Brief an den Alkohol

  • Sehr geehrter Alkohol,

    ich möchte mich jetzt auch auf diesem Weg dafür entschuldigen, dass ich Sie viele Jahre lang missbrauchte. Ich erwartete Dinge von Ihnen, die Sie langfristig selbst beim besten Willen nicht leisten konnten. Und als ich spürte, dass Sie mir nicht mehr das geben konnten, was ich von Ihnen erwartete, versuchte ich, Ihnen das abzupressen, indem ich noch mehr von Ihnen zu mir nahm.
    Typisch Ausbeuter. Statt zu warten, bis Sie wieder in der Lage sind, mir das freiwillig zu geben, was Sie zu geben vermögen, zwang ich Sie.

    Ich hätte mir denken können, dass dies nicht gut gehen konnte. Irgendwie und irgendwann spürte ich das auch. Aber ich wollte nicht verzichten.

    Ein Rest von Verstand oder auch Verantwortungsbewusstsein brachte mich dazu, mein Ausbeutungsverhalten zu überdenken. Das hört sich jetzt altruistischer an, als es tatsächlich war. Denn letztendlich kostete mich Ihre Ausbeutung am Ende so viel Energie, dass ich überhaupt nicht mehr genießen konnte, was ich Ihnen abpresste.

    Heute freue ich mich darüber, dass ich Sie freigab. Denn letztendlich profitiere ich davon wahrscheinlich sogar weitaus mehr als Sie selbst, was irgendwie unglaublich ist. Denn ich war der Böse, der Ausbeuter. Und jetzt werde ich auch noch nicht einmal für mein schäbiges Verhalten bestraft, sondern dafür belohnt, dass ich es aufgab und endlich das tat, was meine ureigene Aufgabe ist. Nämlich mein Leben selbst so zu gestalten, dass ich es gerne lebe, statt Ihnen mein Wohlergehen aufs Auge zu drücken.

    Ich bin froh darüber, dass wir trotz der Schäbigkeit meines Verhaltens nicht als Feinde scheiden. Wir treffen bei der einen oder anderen Gelegenheit aufeinander. Und so wie Sie sich darauf verlassen können, dass ich Sie nie wieder dazu zwingen werde, mir etwas zu geben, das über das hinaus geht, was sie freiwillig geben wollen, kann ich mich darauf verlassen, dass Sie mir wirklich verziehen haben und mich nicht hinterrücks in die Pfanne hauen.

    Danke für so viel Größe,
    Katro

  • ((Den Alkohol mal nicht als das Böse hinstellen. Die "Schuld" gar bei sich selbst suchen. Wäre er so abgrundtief schlecht, wäre dann nicht jeder, der ihn konsumiert (und das sind, wie wir wissen, SEHR viele), über kurz oder lang Alkoholiker? Ihn als etwas sehen, was man einfach falsch behandelt hat, womit man falsch umgegangen ist. Man selber, niemand sonst. Mir gefällt der Brief.))

    Einmal editiert, zuletzt von Hupskatze (14. Juni 2014 um 21:10)

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