Wo ein Wille ist... !?

  • Hallo liebes Forum,

    ich möchte mich gerne vorstellen. Ich lese seit einiger Zeit die Beiträge und finde mich dabei oft wieder. Die Kommentare, Tipps und/oder die Erfahrungen der anderen Nutzer fand ich dabei oft sehr hilfreich!
    Mein Problem: ich bin alkoholabhängig!
    Mein Ziel: dauerhafte Abstinenz!
    Meine Geschichte (ich versuche mich kurz zu fassen und entschuldige mich schon jetzt, wenn es etwas länger dauert):

    Ich bin 49 Jahre alt, weiblich, verheiratet, Mutter zweier Söhne (24 u. 15) und Oma eines Enkelkindes.

    Alkohol ist, seit ich Denken kann, immer schon in meinem Leben präsent gewesen. Meine Mutter war Alkoholikerin, was ich so ca. im Alter von 12 Jahren erstmalig richtig registriert habe. Ich habe noch eine jüngere Schwester und trotz der Alkoholkrankheit meiner Mutter hatten wir eine schöne Kindheit und sind auch nicht vernachlässigt worden, oder verwahrlost aufgewachsen.
    Mein Vater hat sein Leben lang hart gearbeitet und eigentlich waren wir eine „normale“ Familie.

    Mit 18 Jahren bin ich dann, nach Abschluss meiner Ausbildung, von zu Hause ausgezogen und habe auch da erstmalig selber Alkohol getrunken- wenn, dann aber nur auf Parties und in einem sehr kontrollieren Maße.

    Mit 23 Jahren habe ich geheiratet und mit 24 Jahren meinen ersten Sohn zur Welt gebracht. Im Laufe der Ehe wurde immer mehr klar, dass mich mein Mann nach „Strich und Faden“ belügt und betrügt. Obwohl es mir klar war, wollte ich es nicht wahrhaben und hielt an meiner „kleinen“ Familie fest, in der Hoffnung, dass es schon wieder „gut“ werden würde. Als wir uns dann (gemeinsam) 8 Jahre nach der Geburt meines Sohnes, für ein weiteres für ein weiteres Kind entschieden, war vieles vergessen und ich war glücklich. 2002 bekam ich meinen 2. Sohn und meine Welt war in Ordnung- so dachte ich!
    In Wahrheit bekam ich aber nicht mit, dass mein Mann sich immer mehr entfernte und als er mir ein Jahr später eröffnete, dass er sich wegen einer anderen Frau trennen würde, fiel ich aus allen Wolken. Als er mir dann auch noch mitteilte, dass mein älterer Sohn zukünftig bei ihm und seiner neuen Freundin leben würde, war ich komplett am Ende!

    Da stand ich plötzlich mit einem Baby von knapp 12 Monaten, ohne Job, finanziell fast ruiniert und keinerlei Zukunftsperspektiven und ich glaube da fing mein Unglück an!

    Ich versank komplett im Selbstmitleid während ich (so redete ich mir ein) mit ansehen musste, wie er „unser“ Leben einfach weiterführte, nur eben mit einer anderen Frau.

    Ich hörte auf zu Essen und abends, wenn mein Kind im Bett war, betäubte ich mich mit Alkohol bis ich nur noch 40 kg wog und meine Familie mich zum Arzt zwang. Da bekam ich dann Antidepressiva und damit kam ich so langsam wieder auf die Beine, was eine lange Zeit in Anspruch nahm.

    Als mein Sohn zwei Jahre alt, kam er zu einer Tagesmutter und ich ging wieder Vollzeit arbeiten.
    Meine Schulden konnte ich mit Hilfe meiner Familie begleichen und mein Leben wurde wieder lebenswert. Die größte Motivation für mich war dabei, dass mein Sohn glücklich ist.

    In den folgenden Jahren führte ich zwei Beziehungen, die mich aber nicht glücklich machten und die ich dann auch immer wieder beendete - allerdings ohne große Dramen. Meine Familie, auch meine Mutter, war immer für mich da und ihre Alkoholkrankheit rückte für mich, aufgrund meiner eigenen Sorgen irgendwie in den Hintergrund. Natürlich war es offensichtlich, insbesondere bei Familienfesten, dass sich daran nichts geändert hatte, aber es war ja immer so gewesen (so kann ich es nur aus heutiger Sicht ausdrücken).

    2011 bekam ich dann einen Anruf meiner Schwester: Meine Mutter war mit 2,3 Promille eine Steintreppe hinunter gefallen und hatte sich dabei so schwere Kopfverletzungen zugezogen, dass sie wiederbelebt werden musste und jetzt auf der Intensivstation lag. Nach drei Monaten Koma, wo uns die Ärzte mitteilten, dass wir uns nicht wünschen sollten, dass sie wieder aufwacht, weil sie so irreparable Hirnschäden davon getragen hätte, passierte das Unglaubliche - sie wachte wieder auf. Sie erholte sich nach langen Krankenhausaufenthalten und Reha soweit, dass man wieder mit ihr reden konnte, dennoch war sie weder körperlich noch geistig wieder vollständig hergestellt. Aufgrund ihrer körperlichen Verfassung musste sie in einem Pflegeheim betreut werden, wo sich mein Vater, der daraufhin in Frührente ging, täglich von Morgens bis Abends um sie kümmerte. Trotz allem Unglück sehe ich diese Zeit heute als die Schönste mit meiner Mutter an. 2015 ist sie dann mit nur 66 Jahren an Krebs gestorben!

    Das Paradoxe daran ist, dass ich seit dem Sturz meiner Mutter 2011 trinke - dauerhaft, regelmäßig und exzessiv, obwohl mir ja gerade das vor Augen führen müsste, es nicht zu tun und wie es ausgehen kann.

    Als meine Mutter im Koma lag fing ich wieder an, mich Abends zu Hause so sehr zu betrinken, bis ich alles vergessen konnte und nicht mehr an die Krankenhausbesuche am nächsten Tag, die Mitteilungen der Ärzte und meinen verzweifelten Vater zu denken.
    Als es ihr dann zusehens besser ging, relativierte sich mein Alkoholkonsum wieder, aber er hörte seit dem nicht mehr auf und insbesondere, wenn ich mal am Wochenende mit Freunden unterwegs war, wurde es so bedenklich, dass ich am nächsten Tag einen Filmriss hatte und die Hälfte des Abends nicht mehr auf die Reihe bekam.

    In diesem Zustand lernte ich dann auch 2012 meinen jetzigen Mann kennen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, mich danach zu kontaktieren und so kam es, dass wir uns verliebten, ein Jahr später zusammen zogen und vor zwei Jahren geheiratet haben.
    Er war mir immer eine große Stütze und auch beim Tod meiner Mutter war er immer für mich da. Ich könnte so glücklich sein und bin es doch eigentlich auch. Ich habe einen wunderbaren Mann, einen guten Job, einen tollen Sohn, der bei uns lebt, wir wohnen wunderschön und haben keinerlei finanzielle Sorgen.

    Warum trinke ich also?
    Klar gibt es immer mal Spannungen in der Beziehung oder Familie (mit meinem großen Sohn und der Tochter meines Mannes), aber das mich das so weit bringt!?

    Darauf wird es wohl keine Antwort geben und die ist wahrscheinlich auch nicht wichtig... Fakt ist, dass ich täglich trinke ( über den Tag ein bis zwei Flaschen Wein) und seit einiger Zeit meistens schon am Vormittag anfange, was problemlos möglich ist, weil ich im Homeoffice arbeite...

    Mein Mann steht dem hilflos gegenüber, wenn er von der Arbeit kommt und mich in dem „Zustand“ sieht, oder wieder irgendwo leere Flaschen entdeckt, die ich versteckt habe.
    Er fragt mich immer, was der Auslöser ist und wie er mir helfen kann, aber ich habe weder auf die eine, noch die andere Frage eine Antwort. Ich weiß nicht wie oft, ich mich geschämt habe und wie oft ich versprochen und versucht habe - ohne Erfolg.
    Beim Arzt war ich nicht und meine - wirklich- ernsthaften (zumindest mal für einen Tag) Versuche einen Termin bei einem Psychologen zu bekommen, waren wegen langer Wartezeiten, erfolglos - am nächsten Tag aber auch wieder vergessen unter dem Motto, ich schaffe es auch alleine!

    Offensichtlich ist es nicht so!
    Am letzten Mittwoch waren es wieder zwei Flaschen Wein und noch drei Schnäpse! Das enttäuschte Gesicht meines Mannes habe ich jetzt noch vor Augen. Seit Donnerstag habe ich nichts mehr getrunken. Außer innerer Unruhe, totalem Dang irgendetwas tun zu müssen und starkem Schwitzen und Schlaflosigkeit in der zweiten Nacht geht es mir gut!

    Ich möchte es so sehr schaffen.
    Ich habe viel gelesen über SHG und dass diese vielen von Euch geholfen haben, aber ich glaube ich kann das nicht... ich kann mich nicht vor fremden Menschen derart öffnen. Auf diesem Wege fällt es mir viel leichter!

    Ich bedanke mich schon mal im Voraus recht herzlich für Eure Antworten und sorry noch einmal für den langen Text.

    LG

  • Hallo, Ma-Jo, und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: m, Mitte 50, Alkoholiker, seit einigen Jahren trocken und in der klassischen Suchthilfe aktiv. Ich habe viele Jahre eine SHG geleitet und gehe in Krankenhäuser, um meinen Selbsthilfeverein vorzustellen und zu erläutern, was SHG überhaupt sind/sollen/wollen.

    "Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung" heisst es so schön.
    Da ist viel Wahres dran. Den ersten Schritt hast Du also schon getan.

    Was ist für Dich eigentlich das "Schlimme" daran, zu einer SHG zu gehen und es einmal zu versuchen?
    Das laute Aussprechen der Tatsache, dass Du alkolabhängig bist/ein Alkohol-"Problem" hast? - Das haben alle anderen dort auch.
    Das Du dort eventuell jemand Bekanntes treffen könntest? - Der/die hat dann genau dasselbe Problem wie Du.
    Das Du Dich nicht "outen" möchtest? - Glaub mir: Es wissen mehr Menschen um Dein Problem, als Dir lieb/bewusst ist.
    Dass Du nicht vor fremden Menschen über Dein "Problem" sprechen kannst/möchtest? - Meist ist es einfacher, darüber mit Fremden zu reden als mit den nächsten Angehörigen/Freunden.

    Abgesehen davon ist es in den meisten Gruppen so, dass niemand etwas sagen MUSS (vielleicht außer den Namen ;) ). In meiner SHG ist es z.Bsp. ab und an so, dass es Menschen gibt, die vielleicht 3-4 Mal gar nichts sagen, einfach nur dasitzen und sich das Ganze anschauen und zuhören. Und dann geht das Dampfventil auf ...
    Außerdem gibt es im Allgemeinen sehr viele unterschiedliche SHG: Monolog-/Dialog-Gruppen, therapeutisch angeleitete/reinen Betroffenen-Gruppen, konfessionell ausgerichtete/konfessionsfreie Gruppen ... und das auch noch in den unterschiedlichsten Kombinationen. Im Speziellen kann es sein, dass es in der nächsten Umgebung nur eine einzige Gruppe gibt (z.Bsp. auf dem Land oder Helgoland ;) ).

    Der Vorteil von realen SHG gegenüber solch virtuellen SHG wie diesem Forum ist nach meiner Meinung, dass man SOFORT ein Feedback bekommt und auch mal real in den Arm genommen wird. Und u.U. auch sofortige reale Hilfe (die nicht unbedingt immer etwas mit Alkohol zu tun haben muss) erhält: Begleitung nach Hause, weil dort der gewalttätige Partner ist, Umzug, Begleitung in eine Klinik etc.

    Ich kann Dir nur raten: Probier es einfach mal aus!

    Oder geh zu einer Suchtberatung - die sind anonym und kostenlos.

    Klar, zu Beginn ist das Kopfkino heftig man hat Angst, Beklemmungen, weiß nicht, was Einen dort erwartet - aber ich (und alle Anderen) lebe noch! Niemand hat mich gefressen ;)
    Und auch wenn mir auf der Suche nach der für mich richtigen SHG die eine oder andere SHG nicht so zugesagt hat (aus den unterschiedlichsten Gründen) - im Endeffekt haben sie mir alle geholfen.
    Ich fand es z.Bsp. sehr befreiend, meine Sorgen und Probleme mal auszusprechen.

    Egal, Du hast den ersten Schritt getan - und das ist gut so 44.
    Nun musst Du DEINEN Weg finden und gehen. Und dabei kann Dir dieses Forum helfen, indem wir von UNSEREN Erfahrungen berichten und Tipps geben.

    Entscheiden musst Du.

    Dafür wünsche ich Dir viel Kraft und uns allen hier einen guten Austausch!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Greenfox,

    vielen lieben Dank für das nette „Willkomen“, Deine schnelle Antwort und auch die Infos über SHG.

    Es ist tatsächlich so, dass wir auf dem „Land“ wohnen und eine SHG nur in der nächsten Stadt ist - das ist aber sicherlich nicht das größte Problem.

    Wovor habe ich Angst?
    Mich vor fremden Menschen zu outen? Nein, das ist es nicht. Das würde mir wahrscheinlich leichter fallen, als bei Menschen, die ich kenne und damit meine ich die, die eben noch nicht von meinem Alkoholproblem wissen.

    Dass die Mehrheit, insbesondere meine Familie und (wirkliche) Freunde mein „Problem“ kennen ist mir bewusst - das wissen inzwischen alle, die mir nahe stehen. Allein schon weil sie mich natürlich oft darauf ansprechen und angesprochen haben.Hier ist es mir dann auch nicht schwer gefallen, darüber zu reden, weil eben alle die Hintergründe und mein bisheriges und jetziges Leben kennen. Bisher habe ich nach so einem Gespräch auch immer Hilfsangebote erhalten, in welcher Form auch immer... nur habe ich diese Hilfe nie wirklich ernsthaft in Betracht gezogen.

    Ich denke einfach, dass ich in einer SHG nicht reden KANN - einfach weil ich dann in Tränen ausbrechen und kein Wort rausbekommen würde selbst oder eben genau weil das Ventil dann platzt!

    Aber ich werde wirklich noch einmal ernsthaft darüber nachdenken und vielleicht werde ich einmal dort hingehen und mir das Ganze mal ansehen, ohne erst einmal viel sagen zu müssen.

    Vielen Dank nochmal!

  • Ich denke einfach, dass ich in einer SHG nicht reden KANN ...

    Kopfkino pur

    Aber ich werde wirklich noch einmal ernsthaft darüber nachdenken und vielleicht werde ich einmal dort hingehen und mir das Ganze mal ansehen, ohne erst einmal viel sagen zu müssen.

    44.

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

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