Ich liebe einen Alkoholiker

  • Hallo ihr Lieben,

    ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll...
    Im April habe ich auf der Arbeit meinen Freund (24) kennengelernt. Ich habe mich direkt in seine offene und lustige Art verliebt, zudem entspricht er optisch für mich dem Ideal.
    Erst haben wir uns nur auf Feiern gesehen, auf denen er meistens sehr betrunken war, dann haben wir viel geschrieben und es kristallisierte sich heraus, dass er ein Alkoholproblem hat.
    Erst konnte ich das Ausmaß gar nicht richtig einschätzen. Ich dachte hierbei wäre die Rede von 1-2 Feierbabendbierchen.
    Bis ich eines Morgens vor seiner Türe stand und ewig gehämmert habe, bis er aufgemacht hat. Das gesamte Wochenende haben wir zusammen verbracht und er hat mir seine Problematik erklärt. Überall standen leere Bier- und Vodkaflaschen, ich habe erstmal die Wohnung aufgeräumt und habe beobachten können, wie er sich "heruntertrinkt".
    Er hat ziemlich gezittert, viel geweint und ich konnte ganz klar eine krasse Depression erkennen. Er war schon 8x in der Entgiftung und hat eine Langzeittherapie hinter sich. Seine Familie kann langsam nicht mehr, also haben sie ihn sozusagen ins "kalte Wasser" geschubst, was ihn mit Hass erfüllt, da er sich von ihnen im Stich gelassen fühlt.

    Mittlerweile sind wir seit 2 Monaten offiziell zusammen und eigentlich auch glücklich, es wird nur für mich immer schwieriger das Richtige zu sagen, oder zu tun.
    Oft hat er, wenn er wieder viel getrunken hat, wirklich depressive Phasen, in denen er mir sagt, dass ich der einzige Mensch bin, der ihm das Leben schöner macht und er ohne mich schon tot wäre und ich eigentlich etwas Besseres verdient hätte. Er sagt auch, dass er sein Leben niemals in den Griff bekommen wird, da er ohne den Alkohol nicht kann. Trotzdem habe er Angst, dass das nie aufhört und er sozial, und finanziell, komplett abstürzt.

    Versuche von mir, ihm eine Psychotherapie nahezulegen sind immer gescheitert, da er nichts von Therapeuten und Psychopharmaka hält.
    Es bringt auch nichts, wenn ich ihm von meinen positiven Erfahrungen berichte. Ich selber bin psychisch Krank, aber auf bestem Wege, dank Therapie und der Medikamente.

    Langsam weiß ich nicht mehr weiter. Ich liebe ihn wirklich sehr und möchte mit ihm eine gemeinsame Zukunft planen, nur nimmt mich das alles emotional auch sehr mit. Oft streiten wir deswegen, weil es mir schwerfällt mit seinen Stimmungsschwankungen umzugehen.
    Das Wochenende über war alles gut, wir hatten total viel Spaß zusammen und haben viel gelacht und heute kam er mir schon fast suizidal vor.

    Ich würde mir wünschen, dass ich irgendetwas tun könnte. Irgendwas damit er sich besser fühlt und wir zusammen glücklich werden können. Oder einen Weg zu finden, der mir dabei hilft, besser mit der Situation zurechtzukommen.
    In ihm steckt so viel Potential und er ist eigentlich so ein starker und liebevoller Kerl.

    Ich möchte weder ihn, noch mich aufgeben und vielleicht hat ja jemand von euch ähnliche Erfahrungen gemacht und hat einen Ratschlag für mich parat.

    Danke fürs Lesen und einen schönen Abend,

    Aurora

  • Hallo Aurora,

    ich habe eben erst Deinen Text gelesen, bin selbst co-abhängig (das
    Zusammenleben mit einem Süchtigen gewöhnt und dadurch selbst
    durcheinander geworden).

    Co-Abhängigkeit nennt man den eigenen Prozess, der einsetzt, wenn
    man/frau mit allen Kräften versucht, Lösungen für die Sucht eines
    anderen zu finden. Die Kräfte brauchen sich auf, es ändert gar nichts
    im Leben des Süchtigen, außer das Konflikte und Suchtmittelgebrauch
    oft ansteigen. Die Rollen von einer=süchtig/unterlegen (aus seinem
    Gefühl) und der andere=nicht-süchtig (scheinbar) und damit überlegen,
    verschärfen sich nur.

    Gegen diese Eskalation hilft eher, das eigene Leben unbeirrt fortzuführen.
    Eigene Vorhaben, Kontakte, Freuden, Ziele ... frei machen davon, OB der
    andere von seiner Sucht lässt.

    Ich musste lange lernen und empfinde es noch immer als schmerzhaft,
    einzusehen, dass:

    - wir keine Macht über andere, ihr Suchtverhalten, unsere Krankheit
    (das Rettenwollen) haben

    - wir das Suchtverhalten eines anderen nicht ausgelöst haben,
    - wir es nicht kontrollieren können, und auch nicht heilen können.

    Es bleibt die Machtlosigkeit über fremde Angelegenheiten. >:( ;(

    Mein Ratschlag: Such' Dir Unterstützung durch Aufklärung und
    verlässliche Weggenossen, die mit derselben Situation (Partner
    alkoholabhängig) konfrontiert sind und sich um iHRE eigene innere
    Gesundheit kümmern!

    Je weniger die Sucht das bindende Thema zwischen beiden ist,
    umso mehr Luft und Raum bekommt der Süchtige, die Auswirkungen
    seiner Sucht wahrzunehmen. Er steht dann mehr mit sich in Beziehung,
    als in äußeren Grabenkämpfen gebunden zu sein, die auch ablenken
    von SEINEM Problem. Er wird vermutlich immer sagen: DU mit DEINEM
    ... (Problem) ... damit seine Sucht ungestört für ihn so weiter gehen kann.

    Charakter - wie jemand "eigentlich" sein könnte - und Sucht helfen
    einander nicht oder machen die Sucht unwahr. Sie ist da, sie hat Macht.
    Bis der andere selbst aufwacht und begreift, wie sehr sie ihm und seinem
    (auch Privat-) Leben schadet.

    Genesende Alkoholiker geben mir oft selbst den Tipp: Setz' ihm/ihr die
    Pistole auf die Brust: Sucht oder Beziehung! Beides mache ich nicht mit.
    (Das würden Dir vermutlich auch Menschen hier schreiben. Wir sind nur
    nicht so zügig zur Stelle, in diesem Forum. Vielleicht hast Du das für
    fehlendes Interesse gehalten. Ich hoffe nicht! :) )

    Für jetzt liebe Grüße,
    viel Mut, ehrlich mit Dir selbst und Deinem Unbehagen zu bleiben,
    und Kraft sowie Vertrauen, Dir selbst Unterstützung zu suchen. 44.

    Ich drücke Dir die Daumen!

    Wolfsfrau

  • Guten Morgen Aurora,

    Wolfsfrau hat Dir schon viel geschrieben, worüber Du mal gründlich nachdenken solltest. Vor allem darüber, Dir für Dich selbst Hilfe zu holen. (z. B. Suchtberatung, Angehörigen-Selbsthilfegruppe ..)

    Immer wieder kommt in der Sucht die Frage auf, was zuerst da war: Das Ei oder die Henne?
    In Deinem Fall ist es offensichtlich, dass die Sucht bereits da war, bevor Du ins Leben Deines Freundes gekommen bist.
    Daraus ergeben sich natürlich dann auch Schlussfolgerungen.
    Er sagt zu Dir „… dass er sein Leben niemals in den Griff bekommen wird, da er ohne den Alkohol nicht kann. Trotzdem habe er Angst, dass das nie aufhört und er sozial, und finanziell, komplett abstürzt.“
    Das ist doch eine glasklare, sehr eindeutige Ansage!
    Egal was immer Du versuchen wirst, egal wie sehr Du Dich um seine Sucht kümmerst – er wird weitertrinken.

    Ich denke auch, dass das Alter eine große Rolle spielt: Wenn Dein Freund mit 24 Lebensjahren schon 8 Entgiftungen und eine Langzeittherapie hinter sich hat, dann kann ich nur feststellen, dass er eine der extremen Ausnahmen ist, die allgemein in der Sucht vorkommen. Weil sich Sucht ja auch zeitlich erst einmal manifestieren muss, also i.d.R. einige Lebensjahre vergehen, bis jemand an dem Punkt angelangt ist, an dem Dein Freund heute schon mit 24 ist. (Der durchschnittliche Alkoholiker macht seine erste Entgiftung deutlich über 30+)

    Du solltest Dein weiteres Vorgehen sehr genau mit Deinen Psychologen, Therapeuten besprechen, da Du ja selbst auch eine psychische Erkrankung hast. Zusammen mit einem alkoholkranken Partner gibt das sicher eine sehr brisante Mischung …

  • Dem kann ich nichts hinzufügen.

    Ich finde es nur schade, dass Du Dich nach dem Schreiben Deines Posts sofort wieder hier abgemeldet hast. Hat Dich Deine eigene Courage erschreckt?

    Ich hoffe, Du liest hier trotzdem noch mit. Und in den Berichten von anderen Angehörigen wirst Du jede Menge Tipps für Dich finden.
    ICH als Alkoholiker hätte nur einen für Dich - und den willst Du offensichtlich nicht hören ...

    Alles Gute!

    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!


  • Und in den Berichten von anderen Angehörigen wirst Du jede Menge Tipps für Dich finden.
    ICH als Alkoholiker hätte nur einen für Dich - und den willst Du offensichtlich nicht hören ...

    Ich kann aus eigener Erfahrung nur beisteuern, dass ich zu Beginn meines Wegs
    gar nicht in der Lage war, einzuordnen, zu erkennen, unterscheiden zu können,
    was wohin gehört. Wer welches Problem hat (in einer Beziehung mit Sucht immer
    beide ein eigenes), wer welche Verantwortung.

    Dazu kam meine völlige Fehl-Erziehung, mir Gefühle, Ängste, Themen eines
    Gegenübers immer komplett "anzueignen" (ohne das fühlen zu können). Ich
    wurde auch co-abhängig, weil ich MEINE Interessen, verletzten Grenzen und
    Gefühle gar nicht als "verletzt" erkannte. Ich kannte ja nichts anderes, als
    zu "reparieren" und mich anzustrengen, für ein Minimum an Sicherheit / Beziehung.

    Von einer Sucht-Beziehung loszulassen, erfordert, dass ich erstmal stark genug
    in mir selbst werde, es auch allein auszuhalten. Nicht umsonst halten Beziehungen
    zwischen Süchtigem und Co-Abhängigem oft so lange. Der Co-Abhängige ist von
    sich aus oft schon angeschlagen, sucht emotionale Stabilität und gibt dafür alles.
    Die Gleichung knirscht dann an der Stelle, wo sich zeigt, der Süchtige "will seinen
    Teil (dieselbe Hingabe, Entschlusskraft) nicht tun".

    Da kreuzen sich zwei Themen: Die emotionale Abhängigkeit des Angehörigen und
    die Suchtmittel-Abhängigkeit des Süchtigen (um seinerseits mit seinen Gefühlen
    klar zu kommen, indem er sie abtrennt).

    Der Angehörige läuft mit seinem emotionalen Bedürfnis ins Leere, sucht aber weiter
    nach Lösungen, um den Schmerz dieser Wahrheit nicht aushalten zu müssen. Das
    hält ihn (hielt und hält auch mich) oft in der inneren Blockade und Lähmung fest.
    Es dauert genau so lange, sich der Wahrheit stellen zu können, wie es Zeit braucht,
    (er)tragen zu können, dass man emotional schon sehr lange allein (einsam) war/ist.

    Viele Angehörige von Alkoholikern hatten bereits ein Alkohol-Elternhaus und kennen
    nichts anderes als diese Art emotionale Einsamkeit. Deshalb schütteln Außenstehende
    auch immer den Kopf, mit wie wenig echter Zuwendung, echtem Interesse, solche
    Menschen auszukommen scheinen. Und man appelliert dann an ihr Verstehen oder
    unterstellt mangelnde Bereitschaft dazu. Es ist aber viel komplizierter, weil der eigene
    Seelenhaushalt oft schon die Kerben mitbringt, in denen sich so eine Beziehung über-
    haupt erst einspielen und eingraben kann.

    So. Das ist lang geworden, gehört für mich aber zum Verständnis der Co-Abhängigen-
    Seite unbedingt dazu. (Thema "verstehen wollen" oder "hören wollen".)

    Ich wäre zum Zeitpunkt des ersten Erkennens nicht in der Lage gewesen, mich sofort
    abzugrenzen. Ich wusste ja gar nicht, wo ich innerlich beginne und ende. Wie es MIR
    wirklich mit allem geht. Ich war ja völlig verkeilt ins äußere Chaos (Mutter) und voll
    damit belegt, dort "Ordnung" schaffen zu wollen, damit SIE frei für mich wird und
    MIR ihre Zuwendung geben könnte. - Dasselbe geschieht später in Paarbeziehung.
    Ein eigenes Bewusstsein über die eigene Person, eigene Gefühle und Ansprüche
    konnte ich erst dann aufbauen, als ich in Therapie und auf Abstand zu meinem
    Elternhaus ging. Und auch das hat gedauert, bis ich sagen konnte: Meine Mutter
    trinkt.

    ***

    Aurora, ich drücke Dir fest die Daumen, dass Du auf Deinem eingeschlagenen Weg
    (Therapie) bleibst! Und ich wünsche Dir Mut, der Wahrheit in Deinem Tempo näher
    zu kommen. Es ist ein schmerzhafter Prozess, der einem viel wegzureißen scheint.
    Danach kann aber viel mehr Schönes und Lebendiges nachrücken und das lebt sich
    dann wirklich GUT!

    Liebe Grüße und achte gut auf Deine Grenzen, zwing' Dich zu nichts,
    Wolfsfrau

  • Hallo Wolfsfrau
    Dein Beitrag tut richtig gut,du sprichst mir aus der Seele !!
    Das können nur Angehörige mit dieser Veranlagung verstehen,deshalb nur hier im Forum für Angehoerige!!!

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