Deshalb habe ich auch hier meine Strategie geändert. Bei meinem letzten Austiegsversuch, der ja jetzt schon einige Jahre her ist und bisher erfolgreich war, wusste ich, dass ich mich outen muss. Ich habe deshalb unmittelbar nachdem ich aufgehört hatte mein näheres Umfeld informiert. Also meine Frau und Kinder, meine Eltern, meine Geschwister und auch meine engsten Freunde. Das war, wie Du Dir denken kannst, echt sehr schwer. Sich selbst eingestehen dass man Alkoholiker ist, ist ja schon mal nicht so einfach - es aber dann auch anderen gegenüber zu tun nochmal ne ganz andere Hausnummer. Ich kam mir ziemlich schäbig vor, wie ein ganz großer Verlierer. War ich doch vorher immer der tolle Papa, der erfolgreiche Sohn usw. usf. Und jetzt musste ich die Hosen runter lassen und zugeben, dass alles nur Fassade war und ich ein psychisch kranker Süchtiger bin..... hart, echt hart. Damit verbunden habe ich auch gleich alle meine Lügengebilde, die sich um Laufe meiner Saufkarriere so aufgebaut haben, gestanden. Da waren Lebensversicherungen, die es nicht mehr gab, weil ich heimlich aufgelöst (und die Kohle verprasst) hatte, da waren Sparkonten die nicht mehr gab und noch vieles mehr. Auch das kam gleich am Anfang auf den (jetzt dann reinen) Tisch.
Es war wirklich eine schwere Zeit - denn ich musste reinen Tisch machen und gleichzeitig abstinent bleiben. Bei allem was ich zu hören bekam, berechtigterweise, bin ich im Nachhinein doch manchmal erstaunt wie leicht es mir letztlich eigentlich gefallen ist. Saufdruck hatte ich quasi fast nie, auch nicht in diesen ganz schweren Zeiten. Ich denke das lag daran, dass ich absolut unbedingt weg wollte von dem Zeug. Ich wollte es schaffen und ich wollte mein Leben zurück und das war für mich die Grundvoraussetzung, dass ich es dieses Mal schaffen konnte. Absolute Ehrlichkeit, keine Lügen mehr, nie mehr lügen. Unde es beinhaltete übrigens auch, dass ich dieses Mal sofort in eine SHG gegangen bin, dass ich zum Psychologen gegangen bin und dass ich noch weitere wichtige Dinge gemacht habe und mich anderen Menschen anvertraut habe.
Ich habe meinem engeren Umfeld durch dieses Outing dann auch keine Geschichten mehr erzählen müssen. Von wegen, ich habe Magenprobleme und trinke deswegen nichts oder ich muss noch Auto fahren oder oder oder. Es war klar, ich bin Alkoholiker und will trocken werden. ABER: da gibt es ja noch das weitere Umfeld, z. B. die Arbeitswelt. Das war eine meiner ersten Fragen, die ich in der SHG gestellt habe. Muss ich meine Kollegen einweihen? Man hat mir damals davon abgeraten, bzw. mir gesagt es wäre abhängig von der Art meiner Arbeit. Hätte ich eine Job wo ständig die Gefahr besteht, dass ich zum Trinken animiert werde, dann ja - habe ich einen Job, wo trinken eigentlich nur in Ausnahmefällen passiert (also z. B. Weihnachtsfeier) dann nein oder nicht unbedingt. So habe ich es dann auch gehalten. Heute wissen alle Kolleginnen/Kollegen, dass ich keinen Alkohol mehr trinke. Mit vielen habe ich später auch mal darüber gesprochen, nicht im Detail, nur so, dass ich ihnen erzählt habe, dass ich mein Leben verändert habe. Die Frage, wieso trinkst Du nichts mehr, wurde mir nie gestellt. Eher die Frage: Wie hast Du soviel abgenommen? Du hast Dich so verändert und bist so positiv geworden, woran liegt das? Da habe ich dann erzählt, dass ich mein Leben umgestellt habe. Ich denke der ein oder andere wird sich seinen Teil denken, aber keiner ist mir jemals negativ gegeüber getreten.
Auch in der Nachbarschaft (ich habe eine sehr gute wo man auch öfter mal zusammen sitzt) weiß jeder dass ich keinen Alkohol trinke. Keiner weiß aber, dass ich Alkoholiker bin. Ich glaube aber viele denken es sich - es ist aber völlig egal weil sie mich so nehmen wie ich bin und ich sie so wie sie sind. Trotz geselliger Abende sind es keine Trinker (mit solchen würde ich nicht zusammen sein wollen), nehmen aber trotzdem natürlich (ganz normal) mal das ein oder andere Gläßchen zu sich. Das macht mir nichts aus genauso wenig wie es ihnen etwas ausmacht, dass ich keinen Alkohol trinke. Ich muss mich nicht rechtfertigen, es ist einfach alles ganz normal!
Ich weiß noch genau, dass dieses Thema "was sage ich wenn mir jemand Alkohol anbietet" sehr belastend sein kann. Besonders am Anfang. Tipp: Anfangs Gesellschaften bei denen zu erwarten ist, dass Alkohol getrunken wird meiden = Risikominimierung. Später, wenn die Abstinenz gefestigter ist, eine Strategie entwickeln, wie man mit allzu penetranten "Trink doch ein Gläßchen mit" Typen umgeht. Wahrscheinlich wirst Du feststellen, dass Du gar keine Lust mehr hast Veranstaltungen zu besuchen, wo Alkohol ein wichtige Rolle spielt. Wenn man nüchtern ist bekommt man erst mal mit wieveil Mist die Besoffenen eingentlich labern. Das kann echt nerven.