Beiträge von water_on_ice

    Hallo zusammen,

    es fällt mir nicht leicht diese Zeilen zu tippen. Wahrscheinlich einerseits weil es dadurch noch realer wird und andererseits weil ich das Gefühl habe mich dadurch verletzlich zu machen. Mir ist aber klar, dass wir hier alle so ungefähr das gleiche durchgemacht haben oder durchmachen und ich mich hier sicher fühlen und Rückhalt finden kann. Deswegen überwinde ich mich.

    Ich bin 36 Jahre alt und meine Trinkerkarriere hat vor knapp 10 Jahren begonnen. In Gesellschaft gab es immer öfter ein, zwei, drei.... Gläschen Wein, Prosecco oder Longdrinks. Ich war gerne unter Leuten und da war das normal... Ich hab es lange nicht als Problem gesehen, auch wenn mir irgendwann klar wurde dass ich mehr getrunken hab als die meisten Freunde/Bekannte. Und mir war auch klar dass es wahrscheinlich nicht normal war, dass ich vor dem Treffen schon vorgetrunken habe. Und manchmal nach dem Treffen noch nach nixweiss0 Doch soooo schlimm hab ich es noch nicht empfunden.

    Bis es im Laufe der Jahre dann fast täglich abends soweit war und ich ehrlich gesagt auch schon darauf gewartet habe. Gab selten einen Tag ohne, auch wenns möglich war. Im Sommer letzten Jahres dachte ich ich leg mal einen Entgiftungsmonat ein und schau ob das klappt - denn wenn es klappen würde wäre ich ja nicht abhängig (kennt glaub ich jeder :P )und hab den auch tatsächlich durchgehalten. Dann kam eine Party und schon war ich wieder drin. Im Laufe der nächsten Monate wurde mir dann klar dass das so nicht weitergehen konnte. Ich würde so irgendwann meinen Körper ruinieren, auch weil ich beim Trinken geraucht habe wie ein Schlot.

    Also hab ich von einem Tag auf den anderen mit dem Trinken und dem Rauchen auf einmal aufgehört. Die ersten Tage und Wochen waren hart. Wahnsinnig hart. Ich hatte das Gefühl, keine Auszeiten, keine Pausen, keine Belohnungen, keine Ablenkungen zu haben. Nichts, auf das ich mich freuen konnte. Und vor allem keine Möglichkeit, meine Gefühle zu betäuben. Mich nüchtern und ohne Benebelung allem stellen zu müssen war ein schlimmer Teil des Aufhörens.

    Aber ich muss auch sagen dass man nicht nur die negativen Dinge intensiver erlebt wenn man nüchtern ist, sondern auch die positiven Dinge. Man nimmt so vieles mehr wahr. Dinge, die mir vorher nicht aufgefallen sind, weil ich mit Trinken oder dem Gedanken daran beschäftigt war. Ich bin nur so durch meinen Alltag gehetzt, damit ich schnellstmöglich das nächste Glas in der Hand habe. Jeden Abend eine halbe Flasche Whiskey trinken und rauchen bis es Zeit war ins Bett zu fallen, schlecht schlafen, verkatert aufwachen. Das war meine Abend/Nachtroutine. Ich bin so froh, dass ich sie hinter mir gelassen habe. Ich verbring jetzt echt brave, "langweilige" (positiv gemeint!) Abende und geh früher schlafen. Meistens schlaf ich auch besser und in der Früh gehts mir gut. Gesellschaft am Abend meide ich aber ehrlich gesagt noch. Ich muss mich jetzt noch nicht mit lauter trinkenden Menschen umgeben. Ich fühle, dass mir das Jetzt noch nicht gut tun würde.

    Bald werden es 4 Monate, die ich als Nichttrinker und Nichtraucher lebe. Es fällt mir immer noch nicht leicht, vor allem wenn etwas passiert, das mich aus der Bahn wirft, möchte mein Unterbewusstsein mich sofort zu meiner alten, ungesunden Bewältigungsstrategie bewegen und es kostet mich echt viel Kraft, dem nicht nachzugehen. Heute hatte ich wieder so eine Situation. Ich hab dann beschlossen, eine lange Walking-Runde einzulegen und mich auszupowern. Nach den zweiten 7 Kilometern war ich zu erledigt um noch trinken zu wollen ;D (früher hätte mich das nicht gestört, aber ich hab tatsächlich oft einfach nur das Gefühl, dass ich zu müde zum trinken geworden bin, jetzt da ich weiß wie toll es ist wenn man es lässt).

    Ich hab das übrigens alleine durchgezogen und nur meine Partnerin war am Anfang eingeweiht. Mittlerweile hab ich mich bei ein paar Freunden geoutet. Bei einer Beratung oder einem Treffen war ich bisher nicht, kann aber noch kommen. Ich entscheide das immer nach dem Bauch was ich gerade brauche. Ich hab gerade am Anfang wahnsinnig viele Bücher/Hörbücher und Dokumentationen konsumiert. So konnte ich mich einerseits mit dem Thema beschäftigen, ohne tatsächlich zu trinken und andererseits konnte ich mir so immer wieder ins Hirn rufen, warum es nicht so weitergehen konnte. Das hat mir wahnsinnig geholfen, weswegen ich das auch jetzt noch so handhabe wenn ich wieder Druck habe.

    Das war es mal im groben von mir. Ich freu mich, dass ich zu euch gefunden hab und bin mir sicher, dass hier einige spannende und interessante Gespräche auf mich warten :)