Ohje... also gut, ich versuch's.
Nein, Spaziergänger, es ist nicht ignorant. Diese Fragen habe ich mir oft genug selbst gestellt. Ich habe in meiner Jugend auch exzessiven Drogen- und Alkoholkonsum hinter mir, dennoch haben mir am Ende (unter anderem) diese dudelnden Kisten das Genick gebrochen. Damit fing es an. Im Nachhinein betrachtet hatte ich nie eine wirkliche 'Spaßphase'. Ich kann nicht sagen, wann und wo genau es 'kippte', aber es lief recht schnell aus dem Ruder, auch wenn ich das nie wahrhaben wollte.
An dem Tag, an dem ich den Karren dann endgültig gegen die Wand fuhr, saß ich auf der Straße, meine Freunde hatten sich schon lange abgewandt, meine Familie sprach nicht mehr mit mir. Ich stand vor einem Schuldenberg fast dreimal so hoch wie mein Jahreseinkommen - und ich hatte nichtmal das, was man einen soliden Job nennt. Ein Schuldenberg, von dem niemand auch nur die blasseste Ahnung hatte, denn ich war nach Außen der vernünftigste, sparsamste und rationalste Mensch, den man sich vorstellen kann.
Wie konnte es also soweit kommen? Gute Frage. Ist nicht einfach zu erklären, ich verstehe mich da selbst nicht so ganz. Und die meisten denken da wie du "Warum schmeißt jemand sein Geld zum Fenster raus? Das ist doch eigentlich unglaublich dumm." Du kannst dir also sicher vorstellen, daß das ziemlich beschämend ist, sich (oder Anderen) einzugestehen, danach 'süchtig' zu sein.
Zitat
...holla bin ich froh, immerhin DAVON nicht abhängig zu sein...
Ich mußte da grad kurz schmunzeln, denn ich habe auch selber schon häufig gedacht "Ich bin froh, kein Alkoholproblem zu haben. Wenigstens hab ich nie einen Filmriß, keinen Kater am nächsten Tag, richte mich nicht gesundheitlich zugrunde, und werde im Alltag nicht ständig überall damit konfrontiert, wenn ich aufhören will."
Ich kann mir alles schönreden. Heute mit etwas Abstand betrachtet stimmt das aber nur bedingt.
Am nächsten Tag aufzuwachen war grauenvoll. Das furchtbare Gefühl im Magen, wenn es dämmert... das war kein Traum... was hab ich nur getan? Mal wieder. Bitte, mach, daß das nicht wahr ist!
Nach außen funktioniert habe ich bis zum Schluß, trotzdem war ich ein fremdgesteuerter Zombie, ich wog noch knapp unter 50kg bei einer Körpergröße von 1,80m.
Und was den Alltag angeht... ganz ohne Geld zu leben geht schlecht. Was also tun, um es nicht gleich wieder in den nächsten Automaten zu stecken, oder sich damit am Roulettetisch wiederzufinden?
Es ist schwer, sich nicht selbst immer wieder auszutricksen. Wenn Betroffene wie weiter oben beschrieben Rechenschaft über ihre Ausgaben ablegen (und dies auch so wollen - was dabei entscheidend ist, sonst ist es eher eine Belastung für den Angehörigen), Karten und Kontozugänge abgeben, und sogar Kassenbons für jeden Kaffee etc. zu Hause abliefern, haben sie zumindest den Kopf frei von dem, was am meisten triggert - Geld. Narrensicher ist das jedoch nicht. Wenn ich spielen will, finde ich einen Weg, das habe ich ja jahrelang getan, genug 'Übung' habe ich also. Aber es würde mir zumindest kostbare Zeit verschaffen, zur Vernunft zu kommen, und gegenzusteuern.
Den Umgang mit Geld mußte ich mühsam lernen. Zuwenig zu haben triggert dabei genauso wie 'Überschuß'. Bis zum heutigen Tag habe ich nie Bargeld dabei, mein Konto hat ein tägliches Abhebelimit, und ich schaffe am Zahltag alles, was zuviel ist, auf ein separates Sparkonto ohne direkte Abhebemöglichkeit. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nach außen hin erscheint das oft merkwürdig oder gar 'bescheuert', aber wirklich wundern tut es keinen mehr.
Ich nahm Geld immer mit der festen Absicht an mich, es später zurückzugeben. Als Startkapital, um ein bißchen was dazuzugewinnen, damit ich etwas Luft bekomme.
Keine finanziellen Sorgen mehr zu haben, beruhigt, nicht spontan heranzukommen ebenfalls. Zum Status Quo war es allerdings kein einfacher Weg.
Auch bei 'uns' ist die Quote derer, die es 'packen' leider sehr gering, und oft mit vielen Rückschlägen verbunden, und das, obwohl ich körperlichen Entzug in dem Sinne glücklicherweise nie erfahren habe. Aufhören war für mich trotzdem unsagbar schwer. Niedergeschlagenheit, Rastlosigkeit, zitternde Hände, gekoppelt mit einer Monsterportion Selbstmitleid. Irgendwas ganz hinten in meinem Kopf war damit offensichtlich nicht so ganz einverstanden. Es lief daher immer darauf hinaus, daß ich eine Weile die Zähne zusammenbiß, und Spielpausen einlegte, bis sich meine Finanzen etwas erholt hatten, oder etwas Gras über die Sache gewachsen war.
Scham, Schuld, und Versagensgefühle gehörten genauso dazu, wie eine generelle Abwehrhaltung gegen einschneidende Veränderungen. Ich bin ein Gewohnheitsmensch. Es ist eh schon hoffnungslos. Ich bin hoffnungslos. Ich habe doch keine Wahl mehr. Was würde das überhaupt noch bringen?
So mit das Schwierigste daran war aber, daß der Gedanke an ein Leben komplett 'ohne' irgendwie nicht sonderlich spannend war. Es erschien mir... perspektivlos. Ändern... okay... aber wofür überhaupt? Um anschließend Briefmarken zu sammeln? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Eine zeitlang ja, wenn es denn sein mußte (meist, wenn ich eh pleite war, oder jemand sauer auf mich - oder Beides), aber irgendwann sollte das doch wieder 'drin' sein. Nur ein bißchen...
In Wirklichkeit wollte ich nicht ohne Rückzugsmöglichkeit leben. Mich nicht all dem stellen müssen, wovor ich immer davongelaufen bin. Da hatte ich eine Heidenangst vor.
Auch wenn ich es zum ersten Mal tatsächlich wirklich für mich selber wollte, und bereit war, dafür ohne Wenn und Aber bei Null anzufangen, war auch dieser (hoffentlich letzte) 'Anlauf' ehrlicherweise anfangs alles andere als ein Selbstgänger. Ich stand auch schon mehr als einmal vor Kälte zitternd im Winter auf dem Balkon, nachdem ich mich unter die kalte Dusche gestellt hatte, weil der Druck soweit stieg, daß ich wußte, bald würde der Automatikmodus einsetzen, und ich mir einfach nicht mehr anders zu helfen wußte. Das war erniedrigend und niederschmetternd. Hörte das denn niemals auf?
Also... was macht den Reiz aus? Warum kann ich nicht mehr aufhören, wenn ich erst einmal angefangen habe? Warum kann ich nicht kontrolliert spielen, wie Andere auch?
Britt hat es schon gut beschrieben... die Art des Spiels ist nicht entscheidend (auch wenn da natürlich jeder seine Präferenzen hat, und sich absolut sicher ist, dabei den 'Dreh rauszuhaben'), und es geht auch nicht ums Geld, bzw. nicht darum, es tatsächlich 'mitzunehmen'. Tief in mir drin wußte ich, daß ich das nicht tun würde, auch wenn ich es mir immer fest vorgenommen habe.
Das war immer nur eine Ausrede, das Spielen vor mir selbst zu rechtfertigen.
Es ging mir ausschließlich darum, was dabei im Kopf passiert. Nervenkitzel, Adrenalin... um überhaupt irgendetwas zu spüren. Je länger das andauerte, desto besser. Zu Gewinnen bedeutete im Endeffekt aber nur, daß ich länger in meiner Scheinwelt bleiben konnte. So konnte ich das unweigerliche Ende hinauszögern, das ich gleichzeitig herbeisehnte, weil ich dann nicht mehr weitermachen 'mußte', und vor dem ich mich gleichermaßen fürchtete, weil mich die Realität dann wie ein Frontalcrash einholen würde.
Ich habe schon Leute Rotz und Wasser heulen sehen, während sie wie in Trance immer wieder nachgelegt haben.
Hinterher, wenn nichts mehr ging, verspürte ich dann manchmal sogar ein Gefühl der inneren Ruhe. Wie ein Sturm, der endlich vorübergezogen ist. Es ist aus.
Ja, ohne Geld funktioniert es nicht. Man kann zum Beispiel online auch um Spielgeld spielen, 'just for fun'. Das einzige, was ich damit erreichen würde, wäre, daß es mich triggert, welches zu setzen, damit es auch 'was bringt'. Besonders, wenn ich mich ärgere, weil ich gewonnen hätte, aber nichts gesetzt habe. Dann geht die Träumerei los, die Nostalgie "Was wäre, wenn... "
Dasselbe würde passieren, wenn ich zum Beispiel auf YouTube (oder eben auch live) jemandem dabei zusehen würde.
Wie schon gesagt wurde, das gilt auch für Lotto, WM-Tipps auf der Arbeit oder im Freundeskreis, Rubbellose, Losbuden, Tombolas, Punktesammelaktionen im Supermarkt, und auch bestimmte Computer- und sogar Gesellschaftsspiele.
Zwei Dinge sind entscheidend.
Ich spiele nie um irgendeine Art von Einsatz, sei er auch noch so gering.
Bin ich mir nicht sicher, lasse ich es ganz, und sobald ich merke, daß es etwas doch nicht geht, bin ich weg. Keine Versuche, keine Experimente, keine falsche Zurückhaltung.
Das hat schon zu kuriosen Situationen geführt, aber ich erkläre mich da nicht. Es ist so. Fertig.
Wenn ich spiele, bin ich in meiner eigenen Welt, meine kleine Blase, in der mich niemand stört. Keiner redet mir rein, alles ist meilenweit weg. Der totale Shutdown zur Außenwelt. Doch Innen ist es eine Achterbahn, ein ständiges Auf und Ab. Ich bin süchtig nach den intensiven Gefühlen, die das in mir auslöst. Freude... puuh... nochmal gutgegangen... und scheiße... ich bin am Ar***. Sie lassen mich alles Andere vergessen. Das 'funkt' im Hirn, und zwar gewaltig. Da ist kein Platz mehr für andere Dinge. Kosmisches Rauschen, das totale Vergessen. Natürlich muß ich auch da eventuell mal die 'Dosis' erhöhen, um den gewünschten Effekt zu bekommen. Dann muß ich, je nach 'Spielform' die Einsätze erhöhen, oder spiele eben alternativ gleichzeitig an mehreren Automaten (weil die in den Hallen und Gaststätten einen gesetzlich vorgeschriebenen Höchsteinsatz haben).
Ich spielte, wenn ich traurig war, um mich zu belohnen, um abzuschalten, um runterzukommen, wenn's mir gutging, wenn's mir schlechtging, wenn ich glaubte, es sowieso nicht besser verdient zu haben... oder einfach nur, weil heute gerade Dienstag war.
Konnte ich das länger nicht bekommen, wurde ich unruhig und rastlos. Jeder Cent wurde dafür 'gespart', ich dachte den ganzen Tag daran, wie ich an Geld komme, was ich zahlen muß - und was oder wer sich noch vertrösten läßt, wem ich welche Geschichte erzählt habe, oder noch erzählen kann, und wie ich die Zeit freischaufel, um ungestört zu sein.
Der Anfang ging immer recht einfach... wenn ich mal wieder die Nase vollhatte. Verdammt nochmal, ich mach's nie wieder! Doch einfach nur 'Aufzuhören' bedeutete jeden Tag ein 24-stündiges Nichts... plus meine eigene unerträgliche Wenigkeit.
Leider funktionieren halbe Sachen bei mir nicht, und für ganze Sachen brauchte es mehr als "Ich habe grad keinen Bock mehr darauf."
Rein chemisch betrachtet ist mein Gehirn auf diese 'Belohnung' trainiert, das Suchtgedächtnis bringt Spielen (und das, was mich daran erinnert) mit der Ausschüttung von Glückshormonen in Verbindung. Dieses jahrelange künstliche Herbeiführen von Gefühlen, die normal nur Ausnahmesituationen vorbehalten sind, sorgt dann dafür, daß ich 'Normalität' erstmal als unsagbar langweilig empfinde. Auch fällt es mir manchmal heute noch schwer, Emotionen auszuhalten, zu deuten und einzuordnen (sowohl eigene, als auch fremde). Gleichzeitig hatte ich plötzlich kein Ventil mehr, die Probleme waren aber immernoch da.
Gewisse Geräusche, Orte, Bilder, Situationen erinnern mich dann an früher... warme, nostalgische Gefühle, das Elend ist ausgeblendet. Das Verlangen danach ist dann wieder da - ob ich will oder nicht.
Es hat sehr lange gedauert, bis ich damit umgehen konnte. Trotzdem vermeide ich immernoch Situationen, in denen das passieren kann, sofern das vorher absehbar ist.
Um da rauszukommen, mußte ich komplett von vorne anfangen. Ein drastischer Schnitt von heute auf morgen. Gewohnheiten ändern, die Umgebung ändern, und Abstand von Leuten nehmen, die diese Entscheidung nicht respektieren konnten - und das waren so gut wie alle meiner damaligen 'Bekannten'.
Wenn ich trinke, weil mir langweilig ist, oder es mir schlecht geht, mache ich damit letztlich aber nichts anderes, als früher auch - und dann wird auch das irgendwann zum Problem.
Es stimmt, das begleitet mich ein Leben lang, damit muß ich mich abfinden. Ich kann nicht gegen etwas kämpfen, was ein Teil von mir ist, und mich besser kennt als ich selbst. Also mußte ich mich damit arrangieren lernen. Der größte Fehler, den ich machen kann, ist, eines Tages mal zu glauben, es sei vorbei.
Oh. Das war jetzt irgendwie etwas lang und chaotisch. Versteht das einer? Wahrscheinlich nicht.
Wünsche trotzdem einen angenehmen Abend.