Hallo zusammen, ich bin ganz frisch angemeldet und suche nach Erfahrungen.
Mein Vater hat über die letzten Jahre ein Alkoholproblem entwickelt. Nach einem Schicksalsschlag bekam er vor 6 oder 7 Jahren zuerst Depressionen, dann Burnout, es folgten mehrere Psychiatrieaufenthalte, Rehas, Gesprächstherapie, Medikamente etc. Schleichend nebenbei entwickelte sich seine Alkoholsucht. Es gab früher in meinem Elternhaus nie Alkohol, meine Mutter hat eine starke Ablehnung dagegen, nachdem sie viele Jahre bevor sie meinen Vater kennenlernte sehr schlimme Erfahrungen mit einem Alkoholiker gemacht hatte.
Kurz zur Konstellation: Ich bin erwachsen und wohne mit meinem Mann eine Viertelstunde von meinem Eltern entfernt, mein Bruder ist ebenfalls erwachsen und wohnt bei meinen Eltern nebenan. Mein Vater ist an sich einfach ein lustiger, geselliger Mensch, der überall gut ankommt und gemocht wird. Meine Mutter ist eher rational und etwas ernster und ruhiger, und hat sich immer ihre emotionale und finanzielle Unabhängigkeit bewahrt. Ich habe ihre Beziehung noch nie verstanden, sie sind absolut verschieden und machen eher jeder ihr eigenes Ding, aber das hat immer gut funktioniert.
Mein Vater hat auswärts immer mal was getrunken, aber seit ein paar Jahren kam er immer öfter betrunken nach Hause, bunkerte irgendwann selbst Alkohol in seiner Garage, trinkt inzwischen den ganzen Tag zwischendurch was. Er wird zwar nie gewalttätig oder aggressiv, aber sehr leichtsinnig, wurde inzwischen schon oft genug betrunken beim Fahren erwischt und hat auch keinen Führerschein mehr. Zum anderen verliert er sich dann in wütenden, jammernden, und sehr lauten Selbstgesprächen. Das läuft jetzt seit etwa zwei Jahren und wird immer häufiger und heftiger.
Mein Bruder und meine Mutter waren eine Weile denke ich Co-abhängig, fuhren ihm hinterher, passten auf dass er nichts trinkt oder zumindest nicht unter Alkoholeinfluss fährt etc. Weil meine Mutter aber bezüglich Alkoholismus recht erfahren und aufgeklärt ist, hat sie sich emotional nicht hineinziehen lassen und ihm inzwischen die ganz klare Ansage gemacht, wenn er nicht trocken wird, lässt sie sich scheiden. Dass sie es ernst meint hat er spätestens verstanden, nachdem sie ihn für einige Tage verlassen hat und inzwischen nur wieder Zuhause wohnt, weil er zuerst bei einem Freund im "Urlaub" war und nun bei meinem Bruder untergekommen ist. Es gab diese Woche eine Aussprache zwischen uns als Familie. Bisher wurde ich zwar immer über alles informiert, habe das alles aber nicht so hautnah mitbekommen, vorallem auch weil ich schwanger bin und meine Mutter und mein Bruder mich vor dem emotionalen Stress schützen wollen.
Jedenfalls wird mein Vater morgen seinen Entzug antreten, also erst Entgiftung und anschließend stationäre Therapie. Ich fürchte aber, dass er diesen Schritt nur uns zu liebe macht und nicht aus Überzeugung.
Er will zwar von der Sucht wegkommen, aber nicht wirklich vom Alkohol. Er denkt immernoch er könnte zurück zu einem "normalen" Trinkverhalten, also ab und zu mal am Wochenende was.
Um es mal zusammenzufassen: Er hat seinen Führerschein verloren, er ist in seinem Hauptberuf nicht mehr arbeitsfähig und bereits seit ca zwei Jahren krankgeschrieben (was jedoch nicht direkt am Alkohol liegt), er kann sein Nebengewerbe nicht mehr ausführen, da er keinen Führerschein mehr hat, er kann nicht mehr in seinem Haus wohnen, er wird in drei Monaten Opa und will dass dann alles wieder normal ist.
An manchen Tagen weint er bitterlich und sagt, er will wegkommen von dem Alkohol und dass dieser ihm die Sinne vernebelt und ihn verändert, dann denke ich: jetzt hat er es verstanden! Aber an anderen Tagen lügt er uns an, nutzt uns aus um an Alkohol zu kommen, sagt großkotzig er ist erwachsen und kann machen was er will. Und dass er keine Hilfe brauche und das alleine auf die Reihe bekommt.
Ich glaube einfach nicht, dass er seinen Tiefpunkt schon erreicht hat. Ich habe aber Angst davor, dass wir ihn alle fallen lassen und er komplett verwahrlost. Ich weiß, dass er sich nur selbst helfen kann und ich wenig tun kann. Ich habe ihm meine Gefühle und Ansichten geschildert und ich habe dabei viel geweint. Seitdem sagt er immer "ich mach den Entzug, ich hab's dir versprochen", aber er hat jedem von uns auch schon zig mal versprochen nichts mehr zu trinken und es innerhalb von Stunden oder Tagen wieder gebrochen.
Ich will also nicht wissen, was ich noch tun kann, sondern ich will die Situation besser verstehen und gerne Erfahrungen über eure persönlichen Tiefpunkte hören - oder wie ihr als Angehörige damit umgeht, wenn der Tiefpunkt den Süchtigen nicht zu stören scheint und er immernoch keinen Leidensdruck empfindet. Außerdem würde ich gerne mehr darüber erfahren, wie so ein Entzug abläuft.
Danke fürs Lesen