Quartalstrinker?

  • Hallo liebe Leute, mein Name ist Florian und ich bin vor kurzem 40 Jahre alt geworden. Ich habe das Bedürfnis Euch über meine „Drogen-Geschichte(n)“ zu berichten.

    Bis zu meinem 17 Lebensjahr habe ich täglich Sport getrieben und hatte mir Drogen absolut nichts am Hut. Dann ging es schlagartig. Ungefähr zu meinem 17. Geburtstag fing ich an zu kiffen und zu saufen. Das hat sich rasend schnell verselbständigt. Freundeswechsel, rapides Absacken in der Schule und im Grunde von heute auf morgen ein drastischer Lebenswandel. Von 0 auf 100. Ich habe dann relativ schnell täglich gekifft und geschwind kamen auch andere Drogen dazu.
    Extasy, Amphetamine, Koks, Heroin, alles was nicht bei 3 auf dem Baum war wurde konsumiert. Im Endeffekt ging diese Zeit ca. 2 Jahre. Sie lässt sich in drei Phasen aufteilen: Das erste halbe Jahr war es „cool“: Neue Freunde, sich „Erwachsen“ fühlen, ja sogar den Altersgenossen gegenüber sich überlegen bzw. reifer fühlen, geile Partys usw. Die zweite Phase war weniger schön und auch diese dauerte ungefähr ein halbes Jahr. Das vorher als zwanglos, interessant und spannend empfundene Leben wurde auf einmal stumpf um nicht zu sagen bedrohlich. Ich hatte ein bisschen Liebesqual und wohl auch noch anderen Kummer, jedenfalls wurde das Heroin immer dominanter in meinem Konsummuster. Vorher hatte ich es alle paar Wochen mal aus „Fun“ geraucht oder geschnupft. Nun wurde es im Grunde täglich. Dazu starke Schlaf- und Beruhigungstabletten. Immer mit dem Ziel Abschuss. Also z.B. 3-5 Flunitrazepam rein, dazu ein paar Bier und dann gemeinsam mit den Kumpels auf den Abflug warten. Wie gesagt, diese Phase ging ein halbes Jahr und wurde immer heftiger. Es ging so weit, dass ich anfing im Supermarkt zu klauen um meinen Konsum zu finanzieren. Hatte ich kein Heroin oder starke Tabletten waren meine Hände zittrig und ich litt unter Depressionen und Angstgefühlen. Eines Tages hat meine Mutter den Konsum bemerkt. Darauf folgte die große Beichte. Ich wurde in den „Zwangsurlaub“ ins Jugendcamp nach Frankreich geschickt. Das war furchtbar. Ich weiß noch wie einsam, fremd und verzweifelt ich mich unter all den fröhlichen Gleichaltrigen gefühlt habe. Ich habe mich wie ein Außerirdischer gesehen, wie jemand der im Verlies sitzt und oben das Licht erkennt sich aber aus der Tiefe nicht befreien kann. Eine sehr anstrengende Zeit. Ich verbrachte sie meist lesend oder Bier trinkend alleine in meinem Zelt.
    Als ich wieder zu Hause war ging es mir einigermaßen OK und natürlich hatte ich den starken Vorsatz nie wieder harte Drogen anzufassen. Das hat genau 3 Tage funktioniert. Dann kam der Samstagabend und das gemeinsame Kiffen und Bier trinken mit den Kumpels. Nun ja, irgendjemand hatte die famose Idee ein bisschen „Schore“ zu kaufen. Es wurde Geld zusammengekratzt und ich wurde als Käufer mit dem Fahrrad losgeschickt. Ich war besoffen und bekifft und ich habe mich unendlich schuldig gefühlt. Ich wollte ja eigentlich keine harten Drogen mehr nehmen und nun war ich auf dem Fahrrad unterwegs um Schore zu kaufen. Alles brach über mir zusammen. Ich habe mich schlecht und im wahrsten Sinne des Wortes abhängig und verloren gefühlt. Auf einmal war mir alles egal. Beim Dealer angekommen, er hieß übrigens Hansi, bat ich ihn mir einen Schuss zu setzen. Bisher hatte ich immer nur auf dem Alublech geraucht oder gelegentlich geschnupft, gespritzt noch nie. Aber nun war es soweit, ich bat Hansi um sein Spritzbesteck. Aber Hansi wollte mir nicht helfen. Er sagte ich sei zu jung und solle mir mein Leben nicht zerstören. Ich harkte nach, aber erfolglos. Vielleicht hat mir Hansi damals das Leben gerettet. Nun gut, Spritzen war also nicht, aber die Schore hatte ich trotzdem. Nun tat ich etwas was ich noch nie getan hatte. Ich beklaute meine besten Freunde. Ich fuhr auf einen Spielplatz und genehmigte mir eine große Nase von dem Heroin. Außerdem teilte ich das Briefchen in zwei auf. Eins für uns alle und eins für mich alleine.
    Als ich am nächsten Morgen bei einem Kumpel verkatert aufwachte habe ich mich noch schlechter als sonst gefühlt. Zügig packte ich meine Sachen und begab mich auf den nach Hause Weg. Das war ganz wichtig denn in den folgenden 15 Minuten hat sich mein Leben verändert. Ich weiß noch wie ich diese Alle runterging. Die Sonne hat geschienen, die Bäume haben sich im Wind bewegt und alles war ganz friedlich. Aus den Schuldgefühlen und der Depression heraus überkam mich auf einmal eine unglaubliche Klar- und Bewusstheit. Ich habe zu mir selber in einer nie dagewesenen Deutlichkeit gesagt, Florian Du musst Dein Leben verändern, jetzt sofort und für immer. Du hast die Kontrolle über dich verloren, gestehe dir das ein und ab sofort musst du kompromisslos sein. Keine harten Drogen mehr, niemals und für immer, was auch immer passiert.
    Das habe ich durchgezogen. Bis heute, 22 Jahre später. Nach diesem Tag habe ich noch ein Jahr heftig weitergekifft und auch mal ein paar Bierchen zu viel getrunken. Aber zu anderen Drogen habe ich nie mehr in meinem Leben gegriffen. Ich gebe zu, es war ein langer und teilweise harter um nicht zu sagen fieser Kampf. Ca 7 Jahre lang hat mich der Gedanke an Heroin gequält. Nicht so dass ich akut süchtig war, natürlich nicht mehr, aber die Idee das durchaus angenehme Gefühl auf Schore zu sein, angstlos zu sein usw. hat mich ungefähr 7 Jahre lang verfolgt. Also sozusagen die Angst vor dem Rückfall. Mit 25 Jahren hat es dann schlagartig aufgehört und jetzt habe ich schon lange keine Angst mehr davor, es interessiert mich schlicht und ergreifend nicht mehr. Nicht das geringste Bisschen. Trauriger Kommentar am Rande: Von meinen beiden besten Freunde von damals ist einer tot und der andere ein richtiger Altjunkie geworden, sie haben den Absprung nie geschafft.
    Nun gut, vom Heroin war ich also weg. Aber mein Leben war trotzdem ein Scherbenhaufen. Von zwei Schulen war ich mittlerweile „gegangen worden“. Ich war 19 Jahre alt und hatte noch nicht mal einen Hauptschulabschluss. Wir sind dann umgezogen, zum Glück. In der neuen Stadt habe ich aufgehört mit dem Hasch. Bin auf die Abendschule und habe erst den Haupt- und dann den Realschulabschluss nachgeholt. Dann weiter aufs Abendgymnasium, dann 5 Jahre in der Universität Volkswirtschaftslehr studiert und beendet.
    Nun wohne ich schon seit 9 Jahren auf einem anderen Kontinent. Ich bin vor einem Jahr das erste Mal Vater geworden und habe eine tolle Frau und einen großartigen Sohn. Mein Leben ist schön. Ich habe Erfolg mit einem Unternehmen was ich von 0 aufgebaut habe und das mittlerweile fast 50 Angestellte aufweist. Finanziell geht es mir sehr gut.
    Wie gesagt, von den Drogen bin ich losgekommen. Selbst mit dem Tabak habe ich vor 4 Jahren aufgehört, dampfe seitdem E-Zigaretten und mache 3-4 Mal die Woche Sport. Nur mit dem Alkohol bzw. dem Bier habe ich ab und an Probleme. Genau heute ist so ein Tag. Ich sitze vor dem PC und habe einen Kater vom Vortag. Ich fühle mich schlecht und sogar ein bisschen depressiv. Ich weiß, dass es vom Alkohol ist kann aber heute trotzdem nichts dagegen unternehmen. Ich würde mich so ein bisschen als Quartalstrinker bezeichnen.
    Zwischen 20 und 30 Jahren habe ich ganz wenig getrunken, habe fast nur studiert, drei Sprachen gelernt und viel gearbeitet. Zwischen 30 und 35 hatte ich so etwas was man vielleicht als „zweite Pubertät“ bezeichnen könnte. Ich ging regelmäßig am Wochenende aus, fast immer Freitag und manchmal auch den Samstag noch dazu. Viele Frauen, viel Alkohol, viel Party. Vor ein paar Jahren beschloss ich das Runterzufahren und habe es auch gemacht. Wie gesagt, mittlerweile bin ich Familienvater. Aber nichtsdestotrotz, so richtig komme ich vom Alkohol oder besser gesagt dem Bier – ich trinke keinen anderen Alkohol, nur Bier - nicht los. Ca einmal im Monat schüttelt mich irgendwas und ich brauche meinen Rausch. Ich treffe mich dann mit Freunden und wir trinken zwischen 3 bis 6 Liter Bier pro Person. Oft habe ich danach einen Filmriss und am nächsten Tag fühle ich mich schlecht und schuldig. Schuldig ohne Grund, denn normalerweise mache ich keine „dummen Sachen“. Aber dieses typische „Alkoholschuldgefuehl“ halt. Ich würde gerne ein Leben komplett losgelöst vom Alkohol führen. Aber irgendwie schaffe ich es nicht. Ich habe schon viel im Leben geschafft, aber die komplette Abstinenz vom Bier schaffe ich einfach nicht. Heute fühle ich mich schlecht und depressiv. Ich will nicht das mein Sohn mich betrunken sieht und ich will nicht das meine Frau mich kotzen sieht. Aber genau das ist gestern Abend passiert. Das ist mir total unangenehm. Dazu die Serotonin-Dopamin basierte Alkoholdepri.
    Ich weiß, dass das alles gar nicht sooo schlimm ist. Ich trinke ja „nur“ ca. einmal im Monat und dann auch „nur“ Bier. Trotzdem, ich bin es einfach leid. Ich will keine Filmrisse und Alkoholdepressionen mehr haben. Keinen Kater mehr, kein schlechtes Gewissen mehr, keine Peinlichkeiten mehr. Auch wenn es „nur“ einmal im Monat ist, ich bin dessen müde.
    Mein Problem ist, dass ich ein bisschen schüchtern und eher ein introvertierter Mensch bin. Ich habe zwar einen sehr starken Willen und bin auch sehr durchsetzungsstark, aber im Grunde meines Herzens bin ich eher jemand der sich zurückzieht und Menschen versucht zu meiden. Der Alkohol „hilft“ mir dann auch mal richtig „auf die Pauke“ zu hauen und aus sich herauszugehen. Im Grunde besteht mein Leben aus Arbeit, Arbeit, Arbeit und morgens und abends die Familie. Ich benutze den Alkohol als ungesundes Mittel um aus dieser Routine auszubrechen. Und wie gesagt, aufgrund meiner Schüchternheit im Privatleben fällt es mir sehr schwer neue Leute kennenzulernen oder Spaß zu haben ohne dabei Bier zu trinken. Komischerweise bin ich im Geschäftsleben nicht schüchtern, wenn es um die Arbeit geht kann ich reden, reden, reden. Aber sobald es privat wird mache ich zu.
    Vielen Dank fürs Lesen und allerbeste Grüße
    Florian

  • Hallo, Florian, und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: ich bin Mitte 50, Alkoholiker (illegale Drogen habe ich nie probiert) und seit einigen Jahren trocken.

    Vielen Dank zunächst einmal für das Erzählen Deiner Geschichte.
    Ist schon heftig. Um so besser, dass Du den Absprung von den (illegalen) Drogen geschafft hast.

    Das Du daneben aber noch ein Alkoholproblem hast, hast Du ja erkannt. Aber auch, dass Du dieses trotzdem noch versuchst kleinzureden??

    Aber nichtsdestotrotz, so richtig komme ich vom Alkohol oder besser gesagt dem Bier – ich trinke keinen anderen Alkohol, nur Bier - nicht los. ... und wir trinken zwischen 3 bis 6 Liter Bier pro Person.

    Verabschiede Dich von der Vorstellung, dass Bier "nicht so schlimm" wäre wie z.Bsp. Schnaps: 5 Liter Bier entsprechen 200g reinen Alkohol = einer Flasche Schnaps!!! Guckst Du hier. Du kannst Dir also beruhigt sagen: Ich knalle mir da eine ganze Flasche Schnaps in den Kopp!

    Alkohol ist Alkohol - in welcher Form auch immer. Auch "Klosterfrau Melissengeist" ist (hochprozentiger) Alkohol - und wird als Medizin verkauft.

    Sorry, wenn ich so drastisch schreibe, aber es nutzt nix, rumzueiern. Und Du hast Dir ja schon bei dem anderen Zeug die Wahrheit reingezogen, um den Absprung zu schaffen ...

    Ich wünsche Dir viel Erfolg und uns allen einen guten Austausch!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Verabschiede Dich von der Vorstellung, dass Bier "nicht so schlimm" wäre wie z.Bsp. Schnaps: 5 Liter Bier entsprechen 200g reinen Alkohol = einer Flasche Schnaps!!! Guckst Du hier. Du kannst Dir also beruhigt sagen: Ich knalle mir da eine ganze Flasche Schnaps in den Kopp!

    Sehr gut Geschrieben von Greenfox und eine wirklich gute Formel 44.
    Da könnt ihr euch mal ausrechnen was ihr euch da täglich an reinem Alkohol reingeschüttet habt,
    Und nicht immer das Verharmlosen ich das war ja nur Bier.
    Gruß
    Schwede 71

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