Hallo,
mein Name ist (nicht wirklich) Sorra, ich bin hier, da mein Bruder, nennen wir ihn Dylan, alkoholkrank ist.
Würde ich mich als co-abhängig bezeichnen?
Ich kann mich in der Definition nur zum Teil wiederfinden, Teile, die in der Vergangenheit pathologisch einzustufen waren, jedoch würde ich meinen heutigen Zustand nicht mehr so drastisch einstufen. Ich sehe mich nicht als co-abhängig, in dem Sinne, dass ich das Suchtverhalten des Betroffenen fördere.
Momentane Situation:
Mein Leben ist, ohne in Details gehen zu müssen, für meine Verhältnisse stabil. Seit zwei Monaten gab es einige persönliche Veränderungen bezüglich Wohnen und Beruf/Ausbildung, die mehr Leistung von mir abverlangen und mich unter größeren Stress aussetzen als sonst, an dem ich etwas leide, aber es ist auch aufregend und noch tragbar.
Unabhängig davon gibt es meine Familie, die bis auf meinen Vater, gesammelt in einer Stadt wohnt die 2-3 Stunden von der Stadt entfernt ist, in der ich lebe. Das ist bewusst von mir vor über 4 Jahren gewählt worden, und ich bin überwiegend glücklich, damals umgezogen zu sein, da ich das Gefühl hatte, ich könnte nicht atmen.
Ich bin die Jüngste von 3 Kindern, habe zwei ältere Brüder und ich fühle mich wie die Sekretärin und Sozialarbeiterin meiner Mutter und meines mittleren, alkoholkranken Bruders. Der Älteste war immer schon sehr selbstständig und unabhängig.
Ich fühle mich verantwortlich für beide, ich befürchte, dass meine alleinstehende Mutter in Einsamkeit und Depression versinkt, zudem hat sie zunehmend gesundheitliche Probleme. Mein Bruder ist seitdem ich klein bin, einer der Hauptquellen meines blutenden Herzens, ich habe große Angst um ihn und weiß nicht, wie ich mit ihm in Beziehung treten kann, da er wegen des Alkohols meistens geistig nicht da ist.
Nun, ich komme aus schwierigen Familienverhältnissen, also diese beschriebenen Probleme und Ängste sind nicht neu, sondern seit vielen Jahren präsent.
Der Auslöser war der Besuch meines Bruders Anfang dieser Woche. Er hat vor einigen Wochen seinen schrecklichen Job gekündigt und nun viel Zeit. Er war 3-4 Tage hier und es war ... anstrengend und kraftraubend. Es war anstrengend ihn so zu sehen, es war anstrengend meine eigenen Reaktionen und Gefühle zu fühlen und reflektieren und kontrollieren. Dass sich sein Konsumverhalten so verschlechtert hat, habe ich (zum Glück) durch die Distanz nicht mitbekommen. Nun habe ich es mitbekommen und es hat mich dementsprechend (wieder) aufgewühlt.
Und wenn sowas passiert, wende ich mich an verschiedene Medien, immer öfter natürlich dem Internet. Es führt mich immer an neue Stellen: Literatur, Therapie, philosophische Konzepte, Telefonseelsorge, praktische Lösungen, Beratungsstellen usw.
Diesmal bin ich hier.
Diese Dinge haben mir immer schon geholfen, schon als Kind, wenn ich traurig war, habe ich mich in Bücher und Comics geflüchtet. Das Letzte mal hat mir ein Buch sehr geholfen, quasi mein Leben verändert um etwas pathetisch zu werden, ich möchte es euch nicht vorenthalten. Es ist von einem Alkoholiker über Alkoholismus und heißt: "Sich das Leben nehmen" von Jürgen Heckel. Es ist nicht so negativ, wie der Titel scheinen mag. Es ist wirklich gut.
Zurück zu Dylan. Als er zu Besuch war, habe ich ihm (mehrmals) angeboten, dass ich ihm zu einem AA-Meeting begleite. Er möchte nicht. Ich habe ihm erzählt, dass ich auch schon bei einem Alanon-meeting mit unserer Mutter war. Er gesteht sich (endlich) ein, ein Problem zu haben (nachdem es mir schon seit gut 10 Jahren klar war/ist), aber er möchte keine Hilfe.
Ich überlege nun, ihn regelmäßig dezent mit Nachrichten zu bombardieren, die Infos über Anlaufplätze beinhalten, á la "Hallo Dylan, ich wollte dich informieren, dass heute ein AA-Treffen um --:-- in der Helferstraße 1 stattfindet. Vielleicht hast du heute Lust hinzugehen" oder "Als Info: Eine gute Suchtberatunsstelle befindet sich am Infoplatz, die können dir bei dem Problem helfen."
Was meint ihr dazu?
Mir geht es nicht gut seitdem Besuch. Ich bin sehr wütend auf ihn und auf mich, da ich mich nicht so verhalten konnte wie ich wollte. Es macht mich aggressiv. Mir bricht es das Herz, ihn bei seiner Selbstzerstörung zuzusehen und es fällt mir schwer mich davon zu distanzieren. Ich habe normalerweise einpaar Menschen mit denen ich darüber reden kann, möchte es diesmal aus versch. Gründen nicht. Mir fällt auch auf, wie es mir förmlich meine Lebensenergie raubt.
Das war's vorerst,
ich bin an alle Ansichten und Gedanken dazu interessiert.
Alles Liebe,
sorra