Alkoholischer Lebensbegleiter

  • Hallo,
    das ist mein erster Beitrag! Ich registrierte mich in diesem Forum relativ spontan, um meine Sorgen loszuwerden.

    Ich bin 27 und es geht um meinen 55+ Vater. Seit ich an meine Jugend zurückdenken kann, hat er Bier getrunken.
    Das Bier ist sein Lebensbegleiter und Lösungselixier für alles: ob Eheprobleme, Druck auf der Arbeit loswerden oder um einfach abzuschalten.

    Die Probleme meines Vater möchte ich mir nicht annehmen und mir ist sehr bewusst, dass Süchtige nur selbst sich ändern können.
    Mir ist auch vor Jahren klar geworden, dass ihm nicht zu helfen ist. Er sieht kein Problem daran, spielt die Problematik herunter und tut es heimlich sowieso.

    Das Enttäuschenste an der Geschichte ist, dass er zwei Schlaganfälle hatte. Der zweite davon erst letztes Jahr im Sommer. Er kann froh sein, dass er noch laufen kann. Während meinen Krankenhaus Besuchen hat er mir mehrfach unter Tränen geschworen, es nicht mehr zu tun und das sich was ändern wird. Ich hatte starke Zweifel, wollte aber doch offen für eine positive Veränderung bleiben. Seit 1-2 Monaten greift er heimlich wieder zur Flasche. Ob im Biergarten von seiner Frau erwischt oder heute als ich zufälliger Weise mitbekommen habe, wie er eine leere Flasche in sein Nachtschrank gepackt hat, welche mit weiteren leeren Bierpullen gefüllt war.

    Was meint ihr dazu? Meine letzten positiven Gedanken sind soben aus dem Fenster geflogen.

  • Hallo Vinie,

    erst mal herzlich Willkommen hier bei uns im Forum.

    Ich stelle mich kurz vor: Ich bin Ende 40, Alkoholiker und lebe nun schon längere Zeit ohne Alkohol.

    Du stellst die Frage was wir zu Deiner Geschichte sagen. Ich kann natürlich nur für mich antworten und das was ich da lese würde ich wie folgt beschreiben: Was Deinen Vater betrifft eine ganz typische Alkoholikergeschichte. Nichts besonderes, eher was ganz normales im Bereich der Suchterkrankten. Kann oder will nicht aufhören, selbst die beiden Schlaganfälle bringen ihn nicht dazu sein Leben zu verändern.
    Und was Dich betrifft in dieser Geschichte: Auch nichts besonderes, in diesem Fall eine Tochter (oder Sohn?), die sich große Sorgen um ihren Vater macht, der einfach nicht mit dem Trinken aufhören kann oder will. Du stehst dem ganzen Machtlos gegenüber, wirst ein ums andere mal enttäuscht, Hoffnungen, die ja bekanntlich zuletzt sterben, gehen flöten und Du bist einfach nur fassungslos und hilflos.

    Also alles ganz normal, könnte man sagen. Wenn man so von außen drauf schaut, wenn man selbst Alkoholiker ist und weiß wie das läuft und wenn man hier im Forum aktiv ist und immer wieder solche Lebensgeschichten liest.

    ABER für Dich ist es ganz und gar nicht normal. Weil Du bist Teil dieser Geschichte und es ist Dein Leben, das dadurch enorm belastet und wahrscheinlich auch beeinflusst wird.

    Ich finde es sehr gut, dass Du die Probleme Deines Vaters nicht annehmen möchtest, es ist auch gut, dass Du weißt, dass sich der Süchtige nur selbst aus der Sucht heraus ziehen kann. Damit hast Du vollkommen Recht. Dann schreibst Du auch noch, dass Dir schon länger klar ist, dass Deinem Vater nicht zu helfen ist.

    Erst mal klingt das alles sehr "vernünftig" was Du da schreibst. Aber ich glaube es ist Dein Verstand, der Dir das sagt, Dein Herz hofft immernoch. Es hofft, dass Du Dich irren könntest, dass ihm vielleicht doch noch zu helfen ist, dass er vielleicht doch noch die Einsicht erlangt und seine Sucht von sich aus bekämpft.

    Ich kann das auch sehr gut verstehen, gerade als gesunder und nichtsüchtiger Mensch kann man sich nicht vorstellen, warum der Alkoholiker nicht einfach mit dem Trinken aufhört. Warum er das seinem Umfeld antut und das es doch eigentlich so schwer nicht sein kann. Schließlich gibt es ja auch immer wieder Beispiele (siehe hier im Forum) von Menschen die es geschafft haben ihre Sucht zu besiegen.

    Und ja, das stimmt auch. Es gibt diese Beispiele, glücklicherweise. Es ist aber leider so, dass Du nicht darüber entscheiden kannst, wie die Sucht Deines Vaters weiter verläuft. Du hast überhaupt keinen Zugriff, überhaupt keine Handhabe. Du kannst tun was Du möchtest, wenn er nicht selbst mit dem Trinken aufhören möchte oder aufhören kann, dann wird er weiter trinken. Notfalls tatsächlich bis zum bitteren Ende..... leider.....

    Ich finde es gut, dass Du trotz Deiner Zweifel offen geblieben bist, dass Du ihn nicht sofort komplett abgeschrieben hast, dass Du einfach offen für eine positive Veränderung bleiben wolltest. Denn diese Veränderung hätte ja auch passieren können. Da das aber jetzt offensichtlich nicht passiert ist, musst wieder auf Dich achten.

    Du hast jetzt die Situation, dass Dein Vater auch nach dem 2. Schlaganfall wieder mit dem Trinken begonnen hat. D. h., Du musst diese Situation jetzt akzeptieren. Er will es so und niemand kann ihn daran hindern. Es scheint nicht so zu sein, dass Du in nächster Zeit auf Positives hoffen darfst. Du musst also lernen Dich abzugrenzen und für Dich heraus zu finden, was Du noch zulassen kannst, was Dir noch gut tut und wo Du "stop" sagst, weil es Dir Schaden zufügt. Ich will damit sagen: Wieviel Papa tut Dir noch gut und wann ist eine Grenze überschritten.

    Ich kenne Deine Situation nicht, aber kannst Du aktuell ganz normal mit Deinem Vater umgehen? Kannst Du Dich mit ihm unterhalten, besuchst Du ihn gerne, auch wenn Du weißt, dass er getrunken hat? Oder habt ihr immer Streit und es belastet Dich alles sehr? Ist es "nur" die Sorge um seine Gesundheit, die Dich belastet oder hast generell Probleme mit Deinem Vater?

    Ich frage das so, weil auch ich kein einfaches Verhältnis zu meinem Vater habe. Und auch ich dabei bin, immer wieder meinen Frieden mit ihm zu schließen. Auch er trinkt, wenn auch wahrscheinlich nicht ganz so akut wie Deiner. Ich habe mir da ein paar Regeln auferlegt, die mir ganz gut helfen. Z. B. gehe ich einfach, wenn ich merke, dass er (für mich) zu viel intus hat. Wenn seine Sprüche und sein Gerede gar zu blöd wird, gehe ich auch. Ohne Vorwürfe oder so. Ich verabschiede mich und gehe. Mit der gesamten Familie, meiner Frau und unserem Kind. Er ist nun Anfang 70, sehr übergewichtig und nimmt Tabletten ohne Ende. Es wäre für ihn ein Segen, wenn er keinen Alkohol (in seinem Fall Bier) trinken würde und nebenher vielleicht ein klein wenig seine Ernährung umstellen würde.

    Das macht er aber nicht und ich habe das zu akzeptieren. Und ich akzeptiere es auch, es ist sein Leben, nicht meines. Ich habe für mich nur festgelegt, dass ich mich nicht durch sein Leben belasten möchte. So lange er trinkt und ganz normal mit mir spricht, ist das kein Problem. Wenn er aber in sein agressives Fahrwasser kommt, blöde Sprüche macht und mit Vorwürfen um sich wirft, dann ziehe ich mich zurück und schütze mich. Und ja, ich rechne auch damit, dass irgendwann ein Anruf kommt, dass er im Krankenhaus liegt oder schlimmeres passiert ist. Und genau deswegen möchte ich meinen Frieden mit ihm schließen und diesen auch beibehalten.

    Das waren meine Gedanken zu Deiner Geschichte.

    Ich wünsche Dir einen guten Austausch hier im Forum.

    LG
    gerchla

  • @Gerlachla: Vielen Dank für deinen Beitrag. Du hast die ganze Situation und das Verhalten meines Vaters sehr gut analysiert.
    Und ich gebe dir auch recht, dass ich als Kind von meinem Vater natürlich insgeheim hoffe, dass es eventuell doch was werden kann.
    Ich bin einfach nur enttäuscht und habe es satt dort irgendwelche Energien reinzustecken, wenn dass Sinn macht?
    Objektiv weiss ich aber, dass dies nicht möglich ist. Ich stimme auch deine Rückzugsregeln komplett zu und wende diese in konkreter Form bereits an!

    Ich kann mich durchaus mit meinem Vater unterhalten. Nur das er eben viel Sinnfreies Zeug erzählt und Baby-Sprache verwendet. Eine normale Konversation war so nie gegeben,
    was ich immer sehr vermisst habe.

  • Guten Morgen Vinie,

    ich denke für Dich geht es nun darum wirklich Deinen Frieden mit dieser Situation zu schließen. Dein Verstand sagt Dir ja bereits sehr genau, wie Du die Situation einschätzen musst. Und Dein Verstand hat damit auch Recht.

    Wenn ich jetzt mal von mir spreche, dann ist es mir wichtig, dass ich mir später, wenn mein Vater einmal gestorben ist, keine Vorwürfe mache. Es ist mir wichtig, dass ich mir selbst sagen kann: es war wie es war und es war ok so.

    Es war vielleicht nicht gut, es war oft nicht toll aber es war sein Leben und es war ok, weil er es so leben wollte. Das ist das, wo ich gerne hin möchte. Ich stelle es mir sehr schwer vor, wenn ein Elternteil stirbt, meist ja trotz allem unerwartet, und man z. B. die Wochen vorher im Streit verbracht hat. Und eben nicht mehr die Gelegenheit hat, die Dinge zu bereinigen. Das sind tatsächlich die Gedanken die ich im Kopf habe. Das ist vielleicht sogar ein wenig egoistisch, weil ich hier ja quasi "nur" an mein Wohlbefinden denke, aber als trockener Alkoholiker habe ich eben genau das gelernt: Achte auf dich selbst, Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben. Und nur wenn du mit dir selbst im Reinen bist, kannst du auch für andere da sein und anderen helfen.

    Ich glaube, dass diese Weisheit nicht nur für Alkoholiker Gültigkeit hat. Und das hat auch nichts mit dem klassischen Egoisten zu tun. Es geht hier eigentlich nur um Achtsamkeit seiner eigenen Person, seinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen gegenüber.

    Überlege Dir, ob Du mit dieser Situation alleine klar kommst oder ob Du noch Hilfe brauchst. Ich kann nicht einschätzen wie sehr Dich diese Situation belastet und wie sehr Dein Leben davon (negativ) beeinflusst wird. Zum einen gibt es Selbsthilfegruppen auch für Angehörige (also jenseits dieses Forums) und zum anderen kann natürlich auch ein Psychologe hilfreich sein. Es kann natürlich auch sein, dass Du alleine klar kommst, Du solltest aber nicht zögern Dir notfalls noch weitere Hilfe zu holen.

    Ich z. B. hätte meine Sucht ohne Hilfe wahrscheinlich nicht bewältigt. Ob ich es geschafft hätte ohne Hilfe dauerhaft trocken zu bleiben, das weiß ich nicht, es wäre auf jeden Fall sehr schwer geworden, also noch schwerer als es ohnehin schon war. Auf jeden Fall aber wärde die Aufarbeitung meiner Sucht und all meiner Schuld auf der Strecke geblieben. Und genau diese Aufarbeitung ist für mich heute der Schlüssel für ein glückliches Leben ohne Alkohol.

    Auf Dich übertragen bedeutet das, dass Du Deine "Geschichte" mit Deinem Vater (Kindheit, Jugend bis heute) vielleicht auch aufarbeiten solltest (falls nicht schon geschehen) um Deine Zukunft zufrieden oder sogar glücklich gestalten zu können.

    Alles Gute weiterhin.

    LG
    gerchla

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