Guten Morgen Isa,
ich möchte Dir dazu....
ZitatEin Teil von mir denkt sich, dass es einfach notwendig ist und ein anderer würde am am liebsten noch Monate warten, um zu sehen, ob ich es durchhalte.
...von meinen Erfahrungen berichten.
Ich war ja selbst jemand, der quasi fast seine komplette Trinkerzeit heimlich getrunken hat. Und das waren dann weit über 10 Jahre. Ich war damit so "erfolgreich", dass ich es selbst meiner Frau und Familie gegenüber verheimlichen konnte. Selbst als ich dann in den letzten Jahren locker einen halben Kasten Bier pro Tag getrunken habe, ist mir das noch gelungen. Ich weiß, dass ich ein Vollprofi im Lügen, im Vertuschen, im Täuschen und bei der Be- und Entsorgungslogistik war. Trotzdem ist mir heute ein Rätsel, wie meine Frau das nicht hat bemerken können. Allein die Ausdünstungen, die ich gehabt haben muss.... Nun hat sie zwar bemerkt, dass ich längst nicht mehr derjenige war, den sie mal geliebt hat und mich komplett verändert hatte. Jedoch wusste sie nicht, woran das lag. Das hat sie mir übrigens auch selbst gesagt und nachdem ich mich geoutet hatte, hat sie mir erst geglaubt, als ich ihr all meine Alkoholvorräte, die ich an den unglaublichsten Stellen im Haus, Auto und Garten versteckt hatte, gezeigt habe.
Vielleicht wollte sie es auch nicht wahr haben. Ich weiß nicht, wie das bei Deinem Mann ist.
Was ich aber eigentlich schreiben wollte:
Ich selbst wusste natürlich irgendwann, und zwar weit vor der Endphase meiner Sucht, dass ich da ein Problem habe. Also ähnlich wie Du das ja jetzt auch bemerkt hast. Und genau wie Du suchte ich nach Lösungen, nach einem Ausweg aus der ganzen Sache.
Und auch ich konnte mir niemals vorstellen, irgend jemanden zu sagen, dass ich ein Alkoholproblem habe. Das war für mich unvorstellbar. Also dachte ich, dass ich mich doch eigentlich in einer sehr praktischen Situation befinde. Denn ich trank ja heimlich, niemand wusste davon. Nur ich wusste, dass da etwas aus dem Ruder läuft, sonst hat das keiner bemerkt. Was liegt also näher, als einfach heimlich mit dem Trinken wieder aufzuhören? Das erschien mir als eine super Option, nahezu genial. WIN-WIN-Situation, ich gewinne meine Unabhängkeit vom Alkohol zurück und muss nicht "zugeben", dass ich Alkoholiker bin und meine Familie wird nicht damit belastet, dass sie einen Trinker als Mann / Papa hat. Klang für mich nach einem guten Plan, klang für mich nach dem einzig wahren und richtigen Plan.
Und so wollte ich das dann auch umsetzen. Wie oft ich das versucht habe, weiß ich gar nicht mehr. Es waren etliche Versuche über die Jahre gesehen. Die ersten Versuche, welche noch zu Zeiten eines relativ niedrigen Konsums meinerseits statt fanden, waren anfangs durchaus erfolgsversprechend. Mein allererster Versuch heimlich mit dem Trinken aufzuhören führte zu einer Trinkpause von fast einem Jahr. Eine verdammt lange Zeit. Ein simples Biermischgetränk mit, ich schätze mal vielleicht max. 2,5 % Alkoholgehalt, welches ich mehr oder weniger arglos trank, führte mich dann wieder zurück in meine Sucht. Ich trank es u. a. deshalb, weil es kein Problem für mich war, das zu trinken. Ich hatte ja niemanden "versprochen" keinen Alkohol mehr zu trinken und mein neuer Nachbar bot es mir über den Gartenzaun hinweg an. Ich nahm es und trank es und es dauerte nur wenige Wochen und ich war nicht nur dort wieder angekommen wo ich vorher aufgehört hatte, sondern deutlich darüber.
Danach gab es weitere Versuche von mir, heimlich aufzuhören. Durchaus auch ernst gemeinte, immer dann, wenn ich irgendwie Mist gebaut hatte und das dem Alkohol zuzuschreiben war. Ich hatte immer das Ziel, jetzt erst mal nichts mehr zu trinken und zu schauen wie das funktioniert. Oft mit dem festen Willen, es jetzt wirklich mal lange durchzuhalten. Eine so lange Pause wie beim ersten Mal habe ich nie mehr geschafft, es wurden oft 2 oder auch mal 3 Wochen ohne Alkohol daraus. Irgendwann suggerierte mir dann die Sucht, das ich doch mal wieder was trinken könnte. Ich kann doch gar kein so großes Problem haben, ich konnte doch aufhören und das auch noch soooooo lange. 2 Wochen waren gefühlt für mich ein ewig langer Zeitraum. Und ich hatte ja "bewiesen", dass ich ohne kann und das könnte ich ja notfalls auch wiederholen, wenn es sein müsste.
Und auch hier immer der Gedanke: Niemand weiß, dass ich ein Problem mit Alkohol habe (und vielleicht habe ich ja keines weil ich ja gerade eine Pause gemacht habe) und ich trinke ja heimlich. Da kann ich dann ja auch niemanden enttäuschen, ich breche kein Versprechen, ach was soll's, eines geht auf jeden Fall.....
Irgendwann waren die Intervalle zwischen den Pausen immer länger und die Pausen wurden immer kürzer. Aus den Wochen wurden Tage und die letzen Jahre meiner Sucht waren pausenfrei. Es war mir nicht mehr möglich zu verzichten, nicht mal für einen lächerlichen Tag. Und ich wollte es auch nicht mehr, ich sah darin gar keinen Sinn mehr. Ich hatte resigniert, der Alkohol hatte endgültig gewonnen.
Aus meiner Erfahrung heraus, ist es nicht möglich, heimlich mit dem Trinken aufzuhören. Jedenfalls war es das bei mir nicht und ich kenne, ehrlich gesagt, niemanden persönlich, bei dem das so funktioniert hätte. Mittlerweile habe oder hatte ich Kontakt mit vielen alkoholkranken Menschen und kenne deren Geschichte. Die, die es wirklich geschafft haben, haben alle "Nägel mit Köpfen" gemacht. Und fast alle sind aber vorher genauso rumgeeiert wie ich das bin. Zwar waren die wenigeren davon genau wie ich komplette heimlich Trinker, aber jeder eierte auf seine Weise herum und versuchte mit irgendwelchen faulen Kompromissen irgendwas aus seinem alten Leben zu retten. Die Angst vor der Veränderung war oft zu groß, die Angst vor dem was da wohl kommen würde, wenn man jetzt sagen würde, dass man alkoholkrank ist und jetzt ganz offen gegen sein Krankheit kämpfen möchte, war zu groß.
Nun will ich damit nicht sagen, dass man jedem erzählen muss, dass man Alkoholiker ist und das ändern möchte. Im Gegenteil, das kann sogar kontraproduktiv sein. Ich denke z. B., dass man es sich wohl überlegen sollte, ob man es z. B. in der Arbeit sagt. Wenn die Arbeit Teil des Problem ist, dann ist das sicher sinnvoll, vielleicht sogar unumgänglich (oder aber ein Wechsel des Arbeitsplatzen ist notwenig). Wenn die Arbeit aber nicht das Problem ist, man dort nicht gefährtet ist zu trinken oder dazu animiert zu werden, dann kann es auch falsch sein, sich dort zu outen bzw. dann ist das nicht zwingend notwenig.
Was aber m. E. unbeding notwendig ist, ist, dass es das nähere, das einem persönlich nahestehende Umfeld, weiß. Dazu gehört für mich natürlich an allererster Stelle der Partner oder die Partnerin. Da geht es ja auch um Vertrauen. Ich outete mich erst meiner Frau gegenüber, dann meinen Kindern. Dann meinen Geschwistern und am Ende dann auch meinen Eltern gegenüber. Zwischen allen meinen "Outings" lagen weniger als 4 Wochen. Anschließend haben es dann auch noch meine ganz wenig verbliebenen engeren Freunde erfahren. Einer dieser Freunde war mir ein sehr hilfreicher Begleiter heraus aus der Sucht.
Eines will ich Dir noch sagen: Mein Ausstieg aus der Sucht war völlig ungeplant. Nicht wie bei Dir, wo Du Dir ja z. B. hier im Forum schon viele Gedanken machst und viel Input holst und jetzt dann auch noch mit der Suchtberatung sprichst. Nein, ich wollte gar nicht mehr aufhören, ich sah keinen Sinn mehr darin das überhaupt noch zu versuchen.
Es war einfach eine spontane Eingebung, ein "Klick"-Erlebnis. Meine Frau konfrontierte mich mit einer schlimmen Geschichte meinerseits, welche natürlich auch wieder auf Alkohol zurück zu führen war. Ich hätte, wie schon 100 mal vorher, auch hier wieder durch geschicktes Lügen aus der Nummer heraus kommen können. Das wäre mir mit Sicherheit gelungen, im Lügen war ich unschlagbar gut. Aber ich wusste plötzlich: Nein, jetzt ist Schluss, ich will nicht mehr so weiter machen. Und ich wusste in diesen Bruchteilen von Sekunden auch, was das bedeutete. Es bedeutete, dass mein Leben, wie es bisher war, vorbei sein würde. Es bedeutete aber auch, was ich als noch viel schlimmer empfand weil mein eigenes Leben war ja eh schon komplett kaputt, dass ich das Leben meiner Familie pulverisieren würde. Ihr die gedachte Zukunft rauben würde. Ich wusste, dass jetzt alles anders werden würde. Denn ich hatte ja nicht "nur" getrunken, ich hatte mir ein Doppelleben aufgebaut vom allerfeinsten. Ich hatte Dinge getan, von der niemand etwas wusste, schlimme Dinge und ich wusste auch, dass ich das jetzt alles auf den Tisch bringen muss und bringen werde.
Ich hatte so viele Vertrauenbrüche begangen, von denen niemand etwas wusste. Meine Frau lebte in einer Welt, die es längst nicht mehr gab, die ich nur künstlich aufrecht erhalten hatte. Und meine Kinder auch. Das alles war mir innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde klar, vielleicht war es auch eine ganze Sekunde, jedenfalls hatte ich mir keine Zeit genommen, da weiter drüber nachzudenken. Mir war klar was passiert wenn ich jetzt sage: Ich muss Dir was sagen, ich bin Alkoholiker und dann gibt's da noch einiges mehr, das ich Dir jetzt erzählen werde.........
Und so kam es dann auch. Aber das ist meine Geschichte, nicht Deine. Was ich Dir sagen will: Nur durch diese Ehrlichkeit und dieses Outing war es mir möglich, diese Sucht zu überwinden. Ehrlichkeit ist das A und O. Ehrlich gegenüber den Menschen die einem nahe stehen und auch Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Anderfalls kommt die Sucht durch die Hintertüre zurück. Sie ist so mächtig, das solltest Du nie unterschätzen
Wenn ich Dich so lese, dann denke ich mir (ohne es zu wissen): Du hast gute Chance es zu schaffen und zu einem wirklich zufriedenen Leben ohne Alkohol zu finden. Ich nehme einfach mal an, dass Du nicht so viel gelogen und betrogen hast, wie ich das getan habe. Bei mir war klar, dass eine Fortführung meiner Ehe nicht möglich sein wird und ich wusste auch, das ich das nicht können werde, selbst wenn meine Frau dazu bereit gewesen wäre. Ich wusste oder ahnte zumindest, dass ich mich trennen würde und dass ich nur dann eine Chance habe, wenn ich wirklich neu anfange. Ich meine damit einerseit die Chance auf ein Leben ohne Alkohol aber, was mir noch viel wichtiger erschien, auf ein zufriedenes oder vielleicht sogar glückliches Leben ohne Alkohol (mit Alk ist das für einen Alkoholiker unmöglich).
Aber bei Dir? Ist da nicht ein Mann, der vielleicht erst mal irritiert, naja vielleicht sogar geschockt, ist und der dann aber zu Dir steht? Mit dem Du dann gemeinsam durch die ersten Wochen und Monate ohne Alkohol gehen kannst? Der Dich begleitet und der selbst schnell merken wird, wie toll das ist eine Frau zu haben, die nicht mehr trinkt? Meinst Du nicht, dass das bei Dir so sein könnte. Hast Du so viel zu "beichten", dass Du Deine Ehe, Deine Beziehung, Dein weiteres Familienleben in Gefahr siehst, wenn Du ihm sagst, dass Du ja leider offenbar in eine Krankheit geschlittert bist, welche heute eine Volkskrankheit ist und dass Du nun aber da wieder heraus kommen möchtest? Gemeinsam mit ihm bzw. mit seiner Unterstützung und der Unterstützung Deiner Familie. Meinst Du Dein Mann würde Dich da dann im Regen stehen lassen? Wenn ich diesen Schritt zum richtigen Zeitpunkt gemacht hätte, also zu einem Zeitpunkt, wo mich die Sucht noch nicht so stark gefangen gehalten hatte und ich noch kein ausgeprägetes Doppelleben und Lügengespinst aufgebaut hatte, ich bin mir sicher meine Frau hätte alles dafür getan, dass wir eine gute Zukunft miteinander haben. Irgendwann war's vorbei, lass es bei Dir nicht so weit kommen.
Vielleicht helfen Dir meine Gedanken und meine Geschichte für Dein weiteres Vorgehen. Probiers nicht heimlich, mach "Nägel mit Köpfen", Du wirst Dir später ewig dankbar dafür sein.
LG
Gerchla