Einen schönen guten Abend :-)

  • Guten Abend!

    Ich bin Curry, 25 Jahre alt und Kind zweier (seit langem trockener) Alkoholiker. Ich habe mich, nachdem ich im Rahmen meiner Arbeit Informationen über Alkoholismus gesucht habe, auf eine eigene Spuren- und Verständnissuche meiner Person gemacht.
    Nachdem ich mich etwas eingelesen hatte, konnte ich mich in vielen beschriebenen Situationen und Gefühlswelten wiederfinden und suche nun Austausch mit anderen Angehörigen und Betroffenen um zu erfahren, wie es anderen Menschen mit diesen Erfahrungen ergangen ist.
    Ich hoffe und denke, dass ich hier richtig bin :)

    Ich wünsche euch noch einen schönen Restsonntag :)

  • Guten Abend,

    Schön dass du dieses Forum gefunden hast. Darf ich fragen was du genau für Informationen über Alkoholismus du für deine Arbeit brauchst?
    Hier im Forum sind alles mehr oder weniger Experten auf diesem Gebiet :)

    Viele Grüße Christian

  • Auch von mir HERZLICH WILLKOMMEN hier bei uns im Forum :welcome:

    Ich bin Betroffener und seit fast 9 Jahren trocken.

    Ansonsten kann ich mich nur Settebello anschließen: Welche Info's erwartest Du? Stell einfach Deine Fragen!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hm, ich suche keine Antworten für die Arbeit, sondern für mich persönlich als Kind aus einer Alkoholikerfamilie (Ich kürze das mal als KaA ab). Die Arbeit war einfach nur der Startschuss, mich auf eine eigene Spurensuche zu begeben. Ich frage mich, wieso KaA so verschlossen sind, wieso es im Nachhinein, wenn alles überstanden ist, trotzdem so schwer fällt, Gefühle zu äußern, was so prägend an der Vergangenheit war, wieso meine ELtern niemals über diese Zeit sprechen, obwohl sie shcon so lange her ist und wieso auch der Rest meiner Familie darüber schweigt, als sei es nie passiert. Manchmal bin ich wütend über sie, weil sie oft sagen: Euch hat es doch an nichts gefehlt! (also generell ist das eine Aussage, die mein Vater oft trifft).
    ich finde das mühsam und zermürbend.
    und ich suche Lösungen, aus meinen Mauern und meiner Fassade auszubrechen, Gefühle und Bedürfnisse zu äußern ohne das Gefühl zu haben, mich schämen zu müssen...
    wie gesagt. EInmal auf die Suche gemacht, wird mir einiges klarer, was ich vorher abgetan und verleumdet habe.

  • Hallo miss_curry -

    nicht wenige trockene Alkoholiker haben zwar den Schritt in die Alkoholabstinenz geschafft - einer grundlegenden Aufarbeitung ihrer Suchtgeschichte haben sie sich aber nicht gestellt. Schuldgefühle, Selbstvorwürfe und vor allen Dingen Scham sind Bereiche des eigenen Seins, denen "man" nicht unbedingt nahekommen möchte - Verdrängung und der Versuch des Vergessens sind dann die zwangsläufige Folge.
    Zu diesem Thema hat der katholische Theologe und Suchttherapeut Franz Strieder so einiges in den letzten Jahren veröffentlicht. Obwohl ich mit Kirche so rein gar nichts zu tun habe - ich habe Strieder während meiner Langzeittherapie und in den Jahren danach als regelmäßigen Gast in der AHG Tönisstein bei dessen suchttherapeutischen Vorträgen erleben dürfen und schätze ihn wirklich sehr. Einfach mal googlen ...

    Herzliche Grüße
    keppler

  • Guten Morgen miss_curry,

    ich bin Alkoholiker, mittlerweile ein paar Jahre trocken, männlich und Mitte 40. Vater zweier Kinder - geschieden und in einer neuen Beziehung lebend mit gutem Verhältnis zu meinen Kindern.

    Ich spreche offen über meine Sucht, wenn mich einer danach fragt. Ich gehe nicht damit hausieren, ich dränge mich und meine Sucht nicht in den Vordergrund.

    Auch in Gegenwart meiner Kinder spreche ich über die Sucht, wenn es die Situation erfordert. Übrigens ein Kind ist bereits Erwachsen, das zweite im jugendlichen Alter. Würde jetzt eines meiner Kinder zu mir kommen und fragen: Wie war das eigentlch genau? Warum hast Du getrunken, warum war dieses oder jenes usw. , ich würde diese Fragen selbstverständlich beantworten und gerne darüber sprechen. Das ist bisher so deutlich nicht passiert so dass Gespräche zu diesem Thema immer von mir selbst ausgehen. Ich versuche ab und an dieses Thema anzustoßen weil ich denke, dass meine Kinder dadurch etwas aufarbeiten können. Ich habe auch ein gutes Gefühl, dass beide mittlerweile auch schon aufgearbeitet haben. Denn wenn wir darüber sprechen sind es offene und ehrliche Gespräche.

    Darüber hinaus habe ich die Erfahrung gemacht, dass meine komplette sonstige Familie mit diesem Thema überhaupt nicht umgehen kann oder will. Als ich beschloss dauerhaft trocken werden zu wollen war einer meiner ersten Schritte mich zu outen. In der Familie, also Eltern, Geschwister usw. Ich kann fast sagen, dass dieses Outing damals das einzige mal war, dass im Kreise meiner Familie darüber gesprochen wurde.

    Und jetzt sage ich mal so: Da ist in der Zwischenzeit sehr viel in meinem Leben passiert- Unschöne Dinge wie Scheidung, aber auch sehr viele positive Dinge die es zu meiner Trinkerzeit nie gegeben hätte und gegeben hat. Alle sehen, dass eine enorme Veränderung stattgefunden und dass da "plötzlich" ein positives und glückliches Familienmitglied "entsanden" ist. Kein Wort darüber - kein Wort in der Zeit als ich am Anfang stand und alles mögliche für mich unternommen habe um trocken zu bleiben und meine Sucht aufzuarbeiten. Immer wenn ich mal ansatzweise versucht habe dieses Thema anzuprechen entstand betretenes Schweigen und sofortiger Themawechsel.

    Damals dachte ich mir: Hätte ich einen Sohn /Bruder / Schwester der/die mir sagt dass er/sie Alkoholiker ist, ich würde doch mit ihm sprechen. Über seine Zukunftspläne, was er unternimmt, wie es geht usw. Nichtsdergleichen hat es bei mir jemals gegeben.

    Tatsächlich war es Anfangs bei mir ähnlich wie Du es von Dir beschreibst (auch wenn das ja jetzt genau die andere Seite ist). Ich war wütend, ich habe es nicht verstanden - wie können die mich so ignorieren? Langsam änderte sich meine Sichtweise aber, mit zunehmdender Dauer meiner Trockenheit. Sie änderte sich in ein akzeptieren und in den Versuch es zu versehen.... Sie können einfach nicht anders und es ist mittlerweile für mich auch gut so. Ich kümmere mich um mein Leben und versuche glücklich zu sein. Ich habe eine wunderbare neue Familie und eine sehr gute Beziehung zu meinen Kindern und mittlerweile sogar zu meiner Ex-Frau. Es ist gut so wie es ist. Sie müssen mich nicht fragen wie es mir geht, so als trockener Alkoholiker, wie das hinbekomme usw. Und sie waren ja auch nicht verantwortlich dafür, dass ich getrunken habe. Vielleicht schämen sie sich auch dafür, dass ihr Sohn / Bruder "so einer" war? Vielleicht geben sie sich auch eine gewisse Schuld dafür?

    Nun, wenn dem so wäre täte es mir leid für sie, würden sie mit mir sprechen, könnte ich ihnen sagen was ich denke. Aber sie tun es nicht und ich aktzeptiere es.

    Wie gesagt, das ist jetzt nicht mit Deiner Situation zu vergleichen. Du warst ja Opfer der Sucht Deiner Eltern und nicht Täter, so wie das bei mir der Fall ist. Und aus meiner persönlichen Sicht würde ich schon alleine deshalb ausführlichst mit Dir sprechen. Damit Du verstehen oder aufarbeiten könntest, wieso und warum das alles so passiert ist.

    Aber es scheint einfach so zu sein, und das siehst Du ja auch an meinem Beispiel, dass das Thema Alkohol ein unheimliches Tabuthema ist. Sogar im engsten Familienkreis und sogar dann, wenn alles schon vorbei ist.

    LG
    gerchla

  • Wow, danke für die ausführliche Beantwortung!
    Ich denke, das wird bei meinen Eltern auch der Fall sein. Ich akzeptiere das mittlerweile auch und spreche mit meiner jüngeren Schwester über diese Situationen. Sie war sehr jung und sagte, sie sei daher nicht allzu stark betroffen. Ich habe hier mal geschaut, ob es eine Gruppe von Al Anon gibt, demnächst, wenn die Zeit es zulässt, werde ich vielleicht dorthin gehen.

    Ich würde meinen Eltern auch keine Vorwürfe machen - wozu auch? Es ist eine Krankheit. Sie haben sich diesen Weg nicht ausgesucht (zumindest in gewisser Hinsicht nicht). Ich würde einfach gern darüber sprechen. Andererseits bin ich auch froh, dass es vorbei ist und auch gut ist jetzt.
    Innerhalb der Familie, diejenigen, die das mitbekommen habe, denke ich auch, dass sie selbst nicht wissen, wie sie mit dem Thema umgehen sollen, zB meine Großmutter. Sie hat uns beim 2.Mal zu sich genommen. Das war auch gut so, aber darüber gesprochen hat auch niemand. Schwierig.
    Irgendwann, wenn sich genug Fragen anhäufen, denke ich, werde ich mit meinen Eltern darüber sprechen, zumindest es versuchen.

    Fällt es dir eigentlich immer noch schwer, Alkohol zu meiden, z.B. wenn du in Gesellschaft von Freunden bist?

  • Hallo miss_curry

    Ich stell dir mal einen Beitrag rein den ich hier vor
    ein paar Wochen einstellte.Könnte was für dich sein?

    Brant

  • Fällt es dir eigentlich immer noch schwer, Alkohol zu meiden, z.B. wenn du in Gesellschaft von Freunden bist?

    Auch wenn die Frage an Gerchla gerichtet ist, möchte ich sie aus meiner Sicht beantworten.

    Da ich ja nun auch schon ein paar Jahre trocken bin, fällt es mir mittlerweile überhaupt nicht mehr schwer, Alkohol zu meiden. Es hat sich mittlerweile ein Automatismus entwickelt, dass ich mich bei Speisen etc vergewissere, dass nix enthalten ist. Wenn bei Feiern Alkohol getrunken wird und es mir "zu viel" wird, dann gehe ich einfach. Und ich achte schon im Vorfeld darauf, dass ich dann auch nach Hause komme (ÖPNV, Auto, zu Fuß). Zu Anfang blieb ich nur relativ kurz (1 - 2 Stunden), aber mittlerweile können es auch durchaus > 6 Stunden werden ...

    Im Übrigen fällt mir das einfach bei Freunden am einfachsten - da alle Bescheid um mich wissen, a)bieten sie mir nix an, b) wissen sie, dass ich möglicherweise plötzlich "verschwinde" und c) haben sie meine bevorzugten nicht-alkoholischen Getränke vorrätig :D

    Ich spreche offen über meine Sucht, wenn mich einer danach fragt. Ich gehe nicht damit hausieren, ich dränge mich und meine Sucht nicht in den Vordergrund.

    Genauso halte ich es auch. Ich gehe von Anfang an offensiv damit um. Meiner Familie, meinen Freunden und meinen Kollegen habe ich von Anfang an gesagt, dass ich Alkoholiker bin (was für etliche KEINE Überrachung war :-\ ) und zur Zeit trocken bin und das auch bleiben möchte - und daher bestimmte Regeln für mich aufgestellt habe: z.Bsp. bestimmte Feiern/Veranstaltungen nicht zu besuchen bzw. wenn ich sie besuche und es mir "zu viel" wird gehen werde ohne mich von allen zu verabschieden etc. Ich habe auch gleich gesagt, dass ich nicht nur keinen Alkohol, sondern auch kein alkoholfreies Bier trinke (nicht, dass sie denken, mir etwas Gutes zu tun und dann "enttäuscht" werden).
    So habe ich gleich zu Beginn mit einem Schlag rundum Klarheit geschaffen.

    Wenn mir bei einer Feier o.ä. eine fremde Person Alkohol anbietet, dann lehne ich bis zu zwei Mal ab. Wenn diese Person das nicht versteht und mir weiter etwas anbietet, sage ich "Nein, danke - ich bin trockener Alkoholiker und möchte trocken bleiben!" Danach bietet diese Person garantiert nix Alkoholisches mehr an ;D Aber manchmal ergeben sich dann doch ganz gute Gespräche ...

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo miss_curry,

    Zitat

    Fällt es dir eigentlich immer noch schwer, Alkohol zu meiden, z.B. wenn du in Gesellschaft von Freunden bist?

    Nein, dass fällt mir überhaupt nicht schwer. Alkohol ist hier gar kein Thema mehr für mich. Am Anfang war das so, dass ich gewisse Situation oder Veranstaltungen vermieden habe, später habe ich mir Strategien zurecht gelegt, wie ich reagiere, wenn mir z. B. jemand bei einer Veranstaltung Alkohol anbietet und auch nach meiner Ablehnung weiter penetrant ist.

    Das war ein Prozess der meinen Weg in die Trockenheit begleitet hat. Erst vermeiden, dann eine Strategie haben (weil das normale Leben ja weiter geht und man immer mal in kompliezerte Situationen kommen kann) und jetzt, ein für mich ganz normaler selbstbewuster Umgang mit dem Thema. Ich muss aber dazu sagen, dass ich das Glück hatte, dass ich von mir selbst heraus keinen oder kaum den sogenannen Saufdruck hatte. Also bei den vielen Versuchen, die ich vorher brauchte um Trocken zu werden, war der Saufdruck immer enorm und ich habe ihm früher oder später nachgegeben. Aber eben jetzt, beim (hoffentlich) letzten Mal war dann eben alles ganz anders. Das hat wohl etwas mit der inneren Einstellung oder der Erkenntnis zu tun gehabt, dass ich es einfach schaffen muss und schaffen will von dem Zeug wegzukommen, dass es so nicht mehr weiter gehen kann und das ich andernfalls mein gesamtes Leben auf's Spiel setze.

    Über die Monate / Jahre und viele viele Stunden der Aufarbeitung und Reflexion kam dann die tiefe Erkenntnis, den Alkohol nicht mehr zu wollen. Weg vom nicht mehr zu dürfen hin zu nicht mehr wollen selbst wenn man dürfte. Das war für mich eine wunderbare Erfahrung. Und dadurch, dass in meinem Umfeld alle Bescheid wissen, ist sowieso klar, dass ich nichts trinke. Es wird mir im Freundeskreis schon lange nicht mehr angeboten. Im Gegenteil, sie wissen was mir antialkoholisch schmeckt und besorgen das dann. Ist schön und jetzt eigentlich ein ganz normales Leben. Vielleicht mit dem Vorteil es mehr schätzen zu wissen, als ich es vorher tat. Denn jetzt ist mir bewusst, was mein Leben eigentlich wert ist - mein trockenes Leben.

    LG
    gerchla

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