Wie kann ich vertrauen?

  • Hallo zusammen,

    mir ist klar, dass ich selbst wissen muss was für meine Lage stimmig ist, doch wünsche ich mir einfach paar Erfahrungswerte.

    Mein bester Freund hat über zwanzig Jahre getrunken und ist seit zwei Jahren trocken. Wir hatten ein paar Jahre keinen Kontakt weil ich mir das nicht mehr mit ansehen konnte. Seit über einem Jahr haben wir wieder Kontakt und wieder eine echt tiefe, offene und wertschätzende Freundschaft. Nun kamen Rückfälle, was ich nicht bewerte. Doch womit ich gar nicht umgehen kann ist, dass er mir dies erst im nachhinein gesagt hat. Ich verstehe es schon, dass es schwer ist dazu zu stehen und was alles an Gedanken kommen kann. Dass er mir paarmal ins Gesicht gelogen hat, geht für mich gar nicht. Wobei ich mir dann denke es war nicht er, sondern die Krankheit.

    Doch nun war eine Situation in der er Dinge sagte, die er früher nur betrunken von sich gab und ein Triggerstrudel ging bei mir los. Ich weiß es nicht, ob er getrunken hat oder nicht, doch in mir ging eine Kettenreaktion los, die echt heftig war. Er meint wenn ich ihm nicht vertraue, dann macht eine Freundschaft keinen Sinn. Er ist sehr verletzt und sauer. Er versteht nicht, dass manche Äußerungen einfach triggern und mit seinem Trinkverhalten assoziiert werden. Letztlich weiß nur der "Betroffene" ob er getrunken hat oder nicht... Ich werde nie wissen, ob es eine neue Lüge war.

    Seine Äußerung hat mich verletzt, doch ich gebe ihm recht. Ohne Vertrauen bringt eine Freundschaft nichts. Wie geht ihr nach Rückfällen um? Wie schafft ihr es zu vertrauen? Es ist ja nicht so, dass ich mir was aus den Fingern sauge, es sprachen einige Dinge dafür und ich beschuldigte nicht, ich fragte nach. Nun hinterfrage ich die komplette Freundschaft, ob das denn überhaupt möglich ist.

    Ich freue mich, wenn ihr mir berichtet, wie ihr mit dem Thema Vertrauen umgeht.

  • Hallo Trine,

    ich kenne das ein bisschen von beiden Seiten, mein Vater hat getrunken, ich habe aber auch getrunken, und ausserdem beschäftige ich mich schon länger auch mit anderen Betroffenen und dem Thema Sucht.

    Vertrauen hat ja immer was damit zu tun, was man glaubt und nicht hundertprozentig weiss. Was kannst Du nun glauben?
    A) es gibt auch bei trockenen Alkoholikern sogenannte nasse Verhaltensweisen, die Gründe fürs Trinken nicht bewältigt, nur den Alkohol weggelassen, sonst nichts wesentliches gemacht, irgendwelche Macken die man schon vorher hatte, manipulatives Verhalten, "kampftrocken", also nur durch permanente Selbstbeherrschung, zwanghaft, unfrei, mit der Faust in der Tasche trocken, reizbar und dergleichen mehr.
    Aber nachdem es einiges davon in der einen oder anderen Form auch bei Nicht-Trinkern gibt, nie so ganz eindeutig zu beweisen.

    Ich würde mal sagen, bei dem was Du schreibst, ist das nebensächlich.


    hat über zwanzig Jahre getrunken und ist seit zwei Jahren trocken.
    ...
    Nun kamen Rückfälle, was ich nicht bewerte.

    das sieht für mich nach einem klatschnassen Alkoholiker aus, der sich nach einer längeren Trinkpause wieder seinem alten Level nähert.
    Vielleicht will ers Dir nicht erzählen, ich weiss ja nicht was das für eine Freundschaft ist und warum Dich das überhaupt was angeht. Hat er es zugesagt, dass er darüber redet?

    Ansonsten will er die Freundschaft ja vielleicht bewahren, vielleicht manipuliert er Dich aber auch nur damit Du nicht gleich wieder verschwindest. Jedenfalls kannst Du sehr wahrscheinlich volles Vertrauen darauf haben, dass er wegen Dir nicht aufhört. Gar nicht aufhören kann, solange er nicht so weit ist, und Du ihm dabei auch nicht helfen kannst. Wahrscheinlich setzen ihn Deine Rückfragen nur unter Druck, je nachdem was er für ein Mensch ist, schämt er sich vielleicht auch, vielleicht denkt er aber auch es ist nur seine Angelegenheit, und da ein nasser Alkoholiker oft schlechte Nerven hat, tickt er halt aus.

    Wie würde das für Dich aussehen, wenn er Dir jeden Alkoholkonsum ehrlich erzählen würde, und dabei käme raus, dass er das viel öfter tut als Du es annimmst? Und was käme für ihn dabei raus, würdest Du dann so reagieren dass es angenehm für ihn wäre? Ich nehme mal an, Du wärest kaum begeistert, und selbst wenn Du Dich beherrschen würdest, würde man es Dir anmerken, dass Du das missbilligst, also ist ja irgendwie auch leicht nachvollziehbar, dass er das vor Dir verbergen will.

    Gruß Susanne

  • Hallo Susanne,

    vielen Dank für deine Antwort.

    Für mich ist es interessant wie du die Sache beurteilst.

    Er machte nach den ersten Rückfällen nochmal eine Entgiftung und kontaktierte mich vor dem Klinikaufenthalt und erzählte mir alles, dort holte ich ihn auch ab.

    Was es mich angeht? Er ist nicht irgendein Freund, sondern mein bester Freund! Er hat von sich aus gesagt, dass er mir gegenüber da 100% ehrlich sein will. Ich habe es nie gelaubt und nehme es nicht persönlich, denn es setzt voraus, dass er sich selbst gegenüber ehrlich ist. Mit Manipulation kommt er bei mir nicht weiter, er ist nicht der erste Suchtkranke den ich kenne und aus Erfahrung kann ich sagen, dass ich besser damit umgehen kann, wenn ich weiß dass jeden Tag xy Flaschen gesoffen werden als mit der Verlogenheit. Ich kann mein gegenüber in der Eigenverantwortung lassen und habe auch keine Tendenz jemanden zu retten. Ich werte keine Menschen ab und meine Reaktionen waren immer respektvoll. Damals ging ich nicht einfach, doch als er sagte dass der Alkohol zum Frühstück wurde, war meine Grenze erreicht und das teilte ich mit - ohne Vorwürfe. Es war nicht mehr möglich die Freundschaft zu leben. Ich gehe, wenn es mir zu viel wird und mein Leben zu sehr beeinflusst.

    Es waren auch keine RückfragEN von mir, sondern eine Frage innerhalb von vier Monaten ;)

    Du hast sicherlich recht und er möchte die Freundschaft nicht wieder verlieren, doch so läuft es nicht.

    Danke für deine Meinung.

    Viele Grüße

    Trina

  • Susanne...

    Kannst du mir bitte sagen wo ich etwas nachlesen kann über die verschiedenen trockenen Typen?

    Du hast mit A - angefangen, doch würde ich gern alle lesen, aus Interesse.

    Viele Grüße

  • B) hätte da hin gehört, wo ich geschrieben habe, dass ich das nasse Verhalten eines Trockenen in dem Fall für nebensächlich halte. Fall B) er trinkt tatsächlich.

    Über nasses Verhalten wurden zum Teil schon erbitterte Diskussionen geführt, an sich ist es nur ein Erklärungsversuch für das Verhalten von trockenen Alkoholikern, das sich von ihrem Verhalten in der nassen Phase nicht sehr unterscheidet und bei dem man davon ausgeht, dass sie geistig vom Trinken noch nicht sehr weit weg sind. Definitionen sind halt immer so eine Sache.

    Meine Beurteilung ist natürlich auch nur eine Beurteilung aus der Ferne, eines Menschen, den ich persönlich nicht kenne. Ich kann nur sagen, bei dem wie Du ihn beschreibst würden bei mir die Alarmglocken läuten, also nichts mit Vertrauen, und das hat sich schon öfter bewahrheitet. Unfehlbar bin ich allerdings auch nicht.
    Allerdings ist für mich Vertauen da auch kein ganz passender Begriff, weil ich es dann so nehme wie es kommt und selbst nicht darauf angewiesen bin, das ich demjenigen trauen kann. Ich denke, wenn mich da jemand anlügt, macht er sehr wahrscheinlich auch sich selbst was vor und er ist ja auch derjenige, der die Folgen seines Konsums ausbaden muss. Ich kann mich umdrehen, er hat sich 24 Stunden am Tag.

    Und die Frage für die Freundschaft ist ja auch, was er zwischen seinen Abstürzen für ein Zeitgenosse ist.

    Mein Partner, der von meiner Trinkerei auch betroffen war, hat das Vertrauen gewonnen, weil ich eindeutig nie rückfällig war und man mir das deutlich anmerkt. Dabei sagt er aber selbst, dass er halt trotzdem immer was davon hatte, mit mir zusammen zu sein, ausser mal in meiner Extremphaase, also in der Summe war das mehr Gewinn als Verlust für ihn. Und umgekehrt, und das war der Grund warum wir uns nach zwischenzeitlicher Trennung wieder zusammengerauft haben.

    Ich glaube selbst, dass häufig Rückfällige, wenn sie überhaupt die tiefere Absicht hatten, trocken zu werden und zu bleiben, und nicht nur mal ein bisschen kürzer treten wollten, und dann daran scheitern, selbst ein erhebliches Problem mit dem Vertrauen in sich selbst entwickeln. Also dürfte es schwierig sein, ihnen von aussen in diesem Punkt zu vertrauen. Und ob jemand nur Pause macht um sich zu erholen, und dann weiter zu trinken, sieht man den Leuten oft nicht unbedingt an.
    Ansonsten kommt es natürlich drauf an. Bei meinem Vater wusste ich, dass er nicht aufhören wollte, als er Pflegefall würde und sich nicht mehr selbst versorgen konnte, bin ich seinem Wunsch, ihm was zu geben, nachgekommen. Allerdings hat mich das auch nicht weiter tangiert und darüber hinaus war ich froh, dass wir gegen sein Lebensende hin nochmal so gut miteinander ausgekommen sind. Da war es nicht wichtig, ob man ihn nun noch zwangstrockenlegt.

    Gruß Susanne

  • Liebe Trina,

    Ich finde den Begriff "Vertrauen" hier irgendwie unpassend...ich finde keinen besseren, aber vertrauen brechen setzt voraus, dass man willentlich und geplant jemanden hintergeht. Bei einem Alkoholiker, der rückfällig wird, nicht dazu stehen will oder vor allem kann, finde ich es daher heikel von "lügen" zu sprechen wenn es ums nicht-erzählen geht. Ich versuche mich zu erklären...:

    Ich bin selbst Alkoholikerin und hatte schon mit Rückfällen zu kämpfen, deshalb ist es meine persönliche Empfindung dazu, ich kann nicht sagen, ob das auch auf deinen Freund zutreffen kann. Oft ist es aber so, dass man auf Rückfälle nicht besonders stolz ist...Bei mir hatten sie zu regelrechter Selbsverurteilung geführt, Selbsthass ist ein starkes Wort, trifft aber bei mir in dem Falle zu. Ich fühlte mich als elende Versagerin, die es nicht hinbringt, nichts auf die Reihe bringt...damit musste ich zurecht kommen und das ist alles andere als einfach. Was hätte es für Folgen gehabt, wenn ich von meinem Rückfall auch noch anderen, auch dem besten Freund, davon erzählt hätte? Es hätte mich noch tiefer sinken lassen, die Schande wäre kaum zu toppen gewesen. Ich spreche hier von Gefühlen, wie ich die Situation erlebte. Mein Mann hatte die Rückfälle natürlich mitbekommen, wir leben ja zusammen. Es hat immer lange gedauert, bis er mich moralisch irgendwie wieder beisammen hatte und mir klar machen konnte, dass auch dies zur Krankheit dazu gehört (muss natürlich nicht!) und ich deswegen kein schlechterer Mensch bin.

    Es ist also für so manchen schon schwierig genug damit selbst zurecht zu kommen, man fühlt sich in der Regel sch$$$ genug, es dann auch noch mit jemandem zu besprechen kann unüberwindbar sein. Dies als Vertrauensmissbrauch zu bezeichnen finde ich deshalb nicht sehr passend, denn die logische Reaktion ist doch, das eigene Leiden nicht noch zu vergrössern.

    Ein anderer Grund des Verschweigens kann auch sein, dass man andere mit dem Wiederkonsum nicht belasten will oder eben eine Freundschaft nicht verlieren will...vor allem wenn man unter Druck steht, dass dies bei einem Rückfall passieren könnte. Meine Eltern zum Beispiel wissen nichts von meinen Rückfällen, es ist nicht nötig sie aus der Distanz unnötig zu belasten. Ich finde deshalb nicht, dass ich sie belüge.

    Ich bin jetzt seit 10 Monaten rückfalllos, also nicht schon seit 2 Jahren trocken wie dein Freund. Ich bin auch nicht innerhalb von wenigen Wochen zum absolut top-glücklichen und ausgeglichenen Abstinenzler geworden...sowas braucht Zeit. Es ist manchmal immer noch schwierig Emotionen auszuhalten und andere Strategien zu finden. Als kampftrocken würde ich mich nicht bezeichnen, da ich durchaus ein glückliches Leben ohne Alkohol erstrebenswert und für möglich halte, ich bin aber auch realistisch genug um zu wissen, dass Veränderungen Geduld brauchen, vor allem in einer Gesellschaft die den Alkoholkonsum feiert...

    Dies nur aus meiner Sicht, vielleicht kannst du Gemeinsamkeiten zu deinem Freund erkennen,

    LG
    Rina

  • Liebe Rina,

    ich danke für deine Aufrichtigkeit, die zutiefst mein Herz berührt. Mit deinen Worten kann ich absolut mitgehen.

    Vielen Dank für deine Sichtweise. Ich sehe schon was Charakter und was die Krankheit ist, doch die Angst um den Freundschaftverlust hat das beim Thema "Glaubwürdigkeit" nicht zugelassen. Nun fühle ich keinen Verrat mehr und kann es besser annehmen. Ich werde mich auch entschuldigen.

    Ich erkenne ihn absolut in deinen Worten wieder und habe leider vergessen, dass ich überhaupt eine der wenigen bin, die er an sich ran lässt.

    Von Herzen wünsche ich dir weiterhin viel Kraft für deinen Weg.

    Liebe Grüße

    Trina

  • PS Ich gehe bei meiner Antwort davon aus, dass dein 6.Sinn dir recht gibt und er wahrscheinlich getrunken hat...sowas merkt man wenn man sich gut kennt.
    Diese Gegenvorwürfe von „Du vertraust mir nicht, ich habe nicht getrunken...“ etc sind ein Schild, habe ich früher auch so gemacht. Allerdings war ich da noch in der nassen Phase. Später habe ich es sofort meinem Mann erzählt, er ist aber der einzige. Denn meine Krankheit sehe ich als etwas privates, ich muss nicht darüber sprechen wenn ich nicht will...

    Vielleicht solltest Du versuchen etwas Abstand zu nehmen, also dich abgrenzen. Sollte er trocken sein, gut so, wenn nicht dann geht nur ihn das was an. Er braucht sich auch nicht zu erklären oder rechtfertigen.

  • Danke.

    Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass er es jemals ohne Alkohol schaffen wird. :-\ Es sei denn es kommt die große Einsicht, dass von außen eine Hilfe (Fachleute) notwendig sind.

    Die Distanz habe ich schon vor einiger Zeit eingeleitet. Sein Art wenn er trinkt oder das Verhalten hat vermisse ich nicht, doch den Mensch einfach.

  • Vielleicht würde er sich so ändern, dass Du gar nicht mehr mit ihm klar kämst. Gibts jedenfalls öfter. Viele Ehen brechen dann erst auseinander. Und auch für andere ist es oft nicht einfach, mit der Veränderung des Betroffenen fertig zu werden. Die er aber dann braucht, um sich manches auch am Arsch vorbeigehen zu lassen, was ihn bis dahin belastet hat. Und natürlich auch noch andere Änderungen. Alkohol greift schon ziemlich weit in die Persönlichkeit ein.

    Schönen Feiertag noch.

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