Alkoholkranke Mutter- ich bin Ü30 und kann mich noch immer nicht abgrenzen

  • Liebes Forum,

    ich habe mich jetzt hier angemeldet, weil ich so langsam nicht mehr weiß, was ich noch machen soll. Meinen Beitrag versuche ich so kurz wie möglich zu halten, denn nach mehr als 20 Jahren hat sich viel Leid angesammelt.

    Meine Schwester und ich haben vor 20 Jahren das heimliche Trinken unserer Mutter aufgedeckt. Wir verschwiegen erst einmal unsere Entdeckung der halbleeren bzw. vollen Flaschen im Kleiderschrank meiner Mutter.
    Irgendwann viele Jahre später als meine Schwester aus beruflichen Gründen bereits ausgezogen war und ich mit meinen Eltern allein wohnte, platze mir der Kragen. Ich konnte es nicht mehr ertragen, den Geruch, das Geklapper der Flaschen und die etlichen Abstürze meiner Mutter. Morgens nach dem Aufstehen Alkohol, Mittags Alkohol, Abends Alkohol.
    Am Wochenende wenn mein Vater von morgens bis abends zuhause war, hat Ihr Alkoholpegel nachgelassen. Natürlich wusste mein Vater länger schon, dass meine Mutter krank war und er hat ebenfalls alles versucht um seiner geliebten Frau den richtigen Weg zu weisen. Meinem Vater habe ich täglich angesehen, wie sehr ihn das alles verletzt hat. Ich wollte ihm helfen.

    An diesem einen Abend kontaktierte ich eine Psychologin. Ich erhoffte mir Hilfe für mich, für meinen Vater und betete, dass Sie ebenfalls meiner Mutter helfen könnte.
    Glücklicherweise erhielt ich schneller als gedacht einen Termin für ein Vorsprechen. Ich erwartete natürlich direkte Hilfe und war sehr übermütig.Leider musste ich erkennen, dass ich zu voreilig war. Es wird mich ein weiter Weg erwarten.

    Einen wirklich guten Schritt war der Auszug von zuhause mit meinen Partner in unsere erste gemeinsame Wohnung. Mein Partner und ich waren zu dieser Zeit bereits 8 Jahre ein Paar und er hat viele Tränen getrocknet und war sehr geduldig mit mir.

    Den Kontakt zu meinen Eltern musste ich zwangsweise halten, da meine Eltern die Eigentumswohnung kauften, in die wir eingezogen sind. Das war der größte Fehltritt überhaupt... Leider war mir das in der Not nicht bewusst, ich wollte nur von zu Hause weg. Alles andere war mir egal.

    Mittlerweile hatte ich meinen festen Therapieplatz bei der Psychologin. An jedem Termin hatte ich neue negative Erlebnisse zu berichten. Ich habe gedacht es wird niemals besser.

    2015 dann der totale Absturz. Nachts konnte ich nicht mehr schlafen, hatte Herzrasen und Atemnot. Ich weinte durchgehend-grundlos. Natürlich gab es immer einen Grund. Ich habe diesen schön versteckt. Ich wollte mir nichts anmerken lassen.
    Ich brach auf der Arbeit zusammen, wurde vom Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht.

    Im Krankenhaus empfahl man mir eine Psychosomatische Einrichtung. Nach mehreren Widersprüchen habe ich dann endlich einen Platz bekommen. Die Reha tat mir unwahrscheinlich gut und ich lernte, dass ich nicht für die Krankheit meiner Mutter verantwortlich bin. Ich lernte viel über mich und das war für meinen weiteren Lebensweg auch wichtig.

    Nach der Reha wusste ich, ich würde alles hinter mir lassen. Sollen doch meine Mutter zusehen, wie sie klar kommt. Ich lebe jetzt MEIN Leben und will mich nicht mehr runter ziehen lassen! Nur meinem Papa wollte ich helfen. Ich schlug ihm vor sich eine eigene Wohnung zu suchen uvm...

    Es passierten dann aber etliche Sachen, wie:
    Irgendwann wollte sich meine Mutter mit meiner Schwester in München treffen und in den Urlaub fliegen. Meine betrunkene Mutter also in den Zug gestiegen, irgendwo in den Karpaten (-nicht in München) ausgestiegen und die volle Realität verloren. Schrieb in die Whatsapp Gruppe, dass Sie nicht wisse wo sie sei, dass ihr Handy kein Akku mehr habe und dann war der Kontakt abgebrochen. Mitten in der Nacht... mir wurde so der Boden unter den Füßen weggezogen. Wenn ich jetzt daran denke, wird mir immer noch total mulmig.

    Am nächsten Morgen meldete sich von einem Telefon eines anderen Passagiers bei meinem Vater und sagte ihm, dass Sie überfallen worden wäre und nur noch eine Kreditkarte bei sich trüge. Damit kaufte sie sich scheinbar das Ticket bis München und traf sich am dort am Bahnhof mit meiner Schwester, die es voll gelassen nahm. Ich kann es nicht verstehen, dass meine Schwester das so locker sieht. Ja okay, Sie lebt in Russland und sieht unsere Mutter nur 3 mal im Jahr, da kann man schon einen Schwamm über den Alkoholismus werfen...

    Mein Vater lernt eine neue Frau kennen.Das musste ja irgendwann so kommen. Mein Vater hat so sehr gelitten. Doch seitdem meldete er sich nur noch rar bei mir. Ich war doch die, die sich immer um ihn sorgte und nun war ich abgeschrieben.

    Als meine Mutter das mit der neuen Frau erfuhr, wollte sie sich das Leben nehmen. Sie brachte es soweit, dass der Notarzt sie in eine Psychiatrie brachte. Da wird natürlich nichts unternommen so lange der Patient es nicht möchte.

    Dann zog mein Vater offiziell aus. Meine Mutter versprach sich nichts mehr anzutun Ihrer Kinder zu liebe.

    Meine Mutter lernte übers Internet zahlreiche Männer kennen. Ich treffe sie seit 1 Jahr nur noch sporadisch. Jedes mal, wenn ich Sie besuche, habe ich Bauchweh und Schlafstörungen.

    Jedes mal, wenn Sie sich mit neuen Hiobsbotschaften meldet, zieht es mich runter. Ich weine und kann mich einfach nicht abgrenzen.

    Nun habe ich meinen letzten Versuch gewagt und gesagt, dass ich meine Ruhe brauche und den Kontakt erst mal abbreche.
    Hoffentlich bleibt es jetzt ruhig und ich kann mich auf mich und mein Leben konzentrieren.

    Ich freue mich, wenn Ihr Ratschläge für mich habt, damit ich mich besser abgrenzen kann.

    Vielen Dank,
    AnnMary

  • Guten Morgen, liebe AnnMary,

    ich bin ein sehr viel älteres Baujahr und habe immer noch (immer wieder)
    mit dem Thema "Abgrenzen" von den krankmachenden Verhaltensweisen
    einer suchtgeprägten Familie zu tun! ;)

    Das Schwierige für uns erwachsene Kinder ist, dass wir schon so früh und
    dann so lange mit dieser verdrehten 'Normalität' zu leben gelernt haben.
    Ohne Alternativen überhaupt zu kennen: Wie ist das, wenn mein Vater/
    meine Mutter wirklich Verantwortung für sich und ihre Gesundheit über-
    nehmen? Stattdessen entwickelt sich dieser überdimensionale Antrieb,
    irgendwas "retten" zu wollen. (Damit auch für uns wieder alles stabil sei.)

    Ich hatte 2008 einen Tiefpunkt in eigener Sache und kam erst dadurch,
    in einer psychosomatischen Reha, an meine eigenen unaufgearbeiteten
    Bedürfnisse und die Riesenwut dahinter heran.

    Wut, weil ich in all den Jahren (weit über Studium und Auszug hinaus!)
    so wenig von mir SELBST mitbekam oder zu greifen kriegen konnte. Ent-
    sprechend profillos habe ich mich durch verschiedene Arbeits- und auch
    Beziehungsversuche gewurschtelt. Ohne mir erklären oder vorstellen zu
    können, WAS mir fehlt, um klar und wirksam mit Menschen in Kontakt
    (Beziehung) zu treten. Meine Arbeitslosigkeit wurde zudem zu einem
    Reizthema innerhalb meiner Familie (bin Einzelkind) und so hatten wir
    lange einen "Patt".

    "Ich rühre nicht an Deiner Sucht." (Immer noch trug ich das Leugnen mit.)
    "Du lässt die Finger von Bewertungen über mein Leben." (Ich blieb weg.)

    Heute erkenne ich, dass mich auch das noch nicht wirklich frei gemacht
    hat, aber ich hatte wenigstens die Hände frei für Therapie und Wachstum.

    Richtig frei (mein Wunschziel) bin ich gefühlt, wenn ich MIT allen meinen
    Themen und Anteilen ohne Scham- oder Schuldgefühle vor anderen stehen
    kann, zu allererst zu mir selbst.

    Genau dafür war in meinem Aufwachsen kein Platz: Das zu lernen.
    Meine Gefühle annehmen, sie überhaupt spüren und unterscheiden können.
    Dann noch darüber reden. Mit wem denn? (Das ging vielen anderen auch so.
    Ich kam durch ein Buch von Melody Beattie auf das Thema Co-Abhängigkeit.)

    Was ich daraus für mich und meinen Wunsch, seelisch ganz und gesund zu
    werden, lernen konnte, war: ERST muss ich mir Fürsorge geben, einschließ-
    lich im Annehmen von Hilfe dafür. DANN könnte ich, falls ich es überhaupt will,
    andere in ihren Belangen unterstützen. Ich brauchte und brauche immer noch
    sehr viel Raum und Zeit zum Verarbeiten. Wenn es mir nicht wirklich gut geht,
    brauche ich Abstand zu Menschen und ihrem Input. Sonst komme ich in Stress.

    Es liest sich sehr schön, dass Du bereits therapeutische Hilfe gesucht und
    auch gefunden hast! Ich weiß, wieviel Kraft es erstmal kostet, einen Kontakt-
    abbruch zu verkünden. Der frei werdende Raum trägt aber mit viel mehr
    Kraft, als in einer dysfunktionalen Beziehung je zu gewinnen wäre.

    Ich wünsche Dir ganz viel Mut, dran zu bleiben. 44.
    Toll, was Du schon alles für Dich aufgedeckt und an Entscheidungen zu Deinen
    Gunsten getroffen hast!

    Das schreibt Dir eine weit Ü40erin, die immer noch übt und neu lernt ... ;)

    Liebe Grüße
    Wolfsfrau

  • Auch von mir ein HERZLICHES WILLKOMMEN hier im Forum!

    Ich selbst (m, 56) bin Alkoholiker und nun schon einige Jahre trocken.
    Und aus dieser Sicht kann ich Dir leider nur bestätigen, dass es der einizig richtige Schritt war, den Du tun konntest, indem Du an DICH gedacht und den Kontakt zu Deiner Mutter abgebrochen hast. So hart es auch klingt und ist.

    Aber: Es bringt auch nur etwas, wenn Du auch konsequent bleibst. Damit Du auch wirklich mal zur Ruhe kommen und Dich erholen kannst.
    Natürlich tut es weh, dieses Abgrenzen auf "die harte Tour" lernen zu müssen. Die "weiche/sanfte" Tour funktioniert nicht - wie Du ja in 20 leidvollen Jahren erfahren musstest.
    VIELLEICHT (Niemand weiß soetwas) hat sie im Gegenteil sogar dazu beigetragen, dass Deine Mutter immer tiefer in die Sucht geriet und bis heute nichts in ihrem Leben ändern WILL - da sie ja keine ernsthaften Konsequenzen bemerkt hat.

    Ich wünsche Dir ganz viel Kraft für Deinen weiteren Weg und einen guten Austausch hier!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

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