Liebe Mina,
danke Dir für Deine netten Zeilen und auch dafür, dass Du mir kurz über Deine Nahtoderfahrungen berichtet hast. Wie gesagt, ich möchte dieses Thema hier gar nicht "groß" werden lassen, weil ich denke, dass das hier nicht her gehört. Es sei denn, es wäre mit Deiner Alkoholgeschichte verbunden aber so wie Du schreibst, scheint das ja nicht der Fall zu sein. Zumindest waren diese Erlebnisse wohl nicht entscheidend dafür, dass Du da so tief hinein geraten bist.
Weißt Du, ich habe mich im Zuge der Aufarbeitung meiner Suchtgeschichte dann relativ bald mit dem Sinn meines Lebens beschäftigt. Muss man bestimmt nicht unbedingt machen, gibt bestimmt viele, die auch ohne selbst erkannten Sinn gut ein neues Leben ohne Alkohol leben können und das auch tun. Bei mir war es nur so, dass ich mir dachte: Was will ich denn jetzt eigentlich mit meinem Restleben noch anfangen? Ich dachte mir: Eigentlich habe ich da ja jetzt gerade eine Megachance mein Leben so richtig zu verändern, weil der, der alles gekillt hat, nämlich der Alkohol, aus meinem Leben verbannt war.
Und je mehr ich da nachdachte, desto entschlossener wurde ich, diese Chance jetzt auch zu nutzen. Ich empfand es schon fast als "Verschwendung" meines Restlebens, wenn ich jetzt einfach weiter so "vor mich hin" lebe, wo ich doch jetzt "richtig" leben könnte. Weil ich endlich FREI war. Ich empfand es als eine unfassbare Freiheit, nicht mehr trinken zu müssen, keinen mehr trinken zu wollen. Da wollte ich für mich und mein Leben etwas daraus machen.
Nur was, diese Frage konnte ich gar nicht so einfach beantworten. Wer will ich denn jetzt sein? Wie will ich sein? Was will ich denn jetzt noch erreichen und wofür und für wen? Letztlich: Wo ist denn jetzt "mein Sinn", also mein Lebensinn, für den ich lebe und den ich anstreben möchte. Ein sehr spannender und für mich auch sehr erfüllender Prozess, übrigens noch nicht abgeschlossen bzw. ich bin davon überzeugt, dass er erst mit meinem Tod abgeschlossen sein wird. Und für mich ist es sehr schön, dass ich nicht das Gefühl habe hier gäbe es irgendwo ein Ende oder einen Punkt, den ich erreichen muss und dann ist das Ziel erreicht.
Da denke ich immer an einen Berggipfel. Man versucht ihn zu erreichen, es ist das große Ziel. Hat man ihn erreicht, geht es aber nur noch bergab, also wieder herunter. Und ich denke mir: ich strebe nicht nach einem Gipfel, den ich erreichen möchte. Ich will einfach immer an mir und meinem Sinn arbeiten, auch akzeptieren das sich Dinge / Ziele im Laufe eines (Rest-)Lebens verändern können und dass es dazu gehört, immer wieder zu reflektieren und ggf. Korrekturen vorzunehmen.
Ich bin schon wieder am Philosophieren, entschuldige bitte. Alles was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass ich mich im Zuge dieser Sinnfindung eben auch mit Religion, Persönlichkeitsentwicklung, auch Esoterik und son "Zeugs" (aber eher oberflächlich) beschäftigt habe und dabei eben über diese Nahtodgeschichten gestolpert bin. Hat mich fasziniert, allerdings verfüge ich irgendwie auch über eine Art Grundskepsis, die wohl auch ein Wesenszug von mir ist. Was nicht heißt, dass ich ein Pessimist oder sowäre, im Gegenteil aber ich hinterfrage schon gerne und versuche immer zu verstehen. Und ich finde das jetzt sehr spannend, wie sachlich, sozusagen nüchtern ;D Du diese Erlebnisse von Dir beschreibst. Das was ich da konsumiert habe, hatte immer sehr euphorische Protagonisten, also ausnahmslos, wenn ich mich richtig erinnere. Aber wie gesagt, soll jetzt nicht das Thema sein und wenn es für Dich ein Grund ist, da mal drüber nachzudenken, dann freut es mich, ,wenn ich Dir (ungewollt) einen Denkanstoss liefern konnte.
Denkanstösse sind es übrigens unter anderem auch, warum ich hier bin. Ich bekomme hier immer wieder sehr viele davon und das bringt mich oft weiter. Und da geht es bei mir jetzt ja schon lange nicht mehr um den Alkohol an sich. Man kann hier sehr viel auch jenseits dieses Themas für sich mitnehmen. Also ich jedenfalls.
Dabei belasse ich es jetzt mal. Bis bald mal und
liebe Grüße
Gerchla