• Oft, fast überall lese ich, Alkoholismus sei eine Kankheit, eine chronische. Chronisch: bedeutet langanhaltend, nicht vollständig heilbar und oft sei eine wiederholte Behandlung nötig .

    Nun meine Frage: ist das so? Immer? Ist diese "Krankheit" organisch bedingt, also hat sie eine reale Ursache, wie einen Virus, Bakterium oder eine unerklärliche Zellwucherung (weil die DNA an dieser Stelle mutierte)?

    Oder nähre ich diese Sucht, weil ich es mir immer wieder einrede, sie durch meine Gedanken am Leben erhalte?

    Jeder oder sehr viele, hatten es am Anfang der Abstinenz recht schwer (auch ich!), alles triggerte, alles erinnerte, es war fast unmöglich sich vom Gedanken an Alkohol zu lösen ... der Suff in den Alkoholregalen im Supermarkt, trinkende Menschen auf Feiern oder schlimmstenfalls täglich zu Haus, selbst im Fernsehen, Werbung u.v.a.m. = alles erinnerte mich an die vermeindlich schöne, gute alte Zeit der Unbeschwertheit, der Freude, der Entspannung = das befeuerte den Verzichtsgedanken, auch dass ich nun ausgeschlossen sei, aus diesem "Fest der Freude und Entspannung".

    Ist das nicht die eigentliche, chronische Erkrankung, dass wir diese Gedanken ständig am Leben erhalten?

    Wohlwissend, das Alkokolkonsum genau das Gegenteil von Entspannung bewirkt, dass es einen enormen Arbeitsaufwand für den Körper, für alle Zellen bedeutet (sogar Mega-Stress), dieses Gift Ethanol abzubauen. Dass der Körper auf Hochleistung arbeiten muss, um diesen Stoff umzuwandeln, erst in einen viel giftigeren Stoff (Acetaldehyd, weches dann zu Acetat werden kann, um überhaupt den Körper verlassen zu können, bevor das theoretisch nicht abgebaute Ethanol die Zellen völlig konserviert, also tötet).

    Nur weil der Körper so clever ist bzw. das Ethanol uns und sämtliche Rezeptoren, so nach und nach betäubt, wir es also gar nicht bemerken, was da in einem vorgeht, glauben wir ...

    Am nächsten Tag (Kater), die Rezeptoren (Sinneszellen) sind halbwegs wieder aktiv, werden wir durch Unwohlsein eines besseren belehrt und schwören uns - oft - nie wieder!

    Andere psychotrope Substanzen bewirken ähnliches, doch die nehmen wir ja nicht - komisch! Da wissen wir, die sind schädlich.

    Nur bei Alkohol scheint dieses Wissen irgendwie nicht zu funktionieren - denn alle (fast alle) machen das und haben Freude daran, behaupten es zumindest.

    Was ist also die eigentliche (!) Krankeit? Unsere Unwissenheit, Dummheit, Schwäche, unseren Körper nicht vor Schaden bewahren zu wollen? Ihn vorsätzlich (!) zu vergiften?

    Nach zwei ... drei Wochen Abstinenz, ist der Alkohol gänzlich aus dem Körper raus = Ursache, für eventuelles Unwohlsein beseitigt! Doch in unseren Gedanken ... was passiert da?

  • Klar ist Alkoholismus eine chronische Krankheit und in gewissem Sinne auch nicht wirklich heilbar. Chronisch bedeutet doch, dass "wir" niemals mehr in der Lage sind ein normales Trinkverhalten in unser Leben zu integrieren - egal wie lange wir abstinent sind. Für mich ist diese Erkenntnis der wichtigste Schritt zur akuten "Heilung". Heilung im Sinne von Symptomfreiheit.

    Ich vergleiche das gerne mal mit meiner Autoimmunkrankheit. Diese ist auch nicht heilbar und führt unbehandelt zu schweren Symptomen und am Ende auch zum Tod. Durch die tägliche Einnahme meiner Medikamente kommt die Krankheit zum Stillstand. Bis die letzten Symptome (nach Beginn der medikamentösen Therapie) abklingen dauert es auch Monate. Ich habe durch meine Medikamente eine ähnlich gute Lebenserwartung wie ein gesunder Mensch bei guter Lebensqualität. Die Krankheit ist immer da, ist unheilbar, kann aber behandelt werden. Diese Behandlung ist auch eine Form von akuter Heilung, wenn man den Begriff als Symptomfreiheit versteht.

    Das Weglassen von Alkohol führt ebenfalls dazu, dass Craving und Kontrollverlust abnehmen. Die Suchterkrankung kommt zum Stillstand. Lebensqualität und Lebenserwartung nähern sich einem gesunden Menschen wieder an. Es dauert halt einige Zeit bis die letzten Symptome völlig verschwunden sind.

    Bei der einen chronischen Krankheit muss man was weglassen, bei der anderen etwas ergänzen.

    Andere psychotrope Substanzen bewirken ähnliches, doch die nehmen wir ja nicht - komisch! Da wissen wir, die sind schädlich.

    Ich schon - ich habe ziemlich viel in meiner Jugend konsumiert, es dann aber auf Substanzen reduziert, die meine Alltagstauglichkeit nicht zu sehr beeinträchtigt haben. Ich musste ja meinen Lebensunterhalt bestreiten, was nicht gerade einfach ist, wenn man mit tellergroßen Pupillen am Schalter in der Bank steht.

    Was ist also die eigentliche (!) Krankeit? Unsere Unwissenheit, Dummheit, Schwäche, unseren Körper nicht vor Schaden bewahren zu wollen? Ihn vorsätzlich (!) zu vergiften?

    Das würde man wohl eher als Borderline-Störung bezeichnen. Spontan denke ich da eher an selbstverletzendes Verhalten, wie zB. ritzen.

    Der Alkoholiker benutzt den Rauschzustand, um sich in einen anderen Gefühlszustand zu bringen, nicht um sich aktiv körperlich zu schaden. Genauso wie andere substanzabhängigen Süchte. Spielsucht ist nur insoweit anders, als dass der Rausch durch körpereigene Botenstoffe ausgelöst wird. Oder Sexsucht oder Internetsucht.

    Meine Frage an Dich: bist Du mit Dir im Reinen, was Deine Trockenheit angeht? Haderst Du damit? Und wenn ja, in welchen Situationen? Und wie immer natürlich der Hinweis: Du musst das nicht beantworten.

    Beste Grüße Helga

  • Klar ist Alkoholismus eine chronische Krankheit und in gewissem Sinne auch nicht wirklich heilbar. Chronisch bedeutet doch, dass "wir" niemals mehr in der Lage sind ein normales Trinkverhalten ...

    Was ist denn bitte "normales Trinkverhalten"? Normales Vergiftungsverhalten?

    Eine Art Autoimmunerkrankung? Ich trainierte mir eine gewisse Alkoholtoleranz an, die scheint wohl irreversibel zu sein (Suchtgedächnis = unter einer bestimmten Promillegrenze - keine Wirkung).

    Warum sollte ich meinen Körper vergiften wollen? Weil es so viel Spaß macht?

    Wenn ich mich immer wieder infiziere, wird es chronisch.

    Wenn ich mich mit psychokativen Substanzen in einen anderen Gemütszustand bringen will, dabei aber völlig außer Acht lasse, dass ich meinem Körper schade - ist das dann Vorsatz oder nur fahrlässig?

    Borderline ... Genzline, wenn ich diese (rote) Linie immer wieder überschreite, gewöhne ich mich daran, es wird normal, die Linie verschwindet allmählich. Mache ich das nun bewusst oder unbewusst? Wenn ich etwas nicht weiss, dann wohl unbewusst = da schliddert man einfach so rein, das mag bestimmt bei Kindern oder bei "Menschen, die besondere Aufmerksamkeit bedürfen" gelten. Nun gehören aber nicht alle dieser Gruppe an (ich kann mich irren:rolleyes:).

    "Bin ich mit mir im Reinen?" Was psychotrope Substanzen angeht: ja. Viel zu lange verschloss ich die Augen vor der Realität, alles andere war so schön einfach, gefällig. Das angepasste Mitschwimmen in der Mehrheitsmeinung war so schön bequem, ich musste weder Grenzen ziehen, noch auf sie achten, auch unbequemen Fagen musste ich mich nicht stellen = alles leicht & flockig.

    Erst als bestimmte "Ausfallerscheinungen" auftraten, kippte dieses "leicht & flockig" ... gewaltig! Ich war süchtig, nach der Einfachheit bestimmte Gemütszustände auf unkomplizierte Art zu erlagen bzw. mich dieser mittels Betäubung zu entledigen.

    Nun habe ich diese Sucht nicht mehr. Leicht & flockig war in Wirklichkeit nie etwas, außer mein benebeltes Gehirn.

    Klar, wenn ich wieder trinke, geht der "ganze Spaß" von Neuem los. Doch mit meinem Wissen/Bewusstsein ... warum sollte ich das tun?

    Das Wissen war eigentlich (!) schon immer da, "musste" nur immer wieder der Einfachheit, dem "leicht & flockig" weichen. Alles andere bedeutete ja Arbeit, möglicherweise Konfrontation, Auseinandersetzen. Irgendwann *otzte ich mich selber an und ich entschloss mich.

    Nein, es ist keine Willenstärke, es ist eine Krankheit ...:*

    Einmal editiert, zuletzt von Paul (26. September 2024 um 14:47)

  • Normales Trinkverhalten hat beispielsweise mein Ehemann. Der trinkt vielleicht 4x im Jahr was. Gerne beim Osterfeuer von einem Freund, wo sie bis morgens um 05:00 feiern, fröhlich sind und sich Geschichten von früher erzählen. Dabei haut er sich bestimmt zwei, drei Gin-Tonic rein, vielleicht auch 4 und/oder noch ein Bier. Dann bei der Grillparty im Sommer bei Freunden. Dieses Jahr hat er genau ein halbes Bier getrunken. Jetzt fährt er in den Urlaub mit seinen Jungs und sie trinken möglicherweise am Strand Bier oder Sangria oder was auch immer - vielleicht aber auch nicht. Vielleicht trinkt er im Weihnachtsurlaub mit mir auch was (er trinkt, nicht ich). Na und? Sein Konsum ist weit weg von einem problematischen Verhalten.

    Und selbstverständlich ist jeder Schluck Gift für den Körper. Aber jeder Mensch hat zum einen das Recht sich zu schaden - das ist in unserem Land erlaubt, solange man sich nicht umbringt oder anderen schadet. Und zum anderen ist Alkohol auch ein Glücks- und Spaßverstärker. Ich finde das kann man auch als Alki akzeptieren ohne gleich einen Rückfall zu befürchten. Ich selbst habe sehr viel Spaß mit Alkohol auf Parties gehabt. In vielen Kulturen sind Rauschgifte Teil der Kultur. Egal ob Cannabis, Kratom, Pilze, Ayahuasca, als Möglichkeit vom Alltag zu dissoziieren.

    Ich würde mich hüten einem erwachsenen Menschen eine Binse zu erklären. Das klingt verbittert, neidisch und macht unsympathisch. Nur weil ich unfähig bin mit Rauschsubstanzen umzugehen, muss ich das nicht dem Rest der Welt verbieten.

    my two cents

    Beste Grüße Helga

  • Ich würde mich hüten einem erwachsenen Menschen eine Binse zu erklären. ...

    Nur weil ich unfähig bin mit Rauschsubstanzen umzugehen, muss ich das nicht dem Rest der Welt verbieten.

    Nur scheinbar sind diese Binsen(weisheiten) verloren gegangen. Mit Verboten erreicht man eher das Gegenteil, das hat bestimmt schon der Eine oder Andere bemerkt.

    Viele Menschen können mit Alkohol verantwortungsvoll umgehen - keine Frage, doch ein Siebentlel bis ein Fünftel der deutschen Bevölkerung schafft das eben nicht.

    Woran liegt das? Die sind doch nicht alle doof.

    Argumente wie Glücks- und Spassverstärker, Teil der Kultur u.ä. mögen zwar stimmen, doch muss man sich deshalb gleich an den Ruin herantrinken? So wie ich das tat und viele vor mir? Was lief da verkehrt? Mangelnder Spaß/Glück, Unzufriedenheit Einsamkeit, die man immer wieder zu betäuben versucht? Was Anfangs auch gelingt, bis es dann eben nicht mehr gelingt und das (eigene) Leid den "Spaß" überwiegt?

    Der Grund warum man trinkt ist doch die eigentliche "Krankheit", das Defizit.

  • Argumente wie Glücks- und Spassverstärker, Teil der Kultur u.ä. mögen zwar stimmen, doch muss man sich deshalb gleich an den Ruin herantrinken? (...)


    Der Grund warum man trinkt ist doch die eigentliche "Krankheit", das Defizit.

    "Man" trinkt sich eben nicht an den Ruin. Du hast Dich an den Ruin herangetrunken und andere auch. Viele aber nicht. Viele Menschen können Alkohol in ihr Leben integrieren ohne damit ein Problem zu haben.

    Der Grund warum man trinkt ist nicht zwangsläufig eine Krankheit - Menschen wie mein Mann trinken, weil sie Spaß daran haben und einfach mal aus dem Alltag ausbrechen. Das ist keine Krankheit. Du hast Alkohol missbräuchlich verwendet. Ich auch.

    Was interessiert Dich was andere machen? Für die eigene Zufriedenheit ist wichtig, dass man für sich Klarheit hat und andere Menschen so lässt wie sie sind. Egal, ob Sie sich "an den Ruin" trinken oder ganz normal damit umgehen oder was auch immer. Finde für Dich heraus warum Du gesoffen hast und löse das für Dich.

    Bist Du aktuell zufrieden mit Deinem Leben? Hast Du Sozialkontakte, die Du regelmäßig trifft? Trinken die? Wenn ja, wie?


    Nachtrag:

    Viele Menschen können mit Alkohol verantwortungsvoll umgehen - keine Frage, doch ein Siebentlel bis ein Fünftel der deutschen Bevölkerung schafft das eben nicht.

    Woran liegt das? Die sind doch nicht alle doof.

    Menschen, die Drogen, egal ob Alk oder anderes, missbräuchlich verwenden haben in der Regel keine anderen Strategien erlernt mit Problemen oder seelischen Konflikten umzugehen. Das zu erkennen und Strategien zu entwickeln ist der erste Schritt zur zufriedenen Trockenheit.

    Beste Grüße Helga

  • Ich habe über mehrere Jahrzehnte etwas das ich mal XY nennen möchte, versteckt, nicht wahrnehmen wollte und auch nicht konnte. Gefühlte tausendmal habe ich versucht XY zu entkommen und bin ein ums andere mal gescheitert. Ich kam einfach nicht an die Essenz von XY ran und überspielte mit immer mehr Alkohol mein Leid. Zu realisieren nicht so zu sein wie die ganzen Andern hätte wohl sehr wehgetan.
    Nach meinem kleinen Erwachen, das mich in die Nüchternheit führte gab ich XY, dem Verborgenen, auch öfter mal den Namen Krankheit. Den mit solchen Begriffen konnte ich arbeiten, brauchte nichts mehr zu verniedlichen oder unter den Tisch zu kehren. Dieses XY ist heute eine sehr grosse Stärke in meinem Leben.
    Dem wäre wohl nicht so hätte es nicht den 18. Juni 1968 gegeben. Und für diese Entscheidung des Bundessozialgerichts bin ich sehr dankbar.

    18. Juni 1968 - Bundessozialgericht erkennt Alkoholismus als Krankheit an
    Alkoholsucht ist keine Charakterschwäche, fehlender Wille oder eine Laune. Sie ist
    "eine Krankheit" stellt das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 18. Juni 1968 fest.
    Seitdem bezahlen Krankenkasse oder Rentenversicherungsträger die Therapie. Denn
    wer krank ist, verdient Hilfe.
    wdr.de

  • Was interessiert Dich was andere machen? Für die eigene Zufriedenheit ist wichtig, dass man für sich Klarheit ...

    Diese Vernunft, Zufriedenheit, Klarheit fehlte mir, diese suchte oder betäubte ich mittels Alkohol. Das gewöhnte ich mir an, Alkohol wurde zum Allheilmittel, gegen Kopfschmerz, Einschlafprobleme, unganenehme Gefühle. Anstatt mich damit auseinanderzusetzten, soff ich einfach alles weg.

    Nenne es meinetwegen Mimosenhaftigkeit, Schwäche oder unfähig sich mit Konflikten auseinandersetzen zu wollen/können. Vielleicht suchte ich auch zu verbissen nach dem Glück/Zufriedenheit - Alkohol ließ mich all das vergessen, ich war ein Wirklichkeitsverdränger, ein Problemwegschieber.

    Gegen Niedergeschlagenheit, Unsicherheit half Alkohol, da wurde ich Anfangs sogar mutig (nicht so verklemmt), das machte Spaß und ließ mich sicher auch Dinge erleben, welche ohne Alk. nie möglich gewesen wären. Alkohol war der beste Realitätsverdränger und Illusionsaufbauer, das beste Mittel, um alle Garstigkeiten zu verteiben.

    Mit zunehmender Gewöhnung, ließ all das nach und Alkohol wurde nur noch zum Betäuber. Begann da meine "Krankheit" ... im Kopf, dass ich nur noch das sah, was ich wollte? Ich mir die Welt so zurecht bastelte, dass es für mich passte, einer Realitätsverschiebung, Psychose gleich. Heute kann ich das mit JA beantworten.

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