Alkoholkrankheit und Arbeitsplatz

  • Hallo zusammen!

    Ich bin ganz neu hier.
    Seit zwei Monaten bin ich nach mehreren Therapien und Rückfällen nun wieder trocken.
    Obwohl es mir eigentlich ganz gut geht, sind doch noch einige Probleme zu bewältigen.

    Die größte sorge macht mir momentan mein Arbeitsplatz. Aufgrund verschiedener Therapien und Entgiftungen hatte ich natürlich einiges an Fehlzeiten.

    Bei meinem Chef und meinen Kollegen kam das natürlich nicht so gut an und mir kommt es so vor, als wäre da inzwischen eine Grenze überschritten.
    Ich bin ehrlich mit meiner Krankheit umgegangen, habe meinem Chef und den Kollegen davon erzählt, bin mir aber nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee war. Anfänglich wurde mir noch Rückhalt und Verständnis zugesichert, aber davon will längst niemand mehr hören. Vermutlich dachten sie, ok eine Therapie, dann muss auch gut sein. Wer sich aber etwas mit der Krankheit beschäftigt weiß, dass das im seltensten Fall so einfach gelingt.

    Ich habe fast den Eindruck, dass sie mich los werden wollen. Sie wären sich nicht sicher, ob ich mit dieser Krankheit überhaupt noch geeignet für diesen Job wäre. Außerdem wird in Frage gestellt, ob man mir überhaupt noch vertrauen könne.

    Am Arbeitsplatz gab es keinerlei Vorfälle, ich habe nie während oder direkt vor der Arbeit getrunken. Von dem her frage ich mich warum sollte man mir nicht vertrauen können? Gerade, das ich eine Krankheitseinsicht habe und mich in Therapie begeben habe, müsste doch zeigen, dass ich verantwortungsbewusst mit meiner Krankheit umgehe. Leider sehen die Kollegen das ganz anders...

    Ich verzweifle an dem Gedanken, dass mich meine Kollegen nicht mehr wollen, obwohl ich nichts unrechtes getan habe. Abgesehen von der Krankheit, waren bisher alle soweit mit meiner Arbeit zufrieden, aber selbst das wird auf einmal angezweifelt, mit sehr fragwürdigen Aussagen.
    Fast scheint es so, dass alles was irgendwie schief läuft, gerne der Alkoholikerin zur Last gelegt wird, auch wenn ich gar keinen Anteil daran habe.

    Was habt ihr für Erfahrungen am Arbeitsplatz gemacht?

    Oder habt ihr Tipps, wie ich mich von diesen Gedanken frei machen kann?

    Sollte ich vielleicht doch den Arbeitsplatz wechseln und irgendwo neu anfangen, wo niemand bescheid weiß?
    Eigentlich mag ich meinen Job ansonsten sehr...

    Bin für jede Antwort dankbar.

    Grüße
    Sutton

  • Hallo, Sutton, und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: Ich bin männlich, 55, Alkoholiker und nach mehreren Anläufen nun seit einigen Jahren trocken.

    Auch ich habe mich auf Arbeit geoutet und sehr viel Rückhalt erfahren. Allerdings haben meine Kollegen nur von EINEM Rückfall (meinem letzten) erfahren - weil ich mich aus dem nicht mehr alleine befreien konnte und daher erneut in eine Langzeittherapie gehen wollte. Deshalb habe ich von meinem Rückfall und meinem Plan (hatte schon einen Termin in der Klinik) erzählt.

    Von daher ist es, glaube ich im Vergleich zu Dir doch etwas anders. Denn Du schreibst ja

    Aufgrund verschiedener Therapien und Entgiftungen hatte ich natürlich einiges an Fehlzeiten.

    Bei meinem Chef und meinen Kollegen kam das natürlich nicht so gut an und mir kommt es so vor, als wäre da inzwischen eine Grenze überschritten.

    Du darfst Eines nicht vergessen: Sie haben (höchstwahrscheinlich) keine Erfahrung mit Suchterkrankungen und gehen von dem Motto aus: "Der/die soll sich mal nicht so haben und einfach mal am Riemen reissen!"
    Ich gehe ja nun schon seit einigen Jahren in Krankenhäuser auf die Entgiftungsstationen und erzähle den Leuten dort von Selbsthilfegruppen und wozu die gut sind. Und auch von meinen Erfahrungen frührer, den Sprüchen wie "Lass doch das Glas/die Flasche stehen! Trink einfach (Ha!) weniger!"
    Wenn das so einfach wäre, gäbe es keine SuchtKRANKHEIT, keine Entgiftungsstationen, keine Therapeuten, dann gäbe es die ganze Problematik überhaupt nicht!
    Und NATÜRLICH können sie es nicht nachvollziehen, dass manch einer mehrere Anläufe braucht, um trocken zu werden, während andere es beim ersten Versuch schaffen - und wieder andere nie.
    Wie heisst es so schön: Wer nie seine Kekse im Bette aß, weiß nicht, wie Krümel pieken! ;)

    Wenn Du Dir das Knie am Tisch rammelst, stöhnen alle kollektiv auf und halten sich ihr Knie - aber wenn Du Entzugserscheinungen oder Saufdruck hast, kann Dich nur ein andere Süchtiger verstehen.

    Besuchst Du eigentlich eine SHG?

    Ich wünsche Dir jedenfalls erstmal ein schönes Wochenende und uns allen hier einen guten Austausch!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Greenfox!

    Danke, für die liebe Antwort.

    Ja, hast wohl recht, vielleicht erwarte ich auch zu viel von den Kollegen. Viele haben vermutlich immer noch im Hinterkopf, dass man eh irgendwie selbst schuld ist an dieser Krankheit und dass man ja aufhören könnte, wenn man es wirklich will.
    ´
    Ja, bei mir haben die Kollegen halt zwei Rückfälle mitbekommen. Einen hätten sie vielleicht verkraftet, aber seit dem letzten, ist es schwierig geworden. Für mich ist es halt schwer nachzuvollziehen warum sie denken, sich eine Meinung darüber bilden zu können, wann ich meine Krankheit überwunden haben muss...

    Zu deiner Frage:
    Bis Juli habe ich eine ambulante Therapie gemacht. Da hatte ich einmal die Woche eine therapeutische Gruppe. Die Gruppe hat mir sehr viel Halt gegeben. Da es aber leider zu mehreren Ausrutschern kam, bin ich da mehr oder weniger rausgeflogen und noch mal ganz abgestürzt. Ab nächste Woche, Mittwoch gehe ich in eine neue Selbsthilfegruppe. Ich hoffe, dass diese gut für mich passt. Im Laufe der Zeit habe ich natürlich einige Gruppen ausprobiert und nicht jede hat gepasst.

    Dir auch ein schönes Wochenende!
    Grüße
    Sutton

  • Klar, nicht jede Gruppe passt zu einem. Dann sollte man nicht den Sand in den Kopf stecken und sich (nach Möglichkeit) eine andere suchen. Oder es gibt andere "Gründe", warum man die Gruppe nicht mehr besucht.
    Mein großer Rückfall damals begann damit, dass meine SHG ihren Sitz wechselte und ich hätte ziemlich weit hätte fahren müssen. Also dachte ich "Schade drum, aber was soll's - ich bin ja schon über 1,5 Jahre trocken und jetzt schaffe ich es auch alleine!"
    Ungefähr 4 Monate habe ich es auch geschafft ...

    Der Rückfall hat dann 4 Jahre gedauert :(

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo liebe Sutton,

    ich finde es sehr gut von Dir, dass Du so offen mit Deiner Situation am Arbeitsplatz
    umgegangen bist - ich hätte das wahrscheinlich auch so gemacht, weil "ich mein Herz
    auf der Zunge trage" und ich Ehrlichkeit generell für sehr wichtig halte.

    Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass Deine Kollegen vielleicht das größte Problem
    mit der Kombination aus Krankheit und Fehlzeiten haben. Müssen sie z.B. Deine Arbeit
    mit machen, wenn Du fehlst? Sind es schwerpunktmäßig Frauen, mit denen Du arbeitest?
    Wie lange arbeitest Du schon dort - wie gut kennt ihr Euch privat? Das sind wichtige
    Faktoren, die ein Arbeitsklima massiv beeinflussen (glaube mir!).

    Viele (oft Frauen) versprechen Unterstützung und geben sie dann vielleicht einmal kommentarlos,
    beim zweiten Mal schon mit "Untertitel" und bei Nummer 3 ist die Kacke am Dampfen. Ist auch
    vollkommen Wurscht, um welche Situation/Krankheit es sich handelt. Aber ich denke auch, dass
    für viele Menschen Alkoholismus ein Zeichen der Schwäche ist... und Schwache kann man noch
    leichter und effektiver fertig machen. Und schwarze Schafe muss es in jeder Gruppe geben, auch
    bei der Arbeit.

    Das Arbeitsleben/Betriebsklima ist schon ohne Krankheiten oder Sondersituationen (Kinder,
    die vor Feierabend von Schulen oder Kindergärten abgeholt werden müssen, pflegebedürftige
    Familienmitglieder, wo man mal zwischendurch hin muss, etc.) ein heisses Pflaster... ::)
    Verständnis haben die Wenigsten, vorallem dann, wenn es zu ihren Lasten geht!

    Wenn Du eine Möglichkeit siehst und Dir die Firma nicht egal ist, versuche ein "letztes"
    Gespräch mit dem Chef und/oder einem anderen Kollegen, den Du vielleicht auf Deine
    Seite ziehen kannst. Ansonsten bitte sie, Dich freizustellen, dann kannst Du Dir in Ruhe
    was Neues suchen - ohne Sperre. Oder, wenn Du die Power hast, such Dir so was Neues
    und hau da ab. ;)

    Liebe Grüße, Tante Dany

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!