Bier als Lohn?

  • Hey ihr Lieben,

    ich habe gestern in den Nachrichten gesehen, dass in Essen ein neues Projekt gestartet wurde.
    Ich persönlich habe davon zum ersten Mal gehört.
    Dort können Langzeitarbeitslose und obdachlose, nasse alkoholiker, durch wenige Stunden Arbeit (etwa Müll aufsammeln oder Gartenpflege in der Stadt) ein wenig Geld dazu verdienen und bekommen obendrein als "Lohn" zusätzlich drei Flaschen Bier.

    An sich finde ich die Idee gut, eine Art Tagesstruktur durch bezahlte, leichte Tätigkeiten zu bieten.
    Dafür jedoch mit Alkoholl zu lohnen, vor allem bei Alkoholikern, ist für mich dennoch der falsche Ansatz. Diese Menschen sollten eher dazu bewegt werden, einen Weg in die Abstinenz zu finden. So werden sie durch die Belohnung in ihrer Sucht noch unterstützt, und obendrein entsteht noch der Eindruck, die Sucht sei ja gar nicht so schlimm, weil man ja immer noch über das Projekt arbeiten könne.

    Würde es so etwas bei uns geben, würde ich die Arbeit liebend gerne erledigen - auf den Alkohol würde ich aber verzichten.

    Wie denkt ihr darüber?

    Liebe Grüße
    Hope

  • Das Projekt ist wohl aus den Niederlanden - und ich stehe dem mit gemischten Gefühlen gegenüber.
    Natürlich hast du Recht Hope, aber nassen Alkoholikern eine Tagesstruktur zu geben und sie aus der "Pennerszene" zu holen, finde ich nicht schlecht. Ob es nur ein Weg ist, die Sucht zu verlängern ? Ich weiß es nicht - vielleicht ist es auch für den ein oder anderen ein Weg raus aus der Sucht. Besser als nichts zu tun.


  • Diese Menschen sollten eher dazu bewegt werden, einen Weg in die Abstinenz zu finden.

    Wenn es so ist, dass alle oder zumindest ein Großteil der Alkoholiker durch alkoholabstinentes Verhalten ein nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv erfahrbares besseres Leben führen kann, wäre das geschilderte Projekt kontraproduktiv.
    Wenn es aber so ist, dass ein Großteil der Alkoholiker den Weg der Abstinenz nicht gehen kann/will, leistet dieses Projekt Schadensbegrenzung nach dem Motto: Besser lernen weniger zu trinken als ständig an dem von außen herangetragenen Postulat der Alkoholabstinenz zu scheitern und unkontrolliert viel zu trinken.

    Meine Meinung: Langfristig kann für mich nur etwas gut sein, das ich mit Freude tue, weil ich spüre, dass es tatsächlich gut für mich ist. Und wenn ich das bei der Alkoholabstinenz auch nach Monaten oder sogar Jahren nicht spüre, wird es ziemlich problematisch.
    Da sollte ich -und andere- vielleicht über alternative Wege nachdenken, statt immer wieder mit dem Kopf gegen eine masssive Wand anzurennen.

    Katro

  • Liebe Hope
    Ich bin was alkoholkranke Penner betrifft weit entfernt von all diesen moralischen Ansätzen von wegen man sollte die Sucht nicht unterstützen...
    Hab gerade neulich mit einer Passantin darüber diskutiert. Da war ein Penner und der hat gebettelt:"Hasse man Euro für was zum essen." Ein Säufer, elend, verdreckt, gezittert. Hat die Frau dann so gemeint: Nee, nee, nee, ich geb dem nix, der versäuft das doch gleich. Und dann hat sie so in die Runde geguckt, damit man das abnickt. Ich hab dem Penner einen Euro gegeben und gesagt. Hier, kauf dir was zu essen. Klar wusste ich dass der davon Alk kauft, aber der braucht das doch, weil er sonst verreckt. Und anders konnt ich ihm nicht helfen, und erst recht nicht von der Sucht befreien. Aber ich hab sein Spiel mitgespielt damit er seinen Rest Würde bewahren konnte, den ihm diese Frau auch nicht gegönnt hat. Nicht mal das, in ihrer moralischen Überheblichkeit.
    Insofern ist es doch besser wenn solche Leute noch was tun für drei Biere um die sie dann nicht betteln müssen.

  • Ich hab dem Penner einen Euro gegeben und gesagt. Hier, kauf dir was zu essen. Klar wusste ich dass der davon Alk kauft, aber der braucht das doch, weil er sonst verreckt. Und anders konnt ich ihm nicht helfen, und erst recht nicht von der Sucht befreien. Aber ich hab sein Spiel mitgespielt damit er seinen Rest Würde bewahren konnte, den ihm diese Frau auch nicht gegönnt hat.

    Man diesen Menschen auch etwas Essbares geben statt Geld. So hat man ihm auch geholfen, aber seiner Sucht nicht Vorschub geleistet, sich also nicht co-abhängig verhalten.

    Und ich halte absolut nix davon, solche Leute mit Alkohol zu "entlohnen". Billige Arbeitskräfte, die für 3 Bier alles tun und die man so schön unten halten kann.
    Für diese Leute ist es oft ein Teufelskreis: irgendwann wer-weiss-warum auf der Straße gelandet (vielleicht schon wegen Suff), dann Alkohol als "Tröster", vernünftig bezahlte Arbeit kriegt man aber nicht, wenn man auf der Straße lebt und säuft ...

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Greenfox
    Ja, so kann man das natürlich auch sehen.
    Als Lohn befürworte ich das auch nicht, denn damit nimmt man ja die Möglichkeit zum Ausstieg, denn das packt wohl kein Trinker, dann das Bier in der Hand gegen ein Brötchen einzutauschen..wobei mir bei so was auch immer die Trinkhallen gegenüber von Fabriken einfallen...ist ja auch so ähnlich, nur müssen die Arbeiter den Alk selber zahlen...

  • Zitat

    Die Zielgruppe des Essener Projekts sind nach Seilers Worten langjährige Alkoholiker, die den Großteil des Tages auf der Straße verbringen und anders kaum erreicht werden können. Wichtig sei, dass ihnen auch weitergehende Hilfen angeboten würden.

    Mag ja alles richtig sein und auch ich finde es wichtig, auch diesen Menschen Hilfe anzubieten, um sie eventuell "zurückzuholen", ihnen Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Trotzdem halte ich dies nicht für den richtigen Weg. Aber in Ermangelung besserer Vorschläge halte ich mich lieber zurück ...

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Da hab ich beim Lesen aber auch meine Bedenken gehabt.
    Für mich ist das ein Beispiel, dass Alkohol 'Gesellschaftsfähiger' scheint als die Hilfe für Alkoholiker und selbst wenn dabei "weiterführende Hilfe" im Hintergrund steht.
    Díe Wahrscheinlichkeit, dass ein Großteil derer die Hilfe danach in Anspruch nehmen lasse ich mal so im Raum stehen. Da sind sich wohl fast alle Ehemaligen einig, dass das nicht ausreicht um den Absprung zu machen / schaffen.

    Ansonsten find ich solch Projekte okay bis ausbaufähig.

  • ... da sich dieses Forum ja (fast) immer um einen respektvollen Umgangston bemüht, möchte ich darum bitten, hier Obdachlose, Wohnungslose, Berber etc. nicht als "Penner" zu bezeichnen.
    Von einem Leben unter der Brücke war ich vor sieben Jahren nur millimeterweit entfernt - wenn ich denn in dieser Situation hier vielleicht gelesen hätte, wäre ich spätestens beim Stolpern über die nicht sanktionierte Verwendung des Begriffs "Penner" auch sofort wieder weg gewesen ...

    Nichts für ungut und
    beste Grüße
    keppler

  • keppler
    O.k. Aber wieso nennst du die dann "Berber?"
    Die Berber, die ich in Marokko kennen gelernt habe sind stolze Leute und außerdem Muslime, also no alk.
    Wo kommt der Begriff überhaupt her?
    Die Touareg gehören auch zu den Berbern, und sie sind Nomaden. Vielleicht deswegen?
    Na ja...so respektvoll finde ich den Begriff dann auch nicht.
    Obdachloser Alkoholkranker. Korrekt, aber lang...

  • Selbst das ist nicht so ganz richtig - bei weitem nicht alle, die tagsüber trinkend und oft bettelnd die Innenstädte bevölkern, sind tatsächlich obdachlos! Viele haben irgendwo eine "Bude", viele sind Frührentner und können so zumindest die Miete regelmäßig überweisen, Strom gibt es natürlich oft schon lange nicht mehr. Das gemeinsame Trinken mit "Gleichgesinnten" ist die einzige Tagesstruktur, die sie noch haben.
    Bier für Arbeit kann dafür sorgen, dass statt Aldi-Wodka für 4.98 die Flasche vielleicht mal was zu Essen gekauft wird...
    In Amsterdam funktioniert das sehr gut, dort übrigens auch für Junkies, die sich damit ganz offiziell das Geld für ein bißchen Heroin verdienen können.
    Die Menschen fühlen sich dadurch wieder wahrgenommen und wertgeschätzt, fassen wieder Mut und können wieder Veränderungsbereitschaft entwickeln, kümmern sich wieder mehr um ihre Gesundheit, werden dadurch für Sozialarbeit erreichbar.
    "Nimm meine saubere Therapie oder krepier in der Gosse" - das hat noch nie funktioniert

    LG

    Praxx

  • Ich hab dem Penner einen Euro gegeben und gesagt. Hier, kauf dir was zu essen. Klar wusste ich dass der davon Alk kauft, aber der braucht das doch, weil er sonst verreckt.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!