"Erwachsene Kinder" und die späten Auswirkungen auf die Persönlichkeit

  • Hallo!

    Meine Eltern sind beide alkoholkrank, aber seit ca 12 Jahren trocken. Meine Schwestern (30;22) und ich(25) haben zweimal Rückfälle miterlebt und ich denke, diese haben uns in unserer Persönlichkeit geprägt. Wir waren damals noch jung, meine ältere Schwester war circa 15 Jahre alt beim letzten Rückfall. Ich habe unschöne und schlimme Erinnerungen, dachte aber bis jetzt, sie hätten mich nicht geprägt.
    Als ich mich im Rahmen meines Jobs über Alkoholismus informiert habe, habe ich Parallelen zu den beschriebenen Persönlichkeitseigenschaften betroffener Kinder und mir entdeckt. Das hat mich zu Beginn stark verunsichert, aber nun möchte ich "mich besser verstehen" lernen und bin gespannt, was andere Angehörige berichten.

    Ich habe Schwierigkeiten, meine Gefühle auszudrücken, mache Dinge lieber mit mir selbst aus als darüber mit meinem Partner zu sprechen. Ich bin gerne für andere da, gebe aber wenig von mir preis. Ich kann Nähe nur schwer zulassen und bin manchmal impulsiv; mir fällt es schwer, meine Verhaltensmuster zu durchbrechen. Mein Freund sagt, ich wirke auf andere Menschen unnahbar..

    Wem geht es ähnlich oder wer hat ähnliche Erfahrungen gemacht?

  • Hallo Curry

    Es ist cool das Du Dich schon in jungen Jahren mit Dir und deiner dich prägenden Struktur auseinandersetzen kannst. Mir (Vater Alkoholiker) war das nicht vergönnt. Ich wusste zwar das irgendwas faul war aber durch die entsprechende Erziehung frass ich das alles rein. Immer mit dem nagenden Scheissgefühl das mit mir etwas nicht in Ordnung ist. Ich versuchte diesen Mangel zu unterdrücken mit allem was mir so geeignet schien um auch nur den Schein zu erhaschen, wie soll ich es ausdrücken, ein Mensch zu sein, der es wert ist eine Daseinsberechtigung zu haben. Eine jahrzehntelange Alkoholabhängigkeit war das Ergebnis. Als ich dann trocken war merkte ich das Alkoholismus eigentlich nicht mehr als ein hohler Raum ist. Bei mir stand da ein spezifisches (Rollen)muster dahinter. Ich beschäftigte mich weniger mit Fachinformationen sogenannter Experten sondern lauschte einfach den Menschen die in zerstörerischen destruktiven Rollen feststeck(t)en. Hinzu kamen meine eigenen Erfahrungen. Mein Unwohlsein auf dem Nachhauseweg zu meiner Wohnung. Rational liegt keine Bedrohung vor. Eigentlich ist mein Domizil ein Ort der Geborgenheit. Da brechen eben manchmal die alten Muster durch. Es war die anerzogene Rolle der Heile Welt Stifter zu sein wenn der Alte mal wieder volle Kanne aus dem Sessel lallte und die Atmosphäre voller Streit und Gift war. In solchen Situationen kann ich jetzt den kleinen Jungen (mich selbst) bei der Hand nehmen und in da abholen wo er sich damals befand. Verkrochen im dunklen Winkel um all das nicht mehr sehen zu müssen. Und ich weine mit Ihm - und ich lache mit Ihm darüber das nicht wir es sind die diese Scheisse zu verantworten haben. Da freut sich dann mein Inneres Kind und lächelt. Es ist alles okay so wie es ist.
    Meine Eltern (Mutter absolut Co) hatten ihren Part aus dem sie nicht rauskamen. Das kann ich total akzeptieren und auch den Blick in den Spiegel sagt ich bin es mir wert so zu sein wie ich bin.

    LG Brant

    Einmal editiert, zuletzt von Brant (16. Januar 2017 um 11:34)

  • Hallo Brant! Danke für deine offene Antwort. Ich kann manche Dinge gut nachvollziehen. Das unheimliche Gefühl auf dem Heimweg von früher wenn man schon ahnte, dass etwas in der Luft liegt.
    Ich kann mich erinnern dass wir uns oft in unseren Zimmern verkrochen haben und gelesen haben.
    Weg davon und in eine andere Welt.

    Ich hab aber auch bis jetzt gebraucht um zu verstehen, dass ich doch nicht so unbeschadet aus der Nummer gekommen bin wie gedacht.... v.a. das Aussprechen von Gefühlen und Bedürfnissen fällt mir unfassbar schwer. Ich hab das Gefühl wenn ich mich öffne fang ich im nächsten Moment an zu weinen. Grausig!

    Wie hast du es geschafft, deine Vergangenheit zu akzeptieren?

  • Hallo Curry

    Das Gefühl für sich allein braucht kein Aussprechen. Es ist nur der Ratio, der Mind,
    der Verstand der alles erklärt haben will. Immer und immer wieder ohne je zufrieden
    zu sein. Weinen ist okay. Wer hat es eigentlich verboten und als grausig abgetan?
    Du warst es ursprünglich nicht. Vllt nicht unbedingt ideal in der U Bahn aber allein
    im Zimmer. Einfach raus damit wie beschissen doch die Welt war und wir nichts
    dagegen tun konnten. Das befreit. Ist für sich genug.

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    Die Vergangenheit kann ich akzeptieren da es nur zwei Möglichkeiten gibt. Weiterhin
    in die Welt flüchten, wie du schriebst, wo der irreale Tagtraum und die Sehnsucht
    Zuhause sind. Oder den Schmerz zu fühlen (siehe Bild) der eben Teil meines Lebens
    war. Das macht mich nackt und verletzlich. Doch das ist es mir wert. Endlich bei mir
    angekommen. Keine Mauern, keine Fassaden.

    LG Brant

  • Niemand hat es eingeredet. Es sind Erfahrungen, die prägen, zu Verhaltensweisen werden und so schwer zu durchbrechen sind.
    Das ist ein langer Weg, aber der Anfang ist gemacht :)

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