irgendwie ein klares Krankheitsbild hat, dass es Vieles gibt was alle Alkoholiker gemeinsam haben, aber das es sich trotzdem um eine höchst individuelle Angelegenheit handelt. Es ist eben eine psychische Erkrankung (die körperliche Abhängigkeit ist nach ein paar Tagen überwunden) und jeder tickt da dann anders, ist anders zu knacken, kommt anders aus der Sucht heraus oder eben auch nicht.

    Ich z. B. hatte gar keine klassische Therapie. Ich bin am ersten nüchternen Abend zu einer SHG die mir dann für die ersten Wochen und Monate als Rettungsanker diente. Ich suchte mir dann einen Psychlogen, der mir aber (nach meiner damaligen Meinung) nicht helfen konnte. Und weil er das nicht konnte, ging ich zu einem Mönch der glücklicherweise bereit war, sich meiner anzunehmen. Dieser Mönch war dann derjenige, der mich zurück ins Leben geführt hat. Ich brauchte etwa ein Jahr ohne Alkohol, bis ich mit dem Gröbsten durch war. Danach war nicht alles vorbei oder eitel Sonnenschein. Aber meine wichtigsten, vor allem auch psychischen Baustellen, hatte ich soweit bearbeitet. Von diesem Zeitpunkt an begann ich dann an meinem neuen Leben, am "Feintuning" zu arbeiten. Das mache ich bis heute und das ist ein Prozess, der niemals enden wird. Also er endet natürlich mit meinem Tod, das ist klar.

    Zitat

    Außerdem würde ich gerne mehr darüber erfahren, wie so ein Entzug abläuft.


    Hier wird Dir bestimmt ein anderer Forumsteilnehmer oder eine Teilnehmerin gute Informationen liefern. Ich habe kalt entzogen, was grob fahrlässig war und kann Dir aus eigener Erfahrung nicht berichten, wie das bei einem qualifizierten Entzug genau abläuft. Aber Du kannst sicher sein, dass das der richtige Weg ist. Er ist versorgt und ärztlich betreut. Das kann notfalls Leben retten.

    Liebe Summerchild, all Deine Gedanken, all Deine Ängste, all Deine Bedenken, sie sind schon berechtigt. ABER: Ich möchte Dir sagen: Denke positiv, sei zuversichtlich und habe Hoffnung. Du hast es nicht in der Hand, es liegt nicht in Deiner Macht wie die Geschichte mit Deinem Papa jetzt weiter geht. Aber allein schon mal die Tatsache, dass er sich in professionelle Hände begibt sollte Dir zumindest mal Hoffnung geben. Sei Dir darüber im Klaren, dass er scheitern kann aber erwarte es nicht gleich von Vorneherein. Warte ab, begleite ihn so gut es für Dich geht und so wie Du das möchtest. Aber lass es "sein Problem" sein, denn es ist sein Leben und nur er allein kann dieses ändern. Wenn er sich für's Trinken entscheidet, dann ist das tieftraurig aber es ist seine Entscheidung und Du kannst daran nichts ändern.

    Achte vor allem auf DICH, DEINE Gefühle und DEIN Wohlbefinden. Wenn Du merkst es läuft falsch, grenze Dich ab. Definiere klare Grenzen für Dich und achte unbedingt darauf, dass seine Sucht nicht zu Deiner Sucht wird. Die hast ja das Stichwort "Co-Abhängigkeit" schon genannt.

    Ich wünsche Dir von Herzen, dass Dein Papa zur Erkenntnis kommt, dass kein Mensch auf dieser Welt dieses Zeug braucht und ich wünsche Dir, dass sowohl er als auch Du , dass Ihr Euren Weg finden könnt. Und natürlich wünsche ich Dir einen guten Austausch hier bei uns im Forum. Wenn Du noch Fragen hast, dann einfach her damit!

    LG
    gerchla

  • Herzlich willkommen Summerchild,

    die Geschichten von Süchtigen sind extrem unterschiedlich, von daher möchte ich nur mal von meinen Erfahrungen erzählen.

    Mein Vater trank wohl mindestens so lange, wie ich ihn kannte und er starb an den Folgen des Trinkens, als ich 57 Jahre als war und er 82. Wenn ich mich nicht vollkommen irre, hatte er keinen alkoholfreien Tag, so lange ich auf der Welt war, und bis ganz kurz vor seinem Tod, also mindestens 57 Jahre am Stück (wahrscheinlich aber auch schon vorher).
    Er war eher so ein Trinker, wie es früher viele gab, hat zwei Bier mit zum Arbeiten genommen, abends ein paar Halbe, da und dort ein Viertel Wein, drei vier Schnäpse dazwischen und ansonsten auch nie "Nein" gesagt, wenn ihm etwas angeboten wurde. Über den Tag gerechnet war das eine ordentliche Menge, dabei war er aber sein Leben lang nie arbeitslos und hat nebenbei ein paar Häuser gebaut.

    Meine Eltern liessen sich scheiden, als ich 25 war, da war ich aber schon lange ausgezogen und lebte einige hundert Kilometer davon entfernt. Alkohol spielte bei ihren Streitigkeiten immer eine Rolle, die Trennung kam aber weil er plötzlich ein Freundin hatte. Das hat ihm meine Mutter dann nicht mehr verziehen.

    Meine Mutter war dem Alkoholkonsum auch nicht gänzlich abgeneigt, also bei uns stand täglich was auf dem Tisch. Bier, Wein, Schnaps, Likör, das war immer präsent. Ich bin da so reingewachsen, ich fand das Trinken ganz normal, kannte ja nichts anderes, es schmeckte mir und ich mochte auch die Wirkung. Relativ früh kam ich auch mit anderen Drogen in Berührung, ausserdem war ich eine eher rebellische Jugendliche, störte mich nicht so sehr, wenn ich schlecht aufgefallen bin, und so nahm ich dann, bis ich 24 Jahre alt war, an Drogen so ziemlich alles, danach trank und rauchte ich "nur" noch bis ich 40 war.

    Ich habe viel Schnaps getrunken, oft zwei bis drei Liter, war also dann wirklich hackedicht. Andererseits habe ich auf Druck meines Partners und auch weil ich selbst nicht ganz abstürzen wollte, die letzten Jahre meiner Karriere jede Woche drei Tage Pause eingelegt und nur abends getrunken, dann natürlich reingepresst. Aber tagsüber nur sehr selten, ich hatte das auch mal ausprobiert, um den Kater zu bekämpfen, heisst ja immer, das man mit dem weitermachen soll, womit man aufgeghört hat, aber das tat mit nie nie gut und deswegen hatte ich da auch nie ein gesteigertes Bedürfnis danach. Ich habe es dann lieber ausgehalten, wenn es morgens schlecht ging.

    Ich war von daher wohl auch eher psychisch abhängig und habe ohne Entgiftung aufgehört, habe da also keine Erfahrung.
    Der Tiefpunkt kam bei mir absolut plötzlich, über Nacht sozusagen.
    Ich habe nie jemandem versprochen, dass ich aufhöre, die Diskussionen und Streitereien, die ich mit meinem Partner darüber geführt habe, drehten sich immer nur drum, das ich mich besser unter Kontrolle halten sollte und wollte. Im Grund war ich auch immer davon überzeugt davon, das ich jederzeit aufhören könnte, wenn ich das wirklich wollte, aber ich wollte eben nicht aufhören, sah überhaupt nicht, was mir das bringen sollte, und ich habe schon in relativ frühen Jahren schon mal die Erfahrung gemacht, das ich wegen einem Partner nicht aufhören werde. Ausserdem war ich grundsätzlich der Ansicht, das es meine Privatangelegenheit ist, was ich mit meinem Leben und auch mit dem Trinken mache und dass das nun wirklich niemanden etwas angeht.
    Ich hatte schon mit ca. 20 schon mal die Erfahrung gemacht, dass mir der Rausch mehr felhlt als der (damalige) Partner, wenn ich es drauf ankommen lasse. Also war es bei der weiteren Partnersuche damit für mich auch klar, dass nur ein Partner in Frage kommt, der meine Trinkerei akzeptiert. Trotzdem wurde es dann eben zu viel und das führte zu Konflikten. Aber die Geschichte ist von daher. eben grundsätzlich anders als bei Deinen Eltern.

    Als ich aufgehört habe, lebte ich praktisch in Trennung von meinem Partner (dem wurde das dann doch zu viel), war aber beruflich verhältnismässig gut aufgestellt. Es bahnte sich schon eine Weile an, weil es mir vom Trinken immer schlechter ging. Ich hatte dann immer häufiger Abstürze, bei denen ich Todesängste hatte, extreme Blutduckschwankungen, Kotzanfälle, Schlaganfallängste, lauter solche Dinge, ober wo es mir am nächsten Tag auffiel, wie viel Glück ich hatte, das nicht mehr passiert war (Verletzungen usw. vom Hinfallen).
    Trotzdem stand Aufhören für mich nicht zur Diskiussion, darüber hätte ich nie mit mir reden lassen und darüber nachgedacht habe ich auch nie. Ich bin immer den Weg gegangen, Trinkpausen einzulegen, um mich zu erholen, aber es war dabei auch immer klar, dass ich danach wieder trinken werde. Aus irgendwelchen Gründen war ich absolut davon überzeugt, das mein Leben vorbei wäre, wenn ich ganz aufhöre. Es fühlte sich für mich an, als ob ich mich dann gleich umbringen könnte, wenn ich nie mehr was trinken könnte. Also das kam überhaupt nicht in Frage, darüber auch nur nachzudenken.

    Eines Nachts war es dann eben so weit, als der Alkoholpegel langsam zurückging und es mir sehr schlecht dabei ging, kam mir wie ein Geistesblitz der Gedanke, wie es wohl wäre, wenn ich "das mal ganz bleiben lassen würde", wenn ich also von dem damals schon jahrelangen Versuch mal lassen würde, das unter Kontrolle zu behalten, sondern einfach mal ..gar nichts mehr. Also so mehr oder weniger der Gedanke, was soll an einem nüchternen Leben eigentlich so viel schlimmer sein als an dem Leben, was Du jetzt gerade führst?
    Und als ich dann schon dabei war, fiel mir dann auch gleich noch ins Auge, wie lange ich schon damit rummache und was ich schon alles "gefressen" hatte, um weitertrinken zu können. Und um wie viel einfacher es vielleicht wäre, das Ganze los zu sein und einfach nüchtern weiterzumachen. Also eon echter Geistesblitz, ein Aha-Erlebnis erster Güte. Das passierte im Prinzip innerhalb weniger Minuten, dann war das klar, dass ich es zumindest ensthaft probieren werde, aufzuhören.

    Dafür war es aber Grundvorraussetzung, dass ich vorher wirklich so viel getrunken hatte, dass es mir extrem schlecht ging. Und dafür wiederum war es wohl auch wichtig, dass mein Partner es aufgegeben hatte, mich vor den schlimmsten Folgen zu bewahren, und er für sich die Konsequenz getrogffen hatte, sich zu trennen. Denn dadurch habe ich ja erst mal noch hemmungsloser getrunken, aber ohne das wäre ich nie an diesen Tiefpunkt gekommen, denke ich. So lange sich das noch irgendwie regeln liess, hätte ich wohl nie aufgehört.

    Und ich habe dann tatsächlich und sehr straight aufgehört, hatte nie einen Rückfall. Ich war in der Suchtberatung, hatte ca. 8 Sitzungen in einer Motivationsgruppe und vielleicht ein Dutzend Einzelgespräche mit einer Psychologin, aber dann ging es mir erst mal recht gut, 4 jahre später habe ich noch mal ein andere Therapie gemacht, diie nichts mit Alkholentwöhnung zu tun hatte, weil doch noch ein paar Baustellen geblieben waren. Aber an sich hatte ich einfach komplett die Schauze voll, das war mein Tiefpunkt.

    Zum Schluss noch mal zu meinem Vater. Der lebte dann ca. 15 Jahre alleine und als Rentner im eigenen Haus, nachdem seine letzte Freundin gestorben war. Wir unterhielten und dann auch mal über unsere Leben und eines Tages sagte er mir, das er wohl auch Alkoholiker wäre, dass es sich für ihn aber nicht rentieren würde, damit aufzuhören. OK, aus eigener Erfahrung weiss ich ja, dass eine Menge Arbeit darin steckt, "zufrieden trocken" zu werden, und wenn der (empfundene) Leidensdruck nicht sehr hoch ist, dann macht man das wohl nicht. Also so lange der Alkohol seinen Zweck noch erfüllt, redet man gegen Wände, das kenne ich ja von mir selbst.

    Ich habe das von daher einfach akzeptiert und gar nicht erst versucht, dagegen anzugehen. Im Gegensatz dazu haben seine Brüder ihn schon dafür kritisiert, dass es dann vor allem im Alter immer hemmungsloser wurde, aber denen hatte er einfach Hausverbot erteilt, wie er überhaupt jeden, der ihn ändern oder kontrolllieren wollte, einfach auf Abstand gebracht hat. Also das zu akzeptieren war am Ende sogar die einzige Möglichkeit, da überhaupt eine Pflege für ihn zu organisieren, als er Pflegefall wurde. Alles Andere hätte er gar nicht zugelassen, und gesetzlich musst du ihn machen lassen, da gibt es kaum eine Handhabe dagegen. Und natürlich waren die Schäden durch den jahrzehntelangen Konsum am Ende überall überdeutlich. Das kannst Du akzeptieren oder Dich damit kaputt machen, das bingt nichts.

    Dein Vater wird eine Menge Input bekommen, denke ich. Ich habe schon Leute geshen, da dachte man, das wird nie was, wurde dann doch, und aber auch schon Leute da dachte man, die habens geschnallt und dann war es doch nicht so. Hellsehen ist ziemlich schwierig, vor allem wenn es die Zukunft betrifft. Es wird sich rausstellen, was passiert.

    So weit erst mal, ich weiss nicht ob Dir das was bringt.

    Gruß Susanne

  • Lieber Gerchla und liebe Susanne, danke für eure ausführlichen Antworten! Ich finde die Geschichten immer sehr interessant. Wahnsinn, wie es einfach Klick gemacht hat und ihr mehr oder weniger selbst da rausgekommen seid.
    Danke auch fürs Mut machen. Ich hoffe so sehr, dass die Maßnahmen helfen.

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