klassische Suchthilfe

  • >:( so, das hat jetzt etwas gedauert, weil sich mein schon fertiger Text beim Korrigieren plötzlich verabschiedet hat - also, noch einmal von vorne ... !
    Ohne die von Praxx und Katro hier nun schon des Öfteren diskreditierte
    "klassische Suchthilfe"
    würde ich diesen Thread gar nicht eröffnen können, weil
    - ich kein Internet hätte
    - ich keinen Computer hätte
    - ich heute bei mindestens minus sieben grad irgendwo auf der Straße kampieren würde
    - was aber am wahrscheinlichsten ist

    GAR NICHT MEHR AM LEBEN WÄRE - VERRECKT AN FOLGEN DES ALKOHOLMISSBRAUCHS!

    Nach dreißigjährigem Alkoholkonsums war ich vor sechs Jahren, zwei Monaten und elf Tagen in folgender Situation:

    - finanziell völlig am Ende
    - im "Besitz" von mehreren Haftbefehlen
    - nicht krankenversichert
    - wohnungslos
    - hoffnungslos
    - perspektivlos
    - sozial am Ende
    - psychisch am Ende
    - gesundheitlich am Ende

    auf der Habenseite lediglich Todesangst und ein Fünckchen Selbsterhaltungsreflex!
    Dieser hat mich dazu getriebn (übrigens zum aller ersten Mal), eine naheliegende Suchtberatungsstelle aufzusuchen. Völlig verängstigt, mutlos und zitternd bin ich da aufgeschlagen und durfte dort
    - bedingungslose
    - uneigennützige
    - sofortige
    - nicht moralisiernde HILFE
    in Anspruch nehmen!
    Der nächste klassische Schritt war der Weg ins Krankenhaus - ohne Einweisung, ohne Versicherungsschutz. Auch hier
    - sofortige Aufnahme und Hilfe
    - unbürokratische Entscheidung
    - kein erhobener Zeigefinger.
    Weiter im klassischen Suchthilfetext:
    Entgiftung mit integriertem, dreiwöchigen "Qualifizierten Entzug", therapeutischer Beistand und Hilfestellung, keine Bedingungen - nur Angebote.
    Vier Monate nach dem Klinikaufenthalt konnte ich eine stationäre Langzeittherapie antreten - dazwischen weitere Beratung und Unterstützung durch die Suchthilfeeinrichtung. Nach der LZT
    folgte noch eine eineinhalbjährige Nachsorge in "meiner" Suchthilfeeinrichtung. Nach wie vor besuche ich zwei bis dreimal im Jahr Stabilisierungswochenden in der Entwöhnungsklinik und nehme gelegentlich Gesprächsangebote in der Suchthilfeeinrichtung war.
    Die Bilanz dieser "klassischen Suchthilfe" - Karriere sieht wie folgt aus:
    - über sechs Jahre durchgehend alkoholabstinent
    - meine geschädigten Organe (Herz, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse) haben sich nahezu vollständig regeneriert
    - meine finanzielle Situation habe ich geregelt - mir kann niemand mehr etwas
    - meine soziale Situation war noch nie besser
    - meine Lebenszufriedenheit könnte nicht besser sein
    - mein Selbstwertgefühl, meine Konfliktbereitschaft, meine Kritikfähigkeit, meine soziale Kompetenz,
    meine Lebensfreude liegen bei mindestens neun auf einer Zehnerscala
    -
    -
    -
    Ich habe diese Veränderung meiner Lebenssituation erreicht - und darauf bin ich stolz.
    Ohne die Unterstützung der "klassischen Suchthilfe" wäre dieses aber nicht möglich gewesen - das ist `mal klar und dafür vielen Dank!
    Dass ich an einer chronischen Erkrankung leide, führt bei mir eben nicht dazu, mich dahinter zu verstecken - im Gegenteil - die Annahme dieser Erkrankung ist Motivation genug, mein Leben tagtäglich selbstverantwortlich zu gestalten - ich lebe und lasse mich nicht mehr leben!

    Beste Grüße
    keppler


    -

  • Das ist ein sehr toller Beitrag keppler!

    Ich glaube aber, dass weder praxx noch katro die klassische Suchthilfe verteufeln, wenn sie, wie bei dir, Erfolg hat.
    Schön, dass es dir wieder so gut geht.

    Liebe Grüße
    Monika

  • Ich habe keine klassische Suchthilfe beansprucht, nach 2x auch keine SHG besucht.
    Ich habe in verschiedenen Foren den langjährig Trockenen "zugehört" (mach ich immer noch), das für mich passende angenommen und ihnen geglaubt.
    Wäre ich damals auf irgendwelche Statistiken oder abstruse Suchtbefreiungsgedanken reingefallen, was nicht abwegig ist, denn am Anfang greift man nach jedem Strohhalm durch den Alk fließt, hätte ich bereits meinen hundertsten Rückfall natürlich mit Bier und Wodka gefeiert.

    LG Gerd
    PS. seit 28.4.2007 ohne Rückfall!

    Einmal editiert, zuletzt von gerd48 (24. Januar 2014 um 20:46)

  • Moin Mokka

    Zitat

    Ich glaube aber, dass weder praxx noch katro die klassische Suchthilfe verteufeln, wenn sie, wie bei dir, Erfolg hat


    Wenn ich so durch eine grössere Stadt laufe und sehe die armen Menschen, bei denen es nur noch um den nächsten Schluck geht,
    denke ich oft dran, dass ich auch da sein könnte, wenn ich nicht soviel Glück gehabt hätte, zur Einsicht gekommen und durch ein intaktes Umfeld aufgehalten worden zu sein.
    Wir alle sind und waren nur einen kleinen Schritt davor entfernt.
    Es gibt keine gute und keine schlechte Alkis, es gibt nur die Möglichkeit, die Krankheit durch Abstinenz zu stoppen und da muss jeder seinen Weg finden.
    Ich habe interessehalber mal ein paar Stunden im Baclofenforum rumgelesen, die haben die gleichen Probleme wie wir auch, nur fressen die Tabletten bis sie in Watte gepackt sind und trinken trotzdem weiter.
    LG Gerd - schönes Wochenende allen

  • Danke für diesen wundervollen Beitrag, keppler. Angesichts Deiner früheren Situation ist es doch sozusagen ein "Wunder", dass Du den Alkohol überlebt hast. Ich ziehe den Hut vor Dir und vor der klassischen Suchthilfe... Ich glaube, dass Praxx und Katro keine Ambitionen haben, diese herkömmliche Suchthilfe niederzumachen. Sie sind nur extremst kritisch bezüglich der Erfolgsaussichten.

    Dass der etablierte Weg dennoch ein Rettungsanker sein kann, dafür bist Du ein lebendes Beispiel. Es ist schön, dass es Dich noch gibt und Du uns hier von Deinen Erfahrungen und Deinem neuen Leben berichten kannst. Danke!

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Hallo Keppler,

    ich bewundere Menschen wie dich, die so weit unten waren und sich trotzdem nicht aufggeben haben. Du bist zu Recht stolz auf das, was du erreicht hast.

    LG Walker

  • Meine Meinung zum Thema:

    Ich habe in letzter Zeit in vielen Foren viele Lebensgeschichten zum Thema Alkholismus gelesen, dazu noch ein paar Bücher. Tenor dabei ist: kontrolliertes Trinken funktioniert bei Alkoholikern nicht auf Dauer. Ausnahmen, wenn es sie gibt, müssen also extrem selten sein.

    Von meinem Verständnis her auch ganz logisch: wer zB 2 Bier trinken kann und damit zufrieden ist, der ist nicht süchtig. Denn Sucht ist laut Wikipedia ein "meist unüberwindbares Verlangen". Ein Süchtiger kann also möglicherweise auch nach 2 Bier aufhören, ist aber nicht zufrieden damit.

    Warum soll ein "trockener" oder "trocken werdender" Alkoholiker sich das also antun? Ein bißchen Alkohol zu trinken ist dann doch eine anstrengende Selbstquälerei, und zudem mit einem erheblichen Risiko verbunden, die Kontrolle wieder zu verlieren...

    LG Walker

    Einmal editiert, zuletzt von WalkerMR (26. Januar 2014 um 18:43)

  • Ja, Walker. Ich weiß nicht, ob es in diesen Thread gehört, aber bei mir geht definitiv nur alles oder nichts. Ich will von vornherein gleich mindestens 1,5 Liter Bier bitteschön, mindestens - oder aber gar nichts, keinen Tropfen... wegen der Gier!... Aber ein Glas? Hallo? Was bringt das? Ich kann das nicht. Macht mich nur gierig, sabbernd, waaaaahnsinnig!

    Tausendmal probiert, tausendmal ist's doch passiert. Tausend und eine Nacht. Und es hat "Klick" gemacht.

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Hallo keppler,

    ich danke dir für deine Offenheit. Sie gibt Mut und zeigt, das es nicht unmöglich ist, ein zufriedenes
    abstinentes Leben zu führen.
    Liebe grüße
    Mogli


  • das für mich passende angenommen

    Ich denke, das ist ganz wichtig.

    Viele Verhaltensmuster sind bei Süchtigen sicher gleich, trotzdem ist ja jeder ein Individium - und was für den einen richtig ist, muss für den anderen nicht passen. Sich das mitzunehmen, was man brauchen kann, ist gut.

    Ich erinnere mich, dass ich schon mit Ende 20 den ersten Weg in eine Suchtberatungsstelle der Caritas gemacht habe - und mein Alkoholkonsum dort einfach nicht ernst genommen wurde. Ich wurde heimgeschickt mit den Worten " dann trinken Sie doch Orangensaft" - soviel zur "klassischen Suchthilfe".

    Ein anderes Beispiel:
    als meine Tochter mit 13 / 14 anfing zu kiffen, bin ich mit ihr in eine Suchtberatungsstelle gegangen, weil mir sofort klar war, dass es über das übliche ausprobieren hinausging. Auch hier wurden wir heimgeschickt mit den Worten " so lange ihr Leben noch geregelt ist und sie zur Schule geht, besteht kein Anlass zur Sorge"

    In der klassischen Suchthilfe muss man wirklich erst ziemlich weit gekommen sein, bis jemand Handlungsbedarf sieht.

  • Keppler, du hast mein Problem mit der klassischen Suchthilfe auf den Punkt gebracht: 3 Jahrzehnte Sucht, finanziell, sozial und gesundheitlich ruiniert... und dann der erste Kontakt zur Suchtberatung - wenn wirklich überhaupt nicht mehr geht!
    Es muss doch möglich sein, die Menschen mit problematischem Trinkverhalten früher zu erreichen!
    Jeder zweite Problemtrinker ist ein Mal pro Jahr in einer Krankenhausambulanz, 3 von 4 mindestens ein Mal beim Hausarzt - und was passiert da? NICHTS!
    Anstatt des unsichtbaren Schildes: "Wer hier hineingeht, darf nie mehr wieder einen Tropfen trinken" sollte in dicker Leuchtschrift da stehen "Wir helfen dir, nich mehr trinken zu müssen"
    Wir haben ein System, das am Ende die Überlebenden vom tiefsten Boden kratzt - die ganze Zeit vorher wird sinnlos vergeudet.
    Viel wichtiger wäre es, Beratung, Diagnostik und Erstbehandlung dorthin zu verlegen, wo die Menschen früh auffallen - Allgemeinkrankenhäuser, Hausarztpraxen .... und alle Möglichkeiten anbieten, die es gibt - Abstinenz, Selbstkontrollprogramme, medikamentöse Unterstützung, ambulante Entgiftung - heute wird so etwas schlicht nicht bezahlt
    Das kostet zwar Geld - aber weniger als die mindestens 40 Mrd € Schaden durch Alkoholismus allein durch Behandlungskosten, Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit und Frühverrentung - ohne die sozialen "Nebenkosten" der zerstörten Familien und geschädigten Kinder
    Wir müssen einfach viel mehr Menschen viel früher zu erreichen lernen!

    LG

    Praxx

  • Hallo Praxx -

    das größte Problem vieler Alkoholabhängiger besteht doch darin, dass bis zu dem Zeitpunkt des "Point of no return" die Selbstbetrugsfähigkeiten der Betroffenen diese davon abhält, überhaupt etwas zu unternehmen.
    In meinem Fall hatte ich bis zu dem Zeitpunkt des totalen Zusammenbruchs immer noch das Gefühl, die "Geschichte irgendwie im Griff zu haben: Ich habe noch gearbeitet, habe - wenn auch mit Schwierigkeiten - die wichtigsten Sachen irgendwie noch geregelt, habe genügend Geld zur Suchtfinanzierung verdient, habe mich von denjenigen getrennt, die meinen problematischen Alkoholkonsum thematisiert haben, nicht geöffnete Post konnte auch keine Bedrohung darstellen -
    und wenn mir dann in Phasen der Nüchternheit der Fortschritt meines bevorstehenden Untergangs andeutungsweise klar wurde, hat der schnelle Griff zur Flasche mich zurück in "meine Welt" geholt.
    Dass Ärzte die letzten drei Jahre gar nicht die Chance hatten, mir niedrigschwellige Hilfsangebote zu machen, lag im wesentlichen daran, dass ich gar nicht mehr krankenversichert war und ich dementsprechend auch gar keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen konnte / wollte.
    Als nichts mehr ging - vor allen Dingen wegen meines mittlerweile lebensbedrohlichen Gesundheitszustandes - war mir die Frage, ob ich ggf. in Zukunft abstinent leben müsse / wolle,
    völlig schnuppe ...
    Ich frage mich auch des Öfteren, ob es wesentlich früher für mich den Weg des Ausstieges / der Umkehr hätte geben können - ich denke für mich, dass ich immer von dem Gedanken getrieben war, nicht in die Abhängigkeitsfalle zu tappen und aufgrund meines Konsums zu einer echten Selbstreflektion nicht in der Lage war.

    Beste Grüße
    keppler

  • Hallo Praxx,
    hallo mokka,

    das, was mokka erlebt hat, DARF nicht passieren. Ich bin entsetzt.

    Als ich selbst 2011 meinem damaligen Hausarzt sagte, dass ich ein Alkoholproblem habe (und ich habe mich so geschämt und es hat mich sehr große Überwindung gekostet), da nahm er mich nicht ernst und sagte: "Dann trinken Sie halt einfach nichts mehr"...

    Es dauerte ein weiteres Jahr bis ich dann den Hausarzt wechselte und noch einmal fast ein Jahr, bis ich mich erneut "outete". Also wenn man dann schon so weit ist, dass man Hilfe sucht und sie dann nicht bekommt, weil das Problem verharmlost wird, dann ist das wirklich fahrlässig, gefährlich und in solch konkreten Fällen ein klassisches Versagen des Systems.

    Ich war in meinem Leben schon bei so vielen Ärzten, Fachärzten... 90% fragten entweder mündlich oder im Fragebogen nach dem Zigarettenkonsum. Nach dem Alkoholkonsum wurde ich nie gefragt. Nie. Never ever. Warum???

    Liebe Grüße
    Pinguin

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“

  • Nach dem Alkoholkonsum wurde ich nie gefragt. Nie. Never ever.

    DAS ist mir auch schon aufgefallen, es wurde tatsächlich nie angesprochen und erschien auf keinem Fragebogen.

    Äußerst seltsam das .. (auch wenn ich mich insgeheim darüber gefreut habe, dass es nicht gefragt wurde und ich lächelnd "ich rauche nicht" ankreuzen konnte, ja ja der Selbstbetrug ..)


  • Ich frage mich auch des Öfteren, ob es wesentlich früher für mich den Weg des Ausstieges / der Umkehr hätte geben könnenkeppler


    Genau das habe ich auch immer wieder getan. Und ich beantworte diese Frage für mich mit einem eindeutigen Ja.
    Es ist ja nicht so, dass ein Alkoholiker uneingeschränkt gerne trinkt. Zumindest war es bei mir so, dass ich viele Jahre lang raus aus der Sucht wollte, aber keine Ahnung hatte, wie ich das bewerkstelligen konnte.
    Dieses „Wir helfen dir nicht mehr trinken zu müssen“ hätte ich gebraucht. Stattdessen waren alle Informationen, die ich über den Ausstieg erhielt, einfach nur schrecklich. Keinen Tropfen mehr trinken dürfen, monatelange Therapie, Angst vor der berühmten Kognakbohne usw.

    Hätte ich durch meinen Ausstieg aus der Nikotinsucht nicht erfahren, was für ein gewaltiges Lebensgefühl durch dieses „Nicht-mehr-müssen“ hervorgerufen wird, so hätte ich den Ausstieg wohl wie du, Keppler, so weit hinausgeschoben, bis nichts mehr geht.

    Katro

  • Ich möchte hier noch etwas erwähnen, was mich wahnsinnig stört in der ambulanten Therapie bzw. was mir fehlt:

    Meines Erachtens muss viel mehr an der Motivation, am Positiven angesetzt werden. Dieses wunderbare Lebensgefühl, frei zu sein (was katro zum Beispiel auch immer wieder erwähnt) und all die Vorteile des Nicht-mehr-Trinkens treten bei der ambulanten Therapie absolut in den Hintergrund. Es wird viel zu wenig darauf eingegangen...

    Vor der eigentlichen Therapie war ich in der sogenannten "Motivationsgruppe"... Ich habe aus der Gruppe NICHTS Motivierendes gezogen. Ständig hatte und habe ich das Gefühl, krank zu sein und krank zu bleiben. Ein absoluter negativer bzw. negierender Ansatz, wie ich finde... Aus den AA bin ich ausgetreten, weil mich die Meetings mit der Zeit triggerten. Danach hatte ich meistens erst einmal Lust, mir die Kante zu geben (was ich aber nicht ein einziges Mal tat, weil es mir absurd erschien)...

    Ich fände es toll, wenn es bei der Suchthilfe (mehr) positive Fachleute geben, einem Coach gleich.... Menschen, die begeistern, aufbauen und auch so richtig Lust und Freude auf die Abstinenz machen. Das habe ich schon des öfteren gedacht und ich meine, hier ist der richtige Platz, in diesem Thread, das einmal loszuwerden. Dem Trinkenden darf nie der Eindruck des Verlustes vermittelt werden. Der Fokus sollte auf dem Gewinn liegen... Man darf die Kraft und die Macht der positiven Motivation nicht unterschätzen.

    „Erfolg ist nicht auf Erfolg aufgebaut. Er ist auf Fehlern aufgebaut. Er ist auf Frustration aufgebaut. Manchmal ist er auf Katastrophen aufgebaut.“


  • Ich fände es toll, wenn es bei der Suchthilfe (mehr) positive Fachleute geben, einem Coach gleich.... Menschen, die begeistern, aufbauen und auch so richtig Lust und Freude auf die Abstinenz machen.


    Ich wollte mich eigentlich nicht mehr in fremden Threads tummeln. Aber irgendwie kann ich nicht anders.

    Das mit der Motivation und dem positiven Blick nach vorn ist wichtig und richtig. Aber dieser einseitige Blick auf die Abstinenz ist falsch. Ich glaube, dass meine Chancen zur langfristigen Verhaltensänderung um so größer sind, je mehr das angesteuerte Ziel meinen inneren Wünschen entspricht. D.h., ich muss das, was ich ansteuere, von Herzen wollen.

    Katro

  • Ich schildere mal, wie ich mir das "neue Suchthilfesystem" vorstellen könnte:

    Wo Menschen oft mit alkoholbezogenen Problemen auftauchen (Hausärzte, Krankenhausambulanzen), werden diese Probleme auch neutral thematisiert, ohne Spott, Vorwürfe oder mahnenden Zeigefinger.
    In jedem Fall werden mehrere Optionen vorgeschlagen, die zu einer Verminderung oder Einstellung des Alkoholkonsums beitragen können. Jeder Arzt kennt diese Möglichkeiten und weiß, wo sie angeboten werden. Suchtmedizinisch qualifizierte Ärzte und Psychotherapeuten erhalten die dafür aufgewendete Zeit außerhalb der Kassenbudgets bezahlt. So weit wie möglich werden qualifizierte Entgiftungen kurzfristig ambulant ohne stigmatisierenden Krankenhausaufenthalt durchgeführt (das geht bei ca. 90%). Auch die bloße Verminderung des Konsums mit dem Ziel eines "symptomfreien Missbrauchs" ist ein allgemein akzeptiertes Behandlungsziel. Wer beim Versuch der Konsumreduktion scheitert (ob mit oder ohne Medikamente), kann weiterhin den Weg über Detox/Entwöhnung/Nachsorge wählen...

    Ein paar dieser Schritte erfolgen gerade, wenn auch nur zögerlich:
    Akzeptanz des Behandlungsziels "Konsumreduktion"
    Akzeptanz der medikamentösen Unterstützung von Abstinenz oder Konsumreduktion
    Kostenübernahme für qualifizierte ambulante Detox durch die Krankenkassen

    Solange Ärzte Menschen mit Alkoholproblemen lieber gehen als kommen sehen und fremden Konsum am eigenen messen (eine Flasche Wein am Abend ist doch kein Alkoholproblem etc...) wird sich leider nichts ändern, fürchte ich - da sind noch sehr dicke Bretter zu bohren...

    LG

    Praxx

  • Für mich wäre wichtig, dass dieses neue Suchthilfesystem in den Köpfen der ausstiegswilligen und auch der bereits ausgestiegenen Menschen die Vorstellung, lebenslange Trockenheitsarbeit leisten zu müssen, nicht aufkommen lässt bzw. ihnen dabei hilft, falls diese Vorstellung bereits vorhanden ist, zu erkennen, dass man mit dem „Nicht-mehr-trinken-müssen“ etwas so Schönes erwirbt, dass es sich lohnt, auch bei auftretendem Suchtdruck die getroffene Entscheidung nicht in Frage zu stellen.

    Ich weiß nicht, wie man diese Sicherheit in die Köpfe der Menschen bekommt. Aber ich weiß, dass man sie erwerben kann. Denn das habe ich am eigenen Leibe erfahren.

    Ich wusste bei meinem zweiten Rauchstopp von Anfang an, dass ich nie wieder rauchen würde. Und an diesem Wissen konnte selbst der größte Suchtdruck nichts ändern. Ebenso wusste ich rund vier Wochen nach meinem Ausstieg aus der Alkoholsucht, dass ich mir nie wieder einen Rausch antrinken würde. (Bis dahin dachte ich, nie wieder trinken zu dürfen, wenn ich nicht in die Abhängigkeit zurückfallen wollte.)
    Dieses Wissen um die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung macht unglaublich sicher und schützt.

    Und wenn es der Suchthilfe gelingt, die abhängigen Menschen so stark zu machen, dass sie sich und ihrer Entscheidung vertrauen können, ist vielleicht vieles möglich, was heute unmöglich erscheint.

    Katro

  • Trockenheitsarbeit hat ja nichts mit Holz hacken zu tun, sondern damit, achtsam mit sich umzugehen, seine Bedürfnisse ernst nehmen und gütig zu sich zu sein - wo ist denn dein Problem damit ?

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