Trinkst und rauchst Du noch - oder lebst Du schon?

  • ... na, maximale Gesundheit muss nicht sein, aber ein stabiles Maß an Gesundheit ist schon der Rahmen für alles.

    Vor zwei Jahren wurde ich gleich zweimal mit einem Krebsverdacht konfrontiert: Einmal davon aufgrund eines MRTs, also dem derzeit besten bildgebenden Verfahren.

    Und bis zur Darmspiegelung waren knapp drei Wochen Wartezeit angesagt; da stellt man sich interessante Fragen, z.B. Hätte ich die Situation gar nicht, wenn ich weniger/gar nicht geraucht und getrunken hätte?

    Es gibt aber auch sehr viele, die gerne trinken, aber das nicht ausufern lassen.

    Ist sicher eine nette Option, wenn sich das so ergibt.

    Vielleicht unterliegen nahezu alle Menschen auch nur der riesigen Illusion und reden sich wechselseitig ein, dass wir alle dem süßem Gesang der Sirenen folgen müssten?

    Vielleicht ist das Leben pur ja gar nicht so doof, wie's gemeinhin unterstellt wird?

    Uns hat's ja anscheinend durchaus positiv überrascht.

  • Letztes Jahr ist ein Freund von mir gestorben, der war Chefarzt. Irgendwann hatte er gesagt, er macht selbst nicht das, was er seinen Patienten sagt. Und er, genau er, wusste das ganz genau.

    Wie viele Leute arbeiten bis zum Herzinfarkt, haben Herz-Kreislauf-Krankheiten wegen ungesunden Lebensstils, kriegen Krebs weil sie riskant leben?
    Und manche haben dabei nicht mal Spaß, sondern können entweder nicht anders oder folgen irgendwelchen irrationalen Zielen. Wozu reisst sich jemand den Arsch auf, um sich ein drittes Auto zu kaufen?

    Nach Erhebungen sterben mehr als die Hälfte der Leute an vermeidbaren Krankheiten.

    Meine Einstellung war immer die, was nützt mir Gesundheit, wenn das Leben dabei öde und fade ist?

    Ich will nicht um jeden Preis leben.

    Als ich jung war, war es für mich und viele Andere der reine Horror, sich vorzustellen, dass wir mal alt werden.

    Da war die Aussicht, gesund zu leben, um alt zu werden, schlicht für den Arsch.

    Auch heute denke ich, wenn ich nichts mehr machen kann, dann will ich Sterbehilfe.

    Sterben tun wir alle, egal ob wir saufen oder nicht. Die Frage der Fragen für mich ist, unter welchen Umständen habe ich das Gefühl, auch gelebt zu haben? Da gehört ein bisschen mehr dazu als Gesundheit.

    Und im Wesentlichen halte ich mich lieber an das, was ist, als an das, was sein könnte. Denn was soll das, ich kann ja mein Leben nicht noch mal von vorn anfangen. Und ob ich anders glücklicher geworden wäre, wer weiss das?

  • Nun, und bei Bergsteigern (ich war früher klettern, deswegen hab ich das parat) sagt man dann gerne, er starb bei dem, was er am liebsten tat. Er war glücklich bis zum letzten Moment.

    Das ist eine Sicht, die ich sehr gut nachvollziehen kann.

    Beim Alkohol war es halt so, der Spaß war irgendwann vorbei. Ich hab das mal hier irgendwo ausgearbeitet, es brachte mir irgendwann so gut wie nichts mehr. Genauso das Rauchen übrigens. Und ich bin jetzt nicht so gestrickt, dass ich mir sagen könnte, ich bin halt süchtig, ich kann nicht anders. Für mich ist es in meinem Fall reine Dummheit, für etwas zu sterben, wovon man nichts hat. Also das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmte da nicht mehr.

  • Und im Wesentlichen halte ich mich lieber an das, was ist, als an das, was sein könnte

    Sehr weise. Really.

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    Da ein ödes und fades Leben nix ist, worauf freust Du Dich so richtig in den nächsten Monaten?

    Ich denke mir mal, dass ich erstmal vorrangig eine Millionären kennen lernen möchte. Wenn das nicht klappt, schreibe ich vielleicht mal ein Buch. Letzteres dann aber erst nächstes Jahr.

  • Bevor ich das beantworte, möchte ich vorausschicken, dass ich auch nüchtern sehr schlechte Laune haben kann. Und ich bin 22 Jahre trocken, es war nicht 22 Jahre lang alls easy. Ich hatte sogar ein paar ziemlich massive Probleme.

    Nur galt immer der Satz: wenn ich überzeugt bin, dass es mir vom Trinken besser geht, dann fange ich wieder damit an. Davon war ich eben nie überzeugt, im Gegenteil, es wäre nur schlechter davon geworden. Ich musste mich dafür nicht mal anstrengen, weil ich gar nie das Bedürfnis hatte oder überhaupt auf die idee gekommen bin, zu trinken.

    Da gibts den Satz, zufriedene Trockenheit ist nicht dasselbe wie ein zufriedenes Leben. Zufriedene Trockenheit ist nur der Entschluss oder die Einsicht, das man nun ohne Alkohol leben will und nicht damit hadert "ach was wär das doch schön jetzt zui trinken". Also einfach, ich trinke nichts mehr und das passt mir.

    Ansonsten kann es genauso beschissen sein wie bei allen anderen Menschen auch.

    Jetzt?..war ich zwei Stunden Radfahren, esse jetzt und lege mich zum lesen auf die Terrasse. Und habe für nächste Woche 5 Tage in der Schweiz gebucht.

    Auch 22 Jahre trocken..ich hatte schon sehr viel Zeit, mr nüchtern zu überlegen, was ich vom Leben will. Einiges davon habe ich verwirklicht. Da muss nicht mehr sehr viel dran geändert werden. Ich bin glücklich verheiratet, eingermassen gut situiert, muss nichts mehr arbeiten unds kann mir jeden Morgen überlegen, worauf ich heute Lust habe. Ein paar Einschränkungen habe ich, aber das wäre Jammern auf hohem Niveau.

  • Vielleicht unterliegen nahezu alle Menschen auch nur der riesigen Illusion und reden sich wechselseitig ein, dass wir alle dem süßem Gesang der Sirenen folgen müssten?

    Vielleicht ist das Leben pur ja gar nicht so doof, wie's gemeinhin unterstellt wird?

    Uns hat's ja anscheinend durchaus positiv überrascht.

    Meine eigene Vermutung geht in diese Richtung, wobei ich mich niemals zum Propheten wider den Alkohol aufspielen würde oder dies auch nur möchte.

    Es wird ja nicht konsequenterweise jeder, der sich mit dieser „Sirene“ einlässt, gleich zum Alkoholiker.

    Es gibt ja tatsächlich nicht gerade wenige Menschen, die tatsächlich problemlos Alkohol trinken können. Die trinken dann mal ein oder vielleicht auch ein paar mehr Gläser, aber dann bleibt es auch dabei, in der Zeit, in der sie nicht trinken, denken sie gar nicht an den Alkohol, er spielt für sie überhaupt gar keine Rolle. Solche Leute entwickeln, warum auch immer, keine Sucht.

    Und dann gibt es eben solche Menschen wie mich, die anfällig sind, eine Sucht zu entwickeln.

    Interessant fand und finde ich persönlich, was in dem Vortrag zum Anhören, „Der Untergang der Titanic“, von Prof. Lindenmeyer von der Salus-Klinik in Lindow angeführt wird. Demnach beeinflussen offenbar klare gesellschaftliche Regeln für den Konsum von Alkohol, ob es in einem Land mehr oder weniger Alkoholiker gibt. Die, die anfällig wären, eine Alkoholsucht zu entwickeln, werden trotzdem nicht süchtig, weil die Regeln das gewissermaßen verhindern.

    Es mag eine riesige Illusion sein, dass Alkohol zum Leben dazu gehöre, aber ich erinnere mich gut, dass ich mir von dieser Illusion einiges versprochen habe und eine Weile auch davon profitierte. Ich bin glücklicherweise nie dahin gekommen, dass ich irgendetwas, was ich unter Alkoholeinfluss getan hätte, bereuen müsste. Ich hatte durchaus meinen Spaß, meine wilden Jahre. Und ich kann mich auch heute noch gut mit den Menschen unterhalten und mit ihnen lachen, wenn’s um alkoholschwangere Anekdoten geht.

    Bei MIR kam halt irgendwann der Punkt, dass ich nicht mehr profitierte und mir allmählich klar wurde, dass ich so nicht mehr weitermachen kann. Und ich würde sogar behaupten, dass ich erst da, weil ich leben und nicht untergehen wollte, bereit für einen anderen Weg war. Möglicherweise war ich das vorher nicht oder konnte das nicht. Ich weiß es nicht und es ist mir auch nicht wichtig, das zu wissen.

    Vielleicht trifft's eine Aussage von Susanne aus Oktober 2020 ganz gut: "Und heute kann ich feiern und auch den Sonnenuntergang bei Saft genießen. Ohne drüber nachzudenken, ob ich ein Problem habe oder mir hinterher irgendwelche Selbstvorwürfe zu machen. Genuss ohne Reue. Ich bin heute gefühlsmäßig da, wo ich mit dem Trinken immer hin wollte."

    Als ich Ende Oktober 2020 hier aufschlug, war es u.a. Susanne, die mir geantwortet hat. Ich hab nicht nachgesehen, aber das Zitat könnte aus meinem damaligen Faden stammen. Und weil ich da stand, wo ich eben stand, war ich bereit, diesen Weg auszuprobieren und hatte definitiv ein Interesse zu etwas zu kommen, was ich mir bis dahin nicht mal im Ansatz vorstellen konnte.

    Und heute bald drei Jahre später kann ich sagen, dass es mir genau so geht, wie Susanne das damals beschrieben hat.

    Ob ich ohne meinen Umweg dorthin gelangt wäre? 🤷‍♀️ Ich weiß es nicht.


    Ob ich meine MS hätte verhindern können, wenn ich nicht Alkohol getrunken hätte und nicht geraucht hätte? Keine Ahnung! Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie könnte auch ausgebrochen sein, weil ich nahezu mein ganzes Leben lang unter Dauerstress gestanden habe, stets weit über meine eigenen Grenzen gegangen bin und trotz einiger Bemühungen nicht in der Lage war, Selbstfürsorge zu betreiben und vor mir selbst zu vertreten.

    Ich hab diesen Gedanken, dass ich selbst für den Ausbruch meiner Erkrankungen verantwortlich war, mal gehabt. Mein Arzt erwiderte darauf, dass dieser Ansatz wenig hilfreich sei und es auch so dies und das gäbe, was dagegen spräche.

    Es ist also müßig, sich solche Fragen zu stellen und ich stelle sie mir auch nicht mehr, sondern kümmere mich JETZT darum, dass es mir möglichst nicht schlechter, sondern besser geht.

    Krankheit als Chance.

    Und so, wie sich der Zustand meines Körpers und meiner Psyche trotz chronischer Erkrankungen unter der Abstinenz gebessert haben - Hätte mir das vorher nie so vorstellen können! - habe ich selbst nicht das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen. Das, was ICH mir vom Alkohol versprochen habe, kriege ich vergleichsweise sogar besser ohne hin, nachhaltiger und ohne unangenehme Nebenwirkungen.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Ähnlich wie bei Susanne ist auch bei mir das Leben nicht immer eitel Sonnenschein. Mitunter geht’s mir mies, habe ich schlechte Laune, fühle ich mich unwohl, habe Stress, zeigen sich meine Erkrankungen mehr oder minder ausgeprägt.

    Was ich weiß, ist, dass Alkohol nichts daran ändern würde, dass es mir mit Alkohol nicht besser gehen würde. Das, was ich unter Alkoholeinfluss zuletzt in meinem Körper und meiner Psyche spürte, ist unvergessen. Und das, was ich während der Abstinenz in meinem Körper spüren durfte, hat Bände gesprochen.

    Und zusätzlich will ich schon dieses erste Empfinden des Kontrollverlusts, das sich schon nach den ersten Schlucken Alkohol, besonders Sekt, im Kopf einstellt, nie wieder spüren.

    Ich lebe nicht in dem Empfinden auf etwas „Schönes“/ einen „Freund“ verzichten zu müssen. Alkohol fehlt mir überhaupt nicht.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Interessant fand und finde ich persönlich, was in dem Vortrag zum Anhören, „Der Untergang der Titanic“, von Prof. Lindenmeyer von der Salus-Klinik in Lindow angeführt wird. Demnach beeinflussen offenbar klare gesellschaftliche Regeln für den Konsum von Alkohol, ob es in einem Land mehr oder weniger Alkoholiker gibt. Die, die anfällig wären, eine Alkoholsucht zu entwickeln, werden trotzdem nicht süchtig, weil die Regeln das gewissermaßen verhindern.

    Hallo AmSee,

    die Vorträge von Prof. Lindenmeyer finde auch ich inspirierend. Beim Beitrag "Untergang der Titanic" wird ja unter anderem darauf verwiesen, dass Iran, Irak und Saudi Arabien Abstinenz- oder Nichttrinkerkulturen seien. Ich habe damit gestern mal meine Friseurin, eine Iranerin, konfrontiert. Sie hat nur gelacht: Das findet einfach nur hinter verschlossenen Türen - und zwar ziemlich exzessiv. Ja, der Pro-Kopf-Verbrauch ist zwar relativ niedrig, aber nur, weil große Teile der Bevölkerung vom Konsum ausgeschlossen sind, weil sie sich die Besäufnisse "hinter den Türen" einfach nicht leisten können. In dem Land gilt für die Wohl- und Machthabenden tatsächlich im wahrsten Sinne: Wasser predigen, Wein saufen.

    https://www.nzz.ch/international/…eran-ld.1406516

    Das, was ICH mir vom Alkohol versprochen habe, kriege ich vergleichsweise sogar besser ohne hin, nachhaltiger und ohne unangenehme Nebenwirkungen.

    Das freut mich für Dich. Ein tolles Beispiel - auch für andere, die vielleicht noch Zweifeln sind oder mal ins Grübeln kommen sollten -, dass man als Alkoholikerin ein erfülltes Leben führen kann. Schön, dass Du und Dein Mann ein so gutes Team mit ähnlichem Mindset seid.

  • Das mit Sex, Liebe und Urlaub habe ich deswegen gebracht, weil man vieles FÜHLEN muss. FÜHLEN lässt sich vieles aber nur im Gegensatz, wenns mal schlechter ging z.B.. Dadurch werden Dinge wertvoll. Vom Wissen allein fühle ich das nicht. Es ist ein GEFÜHL, dass ich keinen Suchtdruck habe, da ist analytisch wohl nur sehr schwer dranzukommen. Und wozu auch, funktioniert ja. [Hervorhebungen durch - Fortune -]

    Das mit dem FÜHLEN finde ich nochmal einen wichtigen Punkt. Deswegen ist es ja auch so ein schönes GEFÜHL, wenn man nach Monaten der Abstinenz die Natur mal wieder richtig spürt (Barfuß auf einer feuchten Wiese) und riecht (morgens nach einem Regenschauer im Wald bei durchbrechender Sonne). Oder den Körper beim Tanzen wieder mehr SPÜRT als nach 3 Bier. Oder das GEFÜHL beim Hören eines klassischen Konzertes in der 1. Reihe, wo der Flow der Musiker einem nicht kalt lässt ...

    BJetzt?..war ich zwei Stunden Radfahren, esse jetzt und lege mich zum lesen auf die Terrasse. Und habe für nächste Woche 5 Tage in der Schweiz gebucht.

    Auch 22 Jahre trocken..ich hatte schon sehr viel Zeit, mr nüchtern zu überlegen, was ich vom Leben will. Einiges davon habe ich verwirklicht. Da muss nicht mehr sehr viel dran geändert werden. Ich bin glücklich verheiratet, eingermassen gut situiert, muss nichts mehr arbeiten unds kann mir jeden Morgen überlegen, worauf ich heute Lust habe. Ein paar Einschränkungen habe ich, aber das wäre Jammern auf hohem Niveau.

    Das klingt nach einem freudvollem Leben.

    Genieß es!

    - Fortune -

  • Hallo zusammen,

    ich werde mich jetzt erstmal für ein paar Wochen aus dem Forum zurückziehen.

    Womöglich hinterlasse ich hier aber nochmal meine Spuren.

    Es war mir wirklich eine Freude, einige von Euch hier kennen lernen zu dürfen.

    Nicht falsch verstehen: Hier ist alles in meinem Sinne verlaufen;

    ich hoffe auch in Eurem.

    Herzliche Grüße

    - Fortune -

  • Bevor ich das beantworte, möchte ich vorausschicken, dass ich auch nüchtern sehr schlechte Laune haben kann. Und ich bin 22 Jahre trocken, es war nicht 22 Jahre lang alls easy. Ich hatte sogar ein paar ziemlich massive Probleme.

    Nur galt immer der Satz: wenn ich überzeugt bin, dass es mir vom Trinken besser geht, dann fange ich wieder damit an. Davon war ich eben nie überzeugt, im Gegenteil, es wäre nur schlechter davon geworden. Ich musste mich dafür nicht mal anstrengen, weil ich gar nie das Bedürfnis hatte oder überhaupt auf die idee gekommen bin, zu trinken.

    Da gibts den Satz, zufriedene Trockenheit ist nicht dasselbe wie ein zufriedenes Leben. Zufriedene Trockenheit ist nur der Entschluss oder die Einsicht, das man nun ohne Alkohol leben will und nicht damit hadert "ach was wär das doch schön jetzt zu trinken". Also einfach, ich trinke nichts mehr und das passt mir.

    Ansonsten kann es genauso beschissen sein wie bei allen anderen Menschen auch.

    Susanne, dass ist mal wieder etwas, dass ich genau so unterschreiben kann! So ähnlich habe ich es versucht, in den Gesprächen in den Krankenhäusern rüberzubringen, was wir meinen, wenn wir von "zufriedener Trockenheit" reden :thumbup:

    @Fortune: Ich wünsche Dir ganz viel Fortune/Glück. Du weisst ja, wo Du uns findest!

    Gruß

    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Mir ist da bei Deinem Beitrag zu Sober Glow noch was eingefallen.

    So lange das irgendwie Verzicht ist, braucht man Argumente, warum es besser ist, nicht zu trinken.

    Und natürlich, klar, kann ich mir vorstellen, was passieren würde, wenn ich wieder anfange.

    Und anfangs war das vielleicht auch wichtig, mir das zu vergegenwärtigen, für den Fall, dass der Druck oder Verzichtsgedanken aufkämen.

    Und an sich ist es aber trotzdem mein eigenes Leben. Wenn ich mich entschliesse, dass ich das lieber besoffen verbringe, gibts da für mich keinen Grund, aufzuhören. Kann man so machen. Also unfreiwillig würde ja nur irgendwie mit Zwangseinweisung gehen. Hatte ich nie. ausserdem kommmen da die meisten auch irgendwann wieder raus.

    Nur, heute brauche ich schon lange keine Gründe mehr, um nüchtern zu bleiben. Genauso, wie ich früher einfach so zum Saufen gegangen bin. Da musste ich mir auch nicht erst ausdenken, warum ich das tue. Ich habs einfach getan.

    Ich hab den nüchternen Lifestyle, wenn Du das so willst. Ich lebe einfach so, aus die Maus.

    Und wenn jemand nur aus der Angst vor den Folgen trocken bleibt, dann nennen wir das "kampftrocken". Mit der Faust in der Tasche.


    Dieses Zitat was Du oben irgendwo eingefügt hattest

    "Verzicht auf Alkohol sei eine Reise, um sich klüger, schöner, fokussierter, interessanter, "grenzenlos präsent" zu fühlen und eine "tiefe Verbindung" zu allem herzustellen."

    weder will ich klüger noch schöner noch interessanter sein. Und grenzenlos präsent, iggitpfuiwürg. Sicher nicht meine Ziele.

    Die Dame da hat für mich einen typischen Influencerjargon und sie will im Mittelpunkt stehen.
    Mögen vielleicht viele, meins war das noch nie. Ich habe mich immer dadurch definiert, dass ich solchen Sprüchen immer misstraue, ihnen nie folge.

  • Es ist auch tatsächlich nachgewiesen, dass Nüchterne insgesamt zufriedener sind. Und natürlich kannst Du bei einem schönen Tag sagen "super".

    Trotzdem bleibt das nüchterne Leben ein Leben mit Höhen und Tiefen. Leute, die noch nie getrunken haben, haben im Allgemeinen auch kein angenageltes Grinsen. Sondern die gehen halt nüchtern durchs Leben. Nüchtern heisst an anderer Stelle aber auch "sachlich".

    Und wenn Du nicht von Haus aus ein sonniges Gemüt hast, dann kommt das auch nüchtern nicht automatisch.

    Im Gegenteil wird rein positives Denken heute schon wieder kritisch gesehen, weil es die Leute zu sehr unter Druck setzt.

    Kann schon auch sehr befreiend sein, wenn der Tag auch mal schlecht sein darf.

    Wenn ich nicht zu jedem Mist "Hurra" sagen muss.

    Ich kenne mich und das ist für mich der entscheidende Punkt.

    Ich kann zwar sehr gut drauf sein, viel lachen, aber ab und zu habe ich einfach Scheixxtage. Schon wegen meiner Behinderung, aber auch früher. Ich bin so, und so zu tun, als ob ich nicht so wäre, ist mir zu anstrengend. Und es ist mir oft auch absolut egal, wie mich andere sehen. Also ne Fassade aufrechterhalten tue ich nicht. Verbundenheit mit anderen nur wenns wirklich passt, und zwar auch für mich.

    Und aus dieser Selbsterkenntnis heraus war mir klar, die Nüchternheit muss irgendwie ein Selbstläufer werden. Wenn ich immer kämpfe, wird mir das zu viel werden. Und sie muss immer klappen, denn ob ich aus einem Rückfall noch mal rauskommen würde, weiss ich nicht. Ich hab immerhin gesoffen, bis der Notarzt kam, und irgendwann hätte ich vielleicht kein Glück mehr gehabt.

    Also bin ich radikal trocken geworden. Aber ich machs mir auch leicht, indem ich rückfallfrei bleibe. Denn Rückfall würde immer an meinen Kräften zehren und mein Selbstvertrauen untergraben. Schietegal, wie der aussehen würde.

    Und dann, nüchtern, und wenn Trinken keine Option mehr ist, überlegst Du Dir, wie Du sonst zufrieden wirst.

    Hoffe, mich verständlich ausgedrückt zu haben.

    Gruß Susanne

  • Bei mir ist das Leben bereits ein paar Monate nach meiner Entscheidung zum Verzicht auf Nikotin und Alkohol in Tat - spür- und erlebbar - besser geworden, was mich ja selbst am meisten überrascht hat. Diese 1jährige Abstinenz war für mich eigentlich eher so eine Art interne Challenge - zugegebernmaßen etwas angeschoben durch Schiss vor späterer Krankheit. Unter uns: Ich bin kein Alkoholiker, wäre aber vermutlich in wenigen Jahren einer geworden. Der Konsum ging aufwärts; ich wollte das Tal der Tränen gar nicht weiter "erforschen". Und ich hatte viel Glück: Durch meinen Wohnungswechsel und ein paar anderer guter Rahmenbedingungen konnte ich mir ständig vor Augen führen: Jetzt oder nie.

    Das auffälligste nach ein paar Monaten Abstinenz sind diese Momente des plötzlichen Glücks, diese Freude über ein Lächeln meines Gegenübers, ein leichtes Beschwingt-Sein beim flüchtigen Blick in das bunte Treiben der Stadt, Sonne auf meiner Haut ... die Deformation meines Belohnungszentrums wurde rückgängig gemacht. Seitdem bin ich auch viel näher am Wasser gebaut. Nicht in der Öffentlichkeit, aber in Momenten, wo ich bei mir bin.

    Natürlich geht's mir gelegentlich auch richtig schlecht. Mitunter ist diese Welt einfach doof. In solchen Momenten hilft es mir - wie anscheinend auch Dir - am allerwenigsten, wenn ich dann noch zwanghaft glücklich sein soll. Jeder hat ein Recht auf Unzufriedenheit und schlechte Laune. Beides lasse ich mir nicht nehmen - schon gar nicht von solch bestenfalls mittelschlauen Chaka-Schönschreiberlingen. Ich finde, dass man die gesamte Bandbreite von beschi..en bis ganz toll mitnehmen sollte. Dieses klitzekleines Maß an Weisheit habe ich durchaus: Wenn man den unteren Bereich ausgekostet hat, geht's irgendwann wieder bergauf. Glück ist halt ein Kontrasterlebnis: Ohne Tal kein Berg.

    In meinem Eingangsstatement hatte ich mal was von Säen und Ernten geschrieben. Irgendwie haftet für mich dem Drogen-getriggerte Glücksgefühl etwas Künstliches an: Da wird im Gehirn ein Dopamin-Cocktail angerührt, der letztlich keinen realen Hintergrund hat. Man lebt eben für für Minuten bis Stunden in der Alkohol-Matrix. Echtes Glück aufgrund des Erntens der eigenen Saat gibt's eben nicht umsonst, sondern nur dann, wenn man sein Leben auch lebt.

    Ich hab den nüchternen Lifestyle, wenn Du das so willst.

    Damit kann ich was anfangen: Das Wording gefällt mir.

    By the way: Ich empfinde ja den Spruch "Leben als Urlaub vom Tod" als ein durchaus inspirierendes Mindset: Das ermuntert mich gelegentlich, diese wenigen tausend Tage meines Daseins im großen und ganzen zu genießen.



    Hoffe, mich verständlich ausgedrückt zu haben.

    Ja, hast Du.

  • Hallo Fortune.

    Das auffälligste nach ein paar Monaten Abstinenz sind diese Momente des plötzlichen Glücks, diese Freude über ein Lächeln meines Gegenübers, ein leichtes Beschwingt-Sein beim flüchtigen Blick in das bunte Treiben der Stadt, Sonne auf meiner Haut ... die Deformation meines Belohnungszentrums wurde rückgängig gemacht. Seitdem bin ich auch viel näher am Wasser gebaut. Nicht in der Öffentlichkeit, aber in Momenten, wo ich bei mir bin.

    Auch ich kenne das, was du da beschreibst. Ich denke, dass es ohne dieses gewisse Tal, das man vorher erlebt hat, nicht so intensiv wahrgenommen würde. Ich denke, dass es mit dem bewussten Einlassen auf das, was unter Achtsamkeit zusammengefasst wird, zu tun hat.

    Und im ersten Jahr der Abstinenz geht’s meiner Beobachtung nach so richtig rund. Das habe ich bei mir selbst so wahrgenommen und auch bei anderen. So mancher - auch ich selbst - ist im ersten Jahr mitunter emotional etwas instabil. Zu erkennen ist das zum Beispiel daran, wie leicht sich jemand im ersten Jahr angegriffen fühlt. Ich selbst war da keine Ausnahme.

    Das dürfte durchaus etwas mit Veränderungen in der Biochemie des Gehirns zu tun haben, aber auch damit, sich nicht mehr mit Alkohol zu betäuben o.ä., sondern sich mehr oder minder bewusst dem zu stellen, was man gerade wahrnimmt, fühlt usw.

    Ich find‘s übrigens schön, dass du deine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen hier teilst. Vielleicht nimmt der eine oder die andere etwas davon für sich mit.

    SOBER CURIOUS

    Nüchtern mit Neugierde

    Verzicht auf Alkohol sei eine Reise, um sich klüger, schöner, fokussierter, interessanter, "grenzenlos präsent" zu fühlen und eine "tiefe Verbindung" zu allem herzustellen.

    Mir persönlich ist das too much, auch wenn es in meinem abstinenten Leben gewisse Anklänge daran gibt, aber die haben eher etwas mit meinen Interessen und meiner Persönlichkeit zu tun.

    So formuliert, klingt das wie die Werbeversprechen sogenannter Heilsbringer, die sich aber in der Realität in dieser Art und Weise gar nicht halten lassen.

    Mir geht’s mitunter auch so richtig mies. Ist dann eben so, gehört zum Leben offenbar hinzu. Dann heißt es für mich, meine Balance zwischen Annehmen, Selbstfürsorge, Geduld, Gelassenheit usw. zu finden.

    Viele Grüße

    AmSee

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    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo Fortune,

    zu dem Folgenden möchte ich hier in deinem Faden noch ein paar Gedanken teilen.

    Ich habe mich vor Kurzem aber dennoch gefragt:

    Warum schließe ich nicht Frieden mit mir, mit anderen und mit meiner Vergangenheit?

    Ehrlich gesagt habe ich kein überzeugendes Gegenargument gefunden.

    Ich finde allein schon den Gedanken sehr entspannend.

    In MEINEM Leben habe ich erfahren dürfen, wieviel in jener Weisheit „Alles hat seine Zeit“ aus Pred 3 steckt. In der Aufzählung, die nach diesem Satz folgt, heißt es unter anderem „lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit“.

    In meinem Leben ist Manches passiert, was mich innerlich schwer verletzt und für mein Leben geprägt hat. Ich war mir dessen nicht unbedingt bewusst, aber es hatte durchaus seine Auswirkungen in meinem Leben.

    Als Kind aus alkoholkranker Familie habe ich unbewusst Muster erworben, nach denen ich nahezu mein ganzes Leben gelebt habe: Ich fühlte mich zum Beispiel stets superverantwortlich. - Was übrigens, das weiß ich inzwischen, nicht immer richtig und auch angebracht war.

    Ich war stets um Höflichkeit und Freundlichkeit bemüht, zum einen, weil ich so erzogen bin, und zum anderen, weil es auch dem Schutz meiner eigenen inneren Sicherheit, die stets auf schwachen Füßen stand, diente. Negative Gefühle wie Ärger oder Wut unterdrückte ich. Überhaupt empfand ich Gefühle als gefährlich. Ärger und Wut brachen dann bei mehr oder minder unpassender Gelegenheit vulkanartig hervor, wenn der sprichwörtliche Tropfen das Fass zum Überlaufen brachte.

    Im Nachhinein denke ich, dass das eben auch seine Zeit hatte, bis dann eben die Zeit kam, in der ich in die Lage versetzt wurde (Den Ausbruch meiner schweren Erkrankungen betrachte ich als solchen Wendepunkt und als Chance), etwas daran zu ändern, und ich innerliche Heilung erreichen konnte.

    Während dieses Heilungsprozesses konnte ich dann endlich auch meinen Frieden mit mir und mit meiner Vergangenheit schließen. Nicht, dass ich das nicht vorher auch schon auf eigene Faust versucht hätte, aber die Verletzungen waren offensichtlich so tief, dass erst der richtige Zeitpunkt und die passende, professionelle Hilfe kommen musste. - Alles hat seine Zeit.


    Als ich bei dir den Absatz zum „Brücken bauen“ las, dachte ich zunächst an jene Zeit, in der ich zwanghaft ein gewisses Muster bedienen musste. Und in der ich stets Verständnis und Empathie für ANDERE aufgebracht habe und von Selbstfürsorge keine Ahnung hatte bzw. keinen Begriff hatte, wie das eigentlich geht.

    Heute baue ich tatsächlich mitunter Brücken, aber ich unterstehe keinem inneren Zwang mehr, sie bauen zu müssen. Und ich nehme anderen Menschen nicht mehr die Verantwortung ab, die sie selbst tragen müssten. Höflich und freundlich bin ich noch immer, aber nicht mehr zwanghaft und nicht um jeden Preis.

    Manche sind halt noch nicht so weit, dass sie anders handeln können; manchmal schaukeln sich Dinge wechselseitig hoch, manchmal gibt's Missverständnisse und manchmal einfach unterschiedliche Meinungen, die sich (zum aktuellen Zeitpunkt) nicht wirklich übereinander bringen lassen ... Stellt Euch mal kurz vor, alle anderen wären so pfiffig und so toll wie wir es sind? Das wäre vermutlich auch kein Paradies.

    Bei dem, was ich geschrieben habe - und wie ich Susanne kenne, geht das bei ihr auch in die Richtung - geht es nicht darum, dass wir von anderen erwarteten, „so pfiffig oder so toll wie wir“ (Sind wir das wirklich? - Würde ich von mir so übrigens nie behaupten.) zu sein.

    Menschen sind, wie sie eben sind, es gibt gute darunter und es gibt schlechte usw.

    Ich akzeptiere das, wie es eben ist, ändern kann ich es ja nicht. Ich muss sie nicht alle lieben und ich DARF mich von Menschen abgrenzen, die ich nicht mag, die negativ sind, deren Ansichten ich nicht teile usw. Auch das ist Teil meiner Selbstfürsorge.

    Bei schlechtem Wetter zieht man entsprechende Kleidung an, im Umgang mit gewissen Menschen kann man sich wappnen oder sich abgrenzen oder ihnen schlicht aus dem Weg gehen.

    Freundliche Grüße

    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Ich machs mal kurz.

    Die wesentlichen für mich zu bewältigenden Konflikte waren innerhalb meiner Herkunfsfamilie, und die habe ich ziemlich gut gelöst, als es endlich möglich war. Gehören ja immer mehrere dazu, wenn sich Dein Gegenüber sperrt, kannst Du machen was Du willst. Bei uns war die Familie in einer hässlichen Scheidung auseinandergeflogen, und keiner wollte vom Anderen noch was wissen. Ein paar Gewalterfahrungen gehören auch zu der Geschichte, Und das hatte auch ein paar Jahre Vorlauf. Meine Eltern haben danach nie wieder ein Wort miteinander gewechselt. Und das ist rum ums Eck, weil einer schon gestorben ist...am Alkohol. Irgendwo in den Tiefen dieses Forums kannst Du das finden, wenn es Dich interessiert.

    Ich habe meinen Frieden damit gemacht.

    Ansonsten, einmal bei Facebook die Kommentare unter verschiedenen Beiträgen gelesen, und ich weiss nicht mehr, wozu jemand die Menschheit retten will. Das betrifft mich im Alltag aber nicht.

  • Was ich noch sagen wollte.

    Diese Konflikte waren noch in vollem Gange, als ich das Trinken aufgehört habe.

    Sie haben mich also nicht daran gehindert, das Saufen aufzuhören.

    Früher hab ichs ab und zu vorgeschoben, um die Sauferei zu begründen. Die gute alte schwierige Kindheit. Wenn jemand mal wieder unbedingt wissen wollte, warum ich so bin, wie ich bin. Und jeder, der meinen Vater kennengelernt hatte, fand das logisch, dass man da einen Dachschaden davontragen muss.

    Aber an sich wars ja so, dass ich zum Ende meiner Saufzeit mein Leben nach aussen gut im Griff hatte. Wenn halt die Sauferei nicht gewesen wäre. Und zu meinen Eltern hatte ich da kaum Kontakt, ich hatte das nicht auf dem Schirm.

    Bei mir wars eher das Gefühl, so schlecht, wie ich mit mir selbst umgehe, kann sonst gar niemand mit mir umgehen. Wenn ich das aufhöre, ist der ganze große Rest auch zu bewältigen.

    Mein Leben wurde innerhalb weniger Tage besser, schon allein weil ich ja jede Woche sowas wie nen kalten Entzug hatte. Ich hatte aber eher zu hohe Erwartungen, was sich da alles verbessern würde. Ich musste erst mal realistisch werden, und das dauerte ein Weilchen.

    Einmal editiert, zuletzt von Susanne68 (6. September 2023 um 19:57)

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