Vorstelung und Fragen zum Rückfall

  • Hallo an alle,
    bin 35 und seit 7 Monaten trocken. Hatte meine Reha im November letzten Jahres beendet. Habe Sport und hier besonders Ausdauersport für mich entdeckt. Im November geht es auch mit einer neuen beruflichen Laufbahn los. Alles scheint in Butter.
    Leider nicht!
    Ich hatte vor einer Woche einen massiven Rückfall. Ich habe fünf Tage durchgetrunken. Insgesamt kamen etwa 12 Flaschen Wein und zwei Flaschen Wodka zusammen. Ich habe an die meiste Zeit davon keine Erinnerung. Für mich war und ist das ein völlig unbekannter Zustand, da ich in meiner nassen Zeit immer nur Abends zum Runterkommen getrunken habe. Zwar auch keine unbedeutenden Mengen, aber doch niemals exzessiv.
    Meine Liebste holte mich aus diesem Zustand. Ich bin ihr so dankbar. In der ersten Nacht bei ihr musste der Notarzt kommen, da ich nicht mehr ansprechbar war und gewürgt habe. Als er da war, habe ich mich wieder berappelt.
    Der nächste Tag ohne Alkohol war der Horror. Ich hatte massive Entzugserscheinungen (Schwitzen, Puls, Zittern, Gliederschmerzen, Unruhe, Panik, Verlangen nach Alkohol). Wir sind dann in eine Klinik gefahren, die mich aber nicht aufnehmen wollte, da meine Vitalwerte okay waren und ich keine Risikogruppe für ein Delirium darstellen würde.
    Okay, wieder nach Hause und unter Aufsicht meiner Liebsten. Was soll ich sagen, viele kennen das hier, drei Tage Horror. Erst ab dem vierten Tag konnte ich wieder normal Dinge tun.
    Heute ist der sechste Tag. Ich fühle mich unendlich müde, habe noch Denkstörungen und massive Alpträume mit Schweiß in der Nacht.
    Ich versuche mich mit Spaziergängen und Dehnübungen wieder an den Sport anzunähern. Leider bin ich nach jeder Mahlzeit soooo müde und fühle mich schwindlig.
    Jetzt habe ich folgende Fragen an euch:
    Kennt jemand diesen neue Dimension des Trinkens in einem Rückfall mit Gedächtnisverlust?
    Ist es normal, dass ich nach fünf Tagen Trinken in so einen Entzugszustand, wie manch anderer nach 10 Jahren Alkohol, komme?
    Ist es normal, dass ich mich nach sechs Tagen immer noch so fühle? Hat hier jemand eine grobe Orientierung?

    Ich muss dazu sagen, dass ich niemals in einer Entgiftung war, da ich damals beschlossen hatte, nicht mehr zu trinken und eine Reha beantragt habe. Natürlich in Begleitung meiner Hausärztin und der Suchtberatung.
    Auch muss ich sagen, dass ich derzeit auch in guten Händen meiner Nachsorge bin, die mich beim ganzen Horrortrip telefonisch beglitten hat. Übermorgen werden die Gründe für den Rückfall analysiert.

    Ich bin euch sehr dankbar für Antworten
    Gruß
    Stephan

  • Kleiner Nachtrag:
    Natürlich habe ich beim Entzug eine Menge Wasser und Tee getrunken. Habe Mineralien, Vitamine und leichte Speisen zu mir genommen.

  • Hallo Stefan,
    herzlich Willkommen hier Forum, gut, dass du zu uns gefunden hast.

    Ich selbst, Ende 40, Alkoholikerin und Erwachsenes Kind aus alkoholkranker Familie, kann deine Fragen nicht aus eigener Erfahrung beantworten, aber ein paar Antworten kann ich dir vielleicht doch geben.

    Ja, solche Dimensionen des Trinkens in einem Rückfall können auftreten. Ich kann dir allerdings nicht beantworten, warum das so ist.
    Die Antwort wird vielleicht auch in dir selbst begründet liegen, denn es wird seine Ursache haben, warum du zum Alkohol gegriffen und dich abgeschossen hast.
    Da würden jedenfalls meine Fragen ansetzen: Was ging dem Rückfall voraus? Hat sich nach und nach innerer Druck aufgebaut, dass du auf die „Lösung“, mit Alkohol Druck vom Kessel zu nehmen, gekommen bist? Gab es einen oder mehrere Trigger?

    Bei den Mengen, die du zu dir genommen hast, hast du deinem System mächtig eins auf die Rübe gegeben. Ja, da kann es vorkommen, dass du solche Entzugssymptome entwickelst.

    Körperliche Entzugserscheinungen können meiner Kenntnis nach zwei Wochen lang auftreten.

    Was du durchmachst, ist ein „Kalter Entzug“ und ich rate dir dringend deswegen deinen Hausarzt aufzusuchen. Ein „Kalter Entzug“ kann lebensgefährlich werden.
    Bedauerlich, dass die dir in der Klinik das nicht geraten haben, aber aufgrund der Fälle, die bei denen aufschlagen, vielleicht nicht so sehr verwunderlich. Dein Hausarzt wird dich ambulant beim weiteren Entzug begleiten können.

    Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig weiterhelfen. Andere werden sich zu deinem Fragen sicherlich noch äußern.

    Alles Gute dir weiterhin.

    Viele Grüße
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo AmSee,

    vielen Dank für deine Antwort. Ja, ich bin schon in die Analyse gegangen und ja, es gab Auslöser, die ich gekonnt und gewollt ignoriert hatte. All das Gelernte war über Bord geworfen. Daher bin ich so schockiert. Es ist eben ein Unterschied zwischen gelernt, verinnerlicht und gefestigt. Mir ist jetzt bewusst, dass der Weg noch lang wird.
    Was den Entzug betrifft, so habe ich das Schlimmste schon hinter mir. Ich war nur sehr geschockt über meine körperliche Reaktion. Die Nachwehen tuen immer noch weh. Ende der Woche bin ich bei meinem Hausarzt zur Blutkontrolle.

    Gruß
    Stephan

  • Hallo Stefan,
    gut, wenn ich dir ein wenig weiterhelfen konnte.
    Ich weiß nicht alles aus eigener Erfahrung, zu meinem Glück nicht, aber ich habe mich sehr, sehr viel mit diesem Thema beschäftigt und lese sehr viel dazu.



    Ja, ich bin schon in die Analyse gegangen und ja, es gab Auslöser, die ich gekonnt und gewollt ignoriert hatte. All das Gelernte war über Bord geworfen. Daher bin ich so schockiert. Es ist eben ein Unterschied zwischen gelernt, verinnerlicht und gefestigt.

    Wenn du das für dich schon so weit klären konntest, bist du erfahrungsgemäß auf einem guten Weg.
    Möglicherweise hast du in all dem Unglück sogar Glück gehabt, dass du gleich so abgestürzt bist. Ich hab jedenfalls mal von anderen eine ähnliche Erfahrung gelesen und wie heilsam diese für sie war.

    Ich weiß ja selbst, wie verlockend Alkohol des Weges kommt. Eine solche Schock-Erfahrung wie deine setzt deinem Suchtgedächtnis, das so gerne vergisst und weich zeichnet, möglicherweise einen wirksamen Kontrapunkt entgegen.

    Zitat


    Mir ist jetzt bewusst, dass der Weg noch lang wird.

    Vielleicht ist der nun auch kürzer als du denkst. Wer weiß?
    Vielleicht kannst du nun besser nachvollziehen, was du in der Reha gelernt hast. Hast du eine richtige Entzugstherapie gemacht?

    Ich selbst habe zwar keine LZT für Alkoholiker gemacht, aber ich lese sehr viel und beschäftigte mich nicht nur in diesem Forum mit dem Thema. Ich habe in den vergangenen Monaten sehr, sehr viel hinzugelernt, auch über mich. Mit dem, was dir geschehen ist, bist du nicht alleine.

    Wenn du das jetzt als Chance sehen kannst, etwas dauerhaft zu ändern und das, was du an Hilfreichem gelernt hast, verinnerlichen kannst, ist der Weg meiner Erfahrung nach leichter.

    Zitat


    Was den Entzug betrifft, so habe ich das Schlimmste schon hinter mir. Ich war nur sehr geschockt über meine körperliche Reaktion. Die Nachwehen tuen immer noch weh. Ende der Woche bin ich bei meinem Hausarzt zur Blutkontrolle.

    Mit „Kaltem Entzug“ ist wirklich nicht zu spaßen, nicht ohne Grund wird hier und anderswo davor gewarnt und der dringende Rat gegeben, sich ärztliche Begleitung zu holen. Du kannst nicht wissen, ob du das Schlimmste hinter dir hast. - Du nicht und andere, die von dir lesen und das nachahmen, ebensowenig. -

    Ja, die körperliche Reaktion ist schon erstaunlich, aber ich habe davon gelesen, dass das vorkommen kann. Je länger ich mich mit dem Thema beschäftige, desto weniger harmlos finde ich Alkohol.

    Alles Gute dir!
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo, Stephan!

    Auch von mir ein HERZLICHES WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: 58, m, Alkoholiker, nach mehreren Anläufen nun seit 13 Jahren trocken und seit ca. 10 Jahren auch selbst in der Suchtselbsthilfe aktiv.

    AmSee hat Dir ja schon Einiges geschrieben, u.a. dass sie sich sehr viel mit dem Thema Alkoholismus beschäftigt. Und aus eigener Erfahrung (nach meiner ersten LZT habe ich das Thema abgehakt - und nach ca. einem Jahr dann einen Rückfall gehabt, der mich 4 Jahre festhielt) habe ich festgestellt, dass es helfen kann, sich mit dem Thema zu beschäftigen, mehr über die Hintergründe zu erfahren, die Mechanismen, aber auch einfach nur die Geschichten Anderer zu hören/lesen ...
    Leider ist es ja momentan nicht/schlecht möglich, an realen SHG teilzunehmen. Aber Foren wie unseres und/oder Literatur (Tipp: unsere Bücherecke oder unsere Linksammlung ;) ) können da helfen.

    Mich würde mal interessieren, was Du in den sieben Monaten nach Deiner Therapie gemacht hast. Hast Du andere Hilfen in Anspruch genommen oder hast Du alleine weitergemacht wie "vorher".

    Du musst nicht antworten - ist nur mein Interesse.

    Ansonsten wünsche ich Dir einen guten Austausch und viel Erfolg wikende091

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Vielen vielen Dank für die Antworten,

    @AmSee
    Ja, ich habe eine richtige LZT gemacht in einer Institution, die ich wirklich jedem ans Herz legen würde. Einer der Hauptteile der Therapie war Sport und Aktivität an sich. Daher bin ich auch zum Sport gekommen. Ohne ist es undenkbar. Zum Beispiel hatte ich vor zwei Wochen einen kleinen Muskelfaserriss und war gezwungen nicht aktiv zu sein. Dies war auch ein Faktor meines Rückfalls. Im Falle von Suchtdruck oder allgemeiner Unzufriedenheit ging ich Joggen oder machte Krafttraining.

    Greenfox
    Danke für den Input. Mir fehlen wirklich Gruppengespräche. Insofern wäre eine SHG wirklich gut. Aber die Pandemie...
    Klar darfst du fragen, was ich gemacht habe: Ich war in der Nachsorge mit einem Gespräch wöchentlich, habe mich erst einmal von meiner Wohnung distanziert und mich mit Verwandten ausgesprochen. Des Weiteren habe ich aktiv Sport gemacht. Gedanken über meine weitere berufliche Laufbahn haben dazu geführt, dass ich bald umziehen werde. Meine Wohnung ist toxisch. Dort ist auch der Rückfall passiert.

  • Hallo Stephan,

    herzlich Willkommen bei uns im Forum.

    Bevor ich Dir meine Gedanken schreibe, stelle ich mich kurz vor:

    Ich bin Anfang 50, Alkoholiker und lebe jetzt schon lange ohne Alkohol. Davor habe ich weit über 10 Jahre abhängig getrunken, die meiste Zeit davon heimlich. Ich hatte Familie (Frau und 2 Kinder) und habe bis zum Schluss irgendwie funktioniert. Letztlich war ich dann selbst derjenige, der sich geoutet hat und damit dann die Wende eingeleitet hat.

    Ich möchte Dir meine "Geschichte" zum Thema Ausdauersport schreiben. Ich habe dazu auch eine Geschichte, die auch in unmittelbarem Zusammenhang mit meiner Alkoholsucht steht. Ich schreibe Dir heute als jemand, der jetzt seit vielen Jahren läuft, bevorzugt Langstrecke ab 10 km aufwärts bis hin zur Halbmarathondistanz, die ich normalerweise jeden Sonntag absolviere.

    Ich schreibe das jetzt nicht, um als besonders sportlicher oder besonders "toller" disziplinierter Mensch rüber kommen zu wollen. Ich schreibe Dir das eigentlich nur, weil mich diese Zeilen von Dir nachdenklich gemacht haben:

    Zitat

    Einer der Hauptteile der Therapie war Sport und Aktivität an sich. Daher bin ich auch zum Sport gekommen. Ohne ist es undenkbar. Zum Beispiel hatte ich vor zwei Wochen einen kleinen Muskelfaserriss und war gezwungen nicht aktiv zu sein. Dies war auch ein Faktor meines Rückfalls.

    Sogar sehr nachdenklich, wenn ich ehrlich bin. Aber ich denke, das sollte ich Dir erklären.

    Als ich damals mit dem Trinken aufgehört habe, brach bei mir und vor allem auch bei meiner Familie die gesamte (gedachte) Zukunft zusammen. Auch meine Familie wusste nicht, dass ich Alkoholiker war und vor allem wusste meine Frau nicht, dass ich nebenher noch ein Doppelleben geführt habe. Als ich mich outete, machte ich reinen Tisch und ich habe wirklich alles offenbart, was es zu offenbaren gab. Und da waren wirklich ungeheuerliche Dinge dabei, für dich mich heute noch so schäme, dass ich manchmal gar nicht glauben kann, dass das wirklich ich getan habe. In der letzten Konsequenz bedeutete das dann, dass es zur Trennung zwischen meiner Frau und mir kam, welche zwar letztlich von mir ausging (sie wäre durchaus bereit gewesen den Weg aus der Sucht mit mir zu gehen), was es aber für mich und auch alle anderen Beteiligten nicht besser machte. Vor allem meine Kinder litten fürchterlich und ich litt vor allem wegen meiner Kinder.

    So kam es also, dass ich bereits kurze Zeit nachdem ich nicht mehr trank, auch die gemeinsame Wohnung verließ und in eine kleine Wohnung in die große Stadt zog. Auf einmal war bei mir plötzlich alles anders und es war plötzlich auch so, wie ich es mir vorher nicht hätte vorstellen können und wie ich es auch nie hätte haben wollen. Nicht mehr auf dem Lande, nicht mehr den großen Garten und das Haus, nicht mehr meine Kinder um mich sondern einfach eine kleine Altbauwohung in einem nicht besonders hoch angesehenen Wohnviertel in der Stadt.

    Das saß ich also nun mit meinen Gedanken. Ein Anker war damals eine SHG, die ich bereits am ersten Abend ohne Alkohol aufgesucht hatte und die dann tatsächlich sogar in Fußnähe meiner neuen Wohnung war. Dort war ich dann jeden Abend zugegen. Ich hatte keine Therapie wie Du, war aber absolut bereit eine zu machen, sollte ich (oder der Arzt/Psychologe) der Meinung sein, es wäre notwendig oder der richtige Weg. Also saß ich jetzt da und hatte vor allem mit meinen Schuldgefühlen zu kämpfen. Schuldgefühle, weil ich meine Familie verlassen hatte, weil ich überhaupt zum Säufer wurde, weil ich jahrelang ein Doppelleben geführt hatte und weil ich gelogen und betrogen hatte, was das Zeug hält. Und weil ich meine Frau bis zum Schluss in dem Glauben gelassen habe, dass alles gut wird und alles soweit in Ordung ist (sie hat natürlich was gemerkt, wusste es nur nicht zu deuten).

    Jetzt sah ich, immer wenn ich meine Kinder traf, welch unglaubliches Leid ich angerichtet hatte und das hat mich ziemlich niedergedrückt. Ich hatte wirklich Angst, dass ich an dieser Schuld zerbrechen könnte, was dann gleichbedeutend gewesen wäre mit "wieder zur Flasche greifen".

    Was also tun? Und da kam mir der Sport in den Sinn. Dazu musst Du wissen, dass ich als Jugendlicher und junger Erwachsener, also bevor ich süchtig wurde, bereits ein begeisterter Läufer war. Dieser Sport hat mir damals wahnsinnig viel gegeben und ich hatte auch sowas wie Talent und ich wusste, dass ich in diesem Sport einen Ausgleich finden könnte. Ich wusste, wie er auf mich "wirkt".

    Und genau deshalb, habe ich mich damals GEGEN ihn entschieden. Denn ich hatte genau vor dem große Angst, was Dir jetzt passiert ist. Ich hatte Angst davor, dass ich durch den Sport meine Sucht nicht so aufarbeite, wie es nötig wäre um mit ihr "abschließen" oder sagen wir, wenigstens mit ihr leben zu können. Ich hatte Angst davor, dass ich mich in den Sport flüchte und dass, sollte ich ihn nicht mehr ausüben können (wie Du von Dir berichtest), ich Gefahr laufe, in ein Loch zu fallen und dann wieder zum Alkohol zu greifen.

    Ich wollte aber mein Wohlbefinden nicht von irgendeinem äußeren Einfluss abhängig machen. Ich wollte eigentlich von innen heraus soweit mit mir im Reinen sein, dass ich von mir aus nicht mehr trinken will. Damals waren meine Gedanken bei weitem nicht so klar, wie ich sie hier jetzt forumiliere. Es war alles zu frisch und ich war hin und her gerissen. Dennoch war mir irgendwie klar, dass ich nicht von der einen Sucht in die nächste fliehen wollte. Wobei ich jetzt bei "Sport machen" nicht gleich von Sportsucht sprechen möchte, wirklich nicht. Die gibt es ja auch, aber die schaut dann nochmal ganz anders aus und ist ebenfalls eine fürchterliche Krankheit. Nein, ich meine damit, dass ich eben mein Wohlbefinden nicht unmittelbar abhängig machen wollte davon, dass ich Sport machen kann.

    Man kann das übrigens auch ganz anders sehen (wie Deine Therapeuten ja scheinbar auch), denn alles ist besser als weiter zu trinken. Und wenn Sport beim Aufhören hilft dann ist das per se nicht schlecht. Ich hatte damals diese eben geschilderten Bedenken oder Ängste und fing deshalb nicht mit dem Laufen an.

    Trotzdem hatte ich ja aber diese großen und wirklich abstinenzgefährdenden Probleme mit meinen Schuldgefühlen und natürlich auch der ganzen, für mich völlig belastenden, neuen Situation. Ich musste also was tun, nur (weg-)laufen kam für mich nicht in Frage. Die Alternative konnte dann ja nur ein ganz bewustes Außeinandersetzen mit der Situation und meiner Lage sein. Und auch ein Zulassen und auch aushalten der damit verbunden Gefühle, welche überwiegend negativ waren. Aber ohne Hilfe schien mir das nicht zu schaffen zu sein. Letztlich kam ich dann an einen Mönch (lange und abgefahrene Geschichte), der mir statt eines Psychologen (welchen ich ganz klassisch vorher "probiert" hatte), zur wichtigsten Stütze bei der Aufarbeitung meiner Sucht wurde. Und vor allem ein zuverlässiger Begleiter auf meinem Weg zurück ins Leben bzw. in ein neues Leben ganz ohne Alkohol.

    Falls Du jetzt denkst "Mönch, bleib mir damit vom Leib, mit der Kirche habe ich nichts am Hut", dann will ich einfach noch sagen, dass das bei mir damals ganz genauso war. Ich war weder religiös noch hatte ich sonst irgendwas mit der Kirche im näheren Sinne zu tun. Dieser Mönch war einfach jemand, den ich mal paar Jahre vorher zufällig wo erlebt hatte und der mich damals (obwohl ich bestimmt einiges Intus hatte) sehr beeidruckt hatte. Ich dachte damals, der hat so eine Ruhe und wirkt so zufrieden, so möchte ich auch sein. Das hatte ich nie vergessen und obwohl ich noch nicht mal seinen Namen wusste, dachte ich mir, mit dem würde ich gerne über meine Situation reden. Naja, ist ne längere Geschichte mit ein paar Hindernissen aber am Ende war er auch bereit mit mir zu reden und daraus wurden dann viele Gespräche. Übrigens keines davon drehte sich um Gott oder Glauben sondern es ging immer um den Sinn meines Lebens, um meine Schuld und wie ich damit zukünftig leben kann bzw. was ich aus meinem "neuen" Leben machen kann. Und auch darum, was ich aus meiner Vergangenheit lernen könnte. Es ging also genau um die Dinge, die mich belastet haben.

    Als ich dann, nach ca. einem Jahr, alles soweit mal aufgearbeitet hatte und sozusagen mit dem Gröbsten durch war, begann ich mit dem Laufen! Und es kam wie es kommen musste. Es ließ mich nicht mehr los, bis heute. Nur das Laufen für mich heute nicht mehr das ist, was es früher einmal war.

    Früher ging es mir um die Fitness, um die Leistung, mich auch mal auf Wettkämpfen mit anderen messen, immer versuchen noch einen ticken besser zu werden. Und stolz zu sein, dass ich so fit war und so ein guter Läufer, der immer im vorderen Drittel, manchmal auch ganz vorne in den Finisherlisten zu finden war.

    Heute laufe ich, um mit mir und der Natur verbunden zu sein. Um einfach mal eine Stunde oder auch zwei, denken zu können. Um mit mir alleine sein zu können und meinen Tag durchdenken zu können (ich laufe bevorzugt morgens vor der Arbeit). Das schließt nicht aus, dass ich auch mal Bock darauf habe, "einen raus zu hauen", wo ich mal teste, ob ich die 10 km noch unter 45 Min laufen kann. Aber das steht überhaupt nicht im Fokus, dass ist dann eher der Spaßfaktor bei der Geschichte. Auch laufe ich meist einmal im Jahr einen Marathon, einfach nur um ihn mit meinem besten Freund zusammen zu laufen, wovon wir die ersten 30 km komplett verquatschen und die letzten 12 vor uns hin röcheln. Es geht nicht mehr um die Finisherliste, darum besonders toll oder gut zu sein. Es geht nur noch darum, Spaß zu haben wenn ich mal mit anderen unterwegs bin und Zeit für mich zu haben, bei den vielen Läufen die ich morgens absolviere. Und klar, es ist schön fit zu sein, es ist toll essen zu können was man will, aber am Ende sind das die "Nebenwirkungen", nicht die Motivation.

    Was ich sagen will: jetzt ist der Sport, in meinem Fall das Laufen, ein toller Ausgleich, etwas das mir Ruhe gibt, auch Zufriedenheit. Es gibt mir die Möglichkeit mit mir selbst zu sein, draußen in der Natur zu sein und auch ganz viel Dankbarkeit spüren zu können, dass ich das alles tun kann.

    Aber, ich brauche es nicht um trocken zu bleiben. Ich hatte auch schon Zeiten, wo länger nix ging. Einmal hat mich ein Infekt fast 2 Monate lahm gelegt, aber sowas von. D. h. , von 4 - 5 mal die Woche laufen zu gar nicht mehr laufen. Da merkte ich, dass ein einfacher Sparziergang, den aktuellen Kräften angepasst, genauso "befriedigend" ist, wie ein Lauf. Ich merkte auch, dass ein "einfaches sich Zeit für die eigenen Gedanken nehmen", weil auch ein Spaziergang nicht drin war, ebenso befriedigend sein kann, wie ein Lauf oder ein Spaziergang. Am Ende geht es immer darum, dass man mit sich selbst im Reinen ist. Und mit sich und seinem Leben zufrieden ist. Ist das der Fall, wozu soll dann Alkohol noch gut sein?

    Letztlich haben wir ihn doch alle deshalb getrunken, weil wir etwas verändern wollten, mit seiner Hilfe. Oder weil wir es in unserem "nüchternen Zustand" nicht ausgehalten haben. Weil wir dachten, er würde uns helfen, zu entspannen, zu entfliehen, etc. Aber wenns nix zum Entfliehen und zum Entspannen gibt, wenn Du mit dem was gerade ist abslout zufrieden bist, vielleicht sogar glücklich, wozu soll Dir dann der Alkohol noch nützlich sein? In den vielen Jahren ohne Alkohol habe ich gerlernt, dass es "nur" darum geht sein eigenes Leben so zu gestalten, dass man damit zufrieden ist. Gerne zwischendrin auch mal glücklich, aber mindestens zufrieden. Und zwar von innen heraus, mit sich selbst. That's it, ich habe aber auch gelernt, dass der Weg dort hin ein langer ist und dass jeder seinen eigenen finden darf.

    So, das waren jetzt mal meine Gedanken. Bisl pathetisch wie so oft bei mir, aber vielleicht kannst trotzdem was damit anfangen, würde mich freuen.

    Alles Gute für Dich und super, dass Du nicht aufgegeben hast und Dich wieder auf den Weg in ein Leben ohne Alkohol machst.

    LG
    Gerchla

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!