Wesensveränderung durch Alkoholentzug?

  • Hallo Ihr,

    ich bräuchte mal eure Erfahrung.
    Ich versuche es mal so kurz wie möglich zu halten:
    Mein Mann und ich sind seit 2,5 Jahren zusammen. Leben fast von Anfang an auch zusammen.
    Er hat ziemlich viel getrunken. Ausschließlich Bier (etwa 5-7 halbe Liter fast jeden Abend). Mit dieser schon großen Trinkmenge hat er sich wohl schon zusammen gerissen, da ich von ihm und auch von einer gemeinsamen Freundin später erfahren habe, dass er wohl früher noch mehr getrunken hat.

    Ich habe ihm von Anfang an gesagt, dass mich das Trinkverhalten sehr stört. Das hat auch manches Mal fast zu einer Trennung meinerseits geführt. In den Gesprächen hat er sich immer sehr einsichtig und verständnisvoll gezeigt und hat sich dann kurze Zeit wirklich bemüht, weniger zu trinken.
    Wir haben uns aber ansonsten super verstanden. Ich war wirklich glücklich mit ihm und konnte sagen: Mein Partner ist mein bester Freund. Das war ein tolles, nie gekanntes Gefühl. Als er mich dann vor genau einem Jahr gefragt hat, ob ich ihn heiraten möchte, musste ich überhaupt nicht darüber nachdenken.

    Am Abend vor unser standesamtlichen Trauung haben wir Zelt und Zapfanlage aufgebaut. Beim Aufbau mit Freunden gab es dann auch das ein oder andere Bier. Was ja auch in Ordnung ist. Er hat allerdings als alle weg waren weitergetrunken. Er war total betrunken. Am nächsten Morgen habe ich ihm dann gesagt, dass das seine letzte Chance sei. Als Alkoholiker möchte ich ihn nicht. Seit dem hat er seinen Alkoholkonsum drastisch runter geschraubt. Er hat dann erstmal gar nichts mehr getrunken. Dann fingen unsere Streitereien an. Er hat auf einmal dermaßen untypisch reagiert. Ich sage etwas, worüber wir sonst zusammen gelacht haben (wir lieben beide die Ironie) und er denkt dann wirklich, ich habe das böse gemeint. Er macht dann riesen Stress und auch wenn ich ihm das dann erkläre, wie ich es gemeint habe usw. lässt er sich nicht besämftigen. Das ist mittlerweile bei den kleinsten Kleinigkeiten so. Ich habe das Gefühl ich lebe in einem Minenfeld. Ich habe das Gefühl, er sucht direkt nach Fehlern. Das geht jetzt nun schon seit fast einem Jahr so. Zwischenzeitlich wurde es etwas besser und ich dachte, es geht wieder bergauf. Vor etwa 3 Monaten gab es mal ein paar Wochen, in denen haben wir uns so gut wie gar nicht gestritten. Zu dem Zeitpunkt trank er aber auch wieder mehr (etwa 6 Flaschen Bier am Abend). Dieser eventuelle Zusammenhang ist mir da aber noch nicht aufgefallen. Ich hatte sein wieder vermehrtes Trinkverhalten nur nicht ansprechen wollen, weil wir uns doch wieder so gut verstanden haben und ich unseren bevorstehenden Urlaub nicht aufs Spiel setzen wollte. Im Urlaub selbst hat er dann nicht so viel getrunken und wir haben nur noch gestritten.... Vielleicht ist der Zusammenhang auch eingebildet...Keine Ahnung....

    Als unsere Problem anfingen hat er nicht nur sein Trinken reduziert, sondern auch noch eine Menge Stress auf der Arbeit dazu bekommen.

    Unsere Hochzeit ist jetzt fast ein Jahr her und wir haben noch nicht einmal unsere Hochzeitsbilder angesehen... So schlimm ist es.
    Und vor einem Jahr waren wir noch soooo glücklich. Manchman denke ich, ich bin in einem bösen Traum.

    Hat jemand von euch so etwas in der Art erlebt? Kann es am fehlenden Alkohol liegen?

    Danke fürs lesen.....
    Isebon

  • Erst einmal ein HERZLICHES WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Hat jemand von euch so etwas in der Art erlebt? Kann es am fehlenden Alkohol liegen?

    Als ich vor meinem endgültigen Ausstieg aus der Sucht mehrfach versuchte, meinen Alkoholkonsum herunterzuschrauben und gen Null zu senken, ging es mir ähnlich. Ich war extrem nervös und reizbar. Erst wenn ich wieder getrunken hatte, wurde ich ruhiger.
    Heute weiß ich, dass dies ebenfalls eine Erscheinung des Entzugs ist - guckst Du u.a. hier.

    Solange er versucht, sich selbst, alleine zu "therapieren" und all seine Kraft darauf verwendet nicht/weniger zu trinken, wird er weiter so reizbar sein. Das ist meine auf eigener Erfahrung (sowohl selbst als auch aus Erzählungen von Gruppenfreunden) beruhende "Diagnose".

    Vielleicht sollte er sich Hilfe bei einer Suchtberatung und/oder einem Suchttherapeuten suchen/holen. Es gibt auch Medikamente, die diese Symptome lindern können - aber das muss ein Therapeut entscheiden. Hier findest Du Hilfe bei der Suche nach Suchtberatungsstellen in Deiner Umgebung.

    Ich wünsch Dir/Euch erstmal alles erdenklich Gute!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Isebon,

    herzlich Willkommen auch von mir.

    Ich möchte mich Greenfox anschließen und kann Dir auch aus eigener Erfahrung sagen, dass der fehlende Alkoholpegel durchaus für das Verhalten Deines Mannes verantwortlich sein kann. Ich war in diesem Zustand zwar nicht unbedingt aggressiv aber ich war permanent mit den Gedanken wo anders, also beim Alkohol. Dadurch ergaben sich viele Situationen, wo sich meine Frau gefragt hat, ob ich überhaupt noch am gemeinschaftlichen Leben teilhabe. Ich muss dazu sagen, dass ich heimlich trank. Sie konnte sich diese Phasen also auch nicht erklären. Bei Dir sieht das ja jetzt etwas anders aus, was Dir aber eigentlich auch nichts bringt, um es mal salopp auszudrücken.

    Wenn ich als Alkoholiker kontrolliert getrunken habe, dann hatte ich ein permanentes Gefühl der massiven Unzufriedenheit. Obwohl das schon mal eine Zeit lang funktioniert hat, war ich alles andere als glücklich damit. Denn ich war ja immer im Zwispalt zwischen "ich möchte eigentlich viel mehr Alkohol um mich wohl zu fühlen" und "nein ich darf nicht trinken weil...."
    Es war für mich dann tatsächlich einfacher, eine Zeit lang gar nichts zu trinken. Natürlich wurden diese Trinkpausen mit zunehmender Sucht immer kürzer und immer schwieriger zu realisieren und in den letzten Jahren vor meinem Ausstieg war ich gar nicht mehr in der Lage einen Tag ohne Alkohol zu überstehen. Und auch reduziertes Trinken war mir nicht mehr möglich. Immer so viel rein in den Hals bis ich mein Level hatte....

    Die Frage ist jetzt natürlich: Was machst Du jetzt mit dieser Erkenntnis? Es scheint mir ja schon so zu sein, dass Dein Mann sein Problem sieht und dass er Dir zuliebe auch dagegen ankämpft. Er versucht weniger zu trinken (offenbar mit den von Dir beschriebenen Folgen) weil er weiß, dass es Dich stört.

    Das wird auf Dauer aber zu nichts führen. Er wird nur wegkommen, wenn er von sich aus zur Erkenntniss kommt für SICH nicht mehr trinken zu wollen. Und wenn er nicht nur nichts mehr trinkt sondern auch die Gründe für seine Sucht aufarbeitet. Und gleichzeitig Strategien für sein neues, alkoholfreies Leben erlernt. Deshalb, wie Greenfox schon geschrieben hat, wäre eine Suchtberatung, wenn er dazu bereit wäre, schon mal ein guter Anfang. Den Hausarzt einweihen und mit diesem eine Lösung suchen ist auch nicht schlecht, oder auch beides.

    Entscheidend ist halt, ob er dazu bereit ist. Ansonsten bleibt Dir nur auf Dich selbst zu achten und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Darauf, dass sich das alles schon irgendwie geben wird, brauchst Du nicht hoffen. Die Sucht schreitet fort und es wird i. d. R. nur immer schlimmer.

    Alles Gute und einen guten Austausch hier im Forum wünsche ich Dir!

    LG
    gerchla

  • Vielen lieben Dank euch Beiden für die schnelle Antwort.

    Das hört sich alles sehr schlüssig an und ich kann mir vorstellen, dass Alkoholentzug Stress auslöst und es dann zu Problemen kommt.
    Ihr schreibt, dass ihr gemerkt habt, dass ihr in dieser Zeit gereizt bzw. mit den Gedanken immer beim Alkohol wart usw.
    Allerdings sagt mein Mann, dass er das nicht hat und es ihm überhaupt nicht schwer fällt nichts oder nur wenig zu trinken. Er hat mir auch gesagt, dass er nicht das Gefühl hat, irgendwie gereizt zu sein oder andere "Nebenwirkungen" verspürt.
    Entweder ist es wirklich so oder er merkt es selber nicht....

  • Hallo Isebon,

    Zitat

    Als Alkoholiker möchte ich ihn nicht. Seit dem hat er seinen Alkoholkonsum drastisch runter geschraubt. Er hat dann erstmal gar nichts mehr getrunken. Dann fingen unsere Streitereien an. Er hat auf einmal dermaßen untypisch reagiert.

    Wie lange hat er keinen Alkohol getrunken?

  • Hallo Dietmar,

    er trinkt immer noch Alkohol. Mal mehr mal weniger oder aber auch mal Abende wo er nichts trinkt. Er hat seinen Alkoholkonsum aber drastisch gesenkt. Seit August letzten Jahres

  • Hallo Isebon,

    Du hast geschrieben "Er hat dann erstmal gar nichts mehr getrunken."

    Natürlich kann es so sein, wie Greenfox und Gerchla schreiben, dass die Gereiztheit durch Entzügigkeit kommt.
    Wenn er aber längere Zeit tatsächlich nicht konsumiert, dann könnte es auch genauso sein, dass er "wenn er Alkohol trinkt (trinken möchte)" alles tut, damit Du ihn in Ruhe trinken lässt. Während er nüchtern - ganz nüchtern betrachtet - einiges feststellt, was ihm eben tatsächlich nicht passt.
    (Bisschen schwierig auszudrücken, ich hoffe, Du verstehst es.)

    Bei mir war es jedenfalls so, dass ich mich laut Aussagen meiner Mitmenschen in meiner trockenen Zeit sehr verändert habe. Für manchen nicht unbedingt zum Vorteil, weil ich nüchtern dann Dinge ansprach, die mir im Suff egal waren. Für meine Ex-Frau wurde ich dadurch richtig unbequem.

  • Allerdings sagt mein Mann, dass er das nicht hat und es ihm überhaupt nicht schwer fällt ....

    Sorry - aber das hätte ich damals auch gesagt! Schon allein aus dem Grund, weil ich a) es nicht besser wusste und b) nur sehr ungern bis garnicht zugegeben hätte, ein (Alkohol-)Problem zu haben, mit dem ich nicht klarkomme.
    HEUTE weiß ich, dass es Entzugserscheinungen waren. Damals war ich einfach nur "genervt und gestresst" (was ja nicht ganz falsch war).

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  • Hallo Isebon,

    Zitat

    Allerdings sagt mein Mann, dass er das nicht hat und es ihm überhaupt nicht schwer fällt nichts oder nur wenig zu trinken. Er hat mir auch gesagt, dass er nicht das Gefühl hat, irgendwie gereizt zu sein oder andere "Nebenwirkungen" verspürt.
    Entweder ist es wirklich so oder er merkt es selber nicht....

    Wenn dem so ist könnte ja einfach komplett verzichten. Einfach mal paar Wochen, besser Monate gar keinen Alkohol trinken.

    Und wenn das dann tatsächlich problemlos funktioniert, er vielleicht gar kein Alkoholiker ist und er trotzdem permanent gereizt ist. Tja, dann ist er wahrscheinlich grunsätzlich mit seinem Leben nicht sehr zufrieden, sonst wäre er ja entspannt unterwegs. Dann müsstet ihr wahrscheinlich andere Wege gehen, Paarberatung oder ähnliches...

    Meine Vermutung ist aber eine andere. Und aus eigener Erfahrung (siehe auch Greenfox und Dietmar): Mit Alk hat meine Umwelt einen deutlich entspannteren Menschen erlebt, einen Menschen, der (bei noch nicht zu hohem Level) alles ganz locker gesehen hat und immer so getan hat, als hätte er alles im Griff. Aufregen konnte mich da dann fast nichts. Wie gesagt, so war das in der Phase, wo ich zwar schon längst Alkoholiker war, aber noch nicht in Endphase (bereits morgentliches Trinken usw.). Am Schluss war dann gar nix mehr lustig.

    LG
    gerchla

  • Hallo Gerchla,

    mmh... genau deine Vermutung teile ich auch.
    Was aber natürlich fatal wäre, da ich ja den "entspannten" Mann kennen und lieben gelernt habe.
    Und so, wie es jetzt läuft, kann es auf keinen Fall weiter gehen. Wenn das der nüchterne, reale Mann ist, muss ich mir überlegen, ob ich das auf Dauer will.
    Eine furchtbare Erkenntnis.... wenn es an dem ist.

  • Ja Isebon, das ist wirklich eine besch..... Situation.

    Ich denke, dass Du einfach auf Dich schauen musst. Vielleicht kannst Du nochmal in Ruhe mit ihm reden. Deine Sicht der Dinge nochmal klar machen und auch klar und deutlich sagen, welche Konsequenzen zu ziehen wirst, wenn sich nichts ändert. Sollte es am Alkohol liegen, was ich eigentlich glaube, dann kann er sich überlegen, ob er ernsthaft versucht mit dem Trinken aufzuhören. Idealerweise spricht er mit seinem Arzt, geht zur Suchtberatung und legt dann zusammen mit diesen beiden das weitere Vorgehen fest. Der Arzt wird einschätzen können, ob er eine klinische Entgiftung braucht und zusammen mit der Suchtberatung wird er sicher auch über mögliche Therapien aufgeklärt werden. Das wäre ein Vorgehen, wo Du auch erkennen könntest, dass er es wirklich ernst meint.

    Die ganzen Lippenbekenntnisse und das gerede, er hätte gar kein Problem, daraus folgendes reduziertes Trinken seinerseit, etwaige Trinkpausen (womöglich mit den von Dir geschilderten Folgen), dass kannst Du nach meiner Erfahrung alles vergessen. Ich habe und hätte das Blaue vom Himmer runter versprochen, auch gelogen das sich die Balken biegen, nur um mein Alkileben irgendwie aufrecht erhalten zu können. Erst ganz am Schluss kam ich an den Punkt, wo ich wirklich von mir aus, von innen heraus, weg wollte vom Alkohol. Und dann hat's auch funktioniert.

    Ich glaube aber es ist auch wichtig für Dich zu wissen, dass Du nicht automatisch davon ausgehen kannst, nach einer erfolgreichen Therapie den Mann zurück zu haben, den Du vorher gekannt hast bzw. den Du Dir "wünscht". Ich bin heute ganz sicher nicht mehr derjenige, der ich vor meiner Trinkerzeit war. Natürlich bin ich ein ganzes Stück älter, habe ein ganzes Stück mehr Lebenserfahrung usw. Aber es ist einfach auch so, dass man beim Aufarbeiten der Sucht viele Grenzerfahrungen macht, sehr tief in die eigene Psyche geführt wird - ich spreche nur von mir, habe aber Ähnliches von anderen auch gespiegelt bekommen.

    Das führt dazu, dass man sich verändert. Muss ja auch sein, denn das ist ja das Ziel. Aber man dreht eben nicht die Zeit zurück. Es kann also schon sein, dass Du nach einer Therapie einen "neuen" Mann hättest - was aber ja auch nicht automatisch negativ sein muss.

    LG
    gerchla

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