Hallo Ihr,
ich hoffe, ich bin hier richtig ...
Ich stelle mich mal kurz vor: Weiblich, 45 Jahre. Seit ich Ende 20 bin, trinke ich relativ viel und mit der Zeit vor allem zunehmend regelmäßig Alkohol. Allerdings sehr lange alles im unauffälligen Bereich (nie tagsüber, nie "besoffen", typisches Gesellschaftstrinken). Daraus wurde aber immer häufiger auch (abends) alleine Alkhol trinken.
Mit 33 war ich das erste Mal bei meinem Hausarzt und habe gesagt, dass ich das Gefühl habe, in ein Problem hineinzulaufen und ich mir Sorgen mache um meinen Alkohol-Konsum. Der Arzt nahm mir Blut ab, sagte mir beim nächsten Gespräch, dass meine Leber-Werte top sind, zog mich zum Fenster (vor der Arztpraxis befand sich ein Supermarkt, vor dem die "klassischen" Alkoholiker am hellichten Tag Bier tranken) und sagte "Sie können sich gar nicht vorstellen, was DIE für Leberwerte haben, DAS sind Alkholiker".
Ich fühlte mich überhaupt nicht ernst genommen. Er schrieb mir dann noch "AA - Anonyme Alkholiker" auf einen Zettel und überreichte mir diesen mit den Worten "Aber ich denke nicht, dass Sie da richtig sind. Da sind nur echte Alkholiker, die einen echten Abstieg hinter sich haben".
Trotz dieser für mich gefühlten Abfuhr ging ich trotzdem noch zu einem Gespräch bei der Caritas-Suchtberatung, das ... ähnlich verlief. :o
Nach 1 1/2 Stunden sagte mir die Frau, dass ich ihrer Meinung nach nicht alkohol-süchtig sei, nur Alkholmissbrauch betreibe, um andere Probleme zu überdecken.
(Anmerkung hierzu: Ich schätze mal, so ziemlich JEDE/R, der/die zu viel Alkohol trinkt, tut das nicht, weil es ihm so supertoll schmeckt, sondern weil er/sie die Wirkung des Alkhols schätzt?)
Wie dem auch sei, nachdem also auch dieser zweite Versuch, meine Sorgen über den Alkoholkonsum jemand "Fachgerechtem" anzuvertrauen, ins Leere lief, war es das erstmal für die nächsten Jahre. Der Konsum blieb in etwa derselbe (immer so zwischen selten nur ein Glas, häufiger bis zu einer Flasche Wein pro Abend, in Gesellschaft auch mal mehr). Und es wurden rapide schnell weniger Tage/Abende, an denen ich gar nichts getrunken habe.
Dann ging ich eine Beziehung ein mit jemandem, der noch mehr trank als ich und in der es völlig normal war, dass kein Abend ohne Alkohol verläuft.
Die Beziehung ging nach einigen Jahren in die Brüche und es kamen ein, zwei sehr unschöne Dinge in meinem Leben vor, die mich seelisch komplett von den Füßen und aus der Bahn geworfen haben. Währenddessen und seitdem hat sich mein Alkholkonsum noch einmal merklich verstärkt oder vielmehr mit inzwischen einer Flasche pro Abend als völlig normal eingependelt. Manchmal und immer häufiger wurden es aber auch 1 1/2. Mir war die ganze Zeit klar, dass das kein "normales" Trinkverhalten mehr ist.
Ein Stück weit war es mir zugegebenermaßen zu der Zeit aber sogar reichlich egal.
Vor ein, zwei Jahre habe ich angefangen, gesundheitliche Beschwerden zu bekommen, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen und ein andauerndes Schwindelgefühl. Es fiel mir immer schwerer, ein normales Leben weiterzuführen. Eine mittelgradige Depression wurde mir schon nach der großen Krise davor bescheinigt. Von meinem eigenen Verdacht, dass mein Alkholkonsum aber die (zwar begründete reaktive) Depression und meine gesundheitlichen Probleme nicht eben besser macht, habe ich den Ärzten nichts gesagt oder nur mal beiläufig in einem Nebensatz "Ich weiß, dass ich auch zu viel Alkohol trinke" erwähnt (worauf erstaunlicherweise nie eine Reaktion kam. Ich scheine nach außen so zu wirken, dass an das Thema Alkholproblem anscheinend kein Arzt denkt oder glaubt, selbst wenn ich selber es erwähne?).
Dahingehend immer noch "unauffällig" nach außen. Aber ich habe gemerkt, wie mich das immer fertiger macht und die Stimme "Du trinkst" immer lauter wurde.
So, nun habe ich mich mühselig einigermaßen aus meiner langjährigen depressiven Phase herausgewuchtet, und habe oft, oft, oft, oft, oft zu mir selber gesagt: "Was willst Du - leben oder Dich zerstören?". Ich war mir ehrlich gesagt sehr lange Zeit wirklich nicht sicher.
Vor ca. einem Jahr war ich noch mal bei der Suchtberatung der Caritas und war zutiefst abgeschreckt davon, dass ich für eine reine Informationsabende-Serie von 6 oder 8 Treffen in einer Gruppe (das war so eine Art Vorbereitung, bei der man herausfinden konnte/sollte, ob man betroffen ist, oder aber auch Angehörige eingeladen waren um mehr über Alkholismus zu erfahren) alle persönlichen Angaben wie Name, Adresse etc. herausgeben sollte. Ich dachte, das ist komplett anonym (wie bei den AA). Alle meine Angaben dort zu lassen, war mir aber ehrlich gesagt zu heikel. Zwar wurde mir selbstverständlich zugesichert, dass die Daten nur intern verwendet werden, aber ganz ehrlich: Das glaubt doch heutzutage kein Mensch mehr, dass persönliche Daten sicher sind auf einem PC und im Datentransfer.
Also habe ich nicht teilgenommen. Und nein, das ist keine Ausrede: Wenn es anonym gewesen wäre, wäre ich hingegangen. Ich war sogar ziemlich enttäuscht, weil ich mir ja eben gerade endlich Hilfe erhofft hatte.
Also ging noch ein Jahr ins Land, in dem ich mich (auch wenn sich das wie ein Widerspruch anhört, ist aber so) einerseits weiterhin seelisch stabilisiert habe, anderseits der Alkholkonsum weiter ging wie vorher: viel zu viel und inzwischen auch längst beim Einkauf eine Flasche Wein pro Abend eingeplant plus mind. eine in Reserve, falls es mal mehr werden sollte. Und langsam auch mit Problemen, dass ich morgens bei der Arbeit abgesagt habe, weil es mir erstens körperlich richtig schlecht ging und weil ich zweitens ziemlich sicher war, dass ich noch so viel Restalkohol im Blut habe, dass ich gar nicht Auto fahren darf. Die Notbremse habe ich immerhin hinbekommen, nicht mich, andere und und meinen Führerschein aufs Spiel zu setzen. Aber das war eine weitere deutliche Warnung an mich. Ich habe hier manchmal gesessen und laut zu mir selber gesagt: "Jetzt ist es schon so weit, dass Du Arbeit absagst ... weil Du auf gut deutsch gesoffen hast gestern". Ein weiteres, für mich hochalarmierendes und auch bedrückendes Zeichen: Es fiel mir über die letzten drei, vier Jahre immer schwerer bis es war nicht möglich, aufzuhören. Ein Glas hieß immer gleich die ganze Flasche, manchmal auch noch ein, zwei Gläser obendrauf, so sehr ich mir auch vorgenommen hatte, es bei dem Glas zu belassen, weil ich ja am Morgen früh raus muss.
Nun, das muss ich hier wahrscheinlich keinem erzählen.
Nun hat es vor einer Woche geklackt, ich hatte komplett die Schnauze voll und fand die Vorstellung eklig und entwürdigend, mir gewohnheitsmäßig wieder das Glas einzuschenken, dann die Flasche auszutrinken, mir eventuell noch eine aufzumachen und am nächsten Tag wieder völlig fertig mit Bluthochdruck und Schwindelgefühlen herumzulaufen.
Heute ist/war mein 6. Tag ohne Alkohol und ... ich bin ehrlich gesagt ganz schön stolz auf mich. :-[
Körperliche Reaktionen hatte ich nicht, bis auf dass mir die ersten zwei Tage ständig kalt war (kann das davon kommen?).
Ich bin darüber sehr erleichtert. Der letzte (und auch in jenem Jahr einzige ) alkholfreie Tag war 2012, von daher war ich mir jetzt nicht sicher, inwiefern mein Körper sich in den letzten ein, zwei Jahren noch weiter gewöhnt hat.
Ganz leicht fällt es mir nicht, zumindest nicht durchgehend. Ich bekomme immer mal Anflüge, vor allem die typischen abendlichen "und jetzt Feierabend" - Momente pieksen, oder gestern als mich jemand fragte "Willst Du ein Glas Wein oder eine Weinschorle?". Danach war ich auf dem Heimweg im Auto, und da war es ein ganz heftiger Anflug, so dass ich dachte "Scheiß drauf, dann trink ein Glas Rotwein, wenn Du zu Hause bist".
Hier angekommen hatte ich mich glücklicherweise inzwischen wieder eingekriegt, dran gedacht, wie übel es mir heute gehen würde und habe lieber den Wasserkocher angestellt.
Und so trinke ich seit Tagen einen Kräutertee nach dem anderen.
Ich würde mich freuen, mich hier auszutauschen und natürlich auch, wenn ich hier Unterstützung bekäme, habe aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen aber eine Bitte:
Egal, was Ihr denkt, bitte schreibt mir nicht, dass Ihr nicht denkt/glaubt, dass ich ein Alkholproblem habe (z.B. weil es mir ja körperlich so leicht fällt). Das würde mich komplett demoralisieren. Falls jemand das denkt: bitte gar nichts schreiben, danke.
So, und jetzt gerade freue ich mich total, weil ich zwar in wenigen Stunden schon wieder aufstehen muss, das aber völlig ohne schlechtes Gewissen tun kann (re:Auto fahren). Tag 7.
Feuervogel