Suchtdruck allgemein - miteinander vergleichbar?


  • Liegt es am fehlenden Willen, an der magelnden Ernstlichkeit des Unterfangens oder betrifft die Qualmerei einfach eine komplexere Sucht als die Flasche?

    Nach allem, was ich diesbezüglich inzwischen an Fachliteratur, an Erfahrungsberichten gelesen habe und durch meine eigenen Rückfälle zur Qualmerei am eigenen Leib erfahren habe, liegt es wohl nicht daran, dass die Qualmerei eine komplexere Sucht wäre als die Flasche.

    Zwar hat Nikotin offenbar ein höheres Abhängigkeitspotential, aber das bedeutet letztlich nur, dass du erheblich schneller von Nikotin abhängig werden kannst als von Alkohol.

    Umgekehrt wirkt Alkohol offenbar viel tiefer auf die Neurochemie und -biologie des Gehirns und des Körpers allgemein ein als Nikotin das tut.

    Die diversen Erfahrungsberichte enthalten völlig unterschiedliche Erfahrungen. Den einen fällt der Ausstieg aus der Qualmerei verhältnismäßig leicht und sie bleiben problemlos rauchfrei, dafür kämpfen sie aber sehr beim Ausstieg vom Alkohol und werden schlimmstenfalls rückfällig. Den anderen fällt der Ausstieg vom Alkohol verhältnismäßig leicht und sie bleiben mehr oder minder problemlos abstinent, dafür kämpfen sie aber beim Ausstieg aus der Qualmerei und haben u.U. auch mit Rückfällen zu tun.


    Ich zum Beispiel muß mich offenbar zur zweiten Kategorie zählen… :rotwerd:

    Nach meinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen liegt es auch nicht am fehlenden Willen oder einer magelnden Ernstlichkeit des Unterfangens.

    Als ich zum Beispiel die Erkenntnis, wohin ich mit meinem Alkoholkonsum auf dem Weg war, zuließ und ich tatsächlich offen dafür wurde, dass ein abstinentes Leben erstrebenswert werden könnte (zufriedene Abstinenz), war der Ausstieg gar nicht sooooo schwer. Mein damaliger Faden hier zeugt davon.

    Was das Rauchen betrifft, so habe ich schon eine Ewigkeit klar vor Augen, was das in meinem Körper anrichtet und meine etlichen Unterfangen, damit aufzuhören, waren zweifellos immer sehr ernstlich und ich habe sehr, sehr viel Energie darein investiert, von dieser Sucht wegzukommen. Und wenn ich‘s geschafft hatte, hatte ich stets die feste Überzeugung und den Willen, nie wieder mit der Qualmerei anzufangen.
    Ich hab‘s vor einiger Zeit endlich wieder geschafft, aus dieser Sucht auszusteigen. Ich hoffe, dass ich damit nun wirklich endlich durch bin. Die Chancen stehen nach allem, was ich inzwischen erreichen dürfte, ziemlich gut.

    Rückfällig wurde in in den letzten Jahren immer dann, wenn ich völlig unerwartet unter höchste psychische Anspannung geriet. Unter einen Druck, der jedes Mal so groß war, dass ich das Gefühl hatte, ihn keinen Moment länger aushalten zu können. - Wer sowas schon mal erlebt hat, weiß, wovon ich spreche…. - In solchen Situationen hat bislang jedes Mal keines meiner eingeübten Werkzeuge geholfen. Ich wusste, was passiert, wenn ich auch nur eine rauche, aber in solchen Situationen war mir „das Hemd näher als die Hose“.

    Ich erkläre mir das damit, dass ich in genau so einer Situation vor ein paar Jahren Nikotin bzw. eine richtig inhalierte Zigarette als sehr, sehr hilfreich erlebt habe, der unerträgliche psychische Druck ließ nahezu unmittelbar deutlich spürbar nach. Keines meiner Notfall-Medikamente hat das je geschafft. - Darf es auch nicht, denn dann hätte es ein überaus starkes Abhängigkeitspotential.

    Nebenbei bemerkt: Ich vermute, dass ich in Teufelsküche gekommen wäre, wenn ich in einer solchen Situation jemals Alkohol konsumiert hätte. DAS aber habe ich ganz bewusst niemals getan, weil ich um die Gefahr diesbezüglich wusste. Bei Zigaretten habe ich damals, als ich diese zum ersten Mal in einer solchen Situation nutzte, diese Gefahr nicht erwartet. - Heute bin ich schlauer. nixweiss0


    Nun zum Willen: Ich habe immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass der Wille, der vorher definitiv da war, nahezu völlig weggewischt war, wenn ich tatsächlich in höchster Not und eigentlich nur als absolute Ausnahme zu Zigaretten gegriffen hatte. Hatte ich einmal wieder geraucht, wollte ich merkwürdigerweise nicht mehr damit aufhören. Als Außenstehender packst du dir einen den Kopf, aber von Innen sieht das aus mir nicht bekannten Gründen anders aus.

    Ich vermute, dass das mit dem hohen Abhängigkeitspotential von Nikotin zu tun hat, weiß dazu aber nichts näheres. Der Wille, nicht rauchen zu wollen, mir diesen Mist nicht antun zu wollen, musste sich jedes Mal aus mir unerfindlichen Ursachen erst wieder aufbauen. Manchmal habe ich nur ein paar Monate dafür gebraucht, zuletzt mehr als ein Jahr.

    Diese Rückfallerlebnisse aber führen mir vor Augen, was passieren KÖNNTE, wenn ich auch nur ein Mal, ausnahmsweise - wer kennt diese Argumentation nicht - Alkohol konsumieren würde. Und dazu will ich es niemals kommen lassen.


    Ansonsten: Nikotin kommt irgendwie nicht so schlimm daher wie Alkohol. Sowas wie einen Rausch erlebst du damit nur, wenn du’s so richtig übertreibst. Dazu kommt’s tatsächlich aber sehr, sehr selten, im Gegensatz zu Alkohol.

    Menschen mit ADHS, die aufgrund der ständigen Reizüberflutung, enorm gefordert und gestresst sind, erleben eine spürbare Milderung, wenn sie rauchen. Dazu gibt’s meines Wissens sogar wissenschaftliche Untersuchungen.
    Das wiederum, diese gewisse Milderung von etwas, das sonst als unangenehm erlebt wird, - mancher dürfte zum Alkoholiker geworden sein, weil er eben nicht zu den „Normalen“ gehört* - KÖNNTE ein Grund sein, warum so manchen Alkoholikern zwar der Ausstieg von der Flasche gelingt, sie aber von den Kippen nicht lassen können.


    *Bezug auf das Buch von Manfred Lütz, „Irre - Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde“ ;)

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

    Einmal editiert, zuletzt von AmSee13 (21. April 2023 um 20:31)


  • Was das Rauchen betrifft, so habe ich schon eine Ewigkeit klar vor Augen, was das in meinem Körper anrichtet und meine etlichen Unterfangen, damit aufzuhören, waren zweifellos immer sehr ernstlich und ich habe sehr, sehr viel Energie darein investiert, von dieser Sucht wegzukommen. Und wenn ich‘s geschafft hatte, hatte ich stets die feste Überzeugung und den Willen, nie wieder mit der Qualmerei anzufangen.
    Ich hab‘s vor einiger Zeit endlich wieder geschafft, aus dieser Sucht auszusteigen. Ich hoffe, dass ich damit nun wirklich endlich durch bin. Die Chancen stehen nach allem, was ich inzwischen erreichen dürfte, ziemlich gut.

    Rückfällig wurde in in den letzten Jahren immer dann, wenn ich völlig unerwartet unter höchste psychische Anspannung geriet. Unter einen Druck, der jedes Mal so groß war, dass ich das Gefühl hatte, ihn keinen Moment länger aushalten zu können. - Wer sowas schon mal erlebt hat, weiß, wovon ich spreche…. - In solchen Situationen hat bislang jedes Mal keines meiner eingeübten Werkzeuge geholfen. Ich wusste, was passiert, wenn ich auch nur eine rauche, aber in solchen Situationen war mir „das Hemd näher als die Hose“.

    wenn das wieder auftritt, einfach nur warten und weiteratmen. Bis es vorbei geht. Es geht vorbei.

    ich meine, bei mir war das anfangs extrem. Ich hab ernstlich drüber nachgedacht, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, damit ich bewusstlos werde und das somit aufhört. Aber es ging vorbei. Und das wusste ich. Es geht niemals ewig.

  • Übrigens auch:
    gottserbärmilich fluchen
    Scheisse schreien
    wie ein Rohrspatz schimpfen

    vor ein paar Monaten einen Artikel gelesen, dass das z.b bei unerträglichen Schmerzen nachweislich hilft, es besser auszuhalten, wobei ich da einen Unterschied zwischen Dauerschmerz und dem momentan Schmerz machen würde, wen Du dir auf den Daumen haust.

    Aber was blieb mir denn anderes übrig, als einfach auszuhalten, als ich wegen meinen anderen Baustellen Dauerkrämpfe, Dauerschmerzen, Dauerschlaflosigkeit hatte? Wenn jedem Arzt erst mal das Gesicht runterfällt, wenn Du aus dem CT kommst? Da haben Sie ja nicht gekleckert, sondern geklotzt. Shit happens Da ist nix von wegen Techniken. Aushalten, schimpfen, Punkt. Mir doch egal, wie das aussieht.

    Und schon viel früher hatte ich mir beim Schifahren das Bein gebrochen. Und lag da verdreht auf der Piste, bis ich irgendwann abtransportiert wurde. Ein wahnsinniger Schmerz. Da hab ich geflucht wie ein Rohrspatz, in einer Tour. Was hätte ich sonst auch schon tun können?

  • wenn das wieder auftritt, einfach nur warten und weiteratmen. Bis es vorbei geht. Es geht vorbei.

    Wenn’s nur so einfach wäre…
    Doch, nach dem, was du über dich so erzählst, weißt du, dass das alles andere als einfach ist… ;)

    Ich kenne deine Methode und noch ein paar andere und habe die durchaus auch probiert und mich darin geübt, um es ggf.. als Werkzeug zur Verfügung zu haben. Ja, auch Fluchen und Schreien war darunter, Eiswasser, extrem scharfe Bonbons, stachelige Massagebälle, Steine im Schuh, sportliche Übungen wie Wadenpresse. Und so weiter. Halt Skills für die Zugangsbereiche, die in einer Anspannungssituation noch offen sind (kognitiv, visuell, haptisch und noch ein vierter Bereich, der mir grad nicht einfallen will).
    Mein Therapeut hat mich mit der sogenannten „Vier-Elemente-Übung“ vertraut gemacht und ich bin auch darin geübt…

    Doch das waren bislang dann immer wieder solche Momente, in denen ich mehr oder minder von jetzt auf gleich ohne, dass ich das erwartet hätte, in den Hochspannungsbereich (sozusagen von 0 auf 100) geriet. In diesem Bereich tritt bei bei mir in der Regel ausgeprägte Autoaggression auf.


    Ich hab ernstlich drüber nachgedacht, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, damit ich bewusstlos werde und das somit aufhört.

    So ähnlich ist das bei mir auch immer wieder abgelaufen, nur dass in mir das ausgeprägte Verlangen auftritt, mich extrem zu verletzen (wie genau, lasse ich hier bewusst weg, will ja keinen auf Ideen bringen…..) Und es kommen auch Suizidgedanken auf. Ich tu‘s nicht, wehre mich gegen den Drang, mich verletzen zu müssen und wähle, weil’s nicht auszuhalten ist, das Mittel, das in dem Moment den geringsten Schaden anrichtet, aber den Druck spürbar verringert: Zigaretten.

    Wenn ich mal wieder eins meiner depressiven Tiefs hab, kann ich die inzwischen tatsächlich mehr oder minder einfach aussitzen. In diesen Zeiten ist zwar alles schwarz und hoffnungslos und zwar immer schon gewesen und wird es immer sein, aber aufgrund meiner Erfahrungen, die ich mir deutlich und bewusst eingeprägt habe, und meiner Achtsamkeit WEISs ich, dass es tatsächlich vorbei geht.
    Diese Momente im Hochspannungsbereich sind anders….


    Natürlich hab ich versucht, dem auf den Grund zu kommen und präventiv tätig zu werden. Ich konnte ausmachen, dass das etwas mit seelischen Verletzungen und daraus resultierenden „Fehlentwicklungen“ zu tun hat. Da sind offenbar so ein paar Triggerpunkte in mir vorhanden, die verborgenen Tretminen ähnlich sind….

    Mit meinem Therapeuten, der auch auf den Bereich der Trauma-Therapie spezialisiert ist, habe ich die eine oder andere Verletzung und das, was damit zusammenhängt, aufarbeiten können.
    Die eine oder andere „Tretmine“ ist entschärft und weggeräumt, was auch Konsequenzen für andere im Prinzip noch verborgene „Tretminen“ hatte.

    Von daher stehen meine Chancen inzwischen recht gut, dass auch mit der Qualmerei endlich dauerhaft Schluss ist.


    Aufgrund dieser Erfahrungen und dem, was ich bei meinem Vater beobachten musste, bin ich überaus vorsichtig, hauptsächlich auf die sogenannte „Innere Einstellung“ als Erklärung für mehr oder minder auftretenden Suchtdruck zu setzen. Auch wenn ich in Bezug auf Alkohol ähnliche Erfahrungen mit Suchtdruck gemacht habe wie du und diese Erklärung sehr viel für sich hat.


    Ich glaube, auch aufgrund dieer Erfahrungen, dass es steilenweise mit der inneren Einstellung zusammenhängt. Wenn ich eigentlich trinken will und es mir verbiete, dann kann der Druck leicht aufkommen.

    Ich hab mit Interesse verfolgt, was du in dem anderen Faden zum Thema geschrieben hast. An den einen oder anderen Punkt habe ich auch gedacht, ohne das im Moment schon so zusammenfassen zu können, dass ich darüber schreiben könnte.

    Aufgrund meiner Erfahrungen beim Rauchen bin ich jedenfalls einfach nur heilfroh, dass ich meiner Sorge gefolgt bin und in diesen gewissen Situationen nicht zum Alkohol gegriffen hatte.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.


  • bin ich überaus vorsichtig, hauptsächlich auf die sogenannte „Innere Einstellung“ als Erklärung für mehr oder minder auftretenden Suchtdruck zu setzen

    ich bin weit davon entfernt, zu glauben, dass Rückfälle nur deswegen passieren, weil es Leuten an er inneren Einstellung mangelt. Oder am Willen. Oder weil sie zu blöd sind, es zu lassen. Ich hab mich lange damit beschäftigt, warum es so schwierig ist, sich zu ändern. Vielschichtiges Thema. Und fängt schon in der Schwangerschaft an mit der Regulation des Stresssystems, Bindungssicherheit, Interaktionen pipapo.

    Was mir mal eine zeitlang geholfen hat, war, mich geistig in Leute zu versetzen, die sich in einer Zwanglage befinden, in der sie selbst nichts mehr machen können. Im Krieg. Nach Naturkatastrofen. Nach Unfällen. Z.B.

    Die können sich ja nicht einfach wegmachen. Weil es keinen Alkohol gibt und keine Kippen. Und nicht "ja, aber". es git Situationen da ist das nicht erreichbar.Weil sie gefesselt sind. Weil sie sich nicht bewegen können. Weils einfach nichts gibt weit und breit.

    Und da ist es eben so, dass der Körper in lebensgefährlichen Situationen auf Ressourcen zurückgreifen kann, von denen wir Wohlstandsbürger (und das sind wir alle, und grade als Alkis, denn dazu muss es den Alk ja erst mal geben) kaum mehr was ahnen. Wir können ja nur deswegen zum Alk und zur Kippe greifen, weil wir sie überhaupt haben.

    Womit ich das nicht kleinreden will. Aber rein von der Sache her ist es eben so, es geht auch anders..wenns unbedingt muss.

  • ich bin weit davon entfernt, zu glauben, dass Rückfälle nur deswegen passieren, weil es Leuten an er inneren Einstellung mangelt. Oder am Willen. Oder weil sie zu blöd sind, es zu lassen.

    Ich hab mir das bei dir schon so gedacht, dennoch dürfte es nicht schaden, dass das hier explizit geklärt wird, um gerade bei denen, die mehr oder minder noch am Anfang stehen, keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.



    Was mir mal eine zeitlang geholfen hat, war, mich geistig in Leute zu versetzen, die sich in einer Zwanglage befinden, in der sie selbst nichts mehr machen können. Im Krieg. Nach Naturkatastrofen. Nach Unfällen. Z.B.

    Immer wieder interessant für mich zu beobachten, wie sich unsere Interessen mitunter ähneln. Mit solchen Menschen/ Themen habe ich mich auch beschäftigt und tue es noch.

    Da dürftest du auch auf die biologischen Stressreaktionen „fight“, „flight“, „freeze“ gestoßen sein.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Ja, abhauen, totstellen, kämpfen. Und totstellen ist eben...warten, bis es von selbst vorbeigeht. Manchmal die einzige Möglichkeit. Wenn der Löwe größer und schneller ist und man beim Kampf nur verliert und Abhauen seinen Jagdinstinkt weckt.

  • Und im übrigen angeborene Verhaltensweisen, die sich willentlich kaum steuern lassen, da sie ausgeführt werden, bevor das Bewusstsein überhaupt zum Denken kommt.

    Die sich aber trainieren lassen, wie das Training von Rettungsdiensten und Soldaten oder überhaupt von Risikoberufen zeigt. Oder kognitive Verhaltenstherapie bei Phobien.
    Bis zu einem gewissen Grad halt. Der Knackpunkt ist der, erst zu denken und dann zu handeln, und das muss eben trainiert werden, dass Du nicht gleich wegrennst oder hochgehst, sondern erst mal die Situation erfasst. Und dummerweise steht das Bewusstsein im Verdacht, nur diese Dinge aufmerksam zu betrachten, die das Unterbewusste nicht selbst erledigen kann. Suchtdruck "kann" das Unterbewusste, das Denken musst Du einschalten, um dagegen zu halten. Das ist zumindest der Punkt, wo es zum Rückfall aus heiterem Himmel kommen kann. Aber genau dabei hilft eben Übung und grade nicht zwanghafte Risikovermeidung.

    Trotzdem bleibts die eigene Entscheidung, in der extremen Spannngssituation zur Kippe zu greifen. Weil da denkst Du ja anscheinend vorher. Ja, eben, was würde passieren, wenn es da weit und breit keine Kippen gäbe? Sterben würdest Du da dran wohl nicht.

    Wie schnell muss man laufen, um dem Löwen zu entkommen? Schneller als der Nebenmann...


  • Ja, abhauen, totstellen, kämpfen. Und totstellen ist eben...warten, bis es von selbst vorbeigeht. Manchmal die einzige Möglichkeit. Wenn der Löwe größer und schneller ist und man beim Kampf nur verliert und Abhauen seinen Jagdinstinkt weckt.

    Genau. Dummerweise verkraftet das Gehirn das Totstellen, also das Runterfahren aller Systeme wohl nicht so gut… Hast du dich auch mal näher mit der Entstehung von Traumata beschäftigt und Traumabewältigung?

    Spannende Lektüre!

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.


  • Suchtdruck "kann" das Unterbewusste, das Denken musst Du einschalten, um dagegen zu halten. Das ist zumindest der Punkt, wo es zum Rückfall aus heiterem Himmel kommen kann. Aber genau dabei hilft eben Übung und grade nicht zwanghafte Risikovermeidung.

    Bin ich ganz bei dir.

    Nur würde ich jemandem, der gerade noch am Anfang und somit vor vielen Baustellen steht, dem eine gewisse Erfahrung und damit ein gewisses Einschätzungsvermögen, worauf er sich da eigentlich einlässt, fehlt, nicht raten, gleich in die volle Konfrontation zu gehen.

    Vermeidung KANN u.U. hilfreich sein.

    Immer bei Vermeidung zu bleiben, KANN allerdings dazu führen, dass ein gewisses Problem noch größer wird. Ich denke da an das Phänomen oder Symptom der „Generalisierung von Angst“.



    Ja, eben, was würde passieren, wenn es da weit und breit keine Kippen gäbe? Sterben würdest Du da dran wohl nicht.

    Es gibt aber nun einmal einen Kiosk und mehrere Tankstellen in meiner unmittelbaren Umgebung. :devilsmile:

    Ja, ich weiß durchaus, worauf du hinaus willst… Ich hab’s bei besten Willen bislang nicht besser hingekriegt. nixweiss0

    Um so wichtiger ist mir dann Aufarbeitung dessen, was dazu geführt hat, und Prävention.



    Wie schnell muss man laufen, um dem Löwen zu entkommen? Schneller als der Nebenmann...

    Was für eine Frage, wenn der Löwe gleichzeitig du selbst bist…. :grins:

    ICH hab da dummerweise noch ein weiteres Handicap:
    Wegrennen bzw. mich körperlich richtig verausgaben, was ich früher tatsächlich gemacht habe, geht bei MIR leider nicht mehr. Die dafür nötigen Kräfte in den Beinen und, selbst wenn ich einen Rollstuhl hätte und nicht auf die Beine zurückgreifen müsste, in den Armen, hat mir dummerweise die MS genommen. Uups. :grins:

    Im Ernst, ich nehm das mit Humor.
    MEIN Problem müssen wir hier nicht lösen. Ich hab da definitiv nicht Leidensdruck und inzwischen einen Weg gefunden, der für MICH ok ist.

    Falls du aber ne zündende, praktikable Idee haben solltest, was ich im Fall einer erneuten Extremsituation tun könnte, nur heraus damit. Ich bin ganz Ohr. :welcome:

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.


  • Hast du dich auch mal näher mit der Entstehung von Traumata beschäftigt und Traumabewältigung?

    nicht so wirklich. ich hab aber irgendwann mal gemerkt, dass ich mich selbst überhaupt nicht spüre. Dass ich gar keinen Bezug zu meinen Gefühlen habe. Dass ich mich in lebensgefährliche Situationen bringen muss, um überhaupt zu merken, dass ich leben will und das mir das doch nicht so ganz egal ist. So beim Klettern z.B mein persönliches Rätsel: werde ich mich anstrengen, wieder runterzukommen, oder ist mir das auch egal, wenn ich runterfliege? Und das war nicht nur ein Psychospielchen, sondern ich bin auch geflogen. Und natürlich schon da, wo die nächsten 40 Jahre keiner hinkommt, wo also nicht damit zu rechnen war, dass mich jemand findet.

    Ja, oder auch beim Saufen. Dauerte lange, bis ich überhaupt merkte, wie beschissen es mir schon lange ging. Das ist mir zum größten Teil erst aufgefallen, im Rückblick, als ich aufhörte, wie oft ich da gehangen war. Im Währenden hatte ich das immer gleich verdrängt. Mir war das die ganzen Jahre gar nicht wirklich bewusst oder ich konnte mich gleichgültig drüber unterhalten, wie wenn das einen ganz anderen Menschen nur betroffen hätte. Einen, den ich gar nicht kannte und der mir weitgehend egal war.

    Ich musste mich lange in Situationen bringen, auch in sehr kritische Situationen, auch zwischenmenschlich, damit ich anschliessend mein eigenes Verhalten reflektieren konnte, um überhaupt einen Ansatz zu kriegen, was in mir drin vielleicht so los sein könnte. Also eigentlich ja auch eine Art Dissoziation. Weil wenn ich so im Normalzustand in mich reingeguckt habe, war da nur Leere.

    Wie nennt sich das heute? Belastungstrauma? Ja, ich hab mich auch lange totgestellt. Bloß nicht die Aggressionen meines Alten wecken und solche Dinge. Immer schön unter dem Radar bleiben...


  • Immer bei Vermeidung zu bleiben, KANN allerdings dazu führen, dass ein gewisses Problem noch größer wird. Ich denke da an das Phänomen oder Symptom der „Generalisierung von Angst“.

    es ist nicht nur das. Das immunsystem muss beispielsweise trainiert werden. Sonst kann es mit vielen Erregern nicht umgehen. Und es gibt interessante Verbindungen zwischen Immunsystem und Stresssystem und Bewusstsein.
    Das gleiche betrifft die inneren Erwartungen und z.B das Priming. Ja, da gehts dann schon in die Richtung "die Angst vor der Angst"...und auch da drum, dass sich Körper und Geist auch auf Erwartungen einstellen können, und zwar physiologisch. Manche Drogen sind in bekannter Umgebung ungiftiger als in fremder Umgebung, auch was die tödliche Dosis angeht, wusstest Du das?

    Wird mir für heute aber etwas zu viel.


  • Suchtdruck "kann" das Unterbewusste, das Denken musst Du einschalten, um dagegen zu halten. Das ist zumindest der Punkt, wo es zum Rückfall aus heiterem Himmel kommen kann.

    Da fällt mir wieder der Punkt an, von dem du gestern geschrieben hast, und der mich an etwas erinnert hat, was mir diesbezüglich schon öfter aufgefallen ist.


    Und insgesamt ist der größte Teil der Hirnaktivität für unser Bewusstssein nicht erreichbar, und zwar prinzipiell, wir kriegen ja nur das mit, was dann über die Bewusstseinschwelle kommt.

    Wer kennt das nicht, das ihm ein bestimmter Name, Begriff oder Sachverhalt gerade nicht präsent ist, Stunden oder auch ein, zwei Tage später aber ist er da, taucht wie aus dem nichts auf.

    Ich finde das immer wieder spannend zu beobachten, denn nichts deutet vorher darauf hin, dass der Name, Begriff oder Sachverhalt gleich da, also in deinem Bewusstsein, ist.

    Dem Ganzen geht lediglich voraus, dass du einen Gedanken hattest, dem du nachgehen wolltest. Und dein Gehirn spuckt es nach einer Weile einfach von wo auch immer in dein Bewusstsein aus.


    Dieser Umstand deutet darauf hin, dass plötzlicher Suchtdruck ebenfalls durch einen längst vorher angestoßenen, inzwischen nicht einmal mehr bewussten Gedanken hervorgerufen worden sein könnte. Und wenn man dann noch an die Automatismen denkt, von denen du in ebenfalls geschrieben hattest….
    Insofern spricht sehr viel dafür: „Suchtdruck "kann" das Unterbewusste“

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.


  • Manche Drogen sind in bekannter Umgebung ungiftiger als in fremder Umgebung, auch was die tödliche Dosis angeht, wusstest Du das?

    Nee, wusste ich nicht, find‘s aber interessant, davon zu hören.



    Wird mir für heute aber etwas zu viel.

    Weißt ja, jeder hier, wie er mag und gerade kann.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.


  • Wer kennt das nicht, das ihm ein bestimmter Name, Begriff oder Sachverhalt gerade nicht präsent ist, Stunden oder auch ein zwei Tage später aber ist er da, taucht wie aus dem nichts auf.

    das geht ja noch sehr viel weiter und tiefer. Das gesamte Selbstbewusstsein beruht im Kern auf den Rückmeldungen der verschiedenen Sinnesrezeptoren im ganzen Körper. Augen, Ohren, Lagerepeptoren, Schmerzrezeptoren, Tastsinn, Geruch. Die Hirnzentren, wo das zuerst ankommt, hatten aber schon Fische und Amphibien. Und das meiste davon läuft absolut vollautomatisch und auch im Schlaf. Was bewusst wird, sind schon sehr weit fortgeschrittene Verarbeitungen dieser Signale. Gesichter z.B. Und alles vom Hirn gesteuert, Körpertemperatur, Herzschlag, Verdauung, Atmung. Du kannst gar nicht bewusst verdauen. Und wenn Du Dich anstrengst, beschleunigt sich die Atmng ohne jedes bewusste Zutun. Die Rückmeldung sagt Dir aber, dass was los ist und das Du was fühlst.

    Und alle unsere kognitiven Leistungen bauen darauf nur auf. Aber wenn Du z.B vollautomatisch beim Fluchtreflex Stresshormone ausschüttest, dann kriegt das die Amygdala mit dann spürst Du z.B. Angst. Lebensunwichige Systeme werden heruntergefahren, damit alles der Fluchtreaktion zur Verfügung steht. Der erregungszustand steigt.
    Die Angst und die Stressreaktion kann aber auch dadurch erst entstehen, wenn Du eine Situation als angsterregend bewertest. Also von oben durchs Bewusstsein. Aus Erfahrunen heraus, z.B. oder auch nur durch Vorstellungen, Einbildung. Und jede Erfahrung, die Du machst, wird auch unbewusst bewertet, ob die Situation gefährlich ist oder nicht. wie Du reagieren solltest. Und das muss ja manchmal schnell gehen, deswegen wird es automatisiert..ist schneller als erst lange nachdenken zu müssen. Da kann Dich der Löwe ja schon gefressen haben, wenn Du erst nachdenken musst.

    Und Ängste werden auch unbewusst stärker gewichtet, weil in einer angsterregenden Situation eher was Schlimmes passiert als in einer Wohlfühlsituation. Diejenigen, die sich nicht entscheiden konnten, hat der Löwe längst gefressen, die haben sich nicht weitervermehrt. Also die Evolution hat das optimiert, damit man Nachkommen produzieren kann.

    Nur haben wir halt heute die Gelegenheit, uns mit Dingen umzubringen, die unmittelbar gar nicht gefährlich aussehen. Und Alkohol ist auch noch so freundlich, das wir meist schon vorher Kinder haben können..wird also nicht selektiert. Und in kleinen Mengen, die es früher gab, förderte er den Zusammenhalt und die Geselligkeit und zeigt noch früher sogar sehr kalorienhaltige Nahrung an. Denn zum Gären brauchts Zucker, die Hirnnahrung, und auch das zieht uns an.
    Dass man Säufer werden kann, gibt es ja erst, seit dem man auch genügend Alkohol produziert. Im Grund eine Zivilisationskrankheit. So lange es nur alle Jahre vergorene Früchte gab, passierte ja nichts.

  • Da noch was


    ICH hab da dummerweise noch ein weiteres Handicap:
    Wegrennen bzw. mich körperlich richtig verausgaben, was ich früher tatsächlich gemacht habe, geht bei MIR leider nicht mehr. Die dafür nötigen Kräfte in den Beinen und, selbst wenn ich einen Rollstuhl hätte und nicht auf die Beine zurückgreifen müsste, in den Armen, hat mir dummerweise die MS genommen. Uups. :grins:

    Im Ernst, ich nehm das mit Humor.
    MEIN Problem müssen wir hier nicht lösen. Ich hab da definitiv nicht Leidensdruck und inzwischen einen Weg gefunden, der für MICH ok ist.

    Falls du aber ne zündende, praktikable Idee haben solltest, was ich im Fall einer erneuten Extremsituation tun könnte, nur heraus damit. Ich bin ganz Ohr. :welcome:

    ich hab mal die Beobachtung gemacht, dass ich nach zu großer Verausgabung sogar reizbarer bin als völlig ausgeruht.
    Und es war ein Riesenproblem, als ich mich wegen den Krämpfen gar nicht mehr ausruhen konnte.
    Jedenfalls musste das Ausagieren auch gut dosiert sein. Ist übrigens nachgewiesen, zu viel sollte es nicht sein. Z.B. gegen Depressionen, wo man sich ja auch bewegen soll. 20 Minuten helfen, 2 Stunden machen es (oft)schlimmer. Da muss man zumindest Pausen machen. Weil man die Energie ja auch noch für was Anderes braucht.

    Und ich kann das auch nicht wirklich lösen, denn die Kippe musst ja Du stecken lassen. Da bin ich ja gar nicht dabei, wenn das passiert.
    Und ich weiss natürlich auch, dass ich wieder angefangen habe, bevor ich meine Wohnung zerlegt habe, also was ich da für Prioritäten hatte.

    Ich kann Dir aber sagen, schon mein Vater hatte es von sich gesagt, und ich sage es von mir: es war nicht Selbstliebe. Sondern der reine Hass auf mich selbst und dass mich diese winzigen Stängel so im Griff hatten, dass ich ja offensichtich schwächer war als dieses Ding. Die pfleglichen Dinge waren erfolglos durch. Ich hab mich streng erzogen.
    Selbsthass mag enttäuschte Selbstliebe sein, aber es ist auch wieder eine Dissoziation: DU Arschloch rauchst immer noch. DU Raucher in mir. Und um mich zu mögen, musste ich den loswerden. Aber dieser kognitive Überhang half mir da gar nicht. Nur erst mal innere Arschtritte. Und ich war sicher, das geht keine 40 Jahre so, die ich noch leben wollte.

    Ich hab, häha, übrigers auch beim Alk, mit mir selbst geredet, da würde ich von jedem anderen eine Beleidigungsklage kriegen. Aber mit mir darf ich ja reden wie ich will. Und ich hab da trotzdem noch den Punkt, das es mir langfristig ja guttut, also cum grano sale.

    Ich weiss gar nicht, ob Du so brutal zu Dir überhaupt sein willst. Bei mir heiligt der Zweck manchmal die Mittel.

    Und was mir definitiv geholfen hat, nicht mehr anzufangen, war genau das, dass es mir so schwerfiel und dass ich das auf gar keinen Fall noch mal machen wollte. Das hat mich später in ein zwei kritischen Situationen absolut davon abgehalten.

    Vielleicht fällt Dir das Aufhören zu leicht?

  • Wow, ist das heute spannend und interessant hier! 44.

    Dissoziation…. Jo, bin ich vertraut mit. Kenne ich in verschiedensten Ausprägungen… Auch den Selbsthass, den - so viel weiß ich inzwischen - eher ein verinnerlichtes Introjekt schürt oder hervorruft. Es ist das, was meinen sogenannten „Inneren Kritiker“/ „Inneren Antreiber“ ausmacht. Es ist ein (bis vor nicht allzu langer Zeit überaus dominanter) Teil meines Selbst.



    Ich weiss gar nicht, ob Du so brutal zu Dir überhaupt sein willst.

    Man kann auf verschiedene Weisen äußerst brutal sein…. Und ich (oder vielmehr mein Introjekt) war äußerst brutal mit mir, immer wieder….


    Du erinnerst mich da aber an eine Situation, in der ich mich erfolgreich gegenüber diesem Introjekt zur Wehr setzen konnte und diesen Teil von mir für eine Weile zum Schweigen bringen und insgesamt auf ein angemesseneres Maß degradieren konnte…

    Und jetzt, da ich daran denke, wird mir einmal mehr bewusst, was für eine Stärkung dieses „Ich“ im Laufe der Therapie erhalten hat…


    Die ganze Diskussion heute macht MIR aber auch einmal mehr bewusst, dass es richtig und wichtig für MICH ist, die ganze Angelegenheit auch in Bezug auf den Alkohol nicht zu leicht zu nehmen.



    Vielleicht fällt Dir das aufhören zu leicht?

    Nicht wirklich. Wann immer ich rückfällig geworden war, habe ich lange gebraucht, um wieder aufhören zu können. Auch der Gedanke an das erneute Versagen hat mir oft die Energie genommen.
    Das Aufhören an sich war jedes Mal anders, da war von „Ich dreh total durch“, Schlafstörungen, rasenden Kopfschmerzen, bis „mehr oder minder easy“ alles dabei.

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

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