Vorstellung - Miaflorentine

  • Miaflorentine , ich möchte Dir, bevor ich später ausführlich antworte einen Satz da lassen. Weil Du in deinen Postings ja auch geschrieben hast, dass dir das Betrunken sein gefehlt hat:

    Eine Lebensweise, die von klarer Entschlossenheit, bewusster Präsenz, Selbstbewusstsein, persönlicher Entwicklung und den unzähligen Möglichkeiten neuer Abenteuer geprägt ist, übersteigt das bloße Aufhören des Trinkens bei Weitem.

  • Hallo Mia,

    Wie genau ist dir immer mehr bewusst geworden, dass du auch ohne Alkohol ein erfülltes Leben haben kannst?
    In meiner letzten „längeren“ Nüchternphase von etwa zwei Monaten, da gab es zwar anfangs eine Art Euphorie über das Gelingen, aber recht schnell hat sich doch das Gefühl eingeschlichen, wie sehr mir betrunken sein fehlt.
    Und nebenbei, manchmal, egal ob betrunken oder nüchtern (aber besonders oft, wenn ich getrunken habe), denke ich: wenn der Preis fürs trinken ein kürzeres leben ist, zahle ich ihn eben. Das ist es wert.

    ich muss mal etwas weiter ausholen.

    Ich hatte in meiner späten Jugend den Alkohol für mich als regelrechtes Wunderelexier endeckt, mit ihm konnte ich aus mir rausgehen und ich habe damit alle meine Ängste betäubt, war quasi die bessere Version von mir selber (zumindest habe ich das damals so gesehen). Das war eine lange Zeit recht gut gegangen, aber ich bin immer mehr in einen Kamikazemodus abgedriftet, in dieser Zeit war mir auch meine Gesundheit/ kürzeres Leben recht egal, ich habe da eigentlich alles genommen/ eingeworfen, was ich bekommen konnte, das war es mir auch "wert".

    Die einzige Motivitation war damals, dass ich in meinen nüchternen Phasen gemerkt hatte, wie es es sich anfühlt clean zu leben, frei von den ganzen Suchtmitteln zu sein. Das war vielleicht das, was du mit Euphorie meinst, aber für mich war das eher ein Anzeigen des Körpers/ eine Motivation, so und so könnte es dir gehen, wenn du clean lebst. Ich hatte sozusagen ein "Ziel". Und ich habe auch gemerkt, wenn ich nichts trinke/ clean bin, kommt mein Leben wieder in den "Flow" und ich bekomme meine Probleme (für die ich ja eigentlich immer Alk&Co gebraucht habe) deutlich besser in den Griff.

    Ich habe sozusagen mein "Medikament" abgesetzt und mein Leben hat sich darauf sehr gut repariert. In meiner jahrelangen "Trinkpause" habe ich meine jetzige Frau kennengelernt, wir haben geheiratet, 2 Kinder, Job und Haus, sozusagen richtig gutbürgerlich und alles chic. Irgendwie habe ich aber in diesen Jahren aber dem Alk sehr hinterher getrauert und vermisst, es war als hätte ein Teil von mir gefehlt. Man kann das beinahe mit einer verflossenen Beziehung vergleichen, die man nicht richtig abgehakt hat und von Zeit zu Zeit nachtrauert. Ich hatte große Angst wieder zu trinken, aber auf der anderen Seite den Alkohol sehr vermisst und in meiner Erinnerung verklärt.

    Und da ich diese Verklärung und Sehnsucht über die nüchternen Jahre mitgenommen habe und mein Leben (und ich) in den letzten Jahren wieder recht stabil war, hab ich mich mit dem zwar wohlgemeinten, aber unglückseligen Vorsatz des kontrolliertem Trinkens wieder in die Sucht katapultiert und habe die letzten Jahre ein Dasein als (beinahe gutbürgerlicher) und heimlicher Spiegeltrinker gefristet.

    Irgendwie habe ich aber damit wieder fast den ganzen Affenzirkus aus meiner Vergangenheit geweckt und mir ist Ende letzten Jahres vor mir selber Angst geworden. Und auch die ganzen alten Verdächtigen in Form von Ängsten, Scham und Schuld, mangelndem Selbstwertgefühl kamen wieder zurück. Ich habe eigentlich überhaupt keinen richtigen Glauben mehr, es jemals wieder zu schaffen. Ich hatte Anfang Januar wieder versucht aufzuhören, habe mich auch bis Mitte Mai dahingewurschtelt und hatte, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, da noch einmal für ein paar Tage dem Suchtdruck nachgegeben/ getrunken.

    Aber ich bin nun seit Mitte Mai clean und ohne Suchtdruck (bis auf ein paar kleine Konditionierungen, die aber eher mit der jahrelangen Gewöhnung zusammenhängen, immer weniger werden und leicht wegzuwischen sind) und lebe bis dato sehr zufrieden.

    Mir hat damals im Mai irgendwie die Augen aufgetan, man kann das vielleicht mit einer Beziehung vergleichen, der man jahrelang hinterhergetrauert hat und in einem im Moment der Klarheit bewußt geworden ist, dass man nur verarscht wurde. Und dass das "Objekt der Begierde" überhaupt nicht so toll ist, wie man es immer verklärt gesehen hat. Und mit diesem Bewußtsein fiel alles viel einfacher. Es war auch damals so, als wäre ein Teil von mir, welcher "nie genug bekommen" konnte, nicht mehr da war. Kann er wiederkommen? Ich hoffe nicht. Und genau daran arbeite ich auch an mir.

    Das klingt jetzt vielleicht alles etwas kryptisch und ich weiß nicht ob dir das groß weiterhilft, aber anders kann ich das im Moment auch nicht erklären.


    Ja, das Vertrauen in sich sinkt und die Scham steigt.

    Also für mich bedeutet nüchtern sein im Augenblick: ich muss unerträgliche Gefühle aushalten und noch dazu die Hilflosigkeit, weil ich meine „Lieblingsstrategie“ nicht mehr nutzen kann. Noch dazu diese schrecklichen Eingeständnisse über sich selbst… ich bin süchtig. ich bin jetzt in der Liga „entzügig“.
    Irgendwie erschüttert mich das.

    Aber ich versuche mir die Erinnerung vor Augen zu rufen, dass es leichter wird, wenn man erstmal ein paar Tage nüchtern ist. Also zumindest in Bezug auf das gewohnte Ritual zu einer bestimmten Zeit. Was sicher noch Jahre bleibt ist ja dann die Gefahr, wenn Auslöser kommen…

    Ich kann dich da gut verstehen, weil es mir so oft ähnlich so ging.

    Man fällt erstmal in ein Loch bzw. fühlt sich noch leerer bzw. hat überhaupt nichts mehr, wenn man sein einziges Lebens-Elixier aufgegeben hat.

    Ich denke, es ist sehr wichtig, diese unerträglichen Gefühle nicht nur als "aushalten" zu sehen, weil sonst ein Verlustdenken entsteht, wo es nur eine Frage der Zeit ist, bis man es nicht mehr aushält und wieder eingeknickt. Mir hat das damals irgendwie gut geholfen, wenn ich mir gesagt habe, "ok geht mir im Moment gerade nicht so toll, aber es wird besser und wenigstens brauchst du jetzt nicht auch noch zu trinken, damit ist's ja auch noch nie besser geworden". Klingt irgendwie auch nach aushalten ;)

    Aber für mich war das in dem Moment ein eher ein "Annehmen" der Situation. Aber natürlich auch mit der Hoffnung, nicht ein Leben lang weiter zu leiden. Sozusagen, dass es mir auch wieder besser gehen wird und nie wieder an diesen Punkt zurückommen will, der in dem Moment eben noch sehr unschön war.

    Klar die Gefühle sind ja nun mal anfänglich da, aber ich habe versucht, das Loch mit Dingen zu füllen, die mir wirklich gut tun. Klar am Anfang wirkt alles nur fade und braucht Training. Auch habe ich versucht, jede kleine Begebenheit/ Situation, die ich ohne Alkohol gemeistert habe, als großen Erfolg anzusehen.

    Unterm Strich geht es meiner Meinung darum, den Alkoholverzicht nicht als "Verlust" sondern als Erlösung/ Freiheit anzusehen.

    Ich finde, ein großer Teil dieses Verlustdenkens entstand auch durch eine Gehirnwäsche, die ich mir selber gemacht habe: "Ich kann ohne Alkohol nicht leben und brauche ihn für die und die Situation", aber auch von außen eingetrichtert bekommen habe/ eintrichtern lassen habe (gesellschaftliche Konventionen, Prägung/Umfeld).


    Noch dazu diese schrecklichen Eingeständnisse über sich selbst… ich bin süchtig. ich bin jetzt in der Liga „entzügig“.
    Irgendwie erschüttert mich das.

    Ich finde, das muss nicht erschüttern. Dieses Eingeständnis ist sogar ein riesen Schritt in die richtige Richtung. Ich habe Jahre vergeudet und mich selber belogen, weil ich mir das genau nicht eingestehen wollte.

    Und mal ehrlich, hast du dich irgendwann mal dafür entschieden, "süchtig" zu werden? Also ich habe es nicht. Und das soll jetzt auch nicht heißen, dass ich alle Veranwortung abgebe. Für mich geht es darum, JETZT das Beste aus meiner Lage zu machen und nicht zurückzuschauen, ändern kann ich die Vergangenheit eh nicht.


    Ich habe eine Therapeutin, mit der konnte ich immer offen über mein Trinkverhalten sprechen, auch wenn ich dort eigentlich wegen Angst und Panik bin.
    Ich denke es wäre gut sie zu bitten, meine Sucht in der nächsten Zeit in den Vordergrund zu stellen. Ich werde sie morgen fragen, da habe ich ohnehin einen Termin.
    Und ich habe heute einen Termin bei der Suchtberatung zum Vorgespräch vereinbart.

    Ich finde es gut, dass du die Sache straight angehst und jemanden hast, der dich da auch professionell unterstützt.

    Ich hatte früher immer gedacht, wenn ich meine anderen Probleme auf die Reihe bekomme, trinke ich weniger/ kontrollierter. Aber wie ich das erlebe/ erlebt habe, war der Alkohol für einen Großteil meiner Probleme mitverantwortlich und hat jeden kleinen Teilerfolg letztendlich wieder wegespült. Und es gibt bestimmt auch oft Probleme die tiefer sitzen bzw. die eben betäubt werden wollen, aber wie ich finde, ist nüchtern die einzig richtige Basis, diese Probleme anzugehen und lösen zu können.

    VG Rent

    3 Mal editiert, zuletzt von rent (23. Oktober 2023 um 22:19)

  • Hi,

    es ist ja einfach total absurd das man total fremdgesteuert eine Handlung begeht, die man eigentlich gar nicht will. Und auf der anderen Seite aber doch will. Es ist ja einfach, jedenfalls war es bei mir so, egal wie gut oder schlecht es mir ging, der Rush in der Rübe. Hatte ich einen guten Tag, habe ich mich auf den Rush in der Rübe gefreut, weil er kurzfristig als Verstärker funktioniert hat. Hatte ich einen schlechten Tag, hat der Rush kurzfristig dafür gesorgt, dass ich einen guten Tag hatte, gefühlt. Wobei mich das Zeug am Ende hin einfach nur traurig gemacht hat, depressiv. Der Rush hielt nicht länger an und kippte schnell in die Traurigkeit. Das hatte auch einfach mit der Menge zu tun, die ich mir reinballerte, um auf Pegel zu kommen. Der Katzenjammer kam aber immer am nächsten Morgen. Und dann war es besonders schlimm.

    Ich hab mir immer eingeredet, so lange ich mir morgens oder mittags nichts aufmache, sondern erst am nachmittag, solang kann ich kein Alkoholproblem haben....es gab aber die Momente, gerade im Urlaub, wo ich sukzessive die Zeit nach vorne geschoben habe.

    Tja, wie hab ich den Absprung gefunden. Das steht alles in meinem Thread, Honk - Handbremse gezogen aber im Endeffekt denke ich, meine Vorbereitungen haben mir den Weg bereitet. Bevor ich den Stopp vollzogen habe, war ich mir mindestens 1 Jahr meiner Selbst und meiner Situation bewusst und hab mich ganz aktiv mit mir auseinandergesetzt. Und mir auch vorgestellt als auch "geträumt" was ich alles machen könnte, wenn nur dieser Scheiss Alkohol mir nicht im Wege steht. Und ich hab mir auch vor Augen gehalten, was passiert, wenn ich nicht aufhöre. Und mir die Frage gestellt, soll es das gewesen sein? Und ich hatte kein Bock auf die Antwort...ja das war es dann.

    Dann hatte ich einen sehr prägenden Tag, der rückblickend einfach nur fürchterlich gewesen ist. Mir ging es über den Tag körperlich, psychisch so sau dreckig und ich konnte aus der Situation nicht raus. Ich musste da durch. Quasi Folter. Und am nächsten Tag, nach dem Aufwachen sagte ich mir, das wars. Punkt. Schluss aus. Vorbei.

    Und das war es dann auch. Aber, ich habe nicht einfach aufgehört zu trinken, ich habe an vielen Stellen mein Leben umgestellt. Mentale Ausrichtung, Ernährung, Gewohnheiten, Sport, Gesundheit wurden und sind meine neuen Ziele.

    Das mag nicht für jeden funktionieren, sich auf einmal ganz viele neue Felder aufzumachen könnte auch schnell überfordern. Ich aber als Typ Mensch kann einfach nicht etwas weglassen oder nicht mehr tun, besonders nicht, wenn es eine langjährige, eingeschliffene Gewohnheit / Sucht ist. Ich brauche eine Übersteuerung, eine Überschreibung meiner Synapsen. Neuprogrammierung quasi. Und ich brauche etwas messbares und da sind Gesundheitsdaten was sehr dankbares und sichtbares. Blutdruck, Gewicht, Schlafdauer, Erholung, Wohlbefinden. Das ist schnell sichtbar und messbar, man bekommt schnell die Belohnung der Veränderung und die Abstinenz bekommt einen Sinn.

    Das ist mein Anker und der Anker ist gespickt mit einem Plan B. Was ist, wenn ich mich verletzte? Was ist, wenn ich für meine Aktivitäten keine Zeit habe?
    Wie ich oben aber schrieb, dieses Mindset ist vorbereitet gewesen. Bei mir war es eine Kur, die sich demnächst jährt, die ich aktiv zur Auseinandersetzung mit mir selber genutzt habe.

    Und bei Dir, wie man ließt, bist Du selber in der Auseinandersetzung mit Dir selber und hast sogar eine Therapeutin an der Hand. Ich denke, für meine Begriffe bist Du wunderbar aufgestellt. Ich denke, man muss sich nur einfach dem hingeben, einfach ehrlich zu sich selber sein. Und erkennen, die wohl größte Baustelle ist der Alkohol. Es gibt nichts, aber wirklich gar nichts, was der Alkohol für Dich tut, er macht einfach und stetig alles schlimmer. Stück für Stück. Punkt. Da gibt es kein schönreden.

    In Momenten, wo es mir nicht gut ging, ich Druck hatte, habe ich mich immer folgendes gefragt: "Was verändert sich an der Situation und am Morgen, wenn ich jetzt wieder was trinke"? Und die Antwort ist: "Nichts. Es wird nur noch schlimmer und du musst die ganze Scheisse wieder von vorne durchmachen!"

    Und das ist so. Genau so.

    Ich habe Dir gestern noch den Satz da gelassen:

    Eine Lebensweise, die von klarer Entschlossenheit, bewusster Präsenz, Selbstbewusstsein, persönlicher Entwicklung und den unzähligen Möglichkeiten neuer Abenteuer geprägt ist, übersteigt das bloße Aufhören des Trinkens bei Weitem.

    Der Alkohol weiß, dass das stimmt. Deswegen ruft er nach Dir, um Dich nicht loszulassen, damit Du diese Lebensweise nicht führst.

    Aber was er nicht weiß, es ist total geil. Nicht immer einfach, aber es ist und bleibt einfach geil.

    VG!

  • Eine Lebensweise, die von klarer Entschlossenheit, bewusster Präsenz, Selbstbewusstsein, persönlicher Entwicklung und den unzähligen Möglichkeiten neuer Abenteuer geprägt ist, übersteigt das bloße Aufhören des Trinkens bei Weitem.

    Dankeschön, ein so kraftvoller Satz! Ich habe ihn mir abgeschrieben weil ich merke, dass er mir Zugang ermöglicht. Zugang zu einer Wahrheit, die in letzter Zeit irgendwie zunehmend verschüttet und durch Suchtgedanken überlagert war. Ich weiß nämlich durchaus, dass der Alkohol mich von meinem Potenzial trennt. Ich habe einfach keinen Zugriff auf so vieles, das in mir ist.
    Einerseits betäubt mich das trinken, aber andererseits ist alles, was mich wirklich ausmacht wie verschüttet.

    Ich mag das kurz an einem Beispiel deutlich machen.
    In denen Jahren ohne Alkohol habe ich ein Buch geschrieben und fühlte mich in zwischenmenschlichen Situationen wie ein Instrument.
    Vor einem Jahr sollte ich ein Interview zu dem Buch und dem darin vermittelten Wissen geben.
    Leider trennten mich von dem, der ich war als ich das Buch schrieb mittlerweile nicht nur viele hundert Rauschzustände, sondern auch ein Kater vom Vorabend…
    Das Interview war ein Desaster. Ich konnte einfach nicht mehr hinfühlen und mich an vieles nicht mehr erinnern.

    Ich möchte wieder sein, wie ich eigentlich bin 🥺 danke für diese Inspiration!!

  • rent

    Wow, danke für all die Zeit, die du dir mit deiner Antwort genommen hast.

    Wie hätten wir uns damals auch nicht als bessere Versionen unser selbst erscheinen können… wenn auf einmal so viel mehr möglich scheint, ohne die Angst und zunächst ja noch gar nicht wahrnehmbar ist, welch hohen Preis das einmal kosten wird.

    Mir erschien und erscheint Alkohol manchmal auch heute noch wie eine Art Freund, der immer da ist.
    Ich bin deiner Schilderung „fühlend“ gefolgt, sie ergibt Sinn für mich und ich merke, wie sich da etwas in mir bewegt, während ich deinen Prozess lese.
    Beeindruckend, dein Weg!
    Gerade denke ich -nicht zum ersten Mal- wie tragisch und traurig es ist, dass besondere, faszinierende Menschen, die sich selbst und das Leben auf solch tiefgründige, bewegende Weise anschauen, die sooo viel Potenzial haben… was andererseits mit ihnen passiert, wenn sie regelmäßig und dauerhaft trinken.
    Hier im Forum, in Form von dir und anderen, wird das so sichtbar. Aber was in Menschen schlummert (und nach und nach verloren geht), die zum Beispiel am Hauptbahnhof sitzen und ganz unten angekommen sind, das frage ich mich oft.

    Danke für dein Verständnis und die Impulse bezüglich des Annehmens. Da bin ich ganz bei dir, eigentlich gilt das ja für alle Gefühle, insbesondere die unangenehmen!
    … es ist mir kurzweilig gelungen 🙈


    Mittlerweile hat mein Gefühl des erschüttert Seins ein wenig nachgelassen. Aber davor war es ein harter Ritt. Ich hab stundenlang geweint, weil ich dachte: wenn dir bewusst wird, dass du gerade in die körperliche Abhängigkeit rutschst und trotz des Entsetzens darüber weiter trinkst, ist die Sache klar, dann wirst du dich Tod trinken.
    Der Gedanke hat viel schlimmes in mir angerichtet und mich gelähmt.
    Jetzt kann ich ihn durch ein „weiß noch nicht genau, wie es mir gelingt, aber ich werde finden, was ich dafür brauche“ ersetzen.

    Dankbare und liebe Grüße

  • Hey Honk ,ja, total absurd ist das.
    Wie Bukowski es ausdrückte „Das ist das Problem am Trinken, dachte ich mir, während ich mir einen Drink einschüttete. Wenn etwas schlechtes passiert, trinkt man um zu vergessen; wenn etwas gutes passiert, trinkt man um zu feiern; und wenn gar nichts passiert, trinkt man, damit etwas passiert.“

    Man könnte sich fast ein bisschen darüber amüsieren, wie man aus allem ein Anlass zum trinken machen kann, wenn es nur nicht so ernst wäre.
    …Leider bin ich Raucher und wenn ich irgendwie mit der Angst vor Krankheiten (in Folge des Rauchens) in Berührung komme, gehe ich erstmal eine rauchen.

    Deinen Thread möchte ich heute Abend unbedingt lesen. Im Moment kämpfe ich noch mit meinen Alltagsaufgaben und darum, wieder in mein ‚vor dem tagelangen trinken - Pensum‘ zurück zu finden, mir gehts körperlich echt nicht besonders gut.

    Ich bewundere deine Ansätze und wie du an deiner Einstellung, Denkweise gearbeitet hast.
    Ich fürchte mich schon davor, meine Blutwerte überhaupt nehmen zu lassen, obwohl ich gut nachvollziehen kann, wie schön es sich anfühlt, wenn sich da sichtbar was bessert.

    Viele liebe Grüße und einen schönen Tag 💚

  • @


    Mittlerweile hat mein Gefühl des erschüttert Seins ein wenig nachgelassen. Aber davor war es ein harter Ritt. Ich hab stundenlang geweint, weil ich dachte: wenn dir bewusst wird, dass du gerade in die körperliche Abhängigkeit rutschst und trotz des Entsetzens darüber weiter trinkst, ist die Sache klar, dann wirst du dich Tod trinken.


    Wir müssen bei eines mal ganz klar sein: Du bist schon längst tief in der Abhängigkeit drinnen. Ob sich das nun körperlich durch bsp. zittern bemerkbar macht oder nicht, spielt keine Rolle. Du hast keine Kontrolle mehr, du hast längst die Kontrolle verloren und der Weg, den du selber beschreibst ist, wenn Du nicht aufhörst, vorgezeichnet.

    Das musst Du Dir ganz klar machen, du hast die roten Linie längst überschritten. Übrigens geht das überschreiten der Linie schneller als man denkt, man bekommt es nur nicht bewusst mit.

    Aber egal, Du steckst mitten drin, da musst Du Dir ganz klar sein. Und ob Du Dich schämst, darüber traurig bist, wütend bist, egal, es ändert aber einfach die Situation nicht. Du hast ein massives, nicht aufzuhaltendes Alkoholproblem, wenn Du nicht aufhörst zu trinken.

    Aber eigentlich, sonst wärst Du ja nicht hier, weißt Du das ja selber und das ist total stark. Und deswegen gibt es auch keinen Grund sich zu schämen sondern die Aufgabe da jetzt rauszukommen.

    Du hast ja oben geschrieben, Du hast ein Buch geschrieben und ich finde das mega. Was für eine Möglichkeit, sich selber mit sich auseinanderzusetzen. Eigentlich hast Du jetzt Stoff für ein Buch mit einem Weg, den Du selber gehst. Und vor allem, Du kannst selber dafür sorgen, dass das Buch ein glückliches Ende hat.

    Übrigens das mit dem Ende der Kreativität kann ich absolut nachvollziehen. Ich fotografiere / videographiere eigentlich schon seit Jahren und dieser verschissene Alkohol hat mir sowas von dermaßen die Kreativtät geraubt, unfassbar. Ich hab mir selber, am Zeitpunkt der Abstinenz, eine Pause verordnet um mit mir klar zu kommen. Und jetzt langsam kommen die kreativen Gedanken wieder, ich habe schon wieder ein Setting im Kopf, die ersten Leute dazu angeschrieben und wohl nächste Woche hab ich endlich wieder ein Shooting. Wie ich mich darauf freue :)

  • Honk so ist es!
    Ich bin wohl gesegnet, dass solche wahren Worte an mich gerichtet werden.

    Wow, ist es tatsächlich so, dass sich die Kreativität erst jetzt wieder einstellt? Großartig, ich freue mich mit dir- ist ja einfach die Essenz dieser Tätigkeiten.
    Welche tollen Bilder wohl jetzt noch durch dich zum Leben erweckt werden, die es ohne deine Entscheidung für die Abstinenz so nicht geben würde.
    Ein ebenso schöner Gedanke, wie, das gute Ende meines nächsten Buches selbst zu schreiben 😊

    Du fotografierst also Menschen?

    Ich habe nochmal nach der Kreativität gefragt, weil ich kürzlich überrascht festgestellt habe, dass sich dieser seltsame „Alkoholnebel“ viel langsamer auflöst, als ich dachte.
    Ich schätze es hat gute zwei Wochen gebraucht, bis ich in Gesprächen nicht mehr nach Formulierungen oder Worten suchen musste. Nicht so, dass ich herum gestottert hätte. Aber ich war rhetorisch einfach lange nicht wie gewohnt unterwegs.
    Und wenn mir jemand was über sich erzählt, da habe ich einfach viel weniger innere Impulse darüber, was ich ins Gespräch einbringen möchte.
    Mit Kater ist es, na klar, am schlimmsten.
    Aber mir scheint, der wirklich klare Kopf braucht wirklich lange Zeit!
    Allein bis ich mal so eine mickrige Antwort wie diese formuliert habe 🙈

  • Ich hatte die Wirkung, dass mich der Alkohol depressiv gemacht hat. Mir ging es mental einfach richtig beschissen. Also richtig grau und beschissen. Ich hab zwar in manchen Momenten, mit dem passenden Pegel in der Birne gut performt, auch tolle Reden geschrieben und vor mehreren hundert Leuten gehalten, aber der Jammer kam danach, wenn das Adrenalin aufhörte und der Pegel in der Birne natürlich wieder zu viel wurde. Ich habe in solchen "Rush" Momenten auch gute Ideen für Shoots gehabt, aber dann kam das böse Erwachen, wie soll ich das bitte organisieren? Und zudem, die Bildbearbeitung hinterher hat mir überhaupt keinen Spaß mehr gemacht und ich konnte auch nicht mehr erkennen, war es gut was ich da fotografiert habe oder nicht?
    Ich habe einfach meinen Blick verloren im wahrsten Sinne des Wortes als auch den Fokus darauf, was machen wollte. Es war alles die gleiche Standardsülze. Und die teilweise auch berechtigte Kritik konnte ich nicht annehmen, ich war dünnhäutig wie nix, auch wenn ich wußte, ich habe Mist abgeliefert.
    Und das hat mich auch schwer belastet und unglücklich gemacht. Ich strebte nach Anerkennung, bin aber durch mich selber voll auf der Schnauze gelandet. Und das ist ganz vielen Bereichen.

    Optisch mochte ich mich auch nicht mehr im Spiegel ansehen und meine Vitalwerte waren, na ja, auf jeden Fall deutlich optimierungswürdig. Und dann steht man da, man weiß das zwar, aber nun ja. Wie soll man abspringen?

    Und dann kommen wir genau zu den Dingen: Scham, mangelndes Selbstbewusstsein und ganz viele Geschichten im Kopf, von Leuten, die zu viel trinken. Man selber hat ein Alkoholproblem, ist gar ein Alkoholiker? Ey, das kann nicht sein. Und vor allem, was sagen die anderen dazu? Die Nachbarn, die Familie, die Freunde, Kollegen. Ne...also ein AlkoholikerInn ist man auf keinen Fall. Ne, das sind die Leute am Bahnhof oder vor den Trinkhallen.

    Das da hunderte Menschen in München wiederum auf dem Kotzehügel liegen, dass ist normal und voll in Ordnung. Das da nach aber auch vor jedem Fussballspiel tausenden Menschen rotzevoll durch die Innenstadt torkeln und pöblen, nö, das ist voll gesellschaftsfähig. Am Wochenende oder auch in der Woche mit dem Freund / Freundin keine Ahnung wieviel Wein oder Bier wegballern, am nächsten Tag "Netflixen" und das als Status posten wie im Arsch man ist, das ist voll normal. Schützenfest auf dem Dorf, guter Ton noch rotzevoll beim Frühschoppen zu sitzen und wieder ein Bier am Hals zu haben.

    Das ist alles voll okay und man selber? Ja gut, da hat man mal in der Woche mittlerweile ein paar Weinchen oder Bierchen mehr getrunken, die Leonie von nebenan macht das ja auch, da kann man kein Problem haben oder gar Alkoholiker sein. Das sind nur die anderen, und vor allem die am Bahnhof.

    Ist das so?

    Ich hab das persönlich nie an die große Glocke gehängt das ich nichts mehr trinke. Wenn es dann mal wirklich zu einem tieferen Gespräch kommen sollte, sage ich, ich habe für mich persönlich festgestellt, dass ich meinen Konsum für bedenklich halte. Und deswegen für mich entschieden, ich trinke nichts mehr. Nie mehr.

    Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich, ich bekomme, "rethorisch" Respekt gezollt, die anderen sagen "könnte ich nicht". Jetzt am Sonntag hab ich von einem guten Freund den Spruch beim Hockey gucken bekommen, als er mir angeboten hat, ein Bier für mich mitzubringen und ich Nein sagte: "Trinkst du immer noch nichts mehr? Bist Du Langweilig"....er stand dann die nächsten Drittel in einer anderen Ecke.

    Aber Mia weißt Du, ich hab besagtem Freund als auch anderen in den letzten Wochen oftmals morgens eine Nachricht geschrieben, ob jemand mit mir Gravelbike durch die Landschaft ballern will. Und jedes Mal von allen eine Absage bekommen, weil sie nämlich in Sauer liegen und ab Mittags von ihren Frauen Lack bekommen, damit sie sich um die Kindern kümmern (müssen).

    Wer hat das Problem oder muss sich schämen oder ist langweilig? Ich, der trotz Eishockeyspiel morgens um 6 aufsteht, bis Mittags 100 Kilometer Rad gefahren ist und danach mit der Familie Zeit verbringt?

    Oder die anderen, die "voll geil" gefeiert haben? Ich hab 20 Jahre "voll geil" gefeiert. Es reicht. Und das Neue erfüllt mich mehr und macht auch viel mehr Spaß. Und ist btw. auch noch deutlich gesünder.

    Ich hab mein Problem erkannt und darauf bin ich stolz und hab die Stärke, es anzugehen.

    "Du trinkst nicht mehr? Könnte ich nicht..."

    Ich schon :)

  • Hallo Mia,

    Wie hätten wir uns damals auch nicht als bessere Versionen unser selbst erscheinen können… wenn auf einmal so viel mehr möglich scheint, ohne die Angst und zunächst ja noch gar nicht wahrnehmbar ist, welch hohen Preis das einmal kosten wird.

    Ja stimmt, jeder hat ja anfänglich die guten Seiten des Alkohols kennengelernt und wenn das nicht so gewesen wäre, würde wohl niemand trinken. Früher hatte ich gedacht, dass der Alkohol die aus meiner Sicht sehr erstrebenswerten Eigenschaften (Mut Energie, Kreativität, Wortgewandtheit, eine Art Klarheit...) erst erzeugt. Ich habe wirklich manchmal gedacht, ich bin anders und ich brauche ihn, um zu funktionieren (und ich meine damit nicht die körperliche Abhängigkeit.)

    Aber jetzt bin ich der Meinung, dass das in jedem Menschen schon angelegt ist, aber Ängste, Konditionierungen, Prägungen... verhindern eben genau das, dass man sozusagen "aus sich rauskommt" .

    Aber der Alkohol war eben der falsche Schlüssel dafür und hat letztendlich die ganzen Baustellen, die ich mit ihm medikamentieren wollte, immer noch mehr vergrößert.


    Mir erschien und erscheint Alkohol manchmal auch heute noch wie eine Art Freund, der immer da ist.

    Das ging mir ebenso. Ich denke, da liegt ein großer Schlüssel, wo es gilt daran zu arbeiten. Der Alkohol hat über Jahre in mir ein Gefühl erzeugt, dass ich ihn brauche, dass er der einzige ist, der immer für mich da ist. Er hat sozusagen meine Hilflosigkeit ausgenutzt. Und das betrachte ich eigentlich als "falschen Freund".

    Dein Zitat von Charles Bukowski bringt es übrigens auch sehr gut damit auf den Punkt, wir trinken in jeder Lebenslage, wenn es mir gut geht, wenn es mir schlecht geht, wenn mir langweilig ist, wenn mir... sozusagen bei jedem Anlass ist dieser "Freund" dabei. Charles Bukowski (und auch Irvine Welsh) hatte ich früher sehr gerne gelesen. Man sucht ja gerade, wenn man trinkt, irgendeine Art von Identifikation, um damit nicht alleine dazustehen, sein Trinken zu rechtfertigen und das gegebenenfalls noch damit zu zelebrieren und zu "leben". Ich habe das aber irgendwann mal aufgegeben, weil ich mich mit diesen Büchern zu sehr identifiziert habe und das in dem Zusammenhang eher kontraproduktiv war. Vielleicht lese ich sie mal wieder, aber aus einer anderen Sicht 😉

    Aber wie gesagt ich finde es ist sehr wichtig, sich von diesem Bild Alkohol = DER FREUND zu lösen. Ich sehe ihn auch nicht als Feind, wenn er nicht da gewesen wäre, wäre es wahrscheinlich irgendwas anderes geworden. Ich hatte nebenher noch eine kleine Affinität für z.B Opioide, und wenn der Zugang einfacher gewesen wäre, wäre ich bestimmt eher dort gelandet und nicht beim Getränkehändler. Ich versuche und es gelingt mir immer besser, den Alkohol so zu betrachten, dass er mich nicht mehr interessiert. Ich ihn nicht brauche, eigentlich nie gebraucht habe. So wie mich auch Rosamunde Pilcher und Bingoabende nicht interessieren. Er spielt für mich einfach auf einem anderen Spielfeld. Und er war eben ein Abschnitt in meinem Leben, der jetzt hinter mir liegt und ich versuche noch vorn zuschauen.

    Klar, das ist anfänglich nicht so einfach, wenn alles in mir schreit, "aber ich brauche ihn doch, meinen besten Freund, wie soll es denn ohne ihn weitergehen?!" Aber mit diesem Mindsetting fahre ich sehr gut.

    Ich hatte vor einiger Zeit mal so eine Art Poetry Slam von Elisabeth Schwachulla "Eine toxische Beziehung" gehört (das findet man auch bei YouTube)

    Da wird die Beziehung Alkohol=der beste Freund auch sehr gut gezeichnet. Aber in diesem Fall aus der Sicht des Alkohols. Ist wie in vielen Dingen vielleicht auch Geschmackssache, aber ich habe mich doch sehr gut wiedergefunden bzw. mir hatte diese Sicht sehr gut geholfen.

    LG Rent

    Einmal editiert, zuletzt von rent (25. Oktober 2023 um 07:59)

  • Honk

    Schönen guten Tag und danke für deine Nachricht 😊

    Ja, ist echt bedenklich, wie normal öffentliche Saufgelage in unserer Gesellschaft sind.
    Ich muss aber zugeben, wenn ich zb Podcasts von Leuten höre, die einstmals am Wochenende regelmäßig über die Strenge geschlagen sind und sich jetzt für ihr nüchternes Leben feiern, dann denk ich manchmal etwas überheblich: ihr habt doch gar keine wirkliche Ahnung.

    Natürlich ist es toll, wenn jemand nicht mehr trinkt, der üblicherweise am Wochenende getrunken hat, bis er nicht mehr wusste, was es tat.
    Aber irgendwie ist es nochmal eine andere Liga (im schlechtesten Sinne) wenn man keine Ahnung hat, wie man den Alltag ohne Alkohol überstehen soll.

    Wenn ich mal ne Weile nicht getrunken habe, habe ich das immer gern erzählt. Darauf war ich stolz, das hat mir nie Schwierigkeiten bereitet. Auch nicht in einem Freundeskreis, in dem trinken vollkommen normal ist.
    Aber ja, sich zu einer Sucht zu bekennen, das ist nochmal eine andere Sache- auch für mich.
    Ich habe mich in letzter Zeit gern mit Gedanken beruhigt, wie „xy trinkt jeden Tag Schnaps. Der hat wirkliche Probleme!“ („Nicht ich!“). Aber jetzt bin ich dabei in mein Selbstbild zu integrieren.
    Ich bin süchtig.
    Und Du bist so sehr zu recht Stolz! 💚

    Hoffentlich trägt er dich ein ganzes weiteres Leben lang!

  • Lieber rent ,

    habe mich über deine Nachricht gefreut!
    Nun ja, Alkohol als Schlüssel funktioniert wohl eine Weile. Aber, sobald man überhaupt Schlüssel braucht, ist der folgende Leidensweg mit dieser Substanz wohl zwangsläufig vorgezeichnet.

    Ich finde Bilder wie „Alkohol mein Freund“ auf jeden Fall auch überarbeitungswürdig. Aber im Moment denke ich, ihm deswegen quasi eine böse Seele zuzusprechen, ist irgendwie auch nichts für mich. Vielleicht denke ich darüber aber auch eines Tages anders. Vielleicht ist er mein Feind- aber dann nicht weil er ist, wie er ist, sondern weil ich bin, wie ich bin.
    Oft so leer. Mit so viel Angst vor dem Leben. Und jemand, der sich selbst lieber anders hätte.

    In die von dir benannte Aufzeichnung mag ich gern später reinhören:)

    Im Moment höre ich gern den Podcast sucht und süchtig. Die beiden finde ich authentisch, berührend und einfach lebendig.

    Boah, diese Suche nach Identifikation in Büchern kenne ich! Ich habe jörg Böckem verschlungen… innerhalb weniger Nächte, alle Bände. Allein zuhause, in meinem Bett, eingesperrt in meiner Welt.
    Da gehts nicht um Alkohol, sondern heroin. Aber ich fühlte mich schon immer zu Menschen hingezogen, die Abgründe kennen. Leute, die das Leben irgendwie überwiegend als leicht empfinden und in deren Gesprächen es am liebsten um Leichtigkeit geht, mit denen kann ich nichts anfangen, weil ich das Leben so nie erlebt habe. Bis auf kurze Momente.

    in

  • Update:


    Ich habe die letzten beiden Abende nichts getrunken. Fällt mir wohl etwas leichter, weil es mir körperlich nicht besonders gut geht- ich schlag mich mit irgendeinem Infekt herum.
    Mein jüngster Kontrollverlust in bis dahin neuem Ausmaß, hängt mir noch sehr nach!
    Bin ich schon an dem gefühlten „nie wieder Punkt“? Ich fürchte irgendwie nicht.
    Eingeschüchtert, bereit, viel mehr einzuräumen, als noch vor einer Weile, ja. Ich kann auch absolut anerkennen, dass ich rational verstehe, dass ich allen Grund habe, konsequent nüchtern zu leben.
    Aber ich fühle das noch nicht vollkommen, alles andere wäre nicht aufrichtig 😔

    Aber ich bin wirklich bereit dran zu bleiben, mich weiter zu befassen, Erkenntnisse in mich hinein fließen zu lassen, mich zu hinterfragen!
    Nur dieses: vom Kopf her Dinge wissen, sehr reflektiert sein … und es trotzdem zu tun, das ist in Hinsicht auf viele Dinge leider irgendwie mein Lebens Thema.

    Meiner Therapeutin habe ich auch schonungslos offen von meiner kürzlichen total Entgleisung berichtet. Das war echt unschön! Auch zu hören, wie besorgt sie ist. Habe ich ihr auch gesagt: ich weiß, es ist wichtig drüber zu reden, Verantwortung zu übernehmen. Aber nach den Tagen voller Sorge, Verzweiflung und Schreck über mich selbst würde ich jetzt gern langsam wieder sowas wie Frieden spüren!

  • Bin ich schon an dem gefühlten „nie wieder Punkt“?

    Hallo Miaflorentine

    Ich weiss nicht ob so ein Punkt quasi mit der Brechstange überhaupt erstrebenswert ist. Es erinnert mich ein wenig an meine"Nie wieder Alkohol" Vorhaben, immer morgens und stark verkatert, die jedoch nie eine Dauer hatten. Die knappe Formel "Nur heute" hat sich für mich als wertvoller erwiesen als jegliche spekulative Gedanken.
    Es sind eher die kleinen Dinge die sich positiv auswirken. Die Beichte bei der Therapeutin, die schriftliche Auseinandersetzung mit sich selbst hier im Forum, kurzum das dranbleiben an der eigenen Problematik und die ersten kleinen nüchternen Erfolge im Alltag.
    Ich freue mich für dich das du die letzten beiden Abende nichts getrunken hast und wünsche dir weiterhin einen Weg der kleinen Schritte.


    LG Brant

  • Zwei Tage hast du schon. Zwei Tage die Du nicht mehr gehen musst und zwei Tage weniger, an denen Du Dich schlecht gefühlt hast.

    Das ist doch ein Anfang. Wer weiß wo es hinführt? Ich bin bei Büchern nicht so belesen wie ihr, aber ein Zitat kenne ich dann doch: „Es ist ein gefährlicher Weg VOR die Tür zu gehen. Man weiß nie wohin einen die Füße tragen“.

    VG!

  • Ich kann auch absolut anerkennen, dass ich rational verstehe, dass ich allen Grund habe, konsequent nüchtern zu leben.
    (...)

    Aber ich bin wirklich bereit dran zu bleiben, mich weiter zu befassen, Erkenntnisse in mich hinein fließen zu lassen, mich zu hinterfragen!

    Dass mit dem "rational verstehe(n)" und "Erkenntnisse (...) hinein fließen zu lassen" ist die eine Sache; bei mir musste es irgendwie "klick" machen, also der Schritt, dass die Erkenntnis in das Innerste von mir vordringt und dort Gehör findet.

    Ein Punkt der mich zum Nachdenken brachte, war ein gleich zweimaliger Krebsverdacht in 2021. Das hat schon was mit mir gemacht. Ich stellte mir die Frage, ob ich in der gleichen Situation wäre, wenn ich in meinem Leben weniger geraucht und getrunken hätte. Schließlich lösten sich meine Sorgen - Gott sei Dank! - zweimal in Luft auf. Was blieb war die "Erkenntnis", dass ich nur dieses eine Leben habe und ich daran hänge.

    Die Erkenntnis hat - nach einigen Monaten - immerhin dazu geführt, dass ich meinen Alkohol- und Nikotinkonsum spürbar einschränkte. Das hat zwar geklappt, war aber unbefriedigend: So richtig besser hat sich mein Körper nicht angefühlt, während der Verzicht stets spürbar war. Ich hab' dann eine interne Challange mit mir vereinbart: 1 Jahr Alkohol- und Nikotinabstinenz.

    Was dann kam war weniger Erkenntnis, sondern das Erlebnis, das praktische Erspüren von tiefem Schlaf (nach circa 6 Wochen) und vor allem von spontanen Glücksgefühlen (nochmal 2 Wochen später) bei so ganz einfachen und unaufgeregten Dingen, wie etwa einer spontanen Wanderung in der Natur, beim Lächeln eines Menschen, beim Hören der Klänge eines klassischen Konzertes und dem Blick auf die Gesichter der Musiker, die gerade im Flow waren. Ich hatte wieder Zugang zu dem Schönen, aber auch gleichermaßen zu Gefühlen auf der anderen Seite der Medaille, wie z.B. Traurigkeit. Es hat mich irgendwie an meine (schöne) Kindheit erinnert, was mir aber erst Monate später bewusst wurde.

    Vor ein paar Wochen las ich von einem Gedankenexperiment, das Du selbst in einem ruhigen Moment machen kannst: Stell' Dir vor Du bist ganz kurz vor dem Ende Deines Lebens und fragst Dich dann: Wie war's denn so? Dieses Leben von Dir? Der Gedanke an ein ungelebtes Leben würde mir den Abschied sehr schwer machen, würde mich wohl gar mit Scham erfüllen, aber dann wäre zu spät. Da hat es bei mir "klick" gemacht: Seitdem betrachte ich es geradezu als Verpflichtung, mein Leben zu leben, ein möglichst erfülltes Leben zu führen, Dinge nicht als selbstverständlich anzusehen, Dankbarkeit zu spüren und auch mal Danke zu sagen. Klingt vielleicht in Deinen Ohren alles etwas pathetisch, aber so in der Art ticke ich seit einigen Monaten. Was mir noch auffiel: Wenn man weniger beurteilt, wird das Leben freundlicher.

    Es gibt natürlich richtig doofe Tage in meinem Leben. Erst vor zwei Tagen habe ich mich mit meiner Mutter heftig gestritten. Das tat schon richtig weh, für beide Seiten. Dann hatte ich gleich einen Tag später mein Handy verlegt, wusste erst überhaupt nicht, wo das sein könnte und musste nach einem aufwühlenden Tag schließlich durch die halbe Stadt fahren, um das Ding wieder einzusammeln. Anders als früher bringen mich solche Tage aber nicht mehr wirklich aus dem Rhythmus. Ein bisschen schon, es nervt, aber ich gerate in meinem nüchternen Leben nicht mehr so aus dem Gleichgewicht. Es ist wie Wellen im Meer: Gefühle kommen und gehen. Darauf ist Verlass. Und Glück ist ein Kontrasterlebnis. Auch darauf ist Verlass. So gesehen trägt jeder doofe Tag bereits den Keim für einen schöneren in sich.

    Entscheidend in diesem Kontext ist doch die Frage: Bringt mich der Konsum von Alkohol und Nikotin einem erfüllten Leben näher? Ist es der Alkohol, der mir hilft, die obige Frage "Wie war's denn so?" später mit voller Überzeugung positiv zu beantworten? Ich bin bei meinen Antworten mittlerweile sehr klar.

    Jeder möge diese Fragen ganz nach seiner Fasson beantworten. Manche Menschen trinken ja auch nur moderat. Manche Menschen haben in der Tat ein so misslungenes Leben gelebt, so viel Schmerz erlebt, dass vielleicht sogar ein Weitertrinken die rationale Wahl ist. Ich kenne Dich nicht, liebe Miraflorentine, aber bei Dir scheint auch vieles zu sein, worauf Du Stolz sein darfst. Dein Buch, Dein ...

    Schreib' doch einfach mal auf, was Du an Deinem Leben bisher schön fandest, was Dich glücklich gemacht hat. Und vor allem: Was Du noch machen möchtest? Kannst ja schon morgen mit etwas Klitzekleinem anfangen, wenn Du magst.

    - Fortune -

    Einmal editiert, zuletzt von - FORTUNE - (26. Oktober 2023 um 00:03)

  • Was dann kam war weniger Erkenntnis, sondern das Erlebnis, das praktische Erspüren von tiefem Schlaf (nach circa 6 Wochen) und vor allem von spontanen Glücksgefühlen (nochmal 2 Wochen später) bei so ganz einfachen und unaufgeregten Dingen, wie etwa einer spontanen Wanderung in der Natur, beim Lächeln eines Menschen, beim Hören der Klänge eines klassischen Konzertes und dem Blick auf die Gesichter der Musiker, die gerade im Flow waren. Ich hatte wieder Zugang zu dem Schönen, aber auch gleichermaßen zu Gefühlen auf der anderen Seite der Medaille, wie z.B. Traurigkeit. Es hat mich irgendwie an meine (schöne) Kindheit erinnert, was mir aber erst Monate später bewusst wurde.


    Das hast Du wunderschön gesagt und ich kann das genau nachempfinden. Diese Emotionen sind eine Sache, die vollkommen in Vergessenheit geraten, sie sind eigentlich ohne Rausch nicht mehr vorstellbar gewesen. An einer anderen Stelle hatte ich das mal beschrieben, ich hatte eigentlich wunderschöne Momente, aber aufgrund meiner Verfassung konnte ich diese Momente nicht annehmen und war tief traurig, anstatt glücklich. Paradox!


    Zitat

    Vor ein paar Wochen las ich von einem Gedankenexperiment, das Du selbst in einem ruhigen Moment machen kannst: Stell' Dir vor Du bist ganz kurz vor dem Ende Deines Lebens und fragst Dich dann: Wie war's denn so? Dieses Leben von Dir? Der Gedanke an ein ungelebtes Leben würde mir den Abschied sehr schwer machen, würde mich wohl gar mit Scham erfüllen, aber dann wäre zu spät. Da hat es bei mir "klick" gemacht: Seitdem betrachte ich es geradezu als Verpflichtung, mein Leben zu leben, ein möglichst erfülltes Leben zu führen, Dinge nicht als selbstverständlich anzusehen, Dankbarkeit zu spüren und auch mal Danke zu sagen. Klingt vielleicht in Deinen Ohren alles etwas pathetisch, aber so in der Art ticke ich seit einigen Monaten. Was mir noch auffiel: Wenn man weniger beurteilt, wird das Leben freundlicher

    Auch das kann ich wirklich 1:1 so spiegeln. Was habe ich für einen Durst gehabt noch, wenigstens nach Normalität. Und gleichzeitig auch eine Streben nach Glück, Erfüllung, tollen Erlebnissen. Mit 45 Jahren da zu sitzen, insbesondere und noch viel mehr auf die letzten Jahrzehnte zurückzublicken und so festzustellen das dass an vielen Stellen so ziemlich semi geil gewesen ist, ist schon echt hart. Und vor allem der Ausblick nach vorne war nur dunkel.

    Es ist aber, in dem Augenblick in dem man da sitzt, einfach fucking nicht vorstellbar einfach die Flasche stehen zu lassen. Das ist schon wie mein "Beim kleinen Lord"....warum trinkst Du? Weil ich traurig bin. Warum bist Du traurig? Weil ich trinke.
    Genau so und nicht anders. The circle of Suff. Das Problem nur ist, sehe ich so, wenn man sich jetzt aktiv mit dem Thema auseinandersetzt und NICHTS tut, dann wird es mit ziemlicher Bestimmtheit hässlich. Es kommt m.E. irgendwann unweigerlich der Punkt, dann ist man wirklich ganz unten und dann ist es vorbei mit der selbstbestimmten Entscheidung. Passend, weil Du Dich hier angemeldet hast, hab ich mir ein paar Reportagen zum Thema mal wieder angesehen.

    Ne, ne, da hab ich keinen Bock drauf.

    Ich persönlich finde es wichtig, sich ein Ziel zu setzen, eine erstrebenswerte Sache. Die man mit Alkohol defintiv nicht erreichen, ohne schon.
    Bei mir ist es der Drang nach Gesundheit und Sport. Aus vielerlei Gründen. Und so ist seit März aus dem 100% "no Sports" alkoholrote Augen Guy mit fetter Bierplauze ein mittlerweile, für die kurze Zeit, ein ziemlich fitter, gutaussehender Typ geworden. Und der Typ sieht defintiv nicht aus wie 45 sondern einige Jahre jünger.
    Und daran halte ich mich fest. Es war nicht immer einfach, es gab immer Hürden und Umwege aber ich hab mich da reingebissen, Ziele definiert. Auch Ziele aufgeben müssen oder verlegt. Aber das gehört zum Prozess dazu. Aber was ich dafür erlebt habe waren wunderschöne Momente und das spüren. Das Spüren von sich selber und den Momenten.

    Ich kann Dir echt nur sagen Mia, komm ins Handeln. Augen zu und durch die Scheiße. Es kann definitv NUR bergauf gehen. Das ist vielleicht noch nicht sichtbar, aber es wird schnell klar. So klar, wie Du selber. Go 4 it!

  • Hallo Mia,

    ich sehe ich sehe das ähnlich wie Brant, dass ein "Nie Wieder-Vorhaben manchmal situationsbedingt schwer durchführbar ist. Bei mir hat es manchmal einen Verlust erzeugt, den ich am liebsten mit Alkohol kompensiert hätte, aber ich DURFTE ja nicht mehr trinken. (verbunden eben gerade mit dieser alkoholbedingten Entscheidungsunfähigkeit, Nerven- und Willensschwäche und Craving)

    In erster Linie ist es erstmal ein großer Schritt, dass du dich mit deinem Problem auseinandersetzt und angehst. (deine Psychologin, Suchtberatung, hier im Forum angemeldet, Podcasts...)

    Und außerdem hast du ja schon seit über zwei Tagen nichts mehr getrunken, wenn das mal nichts ist :)

    Für mich war es früher schwierig, die richtige Motivation bzw. diesen Point of no Return zu finden. Ich habe von vielen gehört, die sich sagen HEUTE trinke ich nicht. Und das Tag für Tag, Monat für Monat Jahr für Jahr gut funktioniert.

    Bei mir hat es ehrlich gesagt, nicht so gut funktioniert. Ich hatte mir dann gesagt, okay ich trinke heute (oder die Woche) nichts, dafür trinke ich aber morgen oder zu dem und dem Zeitpunkt wieder) und habe es dann meistens auch gemacht. In der Richtung war ich konsequent und habe zu meinen "Vorsätzen" gestanden. Im Nachgang betrachtet war das mega anstrengend und ehrlich gesagt, hatte ich in den letzten Jahren auch nicht mehr die Kraft dafür)

    Ich denke aber, sich sein Vorhaben in kleine oder größere Etappen einzuteilen, kann vielleicht wirklich manchmal eine gute Hilfe sein und nimmt vielleicht wirklich diesen riesen Berg bzw. dieses Verlustdenken.

    Ich finde diesen Ansatz von Fortuna sehr gut, z.B ein alkoholfreies Jahr zu machen/ sich irgendwo erstmal umzuorientieren, das würde mir diese Angst vor diesem "Nie wieder" nehmen.

    Was dann kam war weniger Erkenntnis, sondern das Erlebnis, das praktische Erspüren von tiefem Schlaf (nach circa 6 Wochen) und vor allem von spontanen Glücksgefühlen (nochmal 2 Wochen später) bei so ganz einfachen und unaufgeregten Dingen, wie etwa einer spontanen Wanderung in der Natur, beim Lächeln eines Menschen, beim Hören der Klänge eines klassischen Konzertes und dem Blick auf die Gesichter der Musiker, die gerade im Flow waren. Ich hatte wieder Zugang zu dem Schönen, aber auch gleichermaßen zu Gefühlen auf der anderen Seite der Medaille, wie z.B. Traurigkeit. Es hat mich irgendwie an meine (schöne) Kindheit erinnert, was mir aber erst Monate später bewusst wurde.

    Ich finde mich auch sehr gut wieder, was sie in ihrem Zitat so schön ausdrückt, eben was durch eine längere Nüchternheit wieder ERLEBBAR wird. Es geht vor allem darum, diesen angeblichen Verlust durch etwas zu ersetzen, was viel lohnenswerter erscheint und ja auch wirklich ist. Sozusagen, dass du nicht wegen etwas aufhören MUSST (körperliche Gesundheit, Angst was nur werden soll... ) sondern, dass du durch den Verzicht etwas viel besseres bekommst/erlebst, was viel lohnenswerter ist. In mir erzeugt das auch eine Art Entscheidungsfreiheit, dass ich dem Alkohol nicht willenlos ausgeliefert bin.

    Du schreibst ja auch, dass du diese anfängliche Euphorie erlebt hast, aber dann eben gefühlt nichts mehr kam. Für mich war diese Euphorie eher ein Vorgeschmack/Motivation, was noch kommt/ was es zu suchen gilt. Natürlich vielleicht auch nicht in der Intensität, sondern eher eine "normalen" Abgabe der körpereigenen Endorphine. Sozusagen ein zufriedenes und stabiles Leben. Und ich auch wieder in die Lage komme, mich einen kleinen (aber auch größeren Dingen) des Lebens zu erfreuen.

    Dass ich wieder zu dem Menschen finde, der ich WIRKLICH bin und alles was ich erreicht habe bzw. erreiche, ohne chemische Hilfsmittel schaffe 🙂

    LG Rent

    Einmal editiert, zuletzt von rent (26. Oktober 2023 um 07:59)

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