Guten Morgen Cindy,
ich denke Du bist ein wenig "zweigeteilt". Da gibt es die Cindy, die all das was wir ihr hier geschrieben haben wahrscheinlich mehrfach gelesen hat, die es wirken hat lassen und die wirklich auch versucht es zu verstehen und es umzusetzen. Und ich denke, rational gesehen hast kannst Du das was wir Dir alles so geschrieben und berichtet haben durchaus annehmen. Vielleicht war der ein oder andere Schock dabei, weil Du die Dinge ganz anders eingeschätzt hast, aber ich denke rational ist Dir klar, was wir meinen und was eigentlich der richtige Weg für Dich wäre.
Und dann ist da noch die andere Seite. Die ist komplizierter. Das ist die Gefühlsebene.... Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und so machst Du Dir also auch noch Hoffnung, es könnte ja doch noch irgendwie alles gut werden. Das zeigt mir alleine die Frage danach, ob Du ihm nicht nochmal Deinen Standpunkt schreiben solltest, damit er ihn auch wirklich verstanden hat.
Nun, ich behaupte jetzt mal, Du möchtest das nur deshalb tun, weil Du hoffst, er könnte es tatsächlich verstehen und es könnte sich etwas bei ihm verändern. Ich sage Dir: Lass es stecken. Es erreicht ihn nicht und verlängert aber gleichzeitig Dein Leiden.
Ich bin mir sicher, würde er heute zu Dir kommen, Dir seine Liebe beschwören, Dir versprechen das er alles tun wird um sein Leben zu ändern, vielleicht sogar auch ein paar Tage oder Wochen nichts mehr trinkt, Du würdest ihm voll auf den Leim gehen. Tut mir leid das zu sagen, aber da bin ich mir sehr sicher.
Ich möchte Dir mal noch kurz von meiner Ex-Frau berichten. Ich weiß nicht ob Du meine Geschichte kennst, ich trank ja fast die gesamte Zeit heimlich. D. h. meine Frau wusste bis zu meinem Outing nicht genau was da eigentlich los war. Selbstverständlch habe ich sie vor allem in den letzten Jahren meiner Sucht belogen und betrogen was das Zeug hielt. Alles im Sinne der Aufrechterhaltung meiner Sucht. Alles was sie versucht hat (und sie hat viel versucht auch wenn sie nicht wusste das es bei mir am Alkohol lag), schlug selbstverständlich fehl. Aber natürlich habe ich immer wieder Besserung gelobt, ihr geschworen, dass unsere Beziehung wieder gut werden wird, dass ich allles dafür tue usw. Ich schrieb Dir ja schon, dass die meisten Alkoholiker ganz herausragende Lügner sind. Das liegt wohl auch daran (zumindest bei mir war es so), dass sie die Lügen die sie erzählen gar nicht als solche sehen sondern es in dem Moment wo sie lügen tatsächlich ernst meinen. Obwohl sie wissen, dass es nicht stimmt oder nicht funktionieren wird.
Gut, jedenfalls brach ihre Welt zusammen, komplett und allumfassend und da waren ja auch noch zwei Kinder, mal ganz nebenbei bemerkt. Meine Frau hat sich zu keiner Zeit so verhalten wie Du es jetzt tust. Sie war oder ist allerdings auch nicht Co-Abhängig. Was hat sie also getan? Sie hat mir gesagt ich solle mein Leben erst mal in Ordnung bringen. Ich zog sehr schnell aus und sie war mit den Kindern dann in unserer alten Wohnung alleine. Trotzdem sah ich sie (allein wegen der Kinder) fast täglich. Ich war in einem erbärmlichen Zustand. Trocken zwar, aber erbärmlichst beieinander. Meine Frau hat mir Wochen nach unsere Trennung (die auch sehr bald erfolgte) gesagt, dass sie mich immer noch liebt. Das tat sie sehr sachlich und sie fügte hinzu, dass das jetzt keine Relevanz mehr hätte weil ich meine Entscheidung getroffen hatte und sie werde diese akzeptieren. Und sie sagte, dass wir jetzt eine andere Beziehung hätten, nämlich eine geschäftliche. Was sie damit sagen wollte war, dass wir miteinander auskommen müssen, alleine der Kinder zuliebe. Und das taten wir dann auch.
Ich weiß, dass sie das alles nicht mit sich alleine ausgemacht hat. Sie ging sofort zu einem Psychologen. Ich weiß nicht wer oder welches Spezialgebiet, darüber haben wir im Detail nie gesprochen und das ging mich dann auch nichts mehr an. Abe sie hatte Hilfe und sie hatte offenbar eine sehr gute Hilfe.
Ich bin mir heute sehr sicher, dass sie mit mir und unserer Beziehung längst abgeschlossen hat. Schon vor Jahren hat sie das "geschafft". Ich sage jetzt mal auch wenn das sonst nicht meine Art ist: das habe ich irgendwann gespürt. Und das obwohl wir uns wirklich regelmäßig sehen und relativ viel miteinander telefonieren. Du, liebe Cindy, scheinst hier noch einen entscheidenden Vorteil zu haben: Ihr habt keine gemeinsamen Kinder, ihr müsst auch übehaupt nicht mehr sehen, Du kannst Maßnahmen ergreifen, dass er komplett aus Deinem Leben verschwindet - wenn Du das nur wolltest. Oder habe ich irgendwas überlesen oder falsch interpretiert?
Übrigens, zum Thema "Wenn er trocken ist könnte man sich ja wieder öffnen": Meine Frau hat mir erst mal kein Stück mehr vertraut. Keinen Zentimeter. Sie ließ mich eine sehr lange Zeit nicht mal meine Tochter im Auto mitnehmen. Keinerlei Vertrauen mehr in mich. Und ich war vom Tag x an wirklich trocken, kein Rückfall, nichts dergleichen. Ich nahm innerhalb weniger Wochen ewig viele Kilos ab, nur weil ich nicht mehr trank und sah im Vergleich zu vorher aus wie das blühende Leben. Das nahm sie alles wahr, es war für sie jedoch kein Grund mir wieder zu vertrauen. Und soll ich Dir was sagen: Recht hatte sie, aber sowas von. Ich kenne die Tricks und Finten von nassen Alkoholikern, ich kenne die Rückfallstatistiken usw. Das hat sie sich sicher auch angelesen. Sie hatte sowas von Recht. Ich habe gar nicht versucht sie zu beschwatzen, dass mir doch jetzt vertrauen könnte usw, weil ich mir einfach dachte: Das will und muss ich ihr einfach zugestehen und den Mehraufwand den ich jetzt damit habe, der ist sowas von lächerlich im Vergleich zu dem was sie jetzt alles an der Backe hat.
Als ich dann nach ein paar Jahren Trockenheit meinen ersten Marathon gelaufen bin, als auch sonst ein ganz anderer Mensch geworden bin mit einem ganz anderem Auftreten, anderen Einstellungen und einer ganz anderen Lebensweise, da kam sie irgendwann mal auf mich zu und sagte: Ich vertraue Dir jetzt wieder. Da müsste irgendwo um das 3. Jahr meiner Trockenheit herum gewesen sein.
Ich hoffe immernoch für Dich, dass Du Dir Hilfe suchst und das Du gute Hilfe finden wirst. Die zu Dir passt und die Dich wieder in die Spur zurück bringt. Wie sagte "mein" Mönch dann irgendwann mal zu mir: Schön, dass Du Deine Lebenskrise überwunden hast und wieder zu Dir selbst gefunden hast". In diesem Sinne: Das wünsche ich Dir auch!
LG
gerchla