Ich bin Co. - ratlos und mittendrin - Hilfe

  • Hallo liebes Forum,

    ich habe mich hier angemeldet weil ich hoffe, Antworten auf meine Fragen zu finden und um mir das Ganze mal von der Seele zu sprechen - ich weis einfach nicht mehr weiter.

    Mein Partner ist seit 5 Jahren stark alkoholabhängig. Mittlerweile trinkt er sich in seinen nassen Phasen auf durchschnittlich 4,5 Promille am Tag. Das läuft dann ca. 2 Wochen so bis er in der Entgiftung landet weil er es körperlich nicht mehr packt. Danach kämpft er jedes Mal mit Reue und Schuldgefühlen, verspricht ab jetzt alles anders zu machen usw... gleichzeitig dazu sagt er mir immer, wie dankbar er ist dass ich für ihn da bin und dass ich seine größte Kraftquelle bin und dass er es mit mir schaffen kann. Das hält dann immer maximal 3 Monate und das Spiel fängt von vorne an.

    Dies ist aber nur eine Seite. Denn auch in den trockenen Phasen ist es unglaublich schwierig und hier ist der Punkt, der mich fast noch mehr ratlos lässt. Auch wenn er nicht trinkt, ist er komplett unberechenbar, von einer auf die andere Sekunde komplett down oder auch aggressiv. Kleinste Kleinigkeiten führen zu absoluten Explosionen seinerseits und es endet immer in einem riesigen Streit. Am Ende ist es immer so, dass seiner Meinung nach die Schuld komplett bei mir liegt und ich am Ende ein schlechtes Gewissen habe und hinterfrage, was ich hätte anders machen könenn. Mittlerweile merke ich aber immer mehr, dass es völlig egal ist da er immer einen Streitpunkt findet. ich weis einfach nicht mehr was ich tun soll. ich bin in seiner Gegenwart nur noch angespannt, habe Angst das Falsche zu tun und dadurch eskaliert es tatsächlich jedes Mal. Ich gehe mit ihm um wie mit einem rohen Ei und irgendwie geht es doch immer schief.
    Parallel dazu hat er einen riesigen Hass auf die ganze Welt und sieht sich als Opfer, braucht gleichzeitig aber ein Unmaß an Liebe und Zuneigung von mir. Er ist komplett labil und kommt manchmal überhaupt nicht mehr mit seiner Gefühlswelt klar. Es ist für mich einfach unbegreiflich und ich frage mich, ob auch dieses ganze Verhalten in Verbindung mit seiner Alkoholkrankheit steht bzw, das typisch ist oder was dahinter steckt.


    mittlerweile unternehme ich nichts mehr mit meinen Freunden, gehe nicht mehr zum Sport, nichts weil ich weis er wartet und freut sich den ganzen Tag darauf dass ich komme. ich fühle mich dadurch total verantwortlich. ich weis auch nicht, ob ich versuchen soll ihn zu stützen und nun meine Bedürfnisse erstmal hinten anzustellen oder ob das die Situation noch schlimmer macht da er weis dass er so Kontrolle über mich hat.

    jedes mal, wenn ich etwas tue was ihm gegen den Strich geht macht er mir ein schlechtes Gewissen und zweifelt meine Liebe an bzw. stellt die ganze Beziehung in Frage. Aus lauter Frust habe ich dann das ein oder andere Mal gesagt dann soll er doch gehen. Das wiederum will er dann aber auch auf gar keinen Fall sondern beschränkt sich auf mein Fehlverhalten.
    Ich bin einfach verzweifelt - ich will nur dass es ihm gut geht und würde alles dafür tun aber ich habe das Gefühl er sieht in mir ständig einen Feind und ist so von seinen Dämonen geplagt dass ich dagegen gar nicht ankomme. Mittlerweile stecke ich selbst so tief drin, dass sich mein ganzes Leben nur noch um die Sucht und alles was damit zusammenhängt dreht. meine Laune ist nur noch abhängig von seinem Befinden und es macht mich bald verrückt.

    Wie soll ich mich ihm am besten gegenüber verhalten? wie kann ich ihn unterstützen?

    Danke schon mal fürs Lesen (wers bis hierhin geschafft hat ;D), ich hoffe ich treffe damit auf Gleichgesinnte mit ähnlichen Erfahrungen oder auch auf Rückmeldungen von "der anderen Seite".

    LG Ira Jean

  • Hallo Ira Jean,

    erst mal: Herzlich Willkommen bei uns im Forum. Schön, dass Du Dich entschlossen hast hier zu schreiben.

    Ich bin Ende 40, Alkoholiker und lebe schon seit mehreren Jahren ohne Alkohol.

    So wie Du Dich beschreibst, würde ich eine klassische Co-Abhängige beschreiben. Du machst Dein ganzes Leben, Dein Wohlbefinden, vom Zustand Deines Partners abhängig. Dein eigenes soziales Leben findet kaum mehr statt und alles dreht sich um den Trinker.

    Co-Abhängigkeit ist ebenfalls eine sehr ernste Krankheit und Du solltest unbedingt etwas dagegen unternehmen. Ich bin / war selbst nie Co-Abhängig, weiß aber aus den vielen Berichten (z. B. hier im forum) dass es ein langer Weg heraus sein kann. Einen ersten Schritt hast Du gemacht in dem Du Dich hier angemeldet hast. Du wirst sicher auch von anderen Co-Abhängigen noch wertvolles erfahren, das Dich weiter bringen kann.

    Uuuupss, merkst Du was? Noch kein Wort über Deinen Partner, wegen dem Du Dich doch hier eigentlich angemeldet hast. Nun, um den geht es eigentlich gar nicht. Es geht um DICH, es geht um DEIN Leben. Niemand hat das recht es Dir derart zu versauen.

    Was Deinen Partner betrifft, da will ich es mal kurz machen: Er verhält sich wie sich ein Alkoholiker eben verhält. Und nur weil er mal nichts trinkt ist er noch lange nicht trocken. Selbstverständlich ist sein Verhalten im nüchternen Zustand das Verhalten eines nassen Alkis. Zuckerbrot und Peitsche, so hält er Dich bei Laune. Einmal gibt er Dir das Gefühl an allem Schuld zu sein und dann wieder beteuert er seine Liebe und dass er nur mit Dir schaffen kann....

    Das kannst Du Dir so lange anhören, bis Du irgendwann daran kaputt gehst. Oder Du beginnst nachzudenken und Dir mal zu überlegen, ob Du nicht Dein Leben zurück haben möchtest. Wenn ja, dann nimm die Beine in die Hand und überlasse ihm die Verantwortung für sein Leben. Die hat nämlich nur er! Wenn er aufhören will, dann kann er das auch. Hilfe gibt es genug, er muss sie nur annehmen und es auch wollen (für sich, nicht für Dich). Und eines muss immer klar sein: Du bist nicht für sein Leben verantwortlich! Wenn er säuft, dann tut er das weil er es so entschieden hat. Und nicht weil Du nicht "brav" warst, ihn schief angesehen hast oder sonst irgendwas ganz "fürchterliches" gemacht hast. Sag' mal ehrlich: Meinst Du das dass Liebe ist?

    Für Dich gibt es übrigens auch Hilfe. Es gibt Angehörigen-Gruppen (also reale), wo sich Menschen treffen, die ähnliches durchmachen müssen /mussten wie Du. Vielleicht wäre das eine Option für Dich.

    Das sollst zum Einstieg von mir erst mal gewesen sein. Ich wünsche Dir alles Gute, viel Kraft und einen guten Austausch hier im Forum.

    LG
    gerchla

  • Auch von mir ein ganz herzliches WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Ich bin 55, ebenfalls Alkoholiker und seit einigen Jahren trocken.

    Den Ausführungen von Gerchla kann ich mich nur 100%ig anschließen: Nicht Dein "Freund" :sorry: steht im Mittelpunkt - sondern DU!

    Manchmal hat Co-Abhängigkeit ein klein wenig mit Masochismus zu tun - denn wenn man sich Deine Geschichte (stellvertretend für viele andere Geschichten) anschaut, dann fragt man sich doch: WARUM tut sich jemand das an?? nixweiss0
    Du unterwirfst Dich völlig SEINEN Wünschen, Bedürfnissen, Anforderungen. Und wo bleibst DU, DEINE Wünsche, Bedürfnisse?

    Als selbst Betroffener machen mich Geschichten wie die Deine immer wieder betroffen (Wortspiel ;) ), wie wir mit unseren Angehörigen/Freunden umgehen/umgegangen sind. ;(

    Du wirst bestimmt hören/lesen, dass Du Dich in Deinem ureigensten Interesse von Deinem "Freund" trennen solltest, wenn Du nicht selber kaputt und/oder mit ihm untergehen willst. Dir also einen richtigen Rettungsring suchen - oder einen Beton-Rettungsring.
    Das wäre zumindest MEINE Empfehlung!

    Viel Kraft und einen guten Austausch hier im Forum wünscht

    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Willkommen im Forum, Ira Jean,

    was Du beschreibst, geschieht – leider – sehr häufig. Sowohl auf Seiten der Suchtkranken, als auch auf Seiten der Co-Abhängigen.

    Kurz nur will ich auf Deinen Freund, den Suchtkranken eingehen, weil tatsächlich, wie auch schon meine Vorschreiber anklingen ließen, würde es Dich nicht weiterbringen, wenn wir hier über ihn schreiben würden. Dazu müsste er selbst hier, oder noch besser in einer Selbsthilfegruppe aktiv werden.

    Relativ viele Alkoholkranken wollen glauben, dass es alleine reicht die Finger vom Alkohol zu lassen, eine Entgiftung zu machen, und dann das „komplette Thema“, das so viel mehr, wie nur die Sucht beinhaltet, zur Seite zu legen.
    Aber Abstinenz – bei Suchtkranken – funktioniert so halt leider nicht. Manchmal bleiben sie dann für ein paar Wochen nüchtern (nicht, wie wir unter uns sagen: trocken), und dann fängt das Spiel wieder von vorne an.
    Am Beispiel Deines Freundes kannst Du das erkennen. Er trinkt dann zwar eine Weile nichts mehr, aber er hat keinerlei Wesensveränderung vollzogen. Diese Wesensveränderung hin zu einem positiven Menschen, der mit sich und seiner Umwelt ohne sein Suchtmittel klarkommt, kann nur geschehen, wenn er sich intensiv mit allen seinen Schwächen, Fehlern, Defiziten und seiner ganzen Persönlichkeit auseinandersetzt.

    Zu Dir selbst, ist schon viel Gutes geschrieben worden.
    Auch Du solltest jetzt Deinen ganzen Fokus weg von Deinem alkoholkranken Partner, ganz hin zu Dir ausrichten.
    Auch das ist ein langwieriger Prozess, der viel Aktivität und den grundlegenden Wunsch beinhalten muss, aus dem Dilemma der Co-Abhängigkeit herauskommen zu wollen.
    Der für mich immer beste Weg ist über ein Angehörigen-Selbsthilfegruppe, wo Du Dich ganz real mit Menschen austauschen kannst, die genau dasselbe mit ihren suchtkranken Angehörigen durchgemacht haben, und weiter in eine Suchtberatung, wo Du durch die therapeutischen Gespräche viele Hilfen für Deine Weiterentwicklung erhältst.
    Du darfst nicht außer Acht lassen, dass Du durch Deine Verstrickung in das Suchtverhalten Deines Freundes immer mehr in Deiner eigenen Persönlichkeit geschwächt wirst. Dein Selbstwertgefühl geht immer mehr verloren und Du selbst wirst im Sinne der Co-Abhängigkeit immer kränker. Ich habe schon Angehörige kennengelernt, die nach Jahren an der Seite des suchtkranken Partners nur noch ein Schatten ihrer selbst waren.

    Deshalb, um Dich zu retten und nicht mit den Abgrund gerissen zu werden, der einem weitertrinkenden Suchtkranken unweigerlich droht, musst Du raus aus dem Netz, dass die Suchterkrankung um Dich gesponnen hat.
    Ob Dein Freund dann, wenn Du Dich konsequent von seiner Sucht distanziert hast und für Dich all das Notwendige getan hast, irgendwann auch zu der Erkenntnis kommt, für sich etwas machen zu müssen, das liegt nicht in Deiner Verantwortung und das wirst Du auch nicht beeinflussen können. Aber Du kannst Dich retten.
    Alles andere, wie das, was Du momentan meinst, dass es „Hilfe“ für Deinen trinkenden Partner wäre, ist nichts weiter, wie seine Sucht mit aufrecht zu halten. Und gleichzeitig für Dich der Verlust Deiner eigenen Persönlichkeit auf Raten.

  • danke euch für das Feedback!
    Es ist interessant zu lesen, dass ich mich zu sehr auf das "Helfen" fokussiere. Bislang hatte ich immer vermutet, ich bin nicht einfühlsam genug oder bringe zu wenig Verständnis für ihn und seine Situation auf. Ich bin jedes Mal am Zweifeln, ob es wirklich in Ordnung ist ihn in seiner aktuell wirklich tragischen und gebrechlichen Lage auf sich allein gestellt zu lassen bzw. nach mir zu sehen. ich tue mir wirklich sehr schwer bei der Vorstellung, ihn mit diesem Problem das ihn ganz offensichtlich überfordert allein zu lassen.
    dazu kommt, dass er selbst der Meinung ist, dass er gar kein Problem hat und es ihm nur von anderen eingeredet würde und er damit quasi in den Alkoholismus getrieben wird - das halte ich allerdings für Unsinn. Schwierig ist halt, dass er überhaupt nicht mit sich reden lässt. selbst wenn er seine Trinkpausen hat ist der Umgang mit ihm unheimlich schwierig was er selbst aber komplett anders sieht. Immer wieder aufs Neue sagt er, cih soll einfach für ihn da sein dann bekommt er das hin. Dass das nicht klappt hat er mit 9 Krankenhausaufenthalten in den letzten 10 Monaten leider bewiesen. Ich frage mich nur, ob ich auch jetzt, während seiner Nüchternheit quasi ohne Kompromisse "meinen Weg" gehen soll oder ob sich diese Phasen irgendwie nutzen lassen um mit ihm zu sprechen? aus den bisherigen Antworten höre ich aber eher heraus, dass er aktuell zwar nicht trinkt aber dies nicht als "trocken" gewertet kann und ein langer Weg vor ihm liegt und er auch jetzt in seiner klaren Phase nur allein diesen Weg betreten kann.
    Ich weis, ihr wart alle 3 sehr klar in euren Aussagen (was ich super finde) es erscheint mir nach dieser langen Zeit nur noch sehr unwahr und krass, einen geliebten Menschen wegen seines Problems fallen zu lassen.
    Ein Austausch mit Leidensgenossen ist sicher auch eine gute Hilfe um Hoffnung zu finden. sobald ich solche Dinge allerdings bei ihm anspreche wird er sehr wütend und rastet regelrecht aus; ich hätte über unsere Beziehung (generell, nicht nur ALC betreffend) mit keinem zu sprechen und ich würde ihm ständig in den Rücken fallen. Irgendwie fühl ich mich am Ende jedes Mal, als hätte ich einen Riesenfehler gemacht. Sich aus diesem Denken zu befreien erscheint mir wie eine Mammutaufgabe...

  • @ Hallo Ira Jean

    Du beschreibst ein für einen nassen wie auch trockenen Alkoholiker typisches Verhalten. Aggressivität und Depressionen können auch ein Zeichen für „trocken besoffen“ sein. Ich mußte mein Lebensumfeld, meine Einstellung zu manchen Dingen und Menschen und vieles andere ändern. Und dennoch kann ich auch heute nicht verhindern, dass es mir schon mal so geht wie damals.
    Ich bin fest davon überzeugt, dass man es alleine nicht schafft. Und ebenso fest bin ich überzeugt davon, dass es keinen Sinn macht, bei einem Alkoholiker zu bleiben, der nach wie vor trinkt. Trinkende Alkoholiker lügen, manipulieren und sind alles: Zwischen charmant-liebenswürdig bis hin zu den von dir beschriebenen Aggressionen. Und oft genug alles innerhalb einer kurzen Zeitspanne.

    Gruß

    Laurids

  • Guten Abend Ira Jean,

    es sind genau die Zweifel und die innere, fürsorgliche Zerissenheit der Angehörigen und des Umfelds, mit denen ein Suchtkranker seine Sucht am Laufen hält und sich ein Deckmäntelchen von tausenden von Alibis schafft.
    „Ich trinke nicht, weil ich süchtig bin und trinken muss. Ich trinke wegen … Dir … der bösen Welt … meiner schweren Kindheit … meiner schlechten Ehe … weil Du mich unter Druck setzt … weil ich ohne Dich nicht kann … weil Du (mit anderen) über mich redest …“, und viele andere Alibis mehr.
    Nichts von alldem stimmt. Ein Süchtiger trinkt, weil er trinken muss, und weil er (noch) nicht an dem Punkt angekommen ist, wo er bereit ist die Verantwortung für sich in vollem Umfang zu übernehmen. Süchtige sind, was die ihre Sucht anbetrifft, schwache Persönlichkeiten. Aber was die Manipulation, Tricksereien, Ausreden erfinden, usw. anbetrifft, sind sie – wie auch ich es war – Weltmeister.

    Zitat

    Ich frage mich nur, ob ich auch jetzt, während seiner Nüchternheit quasi ohne Kompromisse "meinen Weg" gehen soll oder ob sich diese Phasen irgendwie nutzen lassen um mit ihm zu sprechen?

    Eine der ganz wenigen Möglichkeiten, die das Umfeld (Angehörige, Arbeitsplatz, etc.) haben, um einen Süchtigen dazu zu bringen, dass er anfängt umzudenken, ist die absolute Konsequenz im Umgang mit ihm.
    Schau mal, er hat so viel Vertrauen zerstört, das Du ihm einst vorurteilsfrei geschenkt hast. Er hält nichts von dem, was er Dir mal wieder verspricht, wenn er ganz unten ist und es ihm schlecht geht. Er denkt keine Sekunde darüber nach, wie weh er Dir tut, wenn er nach einer weiteren Entgiftung wieder zur Flasche greift. Er stellt sich sogar aggressiv in den Weg, wenn Du Dir für Dich Hilfe bei anderen, erfahrenen Betroffen holst.
    Seine Sucht ist die absolute Nummero One! Dann kommt lang nichts – und wenn er noch ein paar Funken Anstand in sich hat, dann kommst irgendwann eventuell Du.

    Das ist die Realität in der Sucht. Jede Beschönigung ist ein absolute Verharmlosung, und ganz bestimmt nicht in dem Sinn, wie wir Dir hier Hilfe anbieten.
    Ich denke, ich muss Dir nicht schreiben, dass ich all das über die Sucht weiß, weil ich selbst – heute trockener – Alkoholiker bin, der alle Facetten der Sucht an und mit mir, aber auch mit meinen Angehörigen und dem Liebsten was ich hatte, durcherlebt habe.
    Ich habe sie alle beschissen, belogen, betrogen, an der Nase herumgeführt und ausgetrickst. Und ich habe immer wieder welche gefunden, die meine Lügen glaubten, die an mich glaubten und an meine ungezählte Versprechungen. Diese gute Menschen haben mir geholfen, meine Sucht aufrechtzuerhalten und auf ihre Kosten weiter zu betreiben.

    Und dann waren da noch die, die ich in dem Moment regelrecht hasste. Die mir hart, konsequent und unnachgiebig klarmachten, dass sie meine Sucht durchschaut hatten. Die mich, durch ihr konsequentes Handeln, dazu zwangen anzufangen die ganze Sache anders zu sehen.
    Zuerst waren sie für mich ein neuer, dankbarer Grund, warum ich sagte: „Da muss ich jetzt erst einmal einen drauf trinken. Wenn man so starken Tobak um die Ohren bekommt, dann hält man (ich) das nur aus, wenn man sich in Alkohol ertrinkt.“
    Tatsächlich aber waren diese Menschen meine wirklichen, besten Freunde – und sind es heute mehr denn je. Sie haben mir geholfen meine Sucht zum Stillstand bringen zu können.
    Und sie waren allesamt ab dem Moment für mich wirklich da, wo sie sahen, dass ich ernsthaft und genauso konsequent wie sie es getan hatten, etwas gegen meine Sucht unternommen habe.
    Die anderen, die mir immer wieder geholfen haben, sind auch liebe Menschen. Keine Frage. Die hätten mir wahrscheinlich noch bis in den Sarg mein Bier nachgetragen.
    Aber dass ich heute trocken und zufrieden mit mir und meinem Umfeld leben kann, das verdanke ich vor allem all denen, die mir klarmachten: „Dietmar, wenn Du säufst, wollen wir mit Dir nichts zu tun haben. Trocken und nüchtern bist Du immer willkommen. Aber wirklich „trocken“, nicht nur für den Moment, weil Du wieder mal etwas von uns brauchst.“

    Es ist keine Schande süchtig zu werden. Das kann ausnahmslos jeder Mensch, egal aus welcher sozialen Schicht und egal mit welchem persönlichen background, werden.
    Aber gerade in der heutigen, aufgeklärten Zeit, in der man alle Informationen darüber leicht und ohne Aufwand bekommen kann, gerade hier bei uns in Deutschland (weil das nicht überall so komfortabel ist), wo es unzählige Hilfsangebote gibt, die ein Betroffener nur ergreifen muss, um alles in die Hand zu bekommen, dass er seine Sucht zum Stillstand bringen kann – da ist es eine Schande, wenn man nichts dagegen tut.

  • Aber gerade in der heutigen, aufgeklärten Zeit ... – da ist es eine Schande, wenn man nichts dagegen tut.

    Aber nur aus der Sicht von Menschen, die es geschafft haben. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich noch in dem Sumpf steckte - zuerst wollte ich garnicht (sooooo schlimm war es doch nicht) und dann konnte ich nicht. Ich brauchte ein paar Anläufe.

    Ich würde mir nicht anmaßen, Menschen, die in der Sucht feststecken und (noch) nichts dagegen unternehmen - vielleicht, weil sie keinen Ausweg sehen oder auch nicht "können" - deswegen als "Schande" zu bezeichnen.
    Traurig - das ist es.

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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    können wir nur selber tun!

  • @ Laurids: danke, mit dem "trocken besoffen sein" hast du mir nochmals etwas bestätigt was ich auch schob gedacht habe, bzw. ich habe immer vermutet dass diese extreme Aggressivität und das allgemein auch auffällig kindische Verhalten damit zusammenhängen. auch die beschriebene Zeitspanne trifft exakt zu; das kann alles wie aus dem Nichts passieren.


    @ dietmar: ja das merke ich inzwischen auch immer öfter... er spielt mit dem Gewissen anderer; ob das nun bei mir ist, seinen Eltern oder anderen Bekannten. Sein Argument ist meist, dass wir ihn so unter Druck setzen, dass er automatisch trinken muss ::) seit er nun mitbekommen hat, dass ich mit einer freundin über unsere Beziehung spreche straft er mich mit Abweisung und Gemeinheiten. allerdings kommt er dann ein paar Minuten später ganz reumütig wieder an. Und so geht es hin und her. teilweise weis ich gar nicht mehr, was denn jetzt überhaupt los ist.
    Danke dir für deine Ehrlichkeit was das Thema Manipulation und Lügen betrifft. Das ist etwas was mir am meisten zu schaffen macht denke ich. Man hat schließlich immer noch die Hoffnung, dass er es dieses Mal aber auch wirklich ernst meint. Oder dass es genau bei uns anders ist als bei allen anderen ( wie er immer so schön betont). Ich stand bislang allein mit der Sache da und wollte ihm einfach glauben. Zumal er alles sehr nachvollziehbar und mit einer Ernsthaftigkeit anbringt die mir vermittelt "jetzt hat ers aber wirklich geschnallt", bis mir wieder das Gegenteil bewiesen wird. und ja; durch die liebevolle Unterstützung lebt er noch immer recht komfortabel...ich denke, er ist zwar nicht glücklcih aber die Situation ist durchaus auszuhalten, schließlich wohnt er für lau bei mir, bekommt seine Wäsche gewaschen etc...

    Unsere Auseinandersetzungen, auch in seinen trockenen Wochen werden immer heftiger, er verhält sich zunehmend kindisch und versucht immer wieder mit Sticheleien zu verletzen, tut aber so als sei doch alles in Ordnung.
    Ich habe gestern auch zum ersten Mal seit Monaten keine Rücksicht auf seine schräge Wahrnehmung und Gefühlswelt genommen und den Abend nach meiner Vorstellung verbracht. Er war derart irritiert dass er seit ewig langer Zeit "normal" wurde in seinem Verhalten. an der Stelle nochmal danke, dass ihr mir klar gemacht habt, dass es wichtig ist nach sich selbst zu schauen. es war zwar das erste Mal, aber immerhin das erste Mal seit sehr langer Zeit und sehr befreiend - mehr als ich es mir selbst hätte vorstellen können. Die angesprochene Konsequenz muss ich jetzt noch lernen... habe mich inzwischen auch an einen Psychologen gewandt, ich hoffe das stärkt zusätzlich. Was für mich sehr schwierig ist, ist einzusehen dass ich härter werden muss. Ich komme mir wie ein Unmensch vor, wenn ich ihn mti seiner Situation alleine lasse. Dank der bisheringen Beiträge kenne ich aber nun zum Glück auch das Denken der anderen Seite, das macht es auf jeden Fall einfacher.

    zum Thema Sucht allgemein; ich denke auch, dass dies jeden unabhängig von allen "oberflächlichen" Faktoren treffen kann. ich habe ihn für sein Trinken auch nie verurteilt. Allerdings bin ich inzwischen wirklich wütend darüber, dass er nicht aus dieser Opferrolle kommen möchte. Die Welt ist gegen ihn nur weil er trinkt. udn überhaupt; professionelle Hilfe würde ihm nichs bringen da er das fachliche Wissen bereits hat. er hat selbst gemeint, das "klick" sei zwar noch nicht da aber eigentlich will er schon aufhören. Inzwischen ist er der Meinung, dass er zwar nicht mehr "saufen" will aber alle paar Woche mal einen Trinktag einlegen wird ( er gehört zu den Leuten, die nach dem ersten Schluck nicht mehr stoppen können). Manchmal frage ich mich, ob es Menschen gibt die sich einfach damit abfinden

  • Guten Morgen Ira Jean,


    Nichts von alldem stimmt. Ein Süchtiger trinkt, weil er trinken muss, und weil er (noch) nicht an dem Punkt angekommen ist, wo er bereit ist die Verantwortung für sich in vollem Umfang zu übernehmen. Süchtige sind, was die ihre Sucht anbetrifft, schwache Persönlichkeiten. Aber was die Manipulation, Tricksereien, Ausreden erfinden, usw. anbetrifft, sind sie – wie auch ich es war – Weltmeister.

    Das was Dietmar Dir hier geschrieben hat, bringt es für mich genau auf den Punkt. Große Aufmerksamkeit solltest Du dem letzten Satz schenken - Wir Alkoholiker sind (im nassen Zustand) wirklich wahre Weltmeister im Manipulieren, Lügen und Betrügen!

    Glaube mir, ich würde Dir das hier alles nicht so schreiben, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte. Wenn ich nicht selbst gelogen und betrogen hätte was das Zeug her gibt. Ich habe so viel gelogen wie Du Dir das sicher als normaler Mensch gar nicht vorstellen kannst. Ich habe über viele Jahre ein Doppelleben geführt, das mich aussehen hat lassen, als wäre ich der tolle, erfolgreiche, durch die Welt reisende Erfolgsmensch. Das wenigste davon war echt - die meisten meiner tollen Reisen verbrachte ich irgendwo anders, wo ich in Ruhe trinken konnte, wo ich weg war von meiner Familie, der gegenüber ich ja immer ein permanent schlechtes Gewissen hatte. Ich lies sie einfach allein um in Ruhe saufen zu können, ohne mir ständig Ausreden einfallen lassen zu müssen. Ich rief aber natürlich bei jeder meiner "Reisen" mehrmals am Tag zuhause an und beteuerte meine Liebe und dass ich sie ja alle so vermisse. Erzählte über das Wetter hier, über irgendwelche Workshops die es natürlich gar nicht gab und wenn ich mal nach einer "Reise" nicht wie geplant nach Hause wollte sondern noch einen Tag weitersaufen, dann "rief ich vom Flughafen an", dass mein Flug ausgefallen sei und ich noch eine Nacht verlängern müsste. Natürlich auch mit den tiefsten Beteuerungen verbunden, wie sehr ich alle vermisse und wie es mich langweilt, dass ich jetzt nicht nach Hause fliegen kann....

    Alles erstunken und erlogen. Aber über die Jahre meiner Sucht wurde ich darin wirklich perfekt. Ich ließ mich dann noch bemitleiten, weil ich ja sooo viel unterwegs bin und sooo gestresst. Und ich die vielen "Überstunden" ja auch nicht ausgeglichen bekam....

    Du siehst, ich kenne mich wirklich aus. Und ich glaube einen nassen Alkoholiker erst mal kein Wort!

    Ich finde es sehr gut, dass Du Dir jetzt auch psychologische Hilfe suchst. Du musst Dir wirklich darüber im Klaren sein, dass Du ebenfalls krank bist. Du bist Co-Abhängig, hast vielleicht auch so etwas wie ein Helfersyndrom. Damit ist nun wirklich nicht zu scherzen denn es das ist Gift für Dein Leben. So kannst Du kein glückliches Leben führen.

    Ich habe noch ein paar Gedanken:

    Liebst Du Deinen Partner eigentlich? Glaubst Du Liebe sieht so aus, dass der eine sein eigenes Leben aufgibt und all seine Energie in den anderen steckt und der andere wiederum absolut nichts in die Beziehung investiert und sich kampflos seiner Sucht hingibt?

    Ich habe mich oft gefragt, ob ein Alkoholiker überhaupt lieben kann! Ich habe mich oft gefragt, ob ich meine Ex-Frau wirklich geliebt habe. Ich habe mir das immer eigebildet. Ich bin zur Erkenntnis gekommen, dass das bei Zeitpunkt unserer Heirat durchaus der Fall war - es war eine Liebesheirat auch von meiner Seite. Aber da war ich noch nicht süchtig. Als ich dann süchtig wurde, war ich nicht mehr fähig zu lieben. Denn meine Liebe galt meinem Suchtmittel, dem Alkohol. Danaben konnte nichts existieren, nicht mal meine Kinder haben es geschafft diesen Bann zu durchbrechen. Und glaube mir, die Liebe die man für seine Kinder empfindet ist nochmal eine ganz andere als man für seinen Partner empfinden kann.

    Aber egal, ich kann im Nachhinein sagen, dass meine Fähigkeit zu lieben um so mehr abnahm um so stärker meine Sucht wurde. Ich behaupte, Dein Partner ist gar nicht in der Lage zu lieben. Er ist viel zu stark mit seiner Sucht beschäftigt. Und so lange das so ist, hast Du von ihm nichts, absolut nichts positives zu erwarten. Darüber musst Du Dir im klaren sein.

    Weißt Du überhaupt was er für ein Mensch ist? Oder kennst Du ihn "nur" als süchtigen? Hat er immer schon getrunken seit Ihr Euch kennt? Dann kennst Du den Menschen "vorher" gar nicht. Und nehmen wir mal an, er würde jetzt tatsächlich eine Therapie machen und aufhören, dauerhaft. Was glaubst Du was Du dann für einen Menschen vor Dir hast? Ganz sicher nicht den, den Du jetzt kennst. Auch nicht den, der er war bevor er getrunken hat. Nein, Du würdest einen ganz anderen Menschen "zurück" bekommen. Einen, an den Du Dich erst mal gewöhnen musst, einen von dem Du jetzt nicht weißt ob er der Richtige für Dich ist. Und auch einen, der sich von Dir nicht mehr betüteln und bevormunden lässt. Du hast dann einen, der sein Leben wieder selbst in die Hand nimmt, der auch NEIN sagt, der wieder selbstbewusst sein eigenes Leben gestaltet und der ein Stück weit auch ein Egoist ist. Für Co-Abhängige eine ganz schlechte Ausgangslage - es sei denn sie lassen ich parallel ebenfalls therapieren.

    Ich schreibe Dir das hier wirklich aus eigener Erfahrung, nicht einfach nur so. Und es ist so, dass nicht wenige Beziehungen dann zerbrechen, nachdem der Trinkende trocken wurde. Weil der Trinkende dann eine Wandlung durch macht, sich weiter entwickelt und seine Persönlichkeit verändert. Der nicht trinkende Partner bleibt oft zurück, so ist das leider. Ich habe mich, nachdem ich trocken wurde, von meiner Frau getrennt! Sie hätte es gerne nochmal versucht, ich wollte nicht mehr.

    Was Deinen Partner betrifft sehe ich aber aufgrund Deiner Schilderungen aktuell keine "Gefahr" dass er mit dem Trinken aufhören könnte. Das übliche Gesülze eines nassen Alkoholikers. Alles was Du schreibst deutet darauf hin, dass er bis jetzt noch nichts verstanden hat und einfach weiter trinken will.

    Wenn ich sowas z. B. lese:

    Zitat

    Die Welt ist gegen ihn nur weil er trinkt. udn überhaupt; professionelle Hilfe würde ihm nichs bringen da er das fachliche Wissen bereits hat. er hat selbst gemeint, das "klick" sei zwar noch nicht da aber eigentlich will er schon aufhören. Inzwischen ist er der Meinung, dass er zwar nicht mehr "saufen" will aber alle paar Woche mal einen Trinktag einlegen wird ( er gehört zu den Leuten, die nach dem ersten Schluck nicht mehr stoppen können).

    Da ist, bitte verzeih mir den Kalauer, Hopfen und Malz verloren. So wird es nie schaffen etwas an seiner Situation zu ändern.

    Also, bitte versuch' das umzusetzen was wir Dir hier alle schreiben: Achte auf Dich, geh Deinen Weg, hol Dir DEIN Leben zurück und schau, dass Du so schnell wie möglich von ihm los kommst.

    LG
    gerchla

    Einmal editiert, zuletzt von Gerchla (29. Mai 2018 um 10:52)

  • Guten Morgen Ira Jean,

    Zitat

    ich habe ihn für sein Trinken auch nie verurteilt.

    Es geht ja bei dem ganzen Suchtprozess nicht um Verurteilung oder Abwertung u.ä.
    Es wiederstrebt mir immer sehr, wenn ich in und bei der Selbsthilfearbeit von Süchtigen durch solche – durchschaubare – Manöver in die Verteidigungs- Rechtfertigungsrolle gedrängt werden soll. (Auch so eine Manipulation!)
    Da ist dann z. B. einer, der durch seine Sucht nichts auf die Reihe bekommt, unendlich viele Probleme deswegen hat, überall aneckt und von allen Seiten aufgrund seines nassen Wesens abgelehnt wird – und der versucht dann mir, dem trockenen Alkoholiker zu erklären, wie es laufen müsste, dass es für ihn passt.
    Es ist natürlich genauso Unsinn zu glauben, weil man das fachliche, theoretische Wissen hat, würde professionelle oder semiprofessionelle Hilfe nichts für einen taugen. Wenn das so wäre, dann gäbe es keine süchtige, beruflich und fachlich im Suchtbereich tätigen Menschen.

    Aber wie ich schon an Dich schrieb: Es sollte hier, wo Du Dich an uns gewandt hast, um für Dich Hilfe durch unseren Austausch zu bekommen, nicht um Deinen Freund gehen, sondern um Dich.
    Wenn Du schreibst, dass Du – was absolut immer berechtigt ist! – die Hoffnung hast, „dass er es diesmal ernst meint“, dann darfst Du diese Hoffnung natürlich immer haben!
    Aber Du solltest Dein Tun und Handeln als Angehörige nicht an diese Hoffnung knüpfen.
    Nicht Du bist in der „Bringschuld“ – er ist es.

    Zitat

    Oder dass es genau bei uns anders ist als bei allen anderen ( wie er immer so schön betont).

    Am Anfang meines ersten, langen Suchtausstiegs bin ich sozusagen irgendwann dann eingeknickt und habe den anderen zuliebe gesagt: „Okay, wenn Ihr alle meint, ich wäre Alkoholiker, dann bin ich’s halt.“
    Gedacht habe ich: „… aber nicht so ein Alkoholiker, wie alle anderen.“
    Der Prozess, mir selbst, ganz alleine für mich, einzugestehen, dass ich eben genau „der Alkoholiker“ bin, wie alle anderen Alkoholiker auch, der hat bei mir sehr lange gedauert und hat viel Therapiearbeit mit mir selbst erfordert.
    Auch das war so eine „Hoffnung“: Okay, ich bin zwar Alkoholiker – aber ganz so schlimm, wie bei allen anderen ist es (vielleicht) dann doch (noch) nicht.

    Im umgekehrten Fall verhält es sich bei den Co’s genauso.
    Ich kenne Angehörige, die in unsere Gruppe kommen, die tun sich unglaublich schwer in der Einsicht für ihre Krankheit. Da höre ich dann auch immer wieder, dass es doch bei anderen viel, viel schlimmer wäre.
    Dabei ist tatsächlich der Grad, also die Intensivität, mit der man in dem Dilemma steckt, zunächst einmal völlig wurscht. Grippe ist Grippe. Co-Abhängig ist co-abhängig. Süchtig ist süchtig. Rein vom Wesen und Ausdruck her ist zunächst einmal die Schwere der Krankheit völlig nebensächlich. (Die spielt dann eine Rolle, wenn’s drum geht, auf welchem Weg man wieder raus kommt, und wie lange u. U. der Weg dauert.)

    Bei Dir geht es jetzt m. E. darum, dass Du Deine „Spielräume“ erkennen kannst.
    Davon gibt es 3.


      [li]"Leben" - alles, was niemand beeinflussen kann und einfach so ist, wie es ist[/li]
      [li]„Deins“ – Das, was Dich beschäftigt, aber gar nicht in Deinem Einflussbereich liegt, weil es von Deinem Partner verursacht wird/wurde. In Deinem Fall all das, was in der Verantwortung Deines Partners liegt.[/li]
      [li]„Meins“ – Das, was Du ändern kannst und nach Deinen Vorstellungen umbauen, verändern und erschaffen kannst. [/li]

    Und bei diesem „Meins“, also in den Fällen, wo Du sagst „genau besehen, ist das –mein- Problem. Ich kann es ändern, annehmen (lieben) oder die Situation verlassen“ – fängt Deine „Arbeit mit Dir“ an. Change it – Love it – Leave it!

    Ein weiterer wichtiger Schritt ist, dass Du wieder etwas lernst, das eigentlich bei nicht betroffenen Menschen völlig normal ist: Nämlich Dich selbst mindestens so zu lieben, wie Du Deinen Partner liebst.
    Das hat überhaupt nicht mit (ungesundem, egozentrischem) Egoismus zu tun, sondern ist überhaupt die Basis für die Liebe zu und für andere Menschen.
    Wenn ich mich selbst nicht liebe, schätze, achte und auf mich aufpasse, wie kann ich das dann bei anderen Menschen tun?
    Im Fall von Co-Abhängigkeit ist es dann auch noch zudem so, dass das Verhalten Deines süchtigen Partners Dir gegenüber absolut und erkennbar schädlich für Dich ist.
    Stell Dir vor, Du würdest von einem wildfremden Menschen dermaßen attackiert und „mit seinen Problemen“ konfrontiert. Würdest Du Dich dann auch „hineinziehen“ lassen und dessen Probleme Dir zu eigen machen?

    Zitat

    Was für mich sehr schwierig ist, ist einzusehen dass ich härter werden muss. Ich komme mir wie ein Unmensch vor, wenn ich ihn mit seiner Situation alleine lasse.

    Wirst Du „härter“, wenn Du lernst, Dich mehr zu lieben, zu achten und vor allem „auf Dich zu achten“?
    Bist Du ein Unmensch, wenn Du Deine Grenzen kennst und achtest – vor allem auch darauf achtest, dass sie von Deinem Partner nicht ständig ignoriert und missachtet werden?
    Was ist liebevoller? Festhalten, wenn man mit in den Abgrund gerissen werden soll und dann dem Gefallen nie wieder helfen kann, oder in Liebe loszulassen, und da sein zu können, wenn er gefallen ist?

  • Greenfox

    Zitat

    Aber nur aus der Sicht von Menschen, die es geschafft haben.
    Ich würde mir nicht anmaßen, Menschen, die in der Sucht feststecken und (noch) nichts dagegen unternehmen - vielleicht, weil sie keinen Ausweg sehen oder auch nicht "können" - deswegen als "Schande" zu bezeichnen.

    Es scheint, als hättest Du das, was ich geschrieben habe, völlig anders verstanden, wie ich es geschrieben habe. Ich habe nicht geschrieben, dass „die Menschen, die in der Sucht feststecken“ eine Schande sind.
    Aber dass sie trotz der heute möglichen Information über Sucht und trotz aller Hilfsangebote nichts dagegen unternehmen, das ist ein Schande.
    Diese Erkenntnis ist schon uralt – ich weiß leider nicht, von wem oder von welcher Organisation sie herstammt.
    Und natürlich ist das auch aus der Sicht eines aktiven Süchtigen eine Schande – viele Trinker empfinden es auch so – nur, sie sind noch nicht an dem Punkt, an dem sie etwas dagegen tun können/wollen/müssen.

  • Puhh, wenn ich mir gerade nochmal eure Zeilen zu Lügen und Manipulation bin ich wirklich baff. Ich erkenne so vieles davon wieder und gleichzeitig ist es komisch wie offensichtlich es eigentlich alles ist während man selbst nichts davon merkt. Und auch die Liebesbeteuerungen kommen mir sehr bekannt vor. Ich weis nicht, ob er wirklich grundsätzlich ein sehr emotionaler und sensibler Mensch ist, das nur vortäuscht oder durch das Trinken so geworden ist, aber er gibt einem wirklich zu 1000% das Gefühl es auch wirklich so zu meinen (innige Umarmungen, Gestik etc...)

    Das angesprochene Helfersyndrom habe ich definitiv; auch schon in vorherigen Partnerschaften ist mir dies auf anderen Ebenen zum Verhängnis geworden. Ich hoffe, durch die psychologische Beratung hier endlich ein gesundes Maß kennen zu lernen, aktuell helfe ich bis zu Selbstaufgabe. Je länger ich mir hierzu meine Gedanken mache, umso mehr merke ich, dass ich erst wenn ich mich selbst völlig erschöpft fühle das Gefühl habe annähernd genug getan zu haben.

    Eine Frage hab ich aber doch nochmal konkret:

    So wie ich es lese, zählt ihr ihn zu den „nassen“ Alkoholikern obwohl er aktuell nicht trinkt, richtig? Woran macht ihr das fest? Er hat diese Wochen in denen er keine Tropfen anrührt (wie momentan). Ab wann zählt man als „trocken“? nach erfolgreicher Therapie? Nach jahrelanger Abstinenz? Ich vermute, schwierig zu sagen. Dies ist wirklich nur reines Interesse und keine Anzweiflung eurer Aussage 
    Daher kann ich gerade irgendwie nur schwer sagen, ob ich ihn nur als Alkoholiker kenne oder nicht.

    Zu der Frage ob ich ihn liebe... ich denke ja – als ich ihn kennen gelernt habe hat er wieder seine Phase gehabt, in der er über Woche nicht getrunken hat und damals wusste ich nichts von seinem Problem. Er hat dies auch nie zugegeben sondern es kam nach und nach raus bis ich er zum ersten Mal seit wir uns kannten in der Entgiftung lag und „geständig“ war. Und wenn ich an die Anfangszeit denke in der ich unbefangen war, weis ich ich habe ihn wirklich geliebt für den Mensch der er war. Vllt klammere ich mich auch nur an diese Zeit, denn wenn ich an die letzten Monate zurück denke haben fast alle meine Tage zumindest mit Unzufriedenheit wenn nicht Traurigkeit geendet. Am meisten Zuneigung habe ich wenn ich ehrlich bin immer dann für ihn, wenn er mir seine verletztliche Seite zeigt weil er da noch am authentischsten wirkt. Die Frage, ob er lieben kann stelle ich mir tatsächlich auch. Er meint natürlich er tut es; er würde es mir dadurch zeigen dass er an mich denkt oder so viel für mich tut ( stimmt nicht, er sitzt den ganzen Tag daheim und schaut TV oder schläft, auch wenn nüchtern ). Sein „tun“ ist z.B. einkaufen gehen oder sich überlegen was wir am Wochenende unternehmen. Manchmal versuche ich zu glauben, dass er eben nach seinen Möglchikeiten wirklich das meist Mögliche tut. Andererseits, erwartet er von mir immer dass es mir gut geht und ich eigentlich keien Sorgen haben darf, bzw. behauptet sein Leben sei so schrecklich ich hätte da gar nichts zu meckern. Er behauptet er habe ein sehr gutes Herz, aber ich merke immer öfter, dass ihm jede Form von Emphatie abgeht – auch das ein typisches Merkmal oder einfach ein „echter“ Charakterzug von ihm?!

    Um zu mir zurück zu kommen:

    Ich merke inzwischen schon gar nicht mehr, wann ich noch selbstgesteuert handle und wann ich auf eine Art handle in der ich mehr oder weniger durch ihn gesteuert werde – meine Freunde führen mir dies immer wieder vor Augen und erst dann stelle ich ganz erstaunt fest dass es stimmt – wenn ich es denn überhaupt einsehe.
    Und klar, auch ich denke noch unsere Beziehung zueinander sei weitestgehend normal und schiebe die Zweifel beiseite. @ Dietmar; gerade dieser von dir genannte Punkt „Deins“ ist für mich sehr schwierig weil ich genau hier immer denke, ich muss mich einschalten. Diese Grenze zu erkennen ist sehr schwierig wenn man schon so tief drin steckt.

    Selbstliebe ist immer so ein Punkt; manchmal gibt es bei mir diesen „gesunden Egoismus“ nicht und ich schlage über die Stränge; um das dann auszugleichen übe ich mich anderer Stelle dann in Selbstaufgabe.

    Von einer nahe stehenden Person wurde mir auch schon gesagt, dass es wichtig für mich ist selbst gesund zu bleiben damit ich, wenn ich es denn dann will und die Situation überhaupt je eintritt, für ihn da sein kann wenn er wirklich ernst macht mit dem Trocken Werden und aufhört.
    Meine Angst dabei: ihn vorher schon zu verlieren weil er sich von mir in der Zeit davor im Stich gelassen fühlt nixweiss0

    Hier bewundere ich wieder, wie sachlich und ehrlich ihr hier eure Geschichten ohne Beschönigungen beschreibt.

  • Hallo Ira Jean,

    Deine Frage, wann ist ein Alkoholiker „wirklich“ trocken, kann man m. E. nicht so einfach beantworten. Vielleicht könnte man sagen, beim Einen macht es sehr schnell dieses immer wieder aufgeführte „Klick“, und er ändert komplett alles, was Ursache oder zumindest Mit-Ursache für seine Sucht war, und beim Anderen kommt dieses Klick nicht so einfach, selbst dann nicht, wenn er mal wieder eine Zeitlang kein Suchtmittel konsumiert.
    Aber grundsätzlich kann schon sagen, dass ein Alkoholiker, der so wie Dein Freund binnen eines Jahres 9 Mal oder öfter zur Entgiftung musste, auch dann nicht „trocken“ ist, wenn er drei oder mehr Monate dazwischen hat, in denen er absolut abstinent bleibt.

    Es ist schon so, dass die Sucht an sich in aller Regel eher das Symptom für viele andere Probleme oder Störungen in der Persönlichkeit ist/war.
    Demzufolge reicht es bei weitem nicht, einfach „nur den Alkohol wegzulassen“, und schon ist alles wieder gut. Ganz abgesehen davon, dass sich durch die Wirkung des Suchtmittels (hier Alkohol) auch eine Wesensveränderung immer mehr manifestiert.
    So hört man z. B. über nasse Alkoholiker sehr oft, dass „sie früher ganz anders waren“.
    Wie bei allen psychischen Störungen – und Alkoholismus ist nach ICD-10 F10.2: Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom – braucht es natürlich entsprechender Maßnahmen (z. B. Therapie, Erlernen von Kompensationstechniken, ggf. Veränderungen im Umfeld, u.v.a.m.), um „die Grundursachen“, also all das, was letztlich dann zur Sucht geführt hat, zufriedenstellend behandeln zu können.

    Ich zumindest kann von hier aus Deinen Freund überhaupt nicht einordnen, weil ich nicht weiß, wie er mal ganz ohne den Alkohol war. So könnte es genauso gut sein, dass er schon immer eine problematische Persönlichkeit war, und die Probleme, die dadurch für ihn entstanden sind bzw. entstehen, mittels Alkohol zu kompensieren versucht.
    Aber um das erst einmal erkennen zu können, bedarf es m. E. schon fachlich fundierter Hilfe z. B. seitens einer Therapie, sei es ambulant oder stationär.

    Etwas ganz anderes, und ich glaube, dass Laurids dies mit seinem Beitrag meinte (?), ist der sogenannte "Trockenrausch"
    Um ihn zu verhindern hilft u. a. auch der regelmäßige Besuch, bzw. der Anschluss an eine Selbsthilfegruppe, weil die Gruppenfreunde dort eine entsprechende Veränderung in der Persönlichkeit bemerkten und ansprechen können.

  • Hallo Ira Jean,

    ich glaube Dir gern, dass Du schockiert bist was das Lügen ect. betrifft. Ich versichere Dir allerdings, dass ich heute, als trockener Alkoholier, nicht mehr Lüge (ich nehme jetzt mal die kleinen Notlügen bzw. "Höflichkeits"lügen die wohl jeder von uns mal macht aus). Es ist sogar so, dass es mit zu meinen wichtigsten Grundsätzen gehört, immer ehrlich und fair zu sein. Und zwar genau wegen meiner Vergangenheit als Trinker. Ich kann das, was ich angerichtet habe nicht mehr gut machen, ich kann und will aber jetzt ein verlässlicher und immer fairer Mensch sein. Tatsächlich war es bei mir so, dass ich nach meinem Ausstieg ganz enorm daran arbeiten musste nicht weiter zu lügen. Es dauert mit unter sehr lange, bis das nasse Denken, die nasse Verhaltensweise, die man ja jahre- oder jahrzehntelang angewandt hat, wieder normalisiert werden kann.

    Also was passierte? Problem taucht auf, lügen würde helfen es erst mal vermeintlich unkompliziert und ohne Gesichtsverlust zu lösen. Das hatte ich anfangs in solchen Situationen immer sofort im Kopf. Denn ich hatte ja jahrelang quasi nie die Wahrheit gesagt. Das war ja gar nicht möglich ohne das alles aufgeflogen wäre. Und so habe nachdem ich aufgehört hatte zu trinken immer ganz bewusst, sozusagen kopfgesteuert, die Wahrheit gesagt. Wenn ich wo eingeladen wurde, wo ich nicht hin wollte z. B., dann habe ich nichts erfunden um nicht hin zu müssen, sondern ich habe gesagt, dass nicht hin will, weil XY (die entsprechende Begründung). Dieses "ehrlich sein" war für mich enorm wichtig. Heute muss ich das nicht mehr kopfsteuern, es ist in mein normales Verhaltens- und Denkmuster integriert, wie es sein sollte.

    Das ist auch die Überleitung zu Deiner Frage bezüglich "wie weiß man eigentlich ob jemand trocken ist oder nur gerade nichts trinkt". Dazu ein Beispiel von mir: Ich habe in meiner Trinkerkarriere sehr viele Trinkpausen eingelegt. Oft wenn ich diese begann, war ich fest davon überzeugt, nie mehr trinken zu wollen oder aber zumindest erst mal längere Zeit nichts mehr trinken zu wollen. Einige dieser Pausen waren mehrere Wochen lang, eine sogar mehrere Monate. In dieser Zeit war ich NICHT trocken! Ich wusste das damals natürlich nicht. Ich war NICHT trocken, weil sich meine Gedanken trotz des Verzichts auf Alkohol (oder auch wegen des Verzichts ;) ) immer wieder um Alkohol drehten. Trinkpausen zu späteren Zeiten, als meine Sucht schon fortgeschritten war, waren nur sehr schwer realisierbar, aber sie waren noch möglich. Hier drehte sich dann fast mein gesamten Denken nur um Alkohol. Also, ich trank nichts, dachte aber ständig daran, dass ich ja jetzt nicht trinken "darf". Oder ich dachte mir: so schlimm kanns ja nicht sein, hast jetzt schon 3 Wochen nichts getrunken oder ich dachte sonstwas, was aber immer mit Alk zu tun hatte. Der Alk war trotz Verzicht immer präsent.

    Der Gedanke, dass es nun vorbei ist, dass ich nun für immer ohne Alkohol leben möchte und dass ich bereit bin alles dafür zu tun, den gab es eben nicht. Genau diese Bereitschaft ist aber notwendig um überhaupt trocken werden zu können. Und auch wenn man diese Bereitschaft hat, bedeutet es noch lange nicht, dass man es auch schafft. Dazu gehört dann nochmal ganz viel arbeit an sich selbst, ein außeinandersetzen mich sich selbst und mit seiner Sucht etc. Da könnte ich Dir jetzt ewig viel schreiben.

    Weißt Du, es gibt ja grundsätzlich unterschiedliche Arten von Alkoholikern. Die Spiegeltrinker z. B., die immer einen bestimmten Anteil an Alkohol im Blut haben müssen um funktionieren zu können. Sie müssen oft auch nachts aufstehen und etwas trinken. Oft sind es aber auch diejenigen, denen man diese Sucht dann auch erst mal kaum anmerkt. Der Spiegeltrinker hat zwar immer, sagen wir mal 1,2 Promille im Blut, verhält sich damit aber "ganz normal". Und es gibt aber eben auch Trinker, die tagelang oder auch wochenlang gar nichts trinken. Und dann irgendwann komplett abstürzen und mehre Tage durchsaufen bis nichts mehr geht. Diese Krankheit ist sehr vielfältig.

    Wie das jetzt bei Deinem Partner genau ist, kann ich Dir auch nicht sagen. Ich kann Dir auch nicht sagen, ob er in Zeiten wo er offiziell nichts trinkt tatsächlich nichts trinkt, denn das weiß ich nicht und ich bin ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es Alkis gibt, die ja gar keine sind für ihr Umfeld. Denn ich trank ja weit über zehn Jahre heimlich, nicht mal meine Frau hat das gemerkt. Man sah mich in der Öffentlichkeit fast nie mit Alkohol und ich hatte nie Alkohol zu Hause (offiziell). Da stand keine Kiste Bier etc., da war nichts! Ok, ich hatte meinen Stoff im Schuppen im Garten, im Radkasten meines Autos, im Jetbag im Keller, im nahegelegenen Wald waren auch immer ein bis zwei Kisten Bier im Unterholz versteckt, so dass ich bei meinen zahlreichen "Luftschnappspaziergängen" immer ein paar Bier trinken konnte. Ich könnte Dir Geschichten erzählen die Du nicht glauben würdest. Aber offiziell, da war ich wenn überhaupt, ein sehr moderater Trinker. Mein (übrig gebliebener) Freundeskreis kippte aus allen Latschen, als ich erzählte habe ich wäre Alki. DUUUUUUUUU? - NIEMAAAAALS. Doch, genau ich.

    Deshalb denke ich mal, dass Du nur den Alkoholiker kennst, was Deinen Partner betrifft. Und, dass er liebevoll sein kann usw., daran zweifle ich nicht. Das konnte ich auch, oh das konnte ich sogar sehr gut. Und ja, ich hab das in den Momenten vielleicht ja sogar so gemeint. Diese Momente, wo es mal schön und romantisch wurde und wo ich aber wusste, dass ich danach wieder trinken kann.

    Nur jetzt mal ganz ehrlich: Was hast Du denn davon? Ich meine, was hast Du davon, dass er Dir das 1000%ige Gefühl geben kann es ernst zu meinen, wenn er Dir dann bei nächster Gelegenheit wieder die Keule drüber zieht? Und, Alkis sind die sensibelsten Menschen überhaupt - oh was können die sensibel sein. Und nah ans Wasser gebaut sind sie auch sehr häufig. Und natürlich emotional. Alkohol verstärkt diese Eigenschaften ja gerade zu. Eine Liebeserklärung unterm Sternenhimmel mit der entsprechenden Alkoholmenge intus kann ganz anders rüber kommen als im nüchternen Zustand. Das kannst Du doch nachvollziehen, oder? Man ist locker, man ist gelöst, man sagt auch mal Dinge, romantische schöne Dinge, die man nüchtern vielleicht albern oder überzogen finden würde. Man zitiert irgendwelche Dichter, erinnert sich an Goethe oder macht es so wie ich und sucht sich vorher bewusst ein paar ganz romantische Stellen eines Gedichts, die man der Liebsten dann gezielt präsentiert, so dass diese hin und weg ist. Ja, das alles kann der Alkohol bewirken.

    Und was hast jetzt nochmal Du davon? Wenn davon nichts im Alltag ankommt und Du als Co-Abhängige hinter dem Säufer her hechelst und Dein eigenes Leben dabei aufgibst? Immer darauf hoffend, dass er ja doch nicht so schlecht ist und dass Du ihn retten kannst. Dass Deine Liebe ihn retten kann.... Vergiss es, das sage ich Dir als erfahrener Alkoholiker. Verigss es einfach und hole Dir Dein Leben zurück.

    Wenn ihm was an Dir liegt, wenn ihm wirklich was an Dir liegt, dann wird er tätig werden wenn Du ihn verlässt. Dann wird das der Anstoss für ihn sein, etwas gegen seine Sucht zu unternehmen. Und wenn er das am Anfang auch "nur" wegen Dir macht und erst mal noch nicht für sich selbst. Aber es könnte ihm einen Anstoss geben. Wenn aber der Alkohol für ihn wichtiger ist als Du, wird er es als Grund nehmen um weiter saufen zu "müssen" und wird Dir die Schuld dafür geben. Verstehst Du was ich sagen will? So funktioniert dieses Spiel.

    Du bist natürlich nicht Schuld, aber er wird es Dir so verkaufen. Oder Dir sonst was an den Kopf werfen, Dich anflehen zu bleiben weil er es nur mit Dir schaffen kann, dass er sich zu tode saufen wird wenn Du gehst und bla und bla und blub.

    Und Du fällst darauf herein......

    LG
    gerchla

  • Hallo Ira Jean,

    zuerst einmal Herzlich Willkommen hier im Forum.

    Es ist meiner Meinung nach für einen Co Abhängigen Menschen nicht leichter mit der Situation umzugehen, weil entscheiden über ein neues Leben kann immer nur der Alkoholiker, der Partner ist abhängig von seiner Entscheidung .


    Zu mir ich bin weiblich AlkoholikerIn 53 Jahre und war 22 Jahre trocken.
    Trocken definiere ich für mich so,

    Der Alkohol spielt keine Rolle mehr in meinem Leben, ich bin im Großen und Ganzen zufrieden mit den Umständen, aber sollte ich merken das irgendwo der Schuh drückt und ich Sorgen oder Nöte habe, treffe ich bewusste Entscheidungen und sehe die Verantwortung bei mir.
    Verantwortung will ich lieber selber tragen sie auf andere abzuwälzen brauche ich dann nicht mehr.
    Mir persönlich ist Ehrlichkeit sehr wichtig, ich spüre das ich dem Leben gewachsen bin, Probleme kann ich auf einem guten Weg erkennen und lösen.
    Zu beginn des nüchtern werdens lernte ich in der Therapie mich als dem Mittelpunkt in meinem Leben zu sehen und langsam mir zu vertrauen, da Schoß ich manchmal übers Ziel hinaus und ich war vielleicht oft schwer zu verstehen, für andere Menschen, aber das ausprobieren war wichtig, meine Taten und der anderen Reaktionen.
    Daraus zog ich dann meine Schlüsse.
    Mit der Zeit lernte ich das ich mich auch zurück nehmen durfte.
    Irgendwann war es Alltag und ich lebte Bewusst und Verantwortlich.
    Oft musste ich erst mal meinen Verstand über die Gefühle stellen und vor allem viele Gespräche führen mit meinem Bruder der auch trocken wurde mit anderen Personen ich glaube ich musste mich viel probieren.
    Es kamen viele Erfolgs Erlebnisse.
    Abgrenzung war ein wichtiges Thema, da ich mit 15 Jahren anfing zu trinken, konnte ich leicht und schnell viele guten Dinge lernen. Ich glaube das geht mit 30 Jahren leichter als mit 50 Jahren.
    Irgendwann sah ich sogar die Trinkerei als eine Bereicherung in meinem Leben, weil ich mich sonst niemals so sehr mit allen Dingen auseinander hätte.
    Es war mir keine Last mehr sondern ein Gewinn.
    Ich weiß noch das ich mir in irgendeinem Zusammenhang mal die Frage gestellt habe , wie es wohl ist wenn ich Alt oder Krank bin, am Ende meines Leben, ob ich dann wieder trinken würde, nein selbst mein Ende wollte ich bewusst und selbstbestimmt führen.
    Ich fand aber auch gar keine Situation wofür mir der Alkohol noch nützlich sein konnte.

    Da war ich trocken.

    Hört sich gut an, hatte dann aber nach fast 23 trockenen Jahren einen Rückfall, nein ich habe mich glaube ich, bewusst wieder für den Alkohol entschieden.
    Ich war so vermessen, mir zu denken in einer schwierigen Situation, du bist so ein starker Mensch, wage dich nochmal dran.
    Ja ich wollte es selber testen.

    Ich kann nicht kontrolliert trinken, schnell war ich wieder am Lügen und merkte wogegen ich den kleinen Rausch eingetauscht hatte, mir würde schnell klar wie wertvoll doch meine trockene Zeit war.

    Ich bin nun wieder seit gut einem halben Jahr Nüchtern und merke das ich auch langsam wieder Trocken werde.
    Aber ich muss mir vieles wieder neu erarbeiten.
    Ich bin Dankbar das ich es noch einmal geschafft habe, es gibt viele Beispiele mit Üblem ausgang.
    Durch das Forum sehe ich manches klarer und hoffe meine Selbst Überschätzung ablegen zu können.
    Du siehst Entwicklung hört bei mir nicht auf und ich würde heute nicht mehr so laut sagen mir kann nichts mehr passieren.

    Ich glaube es ist schon immer eine Gefahr, mit einem Alkoholiker zusammen zu sein.
    Einen Rückfall kann man nicht ausschließen aber die Krankheit Alkoholismus sollte natürlich auch kein Freifahrt Schein sein.

    Ich wünsche dir einen guten Austausch hier im Forum,
    es Grüßt die,
    Birgit

  • Hallo Birgit,

    Zitat

    Es ist meiner Meinung nach für einen Co Abhängigen Menschen nicht leichter mit der Situation umzugehen, weil entscheiden über ein neues Leben kann immer nur der Alkoholiker, der Partner ist abhängig von seiner Entscheidung.

    Verzeih bitte, aber das ist eben genauso nicht der Fall, sondern nur dann, wenn Angehörige in der Co-Abhängigkeit verharren, also nichts für sich tun, um diese Krankheit ablegen zu können.
    Es ist ja gerade ein Wesensmerkmal der Co-Abhängigkeit, dass Angehörige ihr Leben von den Entscheidungen des süchtigen Partners abhängig machen.
    Und umgekehrt, wenn die Angehörigen etwas gegen ihre Co-Abhängigkeit tun (und tun müssen, um aus diesem Dilemma herauszukommen), dass sie ihr Leben und Befinden gerade nicht von den Entscheidungen des suchtkranken Partners abhängig machen.

  • Hallo Dietmar,


    da muss ich mal in Ruhe drüber nach denken.

    Birgit

  • Danke euch für eure Definitionen oder Ansätze des „ Trocken seins“
    Natürlich ist mir klar, dass es hierfür keine Faustregel gibt aber die Beschreibungen haben mir schon sehr geholfen das etwas besser einzuordnen. Umso stärker bin ich gerade getroffen, wie viel damit eigentlich einhergeht und wie viel Kraft und Stärke das bedeutet. Bei uns sind gerade das Thema Ehrlichkeit und Problemlösung sind sehr schwierig. Um ehrlich zu sein aber nicht nur für meinen Partner, sondern mittlerweile auch für mich. Ich merke, wie auch ich anfange, Freunde und Familie zu belügen weil ich weis, dass ich nur auf Unverständnis treffen würde. Aber auch meinen Freund belüge ich, um ihn nicht zusätzlich mit bestimmten Dingen zu belasten.

    Da dies ja kurz mal zur Sprache kam; mein Freund gehört zu denen die eine Zeit lang nichts trinken und dann über ein paar Tage so heftig, dass sie mit 4,5 PM ins Krankenhaus müssen. Daher ist er auch nach wie vor der Meinung ein Cocktail oder ein Glas Wein tue ihm ja nichts.

    Um zu dem Thema Liebe in nüchternem Zustand zurück zu kommen muss ich euch wohl Recht geben; es gibt keinen Tag mehr in den letzten Wochen den ich als schön in Erinnerung behalten hätte. Immer habe ich das Gefühl auf einem Pulverfass zu sitzen das bei der kleinsten Kleinigkeit explodieren könnte. Inzwischen, das merke ich langsam auch selbst, erfreue ich mich an kleinen Dingen wie ein Spaziergang mit dem Hund der nicht im Streit endet. Irgendwie schräg...

    Und auch wenn es ja dazu da ist, möchte ich mich jetzt schon mal hier bei euch bedanken. Ich hätte nie damit gerechnet, dass mir dieser Austausch so sehr hilft das ein oder andere zu erkennen bzw. anders zu sehen. Es stärkt mich sehr zu wissen, dass es okay ist ihm gegenüber „nein“ zu sagen und eigenständig zu leben, selbst wenn er aktuell mal „für mich“ (so behauptet er zumindest) trocken ist. Ein klares und ehrliches Feedback und der Gedankenanstoß von Menschen, die das alles selbst schon erlebt haben ist nochmal etwas ganz Anderes als der gute Rat von Freunden. Und so langsam habe ich das Gefühl zumindest ein wenig hinter seine Fassade blicken zu könne auch wenn ich weis, dass da noch ein sehr sehr langer Weg vor mir liegt.

    Ich muss es wohl wirklich darauf ankommen lassen wie die Reaktion ausfällt wenn ich nicht mehr nur Helfer, Ventil für Wut und Abladeposten seiner Probleme bin.

    @ gerchla
    „Wenn ihm was an Dir liegt, wenn ihm wirklich was an Dir liegt, dann wird er tätig werden wenn Du ihn verlässt. Dann wird das der Anstoss für ihn sein, etwas gegen seine Sucht zu unternehmen. Und wenn er das am Anfang auch "nur" wegen Dir macht und erst mal noch nicht für sich selbst. Aber es könnte ihm einen Anstoss geben. Wenn aber der Alkohol für ihn wichtiger ist als Du, wird er es als Grund nehmen um weiter saufen zu "müssen" und wird Dir die Schuld dafür geben. Verstehst Du was ich sagen will? So funktioniert dieses Spiel.
    Du bist natürlich nicht Schuld, aber er wird es Dir so verkaufen. Oder Dir sonst was an den Kopf werfen, Dich anflehen zu bleiben weil er es nur mit Dir schaffen kann, dass er sich zu tode saufen wird wenn Du gehst und bla und bla und blub.“

    Danke, diese Sätze höre ich ständig in wildem Wechsel und dachte jedes Mal, es liegt an meinem Handeln. Dass diese aber wohl gängige und ziemlich beliebige Trinkersprüche sind gibt mir ein wenig das Gefühl, dass ich da wirklich nichts beeinflussen kann. Seine Gemeinheiten treffen mich natürlich trotzdem. Und die Schuldfrage werde ich mir wohl auch immer wieder stellen da er mich mittlerweile fast bis zu Perfektion manipuliert und ich noch nicht mal was davon merke...

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