Ehepartner ist Alkoholkrank

  • Hallo zusammen,
    Ich bin ganz neu hier und stelle mich erst mal vor.
    Ich bin weiblich, 30 Jahre alt davon knapp 10 Jahre mit meinem Partner zusammen und 8 davon sind wir verheiratet.
    Ich möchte erst mal weitestgehend „anonym“ bleiben, da es eine ganz neue Situation für mich ist.
    Aber die ganze Geschichte fängt natürlich nicht im hier und jetzt an sondern ganz man Anfang eigentlich schon bei unserem Kennenlernen, allerdings war es mir da nicht so wirklich bewusst.
    Wir haben uns im Internet kennengelernt uns trennten viele hundert Kilometer und anfangs haben wir uns unregelmäßig an den Wochenenden gesehen.
    Da war natürlich oft mit Freunden feiern und ausgehen angesagt und somit wurde auch getrunken.
    Eigentlich wurde das immer sobald ich dort war, aber da war man jung und sieht es nicht dramatisch.
    Ich habe nur auf Partys getrunken, mein Mann hingegen öfter. Es gab eigentlich für ihn immer einen „Grund“. Nach ca. 1 Jahr ist er zu mir gezogen, ich bin schwanger geworden und es war unser absolutes Wunschkind.
    Da ist mir zwar aufgefallen, dass er jeden Tag nach der Arbeit sein Feierabendbier getrunken hat, aber irgendwie hab ich das nicht als schlimm empfunden.
    Mit der Zeit wurde aus einem, zwei bis jetzt zum Schluss 15 Stück am Tag bzw. Abend.
    Nach 2 Jahren kam unser 2 Kind zur Welt und zwischenzeitlich wurde es mal weniger.
    Aber nur kurz, nun hat er auch Kumpels hier kennengelernt ohne Kinder und bei denen steht Party, trinken usw. an erster Stelle und er war quasi fast jeden Abend weg. Alles hab ich alleine gestemmt zusätzlich zu meinem Job.
    Leider hat er mich öfters belogen, sei es seine Aufenthaltsorte oder eben das Verleugnen des Trinkens usw. also das Vertrauen ist quasi weg. Soweit, dass ich sogar manchmal ins Handy geschaut hab, um überhaupt mal ein Funken Wahrheit mit zu bekommen. Im Suff würde ich oft beschimpft und gedemütigt und manchmal haben das auch die Kids mit bekommen.
    Das zog sich so durch die ganzen Jahre.
    Ich habe immer gedroht zu gehen, aber wegen der Kinder doch nicht durch gezogen. Vor einigen Tagen musste er zum Amtsarzt von der Arbeit aus und da kam alles zum Vorschein.
    Er hat sich einsichtig gezeigt und mit den Treffen bei den AA angefangen.
    Er ist gut dabei und hat sich bei mir entschuldigt und möchte auch davon weg kommen. Er trifft sich momentan auch nicht mehr mit den alten Kumpels, weil er Angst hat, dass er zurück fällt. Kann ich verstehen, es ist alles ganz frisch.
    Nur ich hab irgendwie ein komisches Gefühl.
    Man kann mich für bekloppt erklären, aber vllt versteht mich jemand.
    Ich hab das Gefühl, er kann das alte nun mit Hilfe los lassen und ich irgendwie nicht! Ich misstraue immer noch, schon wenn er mal zu spät von den Treffen zurück kommt. So banale Sachen eben.
    Ich hab das Gefühl er kommt weiter und ich nicht.
    Das kommt natürlich von den ganzen Lügen usw., aber ich komme mir so dämlich vor.
    Zumal ich immer stark sein muss für die Kinder, Arbeit usw.!
    Und im Moment hab ich keinen zum Reden um meinen Seelenscheiß abzuladen

  • Hallo und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: Ich bin männlich, 55, Alkoholiker und seit 10 Jahren trocken.

    Dass Du ein komisches Gefühl hast, weil er sich weiterentwickelt, Du aber (auf Grund der bisher mit ihm gemachten Erfahrungen) vorerst noch misstrauisch bist und dem Frieden nicht ganz traust - das ist ganz normal.

    Das Vertrauen, das wir im Laufe der Zeit bei unseren Angehörigen zerstört haben, kann man einfach nicht in 2-3 Tagen wieder reparieren.
    Meine damalige Frau war auch die ersten 1-2 Jahre immer leicht misstrauisch, wenn ich "noch mal schnell" etwas einkaufen/besorgen musste - waren das doch immer meine Gelegenheiten, bei denen ich Nachschub geholt habe.

    [quote='Fairytaile Love','https://alkoholforum.de/forum/index.php?thread/&postID=26917#post26917']Und im Moment hab ich keinen zum Reden um meinen Seelenscheiß abzuladen

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Guten Morgen Fairytaile Love,

    herzlich willkommen im Forum!

    Ich bin trockener Alkoholiker, war verheiratet, als ich das erste Mal für lange Zeit meine Sucht zum Stillstand bringen konnte, und bin heute in der Suchtselbsthilfe sowohl für betroffene Suchtkranke, als auch ihre Angehörige engagiert.

    Um Dir hier im Forum die Sicherheit für das schreiben und beschreiben Deiner Probleme zu geben: Wir sind hier alle „anonym“, außer es hat jemand, oder es will jemand den persönlichen Kontakt zu einem anderen Forumsmitglied und offenbart diesem seine reale Identität.

    Zunächst einmal ist es sehr erfreulich, was Du berichtest: Dein Mann hat seine Sucht erkannt und will aktiv, z. B. durch den Besuch von Selbsthilfegruppen etwas dagegen tun.
    Ob er das nur aufgrund Druck und Aufforderung durch seinen Arbeitgeber macht, und nicht, weil er es selbst so möchte, können wir hier wohl nicht beurteilen. Hoffen wir, er macht es vor allem aus eigenem Antrieb.

    Dein Gefühl, dass er nun etwas für sich macht und „weiter kommt“, während Du stehen bleibst, ist in so einer Situation völlig normal bei Angehörigen.
    Als ich meine erste Langzeittherapie machte, war ich ja noch „Frischling“ und kannte mich mit meiner Sucht und einem erfolgreichen Ausstieg aus ihr nicht richtig aus. Trotzdem habe ich in den ersten Wochen sehr schnell begriffen, dass es nicht nur um mich ging.

    Meine damalige Frau hat meine Sucht viele Jahre miterlebt – und mitgetragen. In dieser langen Zeit haben sich durch die Sucht viele Veränderungen, auch Wesensveränderungen, bei uns beiden durch mein süchtiges Verhalten und durch ihre Co-Abhängigkeit, in die sie immer mehr hineingeschlittert ist, ergeben. Eigentlich irgendwie auch logisch, weil nur so ein Zusammenleben und „Aushalten“ für die Angehörigen möglich ist.
    Ich habe sehr viel Vertrauen, das ursprünglich ja grundsätzlich vorhanden war, sonst hätten wir uns nicht geliebt, geheiratet und einen Sohn gezeugt, zerstört. Tausend leere, nicht gehaltene Versprechungen, unendlich viele Tricksereien und Täuschungen, um meine Sucht aufrechterhalten zu können, so manchen Zukunftstraum zerstört oder zumindest auf unabsehbare Zeit verschoben, und vieles andere mehr.

    Ich war zu der Zeit ein „funktionierender Alkoholiker“, d. h. ich bin meiner Arbeit regelmäßig nachgegangen, brachte das Geld nach Hause, und funktionierte eben – nach außen – als Ehemann und Familienvater.
    Innen sah es dann wieder anders aus. Viele Aufgaben, die eigentlich meine gewesen wären, musste meine Frau übernehmen, weil ich entweder gerade meiner Lieblingsbeschäftigung, dem Saufen, nachging, oder aber, weil ich bereits zu viel intus hatte, und zu nichts mehr in der Lage war.
    Meine Frau hat für mich gelogen, mich gedeckt und beschützen wollen. Sie hat Ausreden erfunden, wenn ich mal wieder besoffen im Bett lag, sie erfand irgendwelche Krankheiten, Erkältungen oder Magen-Darmgrippen, wenn wir gemeinsame Termine nicht wahrnehmen konnten, weil ich betrunken war, und sie versuchte auch meine Sucht vor unserem Sohn zu verstecken.
    Die ganze Hausarbeit und vieles in der Kindeserziehung hat sie ohnehin fast alleine machen müssen.
    Rückblickend kann ich sagen: Meine Frau hielt die Familie aufrecht und zusammen - und gleichzeitig half sie mir dadurch meine Sucht aufrechterhalten zu können.

    Als ich in der Therapie das ganze Ausmaß der Folgen meiner Sucht auf meine Frau bezogen erkannte, vereinbarte ich zusammen mit meinem Therapeuten ein Paarwochenende mit einigen wegweisenden Gesprächen.
    Der Kernpunkt: Ich tat jetzt etwas gegen meine Krankheit, die Sucht – aber meine Frau musste, wenn sie nicht „stehenbleiben“ wollte, auch etwas gegen ihre Krankheit, die Co-Abhängigkeit, tun, um gesunden zu können.

    Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon viel gehört, auch von Alkoholikern, die ihre Sucht erfolgreich zum Stillstand bringen konnten, und wusste, dass sich leider nicht wenige Ehepaare nach einer gewissen Zeit der Abstinenz trennten, weil genau das, was Du jetzt empfindest, eingetreten war: Der Eine, der Alkoholiker, hat sich durch Therapie, Selbsthilfegruppe u.a. weiterentwickelt, und die Ehefrau und Co-Abhängige war stehengeblieben und hatte nichts für sich gemacht.
    Meine Frau hat dies – nach langem Überlegen und dem begründeten Einwand „was habe ich mit der Sucht meines Mannes zu tun? Er hat doch gesoffen, ich doch nicht!“ begriffen, um was es ging.
    Sie schloss sich den Al-Anons an und machte zeitgleich eine ambulante Therapie für Angehörige bei der Suchtberatung.
    Wir waren noch einige Jahre verheiratet, und ich bin mir sicher, das war nur möglich, weil wir beide etwas für uns getan haben.

    Es klingt zwar vielleicht paradox, ist es aber nicht, wenn man sagen kann: Auch den Angehörigen kann etwas fehlen, wenn der Alkoholiker plötzlich nicht mehr trinkt.

    Wie Greenfox Dir schon geantwortet hat, ist es natürlich so, dass es seine Zeit benötigt, bis wieder das alte, ehemals vorhandene Vertrauen aufgebaut und bestätigt ist. Genauso wie Dein Mann seine Zeit braucht, um jetzt seine Welt nüchtern wahrzunehmen und erst einmal aushalten zu können, genauso brauchst Du Zeit, bis Du mit Deinem nach langer gemeinsamer Zeit jetzt nüchternen Mann an Deiner Seite zurechtkommst.

    Im Übrigen: Für Angehörige gibt es nicht nur die Al-Anon, die eine reine Angehörigenselbsthilfe sind, sondern auch der Kreuzbund, das Blaue Kreuz oder die Freundeskreise haben sowohl gemischte Gruppen, als auch Gruppen nur für Angehörige.

  • hallo dietmar,

    ich habe deinen beitrag mit großem interesse gelesen.
    vielleicht kannst du mir eine frage beantworten?
    ich würde gerne einiges verstehen:
    mein ex hat eine lagnzeittherapie und zwei sechswöchige aufenthalte in einer psychosomatischen klinik hinter sich.
    er sagte er hat alles getan, um seine pschischen probleme in den griff zu bekommen.
    ich war aber nach wie vor misstrauisch.
    er hat dort auch einen test gemacht, den er mir auch gezeigt hat und nach dem ergebnis ist er angeblich kein alkoholiker

    hat aber leider alles nichts genützt. vier wochen später hat er wieder getrunken und sich mit tavor zugeknallt.
    das ist doch sucht und nicht nur psyche?

    LG sutera

  • liebe fairytaillove,

    ich drücke dir von ganzem herzen, die daumen, dass dein mann es schafft.
    Mein ex war auch auf mehreren therapien, getraut habe ich ihm aber nicht.
    Es fällt schwer nach so vielen enttäuschungen wieder zu vertrauen und einen schlusstrich unter die vergangenheit zu ziehen.

    ich habe es nicht geschafft.
    ich wünsche dir viel kraft.

    LG sutera

  • Hallo Sutera,

    zunächst einmal auch von mir einen Willkommensgruß im Forum!

    Ich bin kein Arzt und kein Therapeut, kann also nicht auf fachlicher Basis beurteilen, wie es sich bei anderen Betroffenen verhält.
    Andererseits habe ich, wie andere Alkoholiker natürlich auch, im Verlauf vieler Jahre Erfahrungen gesammelt, die letztlich ja auch meine Abstinenz begründen.

    Seit einigen Jahren stelle ich verstärkt fest, dass Menschen, die ganz offensichtlich zumindest massive Alkoholprobleme (aber auch Drogenprobleme) haben, quasi Auswege durch striktes Verleugnen aus ihrer Sucht suchen. Oder anders ausgedrückt: Sie wollen sich nicht in die „Sucht-Ecke“ stellen lassen, was nichts anderes bedeutet wie: Sie können (nicht nur) sich selbst ihre Suchterkrankung nicht eingestehen.
    Dann werden Depressionserkrankung u.ä. psychische Krankheitsbilder „vorgeschoben“. Einige mir bekannte, und nach der klassischen Definition eindeutige Alkoholkranke haben sich so eine psychosomatische Rehabilitationsbehandlung quasi „ermogelt“.

    Es war abzusehen, dass
    a) ihre eventuell tatsächlich vorhandene psychosomatischen Krankheitsbilder aufgrund der nie beabsichtigten Abstinenz nicht zielführend behandelt werden konnten …
    b) durch die fehlende Einsicht in ihre Alkoholerkrankung die psychosomatische Reha nicht zur Abstinenz führen konnte.

    Aufgrund meiner sehr engen Kontakte zu diversen Entzugsstationen und Suchtkliniken mit Motivationsstationen und LZT meine ich feststellen zu können, wie ich auch hier im Forum immer wieder mal aufgeführt habe, dass sich durch die im Verlauf der Jahrzehnte sehr tolerante Einstellung und Sichtweise der Fachärzte und Therapeuten in Bezug auf Rückfälle (Stichwort: „Alkoholismus ist nun mal eine Rückfallkrankheit“) relativ viele, wenig bis gar nicht um eine Abstinenz bemühte Suchtkranke in der Suchtnische gemütlich eingerichtet haben.

    „Was wollt ihr von mir“, sagte mir erst vor kurzem so ein Kandidat, „ich bin nun mal Alkoholiker und kann nichts dafür, dass ich immer wieder rückfällig werde. Das ist halt die Krankheit ….“

    Natürlich ist es sehr schwer die Sucht zum Stillstand bringen zu können, und auch ich habe einige Anläufe gebraucht, bis ich verstanden habe, was ich für mich tun muss, um trocken bleiben zu können. Das ist immer sehr individuell. Man spricht dann auch von dem ominösen und berühmt-berüchtigten „Klick“, welches es machen muss.

    Sucht, hier spezifisch die Alkoholsucht, ist immer vorrangig eine psychische Erkrankung, weil die Betroffenen in der Mehrzahl wegen der auf die Psyche wirkenden Eigenschaften von Alkohol trinken. Die körperlichen Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) sind dann in der Regel die Folgen des Zell- und Nervengiftes Alkohol.
    Dass es – egal ob medizinisch oder therapeutisch – Tests gibt, mit denen man quasi definitiv eine Suchterkrankung im Sinne von Belegbarkeit diagnostizieren könnte, das wäre mir wirklich neu.
    Es gibt, z. B. bei ICD-10, bestimmte Kriterien, bei denen man sagen kann, wenn sie ganz oder teilweise erfüllt sind, dann liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Suchterkrankung bzw. eine Suchtmittelabhängigkeit vor.
    Und es gibt auch diese Selbst-Tests, bei denen Betroffene ankreuzen können, wann, wie oft und wie lange pp. sie trinken (müssen). Dabei darf man natürlich die Ehrlichkeit der Betroffenen nicht außeracht lassen, die ja im Fall, wenn sie ihre eigene Abhängigkeit vehement verleugnen, nicht allzu groß sein kann.

    Tatsache ist leider, dass es nicht wenige Alkoholiker (ehrlich geschrieben: die Mehrzahl der Betroffenen) nicht fertigbringen, ihre Sucht zum Stillstand zu bringen. Bei vielen kann man dann nur versuchen ein einigermaßen qualitativ hochwertiges Leben durch Verlängerung der Trinkpausen anzustreben. Das gelingt dann mal mehr, mal weniger …

  • hallo Dietmar,

    vielen herzlichen Dank für deinen ausführlichen Beitrag.
    Er hat mir sehr geholfen, einiges zu verstehen.


    LG sutera

  • @fairytaile Love

    Wenn mich (ich bin Alkoholiker) jemand über Jahre hinweg betrogen und belogen hätte und ich „eigentlich“ nur noch mit dem/der zusammen bin, weil ich den Kindern eine Trennung nicht zumuten möchte, klar bin ich dann misstrauisch. Und ich denke, zu Recht!
    Dieses über Jahre gewachsene Misstrauen, das sich langsam entwickelte und nun Lebensbestandteil geworden ist, das wird doch nun nicht verschwinden, nur weil der andere plötzlich etwas in seinem Leben verändert.
    Ich habe es hin und wieder erlebt, dass, nachdem der trinkende Partner trocken wurde, eine Beziehung in die Brüche ging weil das Mißtrauen aus den alten Alkizeiten nicht verschwand. Das hat sich dann allerdings der trinkende oder ehemals trinkende Teil als Spätfolge anzurechnen.
    Laurids

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!