Guten Morgen ihr Lieben,
erst mal vielen vielen Dank für eure zahlreichen Beiträge. Letztendlich habt ihr das ausgesprochen, was ich in mir auch schon gespürt habe. Das Problem an dem Wochenende sind glaube ich aber weniger meine Freunde, als ich selbst. Klar würde ich die ganze Dynamik des Wochenendes verändern und sie wären sicher etwas enttäuscht, so wie ich es auch immer war wenn jemand nichts trinken wollte. Irgendwie fühlt man sich da ja etwas verraten. So war es bei mir zumindest immer. Sie würden es aber bestimmt akzeptieren, ich weiß aber nicht ob sie selbst nichts trinken würden. Gehört es doch bei ihnen, genauso wie bei mir immer zu einem gelungenen Abend mit Freunden dazu. Und ich bin mir sehr sicher, das ich dann auch trinken würde, für so eine Situation fehlt mir dann im Moment absolut noch die Stärke. Ihnen zu sagen das ich Alkoholikerin bin und es mehr ist, als ich möchte dieses Mal nichts trinken, dafür bin ich einfach (noch) nicht bereit. Es sind wirklich gute Freunde, aber etwas in mir sperrt sich noch, das in die Welt hinauszutragen. Deshalb habe ich mich entschieden, das Wochenende unter einem Vorwand abzusagen. Ich bin nicht besonders stolz darauf, aber es ist für mich gerade der einzige gangbare Weg. Natürlich fühle ich mich sehr schlecht, das so lange geplante Wochenende zu sprengen, aber ich fühle mich gut mit der Entscheidung für mich einzustehen und auf mich zu achten. Beim nächsten Termin, bin ich hoffentlich schon gestärkter in meiner Entscheidung, kann offen darüber sprechen und bin standhafter in meiner Abstinenz.
Ich habe mir die letzten Tage einige Folgen von dem Podcast, Ohne Alkohol mit Natalie angehört (falls ihr den kennt, aber ja bestimmt) und habe das Buch von Sarah Heppola gelesen, in dem ich mich sehr schmerzhaft wieder gefunden habe. Außerdem habe ich angefangen das Buch von Catherine Grey zu lesen, da bin ich aber noch nicht sehr weit. Alles in allem erkenne ich langsam sehr deutlich in was für einem Gefängnis ich eigentlich gelebt habe. Immer mehr fallen mir Situationen ein, in denen ich mich schon vor so vielen Jahren so ungesund und definitiv süchtig verhalten habe, es erschreckt mich das ich es nie so gesehen habe. Oft kommen jetzt auch Schamgefühle in mir auf, für im Suff gesagtes, ständige Knutschereien mit Typen die mir eigentlich gar nicht gefallen haben, Weinattacken wegen eigentlich längst vergangenen Geschichten und vor allem auch für die Telefonate. So langsam bin ich mir nämlich nicht mehr so sicher, ob es wirklich nie jemand gemerkt hat.
"Wahrscheinlich wirst Du feststellen, daß Du zwar nicht ausfallend geworden bist, aber doch recht ausführlich...."
Das hat RIeke geschrieben und irgendwie wurde mir da ein bisschen heiß, das stimmt nämlich zu hundertprozentiger Sicherheit.
Die Vorstellung wirklich nie wieder zu trinken, macht mir immer noch große Angst, aber irgendwie sprießt da auch so eine kleine Begeisterung in mir, ein Enthusiasmus mich mit dem Thema zu beschäftigen. Gestern abend habe ich aber plötzlich wieder diesen extremen Drang gespürt was zu trinken. Ich hatte einen wirklich schönen Tag mit meiner Familie, die Sonne schien und dann war da dieses Gefühl das nur eines den Tag perfekt abrunden würde, Wodka und Zigaretten auf dem Balkon... ich wusste das ich das auf keinen Fall machen kann. Aber die Stimmen waren schon laut, die sagten: "So schlimm ist das ganze doch gar nicht, wie du tust." "Ab und zu kannst du doch schon mal was trinken" und und und. Ich war für ca. eine halbe Stunde gestern abend so unfassbar unglücklich über den Fakt das ich jetzt nicht trinken darf. Das war wirklich eine tiefe Traurigkeit. Letztendlich habe ich es irgendwie geschafft, das zu überwinden, aber es hat sich schrecklich angefühlt.
Abends habe ich dann in dem Buch von Catherine Grey gelesen und mich eben stark, schon in den Anfängen des Buches, wiedererkannt. Auch mein Leben war auf Arbeit und Trinken bzw. Kater zusammengeschrumpft, mehr gab es einfach nicht. Mir ist aber nie aufgefallen wie traurig das eigentlich ist.
Mein Mann meinte zu mir, als ich ihm erzählt habe das ich Alkoholsüchtig bin, das ich doch auch die ganze Schwangerschaft/Stillzeit frei von Alkohol war und ob es denn dann wirklich so ernst sein kann. Und als er das so sagte, habe ich gemerkt das ich zwar nicht getrunken habe, aber auf gar keinen Fall kann man davon sprechen das ich "frei" davon war. Ich habe glaube ich wirklich jeden Tag daran gedacht, war todunglücklich und eifersüchtig auf alle die trinken konnten. Frei sein, definiert man denke ich etwas anders.
Ich kann wirklich überhaupt nicht sagen ob ich es schaffe ein alkoholfreies Leben zu führen, ich wünsche es mir sehr. Was mich mit Zuversicht erfüllt, ist wirklich diese kleine Euphorie die sich in mir breit macht, wenn ich mich mit dem Thema beschäftige und daran denke welches Leben ich zukünftig führen könnte. Wie viel Energie und Zeit ich für andere Sachen haben könnte und das ich wieder Freude an so banalen Sachen wie Essen gehen empfinden könnte (Essen gehen fand ich nämlich immer fürchterlich, hat es doch immer nur die Zeit hinausgezögert bis man endlich in die Kneipe gehen konnte). Am Donnerstag war ich seit sehr sehr langer Zeit mal wieder joggen, es war noch nie meine Lieblingsbeschäftigung, aber ich wollte mich gerne bewegen. Zumindest bin ich zufällig an einem Reiterhof vorbeigejoggt, ich bin früher leidenschaftlich gern geritten und der Gedanke kam, warum machst du das eigentlich nicht wieder? Das hat mich total mit Freude erfüllt. Aufgehört habe ich damals weil ich einfach "keine Zeit" hatte oder keine Kraft. Die Vorstellung das wieder anzufangen war so cool. Leider gibt es gerade wegen Corona keinen Reitunterricht, aber sie meinten im Juli starten sie wahrscheinlich wieder. Auch habe ich mal angefangen Gitarre zu lernen, Stunden genommen, aber nie geübt zwischen den Stunden, ich hatte ja keine Zeit, musste ja immer trinken oder war so fertig das ich abends nur auf der Couch gelegen bin. Auch das würde ich gerne wieder beginnen. Je nachdem was meine wenige Freizeit, wegen meiner Tochter, im Moment zulässt. Auch gemalt habe ich früher viel, das geht halt rauchend und trinkend auch nicht so gut. Ich merke einfach das ich all meine Interessen vergraben habe und meine Welt wirklich so arg zusammengeschrumpft ist. Mich dem Leben wieder zu öffnen fühlt sich toll an. Unsicher bin ich trotzdem. Es wird nicht einfach werden, ist die Vorstellung ohne Alkohol zu leben einfach doch noch zu neu. Klar habe ich schon immer mal wieder daran gedacht, weniger zu trinken, aber noch nie noch nie noch nie daran GAR NICHTS mehr zu trinken. Ich werde auf jeden Fall eine Weile sämtliche Trigger meiden, wie Telefonieren oder abendliche Treffen. Selbst die Vorstellung dabei vielleicht den ein oder anderen Freund oder Bekannten zu verlieren, macht mir gerade gar nicht mehr so riesige Angst. Ich glaube ich muss einfach alles auf mich zukommen lassen.
Was ich mich noch frage und da habt ihr bestimmt auch Tipps oder Erfahrungen, wie gehe ich mit diesen ganzen Gefühlen der Scham und der Peinlichkeit um die mich gerade treffen. Werden die einfach irgendwann leiser? Ich wünschte gerade echt, ich wäre nicht dieser Mensch gewesen der all das gemacht hat.
Danke euch wie immer fürs Lesen!
Habt einen schönen Sonntag!
Sonnenkäfer