Zufriedene Abstinenz - und wie wichtig ist sie?

  • Interessanter Denkansatz in einer meiner Gruppen:

    Was ist zufriedene Abstinenz und wie wichtig ist sie?

    „Ich kann das nicht mehr hören von der zufriedenen Abstinenz“, sagt erbost ein Gruppenteilnehmer. „Als müsste ich mein Leben lang darauf schauen, das meine Trockenheit auch ja zufrieden verläuft, nur um trocken bleiben zu können.“
    „Ich verschwende überhaupt keinen Gedanken mehr an eine zufriedene Abstinenz“, sagt ein Anderer, „Abstinenz ist für mich so normal geworden, dass ich dazu keine Zufriedenheit brauche.“
    „Jeder, der mal ein paar Jahre trocken ist, wird sehen, dass er über seine Abstinenz überhaupt nicht mehr nachdenkt. Sie ist zur Normalität in seinem Alltag geworden. Seine Zufriedenheit ist nicht mehr an diese Bedingung geknüpft.“ So ein weiterer Diskussionsteilnehmer.

    Wahr oder nicht wahr?
    Kann ein ehemals süchtiger Alkoholiker sein trockenes Leben von seiner (eventuell sogar) zufriedenen Abstinenz trennen?
    Ist es nicht eher sogar so, dass er sein trockenes (hoffentlich zufriedenes) Leben ohne eine zufriedene Abstinenz so gar nicht leben könnte?

    Ich musste einfach nachschauen, um diese Diskussion für mich greifbarer machen zu können.
    Der Duden schreibt:
    Zufriedenheit: Ausgeglichenheit, Behagen, Eintracht, Erfüllung, Freude, Genugtuung, Harmonie, Seligkeit, Wohlbefinden, Wohlgefühl;
    (geh.): Beseligung, Wohlbehagen, Wonne.

    Wenn man im I-net sucht, findet man viele Erklärungen über „die Zufriedenheit“, und wann, aber auch wie man sie erlangen kann.
    Interessanterweise war ein ähnliches Thema (Wann droht ein Rückfall? Was kann/soll man tun, wenn man kurz vor einem Rückfall steht?) auch in der Diskussion in einer anderen Gruppe.
    Dort ist bei mir vor allem hängen geblieben, dass Zufriedenheit immer auch mit der Balance in meinem Leben zu tun hat.
    Stimmt diese Balance nicht, kommt Unzufriedenheit auf – und könnte ein Rückfall in greifbare Nähe rücken.

    Ich habe versucht rückblickend über meine Rückfälle nachzudenken, also besonders darüber, durch was und in welchen Lebenssituationen sie bei mir ausgelöst wurden.
    Dabei glaube ich feststellen zu können, dass auch in Lebenssituationen, die auf den ersten Blick durch (beruflichen) Erfolg, durch gut verlaufende persönliche Lebensumstände (Partnerschaft), durch gesicherte Lebenszustände (finanzielle Existenz) etc., Rückfälle möglich waren – und auch stattfanden. (Wenn auch nicht gleich komplette Abstürze.)

    Von mir kann ich behaupten, dass ein zufriedenes, ausgeglichenes Leben ohne gleichzeitige Abstinenz nicht möglich war. Die Folgen von aktiver Sucht sind ja bekannt.
    Die Frage stellt sich dann aber: Muss es deswegen auch eine „zufriedene Abstinenz“ sein?
    Ich denke, auch ohne dass man eine abstinente Lebensweise, die ja auch bei Menschen vorkommt, die überhaupt nicht von der Sucht tangiert sind, nun besonders herausstellt, ist sie für ehemals Süchtige doch die Basis von jeglicher Zufriedenheit im Leben.
    Oder andersherum ausgedrückt: Wenn ich zwar „nach außen“ trocken bin, aber innerlich ständig die Sehnsucht nach dem Suchtmittel (und dessen Wirkung) in mir trage, ist für mich ein wirklich zufriedenes Leben gar nicht möglich.
    (Auch, wenn die aktuellen Lebensumstände optimal und sehr zufriedenstellend verlaufen, könnte ich doch denken, dass dies noch zu toppen wäre, wenn ich jetzt (sozusagen als Belohnung?) ein erlesenes alkoholisches Getränk zu mir nehmen könnte. Was ich aber nicht – mehr – darf?
    Könnte ich damit, mit diesem „nicht dürfen“ – oder „trocken bleiben müssen“ (um Alles andere erhalten zu können) – überhaupt zufrieden sein?)

    Ich bin mir nicht sicher, ob ein ehemals aktiv süchtiger Alkoholiker, der m. E. lebenslang die auch wohltuende Wirkung von Alkohol niemals vergessen kann, bzw. wird, das Gelingen seines zufriedenen Lebens nicht automatisch „auch“ mit seiner zufriedenen Abstinenz verbindet.
    So kann ich bei mir feststellen, dass ein Rückfall dann drohen könnte, wenn
    a) In meinem Leben etwas nicht mich zufriedenstellend verläuft
    b) Ich dem mit meiner Sucht vergleichbaren Verlangen (immer mehr, mehr, mehr ..) erliege, und mit dem Erreichten nicht zufrieden bin.

    Es gibt ziemlich eindeutige Vorzeichen für Rückfälle.
    Jedenfalls bei mir ist, bzw. war es so.
    Ich werde dann gerade bei Dingen, die mich eigentlich stören, nachlässig. Jeder kennt das: Morgen, morgen, nur nicht heute …
    Ich verschiebe dann Probleme, die tatsächlich einer Lösung bedürfen, immer weiter nach hinten.
    Ich werde auch mir selbst gegenüber nachlässig. Zum Beispiel, dass es mir gut tun würde, wenn ich mich mit Etwas sinnvollem und mich befriedigendem beschäftigen würde, und stattdessen sinn- und nutzlos einem Programm im Fernsehen folge, das mich nicht im Geringsten interessiert.
    Auch das gedankliche Herunterspielen von dem durch den Alkohol Erlebten (Entzug, beschämende Situationen, etc.) ist bei mir (für mich) ein Warnzeichen.
    Oder die schon tausendmal aufgekeimte „Hoffnung“, doch wieder kontrolliert Alkohol konsumieren zu können.

    „Achtsamkeit,“ so sagte ein Gruppenteilnehmer, „ist sehr wichtig. Ich muss achtsam sein, wenn solche Gedanken aufkommen.“
    Ich habe das für mich ergänzt: Meine Achtsamkeit muss sehr viel früher beginnen, nicht erst, wenn „solche Gedanken aufkommen“.
    Sie muss dort beginnen, wo Vorgänge in meinem Leben stattfinden, die solche Gedanken überhaupt erst entstehen lassen können.
    Das bedeutet für mich auch, dass ich selbst in Situationen, die eigentlich sehr zufriedenstellend verlaufen, genau hinschauen muss, ob ich auch „wirklich“ damit zufrieden bin. Vor allem aber: Dass ich mich damit zufrieden gebe.

    Ich glaube, dass es bei mir (auch) von meiner Suchtveranlagung her so ist, dass ich eine Neigung zu diesem „mehr, mehr, mehr haben wollen“ habe.
    Sich mit dem Erreichten zufrieden geben bedeutet bei mir auch, dass ich meine innere Messlatte und Wertung verschiebe.
    Es müssen nicht 200 oder 150% sein. 100 reichen vollkommen.

    Bei diesen Diskussionen in den Gruppen erinnerte ich mich dann auch einen Gruppenabend, an dem das Thema „Loslassen“ besprochen wurde.
    Im Zusammenhang mit drohenden Rückfällen und der aufkeimenden Hoffnung, dass es ja diesmal vielleicht sogar klappen könnte (mit dem KT), dachte ich: Rückfälle haben wohl auch etwas mit Loslassen zu tun.
    Wenn ich etwas „loslasse“, dann habe ich mich innerlich davon verabschiedet. Ich beeinflusse bewusst den weiteren Verlauf des losgelassenen Geschehens nicht mehr. Es findet jenseits meiner Einflussmöglichkeiten statt und tangiert mich nicht mehr.
    Beim Alkohol ist es für mich auch so.
    Wenn ich – tatsächlich und für mich überzeugend – den Alkohol (und seine Wirkung) losgelassen habe, wenn ich mich tatsächlich und ohne jede weitere Option von ihm verabschiedet habe, dann rückt ein möglicher Rückfall in weite Ferne. (Weil mich die Verlockung nicht mehr tangiert.)

    Ich sag an dieser Stelle mal: Ich würde mich über Eure Gedanken zu diesen Themen sehr freuen!

  • Auch in "meiner" Gruppe haben wir ab und an dieses Thema.
    Deshalb hatte ich unter der Überschrift "Zufriedene Trockenheit - was bedeutet das für mich?" hier schon mal meine Gedanken dazu aufgeschrieben. Sorry, wenn ich es nur verlinke ...

    Auch ich finde Achtsamkeit wichtig. Achtsamkeit mir selbst gegenüber - denn wenn solche Gedanken auftauchen, ist es schon (fast) zu spät und ich steuere in Richtung Rückfall. Wenn ich auf mich achte und darauf, dass es mir gut geht, ich also zufrieden bin mit dem , was ich (erreicht) habe, mit mir selbst, dann brauche ich gar keinen Alkohol - weder um mich zu belohnen (da gibt es viel Schöneres, das micht vor allem nicht unzufrieden macht (Kopfschmerzen, Kater, Depression, weil doch getrunken, etc) noch um mich "herunterzuholen".
    Ich bin also zufrieden und trocken.

    Und dazu müssen es auch nicht immer 100% sein - manchmal reichen auch 80%. Und die werden von der Umwelt dann als 100% wahrgenommen ...

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Dietmar! Hallo Forum!

    Danke für diese für mich wertvollen Gedanken. Ich tat mich immer schwer mit dem Begriff: zufriedene Abstinenz. Wenn ich jetzt darüber lese im Zusammenhang mit dem "loslassen" wird es für mich viel schlüssiger.

    Danke!

    LG
    Caroline

  • Darum haben wir ja auch unsere Gedanken dazu aufgeschrieben - damit dieses "Schlagwort" greifbarer wird :)

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