Es wird ein langer Weg werden, ich hoffe ich lerne Strategien, wie ich loslassen kann...
Hallo liebe Giaconda,
vermutlich wird es dauern, bis sich Akzeptanz und eigene Gelassenheit bei Dir einstellen,
was Deine Mutter und ihre Sucht betrifft.
Ich bin selbst erwachsene Tochter aus suchtkrankem Elternhaus und kann da nur aus meiner
Erfahrung berichten. Das Wichtigste und Nährendste war meine eigene Therapie, die mir nach
und nach Zugang zu meinem echten Mangel (an Nähe zur Mutter o.a.) frei geschaufelt hat. Ich
habe mich zu allererst und überhaupt erstmal ganz klar um meine eigenen Gefühle kümmern
müssen. - Etwas, das beim be-kümmern und Kummer schieben über andere nahestehende
Menschen leicht unterbleibt.
Dann kam ich an meine eigene Wut (Schmerz) heran, dass ICH so viel entbehren musste, was
andere ganz selbstverständlich in ihren Elternbeziehungen zu bekommen schienen. Das hat mich
an den tiefer sitzenden, immer schon vorhandenen Schmerz gebracht, udn von da aus auf den
Weg, ein eigenes "nein" dazu zu entwickeln. - Ich wollte einfach nicht mehr "warten" oder harren,
ob/bis meine Mutter zu trinken aufhören würde. (Sie hat inzwischen aufgehört.) Ich wollte einfach
nicht mehr Teil der gemeinsamen depressiven Grundstimmung dort im Haus meiner Eltern sein.
Vermutlich war es meine eigene Lebendigkeit, die sich im Schutz der Therapie entfalten konnte,
von der aus ich mehr eigene Standpunkte, Bedürfnisse, Grenzen greifen und formulieren konnte.
Das war wichtig, um zu entdecken, dass mir diese eigene Klarheit und Achtung (meinen Belangen
gegenüber) eigenen Halt geben konnte, ganz unabhängig davon, wie sich meine Mutter noch
verhalten würde.
Traurig war ich trotzdem oft, dass es war, wie es war. Ich war machtlos ihrer Sucht gegenüber und
konnte das mehr und mehr auch zulassen. - In der Folge wurde ich freier und freier, mich mehr
dem Guten in meinem eigenen Leben zuzuwenden: Unterstützenden, emotional erreichbaren Men-
schen, die sich selbst lieben und für sich selbst verantwortlich sein konnten. Oder Tätigkeiten, die
mir Vergnügen und Zufriedenheit schenken. - Das war ein Prozess, der nicht nur mir mehr Raum
für meine eigenen Bedürfnisse erschlossen hat, sondern auch meiner Mutter mehr Raum gab, ihre
eigenen Angelegenheiten ganz nach ihrem inneren Maß, ihrem Timing, und ihren Prioritäten anzu-
gehen.
Ich habe gehört und verstanden: So lange ein Angehöriger mit um die Sucht kreist, ständig helfen,
bewahren, schützen oder "glätten" will ... solange stört er/sie die Verbindung des Süchtigen zu sich
selbst, zu seinem Missempfinden, seiner Betroffenheit, seinem Willen oder Unwillen. Man beschleu-
nigt also gar nichts, wenn man mit-mischt, im Gegenteil. Beide Seiten müssen den Entzug machen
(wollen!): Der Angehörige vom Kümmern-um, der Süchtige vom Alkohol (und dem, was dran hängt).
Eine Sache noch zur Mutter, wie sie "mal war" ... Meine hat wie gesagt auch viel getrunken und war
irgendwie völlig neblig für mich, weit weg, in sich versunken, niedergeschlagen, trotz ihres Wesens,
das ich ja auch kannte. (Wohlwollend, großzügig, spontan, warmherzig)
Seither sind gute 8 Jahre ins Land gegangen, sie trinkt so lange schon nichts mehr. Wir haben uns
inzwischen ganz neu angenähert (auch weil mein Vater nicht mehr dabei ist), und ich staune über
dieses Geschenk. Teils wurde es möglich, weil ICH sie lassen konnte, wie sie war (auch mit Sucht),
indem ich Abstand nahm und mir das zu erlauben lernte. Und teils wurde es möglich, weil dadurch
SIE sich nicht mehr bevormundet, unterschwellig korrigiert ("es gibt SHGs, weißt Du?) oder bewertet
fühlte. - Jedenfalls ist es in begrenztem Umfang - falls die Sucht zum Stillstand gebracht wird -
möglich, eine neue Basis zu finden. Bei uns ist es zunehmende Ehrlichkeit über sich SELBST, die wir
in Gesprächen teilen können.
Vielleicht ist das das Geheimnis: Auf dem eigenen Weg der Heilung immer klarer für sich selbst und
die eigenen Gefühle zu werden. Von dort aus angstfreier und ehrlicher, die auch angemessen mitzuteilen.
Dann geht es immer weniger darum, ob das Gegenüber etwas tut oder nicht, sondern die eigene
Freiheit, so klar es geht auftzutreten, färbt das Miteinander positiv ein und öffnet auch dem Gegenüber
Raum, es gleich zu tun. Dann geschieht die Heilung der Beziehung ganz ohne "Plan" oder Anstrengung,
einfach aus dem Fluss, den man in sich selbst klar und sauber hält. (Ehrlichkeit, Selbstachtung, Würde.)
Ich wünsche Dir jedenfalls von Herzen, dass sich Eure Beziehung zu gegebener Zeit erneuern kann!
Was ich dazu sagen wollte, ist eigentlich nur: Es genügt, seine eigene Seite dafür zu pflegen und zu
stärken. Je klarer eine Seite ist, umso eher entwirren sich die ehemals ungut vermischten Zuständigkeiten,
so dass jeder immer mehr seiner Eigenverantwortung zurück bekommt und den Rest liegen lassen darf.
Alles Gute für Deinen Weg
und liebe Grüße
Wolfsfrau