Hallo zusammen,
mein erwachsener Sohn hat durch seinen Alkoholkonsum schon viel verloren (mehrere Arbeitsstellen, Umschulung, Führerschein, Partnerin, Freunde, Ersparnisse, Geld, Dokumente) und vermutlich hat der Alkoholkonsum auch zum Ausbruch einer schwerwiegenden bzw. folgenreichen (seltenen) Krankheit beigetragen (letzteres ist aber nicht bewiesen... es gibt Studien, die ein erhöhtes Auftreten der Erkrankung bei Personen mit erhöhtem Alkoholkonsum belegen, aber andererseits werden auch Menschen ohne Alkoholkonsum von dieser Krankheit heimgesucht).
Das alles hat ihn nicht zur Einsicht gebracht. Weder sieht er die Notwendigkeit einer Therapie noch die Notwendigkeit, seinen Alkoholkonsum einzuschränken. Seine Partnerin hatte ihn inständig gebeten, eine Therapie zu beginnen, denn sie wollte gern mit ihm eine Familie gründen. Leider blieben ihre Bitten ohne Erfolg. Nach der üblichen Darstellung hat er also noch nicht seinen tiefsten Punkt erreicht.
Derzeit darf er unter unserem Dach wohnen. So können wir hautnah einerseits seinen körperlichen (und irgendwie auch schon geistigen) Verfall und andererseits seine Unfähigkeit erleben, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Da seine Ersparnisse bald aufgebraucht sind und er keine Einkünfte mehr hat, dafür aber weiterhin regelmäßige Zahlungen zu leisten hat und vermutlich in Kürze ein größerer Strafbefehl bei ihm eingehen wird (wegen alkoholisiertem Fahrradfahren), wird er in Kürze massive Schwierigkeiten wegen Zahlungsunfähigkeit bekommen. So wie ich das tagtäglich hier erlebe, wird er alles ignorieren.
Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten:
a) Er kommt ins Gefängnis... :o das ist ja letztendlich so, wenn eine/r sich nicht um Strafbefehle und deren Zahlung (und deren Umwandlung in Sozialstunden) kümmert oder vereinbarte Raten nicht bezahlt oder Sozialstunden nicht ableistet. Was mit den anderen Abbuchungen, die er in Zukunft nicht mehr bedienen kann, wird, weiß ich gar nicht so genau. Auf jeden Fall werden sich Mahnungen und Inkassoforderungen anhäufen... und dann?
b) Wir Eltern überweisen stillschweigend die Summe im Strafbefehl und kommen für die monatlichen Zahlungen auf. ::)
c) Wir werfen ihn raus und lassen alle eingehenden Briefe mit "Unbekannt verzogen" zurückgehen. Die Konsequenz für ihn wäre wohl Obdachlosigkeit. :o
Alle diese Möglichkeiten sind natürlich mit Fragen verbunden. Bei c) vermute ich auch, dass die Schulden ja nach wie vor bestehen bleiben und dass er, sobald er sich je wieder irgendwo anmeldet, davon eingeholt wird. Und der Strafbefehl? Vielleicht würde er als Obdachloser bei einer Polizeikontroller dann auch direkt in Haft genommen werden.
Das richtig Schlimme ist: Keine dieser Möglichkeiten bringt ihn aus seiner Sucht raus. Nirgends erfährt er Hilfe, sondern eben nur "Konsequenzen" oder "Strafe" (oder, wenn wir für ihn zahlen, eben noch Unterstützung für sein Suchtverhalten). Meiner Meinung nach gehört er in eine Therapie, in eine Entzugsklinik, aber nicht ins Gefängnis. Aber so ist unser System eben nicht aufgebaut. Und dass ein Gefängnisaufenthalt "heilsam" sein könnte, kann ich mir nicht so recht vorstellen. Oder gibt's da andere Erfahrungen? (Hinterher ist man auf jeden Fall vorbestraft, was die Chancen im Leben sicher nicht begünstigt.)
Ich kann als Mutter weder seine geschäftlichen Angelegenheiten für ihn übernehmen (um beispielsweise wenigstens nutzlose Verträge zu kündigen) noch kann ich ihn in eine Therapie befördern. Deshalb kann ich weder seinen Niedergang durch die Sucht, sondern auch seinen gesellschaftlichen Niedergang durch Schulden und wahrscheinliche Haftstrafen abwenden. Seit Jahren sagt er schon, dass das Leben "Sch..." ist (auch wegen seiner Krankheit) und es ja sowieso keinen Weg mehr für ihn gibt. Er hat also schon vor Jahren resigniert (was er andererseits aber nie so benennen oder gar offen zugeben würde) und sich aufgegeben. (Wenn er das so einem Psychiater beschreiben würde, würde der ihm sicher eine Depression diagnostizieren.) Bisher habe ich ihm noch Mut gemacht und ihm erklärt, dass er als junger Erwachsener sich neue Perspektiven schaffen könne (wenn er denn von seiner Sucht loskäme).
Wenn er jetzt aber tatsächlich noch einen Schuldenberg anhäuft und in Haft genommen wird und davor oder danach als Penner durch die Gegend zieht, dann sehe ich mit den Perspektiven ehrlich gesagt auch schwarz. Inzwischen ist er Anfang 30.
Dann wäre er also am vielzitierten tiefsten Punkt angekommen. Und dann? Wenn er jetzt schon keine Kraft hat, seine Lage zu ändern, wie sollte er dann in so einer verfahrenen Situation an neue Perspektiven glauben und die Energie und das Durchhaltevermögen entwickeln, um alle Schwierigkeiten nach und nach zu beseitigen und sich loszustrampeln?
Ich sehe für uns Eltern also nur die Alternative: Entweder geben wir ihn jetzt seinem sicheren Verderben preis oder wir pampern ihn mit dem Übernehmen der finanziellen Forderungen für ihn und mit finanziellen Zuwendungen für ihn.
Es ist wirklich zum Verzweifeln! Wer wünscht sich die eigenen Kinder in der Gosse oder im Gefängnis?
(Wobei mir aufgrund von Aussagen im BGB nicht klar ist, ob wir als Angehörige in gerader Linie nicht sowieso verpflichtet sind, für ihn aufzukommen bzw. ihm Unterkunft zu gewähren - ihn also rein rechtlich gar nicht vor die Tür setzen dürfen... einen Alkoholkranken!)
Wie seht ihr das?